Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.549/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_549/2017  
 
 
Urteil vom 20. Dezember 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Kummer, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
beco Berner Wirtschaft, Arbeitsvermittlung, Rechtsdienst, Lagerhausweg 10, 3018
Bern, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung (Kurzarbeitsentschädigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 21.
Juni 2017 (200 17 59 ALV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die A.________ AG mit Sitz in U.________, die unter anderem die Herstellung und
Montage von Metallprodukten sowie Erzeugnissen ähnlicher Fachrichtungen tätig
ist, reichte am 16. August 2016 beim beco Berner Wirtschaft (nachfolgend: beco)
eine Voranmeldung von Kurzarbeit für die Zeit vom 1. September 2016 bis 28.
Februar 2017 bei einem voraussichtlichen Arbeitsausfall von 60 % für 51
Arbeitnehmende ein. Sie begründete dies mit einem tiefen Bestellungseingang der
B.________ AG für welche sie geschweisste Kapselungen für gasisolierte
Ausleitungen in Schaltanlagen und Kraftwerken herstelle. Diese sei mit einem
Umsatzanteil von 40,5 % ihre grösste Kundin, wodurch sich die Auftragslage
markant verschlechtert habe. Dagegen erhob das beco Einspruch, da der
Arbeitsausfall der A.________ AG zum normalen Betriebsrisiko gehöre. Nach
weiteren Abklärungen wies das beco die dagegen geführte Einsprache ab
(Einspracheentscheid vom 2. Dezember 2016). 
 
B.   
Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 21. Juni 2017 ab. 
 
C.   
Die A.________ AG lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei der
Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung zu bejahen und die Sache zur Ausrichtung
der Entschädigung an das beco zurückzuweisen. 
Das beco schliesst unter Verweis auf die vorinstanzliche Beschwerdeantwort vom
20. März 2017 auf Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für
Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105
Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit
vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (
Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194), was in der Beschwerde näher darzulegen ist
(BGE 133 III 393 E. 3 S. 395). Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein
bildet noch keinen hinreichenden Anlass im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG für die
Zulässigkeit von unechten Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne
Weiteres hätten vorgebracht werden können. Das Vorbringen von Tatsachen, die
sich erst nach dem angefochtenen Entscheid ereigneten oder entstanden (echte
Noven), ist vor Bundesgericht unzulässig (BGE 143 V 19 E. 1.2 S. 22 f. mit
Hinweisen).  
 
2.2. Die Beschwerdeführerin legt im bundesgerichtlichen Verfahren eine E-Mail
vom 6. Mai 2017 sowie weitere Unterlagen vom 21. Juni, 27. Juli und 22. August
2017 ins Recht. Sie begründet indes nicht, weshalb erst der angefochtene
Entscheid zu deren Einreichung Anlass gegeben haben sollte, soweit es sich
nicht ohnehin um von vornherein unzulässige echte Noven handelt (vgl. dazu
MEYER/DORMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 43
f. zu Art. 99 BGG). Folglich haben diese Noven unbeachtlich zu bleiben.  
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze zum Anspruch auf
Kurzarbeitsentschädigung (Art. 31 Abs. 1 AVIG), zum anrechenbaren
Arbeitsausfall (Art. 31 Abs. 1 lit. b und d, Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG), zu
den Voraussetzungen, unter denen die Anrechenbarkeit eines Arbeitsausfalls zu
verneinen ist (Art. 33 Abs. 1 lit. a und b AVIG; BGE 121 V 371 E. 2a S. 374),
sowie zum normalen Betriebsrisiko (BGE 119 V 498 E. 1 S. 500; ARV 2008 S. 158,
8C_279/2007 E. 2.3 S. 159) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.  
 
3.2. Die Rechtsprechung legt den Begriff der wirtschaftlichen Gründe in
Berücksichtigung des präventiven Charakters der Kurzarbeitsentschädigung weit
aus und versteht darunter sowohl strukturelle als auch konjunkturelle Gründe
insgesamt und nicht nur den Rückgang der Nachfrage nach den normalerweise von
einem Betrieb angebotenen Gütern und Dienstleistungen (BGE 128 V 305 E. 3a S.
307; ARV 2011 S. 67, 8C_291/2010; ARV 2004 S. 127, C 237/01 E. 1.3 mit
Hinweisen; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, S. 2410 Rz.
479 f.).  
 
