Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.557/2017
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2017
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2017


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

[displayimage]       
8C_557/2017            

 
 
 
Urteil vom 4. Dezember 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Petra Oehmke, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
20. Juni 2017 (VBE.2017.10). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1971 geborene A.________ war zuletzt als Pflegehilfe im Pflegheim
B.________ erwerbstätig gewesen, als sie sich am 24. Mai 2000 unter Hinweis auf
ihr Rückenleiden bei der IV-Stelle des Kantons Aargau zum Leistungsbezug
anmeldete. Nach medizinischen Abklärungen sprach diese der Versicherten mit
Verfügung vom 25. Februar 2003 ab 1. Oktober 1999 eine halbe Rente der
Invalidenversicherung zu. 
Im Jahre 2012 leitete die IV-Stelle ein Revisionsverfahren ein. Nach Vorliegen
der Gutachten der Academy of Swiss Insurance Medicine (asim), Basel, vom 23.
September 2013 und der Polydisziplinären Medizinischen Abklärungen AG (PMEDA),
Zürich, vom 24. Mai 2016 und nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens hob
die IV-Stelle die Rente mit Verfügung vom 5. Dezember 2016 auf Ende des der
Eröffnung der Verfügung folgenden Monats auf. 
 
B.   
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht
des Kantons Aargau mit Entscheid vom 20. Juni 2017 ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde beantragt A.________, die Verfügung und der kantonale
Gerichtsentscheid seien ersatzlos aufzuheben, eventuell sei die Sache an die
Beschwerdegegnerin zu weiteren medizinischen Abklärungen, subeventuell an die
Vorinstanz zur Prüfung einer Revision nach den Schlussbestimmungen zur 6.
Revision des IVG zurückzuweisen. 
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen
nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu
Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).  
Die beschwerdeführende Partei, welche die Sachverhaltsfeststellungen der
Vorinstanz anfechten will, muss substanziiert darlegen, inwiefern die
Voraussetzungen einer Ausnahme gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sind und das
Verfahren bei rechtskonformer Ermittlung des Sachverhalts anders ausgegangen
wäre; andernfalls kann ein Sachverhalt, der vom im angefochtenen Entscheid
festgestellten abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 140 III 16 E. 1.3.1
S. 18 mit Hinweisen). 
 
2.   
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, als sie
die Rentenaufhebung auf Ende des der Zustellung der Verfügung vom 5. Dezember
2016 folgenden Monats bestätigte. 
 
3.  
 
3.1. Der Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung setzt unter anderem
voraus, dass die versicherte Person invalid oder von Invalidität unmittelbar
bedroht ist. Invalidität ist gemäss Art. 8 Abs. 1 ATSG die voraussichtlich
bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.  
 
3.2. Ändert sich der Invaliditätsgrad eines Rentenbezügers erheblich, so wird
gemäss Art. 17 ATSG die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die
Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben. Die Frage der
wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen beurteilt sich im
vorliegenden Fall unbestrittenermassen durch Vergleich des Sachverhalts, wie er
im Zeitpunkt der ursprünglichen Rentenverfügung bestanden hat, mit demjenigen
zur Zeit der streitigen Revisionsverfügung (BGE 134 V 131 E. 3 S. 132 f.).  
Eine Rentenherabsetzung oder Aufhebung im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG setzt
eine anspruchserhebliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse voraus, welche
entweder in einer objektiven Verbesserung des Gesundheitszustandes mit
entsprechend gesteigerter Arbeitsfähigkeit oder in geänderten erwerblichen
Auswirkungen einer im Wesentlichen gleich gebliebenen
Gesundheitsbeeinträchtigung liegen kann. Demgegenüber stellt eine bloss
abweichende Beurteilung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhaltes
keine revisionsrechtlich relevante Änderung dar (BGE 112 V 371E. 2b S. 372
unten; in BGE 136 V 216 nicht publizierte E. 3.2 des Urteils 8C_972/2009,
publiziert in: SVR 2011 IV Nr. 1 S. 1 mit Hinweis). 
 
4.  
 
4.1. Das kantonale Gericht hat in umfassender Würdigung der medizinischen Akten
für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich festgestellt, dass sich der
Gesundheitszustand der Versicherten seit der ursprünglichen Rentenzusprache
erheblich verbessert hat und sie nunmehr in der Lage ist, einer angepassten
Tätigkeit zu 100 % nachzugehen. Dabei hat es erwogen, die ursprüngliche
Rentenzusprache habe sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. med.
C.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Klinik
D.________, vom 22. Mai 2002 gestützt. Die Rentenaufhebung rechtfertige sich
demgegenüber aufgrund des Gutachtens der PMEDA vom 24. Mai 2016. Dabei spiegle
die unterschiedliche Beurteilung der Arbeitsfähigkeit eine Veränderung der
tatsächlichen Verhältnisse wieder.  
 