3.3. Die Vorinstanz erwog, es sei unbestritten, dass die Arbeitsausfälle auf
wirtschaftliche Gründe zurückzuführen und daher grundsätzlich anrechenbar
seien. Der in der Einsprache im Rahmen des Verwaltungsverfahrens erstmals
geltend gemachte Margenverlust aufgrund der Währungsschwäche des Euro sei
hingegen nicht zu berücksichtigen. Die Auftragslage habe sich hierdurch nicht
verändert, weshalb auch die Bestimmungen zu einem Härtefall nach Art. 32 Abs. 3
AVIG und Art. 51 AVIV nicht zum Tragen kämen. Bei der Beurteilung des normalen
Betriebsrisikos wie auch der Branchen-, Berufs- oder Betriebsüblichkeit komme
der Vorhersehbarkeit des Arbeitsausfalls massgebende Bedeutung zu. Die
Beschwerdeführerin stelle im wichtigsten Geschäftsbereich geschweisste
Kapselungen für gasisolierte Ausleitungen in Schaltanlagen und Kraftwerken für
drei Hauptkunden (B.________ AG, Firma C.________ und Firma D.________) her.
Die B.________ AG sei mit 40,5 % die grösste Kundin, die ihrerseits u.a. in
Länder des Nahen Ostens liefere. Hierbei sei es bei einigen ihrer Projekte
aufgrund des Krieges zwischen Saudi-Arabien und Jemen zu Verzögerungen
gekommen. Die Geschäftsbeziehung mit einem Hauptkunden beinhalte
rechtsprechungsgemäss ein vorhersehbares Risiko, bei veränderten politischen
oder wirtschaftlichen Verhältnissen einen Umsatzeinbruch zu erleiden. Dieses
Klumpenrisiko sei die Beschwerdeführerin eingegangen; es liege ein normales
wirtschaftliches Betriebsrisiko vor.  
 
3.4. Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, sie sei kein bewusstes
Abhängigkeitsverhältnis zu den drei Grosskunden eingegangen. Durch Fusionen und
Akquisitionen der diversen Anbieter habe eine Marktkonzentration auf die drei
Grosskunden stattgefunden, der sie sich nicht habe entziehen können. Der
Auftragseinbruch sei eine durch politische und wirtschaftliche Verwerfungen
hervorgerufene Branchenkrise und kein normales Betriebsrisiko. Die Vorinstanz
habe es in Verletzung ihrer Begründungspflicht unterlassen, sich dazu zu
äussern, dass in der Vergangenheit grosse, jedoch mit bescheidenem Erfolg
geführte Anstrengungen unternommen worden seien, um den Kundenkreis zu
diversifizieren. Da das Klumpenrisiko nicht in Kauf genommen worden sei, wäre
auch der Arbeitsausfall nicht vermeidbar gewesen. Weiter habe die B.________ AG
ein ansehnliches Bestellvolumen für Ausleitungen für das Jahr 2016 in Aussicht
gestellt, das sie aber nicht abgerufen habe. Diese nicht eingehaltene Zusage
mache den Arbeitsausfall zu einem ungewöhnlichen und ausserordentlichen
Umstand, der nicht zum normalen Betriebsrisiko zu zählen sei. Die gesamte
Marktsituation sei in die Beurteilung miteinzubeziehen, was die Vorinstanz
unterlassen habe. Die politischen Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Qatar
sowie der Zerfall des Ölpreises habe die Situation verschärft; Saudi-Arabien
habe daher Milliardenprojekte, wie Energieanlagen, gestoppt.  
 
4.  
 
4.1. Nach den Darlegungen in der Beschwerde fand im Energiemarkt durch
Akquisitionen und Fusionen eine Marktkonzentration auf die drei Grosskunden
B.________ AG, Firma D.________ und Firma C.________ für Europa, Afrika und den
Nahen Osten statt. In diesem Marktumfeld befindet sich der Bereich
Energietechnik der Beschwerdeführerin. Wie sie selbst einräumt, besteht markt-
und produktebedingt eine grosse Abhängigkeit namentlich vom Hauptkunden
B.________ AG. Fest steht, dass zu Beginn des Jahres 2016 die B.________ AG -
ohne verbindliche Abnahmegarantie - ein grosses Auftragsvolumen in Aussicht
gestellt hatte, worauf die Beschwerdeführerin den Personalbestand erhöhte
(Protokoll der A.________ AG vom 26. April 2016). Die in der Folge wesentlich
geringere Abnahmemenge führte die B.________ AG in einem Schreiben an die
Beschwerdeführerin vom 21. November 2016 darauf zurück, dass ihre Projekte
weniger Ausleitungen benötigen würden. Die geringe Bestellmenge begründete sie
ausserdem mit einem Strategiewechsel ihres neuen Managements, indem nur noch
Aufträge mit positiven Deckungsbeiträgen angenommen würden (vgl. Besuchsbericht
der A.________ AG vom 1. November 2016). Ferner lieferte die B.________ AG
Produkte mit Komponenten der Beschwerdeführerin auch in den Nahen Osten; der
Krieg zwischen Saudi-Arabien und Jemen habe zu Projektverzögerungen geführt,
was ebenfalls unbestritten ist. Ein Margenverlust aufgrund von
Währungsschwankungen wird letztinstanzlich zu Recht nicht mehr als Argument für
einen anrechenbaren Arbeitsausfall vorgebracht.  
 
4.2. Die Beschwerdeführerin bewegt sich im Rahmen der Energietechnik in einem
spezialisierten Marktsegment. Mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass das mit
der Geschäftstätigkeit im Bereich der gasisolierten Schaltanlagen (GIS) bei der
vorliegenden hochkonzentrierten Marktsituation einhergehende Risiko, bei
veränderten Verhältnissen einen Umsatzeinbruch zu erleiden, nicht zu einem
anrechenbaren Arbeitsausfall führt. Mit dem Entscheid, in diesem von ihren drei
Grosskunden beherrschten Marktsegment tätig zu sein, werden hinsichtlich der
Arbeitsausfälle bewusst Risiken in Kauf genommen, deren Verwirklichung nicht
zulasten der Arbeitslosenversicherung gehen kann. Daran ändert der Einwand der
Beschwerdeführerin, dass sie bemüht sei, neue Kunden zu gewinnen, nichts,
weshalb sich die Vorinstanz damit auch nicht näher auseinanderzusetzen
brauchte. Die Hauptkundin B.________ AG rief die in Aussicht gestellte
Abnahmemenge durch einen Strategiewechsel ihres neuen Managements und aufgrund
von Projektverzögerungen im durch vielfältige Konflikte und kriegerische
Auseinandersetzungen seit längerem instabile Nahen Osten nicht ab. Bei diesen
Umständen ist die Auftragseinbusse als normales wirtschaftliches Betriebsrisiko
im Sinne der Rechtsprechung anzusehen. Der Arbeitsausfall der
Beschwerdeführerin im genannten Zeitraum ist nicht aussergewöhnlich und hätte
jede Arbeitgeberin der Branche gleichermassen treffen können (NUSSBAUMER,
a.a.O, S. 2412 Rz. 485).  
 
4.3. Schliesslich kann ein Verstoss gegen Treu und Glauben nicht darin erblickt
werden, dass die Verwaltung bezüglich vorgängiger Perioden keinen Einspruch
gegen die Voranmeldung von Kurzarbeit erhob. Auch wenn der für die Zeit vom 1.
März bis 30. April 2014 mit Kurzarbeitsentschädigung ausgeglichene
Arbeitsausfall ebenfalls durch einen der Grosskunden (Firma C.________)
verursacht wurde, liegen hier dennoch nicht die gleichen Verhältnisse wie
dannzumal vor. Wie sich dem Entscheid des beco vom 27. Februar 2014 entnehmen
lässt, räumte das beco dem Unternehmen damals mit der Kurzarbeitsentschädigung
für zwei Monate die Möglichkeit ein, den sehr kurzfristig erfolgten
Arbeitsausfall in den Monaten Januar und Februar 2014 zu kompensieren. Er wurde
ausserdem mit dem ausdrücklichen Hinweis entschädigt, dass die Kurzarbeit im
Sinne einer einmaligen Überbrückung für die zwei Monate bewilligt und dass bei
gleicher Ausgangslage eine erneute Bewilligung zur Kurzarbeit nicht möglich
sein werde. Die vorinstanzliche Beurteilung hält demnach auch in diesem Punkt
vor Bundesrecht stand.  
 
5.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 62 BGG). Dem Prozessausgang
entsprechend trägt die Beschwerdeführerin als unterliegende Partei die
Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und
dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 20. Dezember 2017 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla 

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