4.2. Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um
Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), die das
Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (E. 1.3). Die
konkrete Beweiswürdigung stellt ebenfalls eine Tatfrage dar. Dagegen ist die
Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln (BGE 132
V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil I 865/06 vom 12. Oktober 2007 E. 4 mit
Hinweisen) wie auch die Frage nach der rechtlichen Relevanz einer attestierten
Arbeitsunfähigkeit (BGE 140 V 193) frei überprüfbare Rechtsfrage.  
 
4.3. Die durch das kantonale Gericht getroffenen Tatsachenfeststellungen,
namentlich die aus den medizinischen Unterlagen gewonnenen Erkenntnisse, sind
im letztinstanzlichen Prozess grundsätzlich verbindlich. Im Rahmen der
eingeschränkten Sachverhaltskontrolle (Art. 97 Abs. 1 BGG) ist es nicht Aufgabe
des Bundesgerichts, die schon im vorangehenden Verfahren im Recht gelegenen
ärztlichen Berichte neu zu beurteilen und die rechtsfehlerfreie
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz hinsichtlich der medizinisch
begründeten Verminderung des Leistungsvermögens und des Ausmasses der trotz
eventueller gesundheitlicher Beeinträchtigungen verbleibenden Arbeitsfähigkeit
zu korrigieren (vgl. auch Urteil 8C_537/2017 vom 29. September 2017 E. 5).
Einzugreifen hat das Bundesgericht jedoch dann, wenn die vorinstanzlichen
Feststellungen auf einer offensichtlich unrichtigen Interpretation oder einer
willkürlichen Würdigung der massgeblichen Akten beruhen.  
 
4.4. Die rentenzusprechende Verfügung basierte auf der Annahme, dass der
Versicherten ihre angestammte Tätigkeit als Pflegehilfe nicht mehr länger
zumutbar war. Da auch die Gutachter der PMEDA eine Arbeitsfähigkeit der
Beschwerdeführerin als Pflegehilfe verneinten, besteht hinsichtlich ihrer
angestammten Tätigkeit keine wesentliche Differenz zwischen der ursprünglichen
Verfügung und dem neusten Gutachten. Daran vermag auch der Umstand nichts zu
ändern, dass sich die Gutachter der PMEDA in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit als
Pflegehilfe nur für die Zeit ab 2013 festlegen wollten.  
 
4.5. Was die Arbeitsfähigkeit der Versicherten in einer angepassten Tätigkeit
angeht, bescheinigte Dr. med. C.________ ihr 2002 eine solche von 50 %, während
die Gutachter der PMEDA im Jahre 2016 eine volle Arbeitsfähigkeit für zumutbar
erachteten. Entgegen den Erwägungen der Vorinstanz erklärten die Gutachter
diese Differenz indessen nicht mit einer Verbesserung des Gesundheitszustandes
durch die zwischenzeitlich erfolgten Operationen; sie betonten vielmehr
ausdrücklich und mehrfach, dass ihre Einschätzung "ex tunc" gelte. Zudem
kritisierten sie, die im Jahre 2002 gestellten Diagnosen könnten eine
Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit nicht
begründen. Die vorinstanzliche Erwägung, welche aus den Ausführungen der
Gutachter der PMEDA auf eine erhebliche Veränderung der tatsächlichen
Verhältnisse schliesst, ist somit offensichtlich unrichtig. Auch aus dem
Gutachten der asim aus dem Jahre 2013 ergibt sich eine solche Veränderung
nicht. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die unterschiedlichen
Einschätzungen bloss auf einer abweichenden Beurteilung eines im Wesentlichen
gleich gebliebenen Sachverhaltes beruhen. Ist damit keine revisionsrechtlich
relevante Sachverhaltsänderung nachgewiesen, so entfällt die Möglichkeit einer
Revision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG. Anzumerken bleibt, dass aufgrund der
damaligen Aktenlage die Annahme, bei Erlass der rentenzusprechenden Verfügung
im Jahre 2003 sei von einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit auch in einer
angepassten Tätigkeit auszugehen, jedenfalls nicht als zweifellos unrichtig
erscheint.  
 
4.6. Da die Versicherte für mehr als fünfzehn Jahren eine Rente der
Invalidenversicherung bezogen hat, entfällt die Möglichkeit einer Revision nach
den Schlussbestimmungen der Änderung des IVG vom 18. März 2011 (6. IV-Revision,
erstes Massnahmenpaket). Demnach hat die Beschwerdegegnerin - bei Fehlen eines
Revisionsgrundes im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG - ihre Rentenleistungen
weiterhin im bisherigen Umfang zu erbringen. Die Beschwerde der Versicherten
ist somit gutzuheissen und die Verfügung und der kantonale Gerichtsentscheid
sind ersatzlos aufzuheben.  
 
5.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 BGG). Die Gerichtskosten
werden der Beschwerdegegnerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs.
1 BGG). Sie hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung auszurichten (
Art. 66 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons Aargau vom 20. Juni 2017 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons
Aargau vom 5. Dezember 2016 werden aufgehoben. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
der Helvetia Schweizerische Lebensversicherungsgesellschaft AG, Basel, und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 4. Dezember 2017 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold 

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben