Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.53/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_53/2017

Urteil vom 2. März 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Frésard, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Christine Nowack,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Graubünden, Grabenstrasse 9, 7000 Chur,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung
(vorinstanzliches Verfahren; Prozessvoraussetzung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 25. Oktober 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1955, hatte ab dem 1. Mai 2008 bis Dezember 2009
Arbeitslosenentschädigung bezogen. Die Arbeitslosenkasse Graubünden forderte
mit Verfügung vom 8. März 2012 zu Unrecht ausgerichtete Leistungen von 44'278
Franken zurück. Das Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Graubünden (KIGA)
bestätigte diese Verfügung mit Einspracheentscheid vom 14. Dezember 2012. Die
dagegen erhobenen Beschwerden wiesen das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden mit Entscheid vom 17. Dezember 2013 und das Bundesgericht mit Urteil
8C_328/2014 vom 25. August 2014 ab.
A.________ stellte am 22. Oktober 2014 ein Erlassgesuch. Das KIGA trat darauf
wegen Verspätung nicht ein (Verfügung vom 9. Januar 2015) und wies die dagegen
erhobene Einsprache ab (Entscheid vom 18. März 2015). Das Verwaltungsgericht
hob den Einspracheentscheid am 1. Dezember 2015 auf und wies die Angelegenheit
zur materiellen Prüfung des Erlassgesuchs und zu neuem Entscheid an das KIGA
zurück.
Am 24. März 2016 lehnte das KIGA das Erlassgesuch ab und trat auf die dagegen
erhobene Einsprache wegen Verspätung nicht ein (Entscheid vom 6. Juni 2016).

B. 
Auf die dagegen erhobene Beschwerde trat das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden mit Entscheid vom 25. Oktober 2016 wegen Fristversäumnis ebenfalls
nicht ein, nachdem die Instruktionsrichterin dem Beschwerdeführer die
Gelegenheit geboten hatte, sich zur Rechtzeitigkeit zu äussern.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die
Vorinstanz anzuweisen, auf seine Beschwerde vom 22. August 2016 einzutreten.
Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt und auf einen
Schriftenwechsel verzichtet.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist (Art. 97 Abs.
1 BGG) oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht.

2. 
Streitig ist, ob das kantonale Gericht zu Recht nicht auf die Beschwerde
eingetreten ist. Im Einzelnen geht es darum, wann der Einspracheentscheid vom
6. Juni 2016 eröffnet und ob im kantonalen Rechtspflegeverfahren die 30-tägige
Beschwerdefrist (Art. 60 Abs. 1 ATSG) eingehalten wurde.

3. 
Nach den vorinstanzlichen Feststellungen habe das KIGA den angefochtenen
Einspracheentscheid am 6. Juni 2016 der Post übergeben und mittels "A-Post
Plus" verschicken lassen. Nach der Sendungsverfolgung der Post sei der
Einspracheentscheid am 7. Juni 2016 beim Postamt gelagert worden, denn der
Beschwerdeführer habe einen Postrückbehaltungsauftrag vom 4. bis zum 16. Juni
erteilt. Er habe den Einspracheentscheid am 20. Juni 2016 entgegengenommen. Das
kantonale Gericht hat erwogen, dass der Beschwerdeführer mit einer behördlichen
Zustellung habe rechnen müssen, nachdem er am 4. Mai 2016 Einsprache erhoben
habe. Die Sendung des KIGA habe am Tag der erfolglosen Zustellung
beziehungsweise der Lagerung bei der Post, also am 7. Juni 2016, als fiktiv
zugestellt zu gelten. Der zwischen dem 4. und dem 16. Juni 2016 geltende
Postrückbehaltungsauftrag habe keinen Fristenaufschub zu bewirken vermocht. Die
am 22. August eingereichte Beschwerde sei somit verspätet gewesen.

4. 
Was in der Beschwerde dagegen vorgebracht wird, vermag zu keiner anderen
Beurteilung zu führen. Den Erwägungen im angefochtenen Entscheid ist in allen
Teilen beizupflichten.

4.1. Im Sozialversicherungsverfahren bestehen keine Vorschriften darüber, wie
die Versicherungsträger ihre Verfügungen zustellen sollen. Aus dem Schweigen
des Gesetzes in diesen und anderen verwaltungsrechtlichen Materien über die Art
der Zustellung leitet das Bundesgericht grundsätzlich ab, dass es den Behörden
freigestellt ist, auf welche Art sie ihre Verfügungen versenden. Insbesondere
dürfen sie sich deshalb auch der Versandart "A-Post Plus" bedienen. Die
Eröffnung muss bloss so erfolgen, dass sie dem Adressaten ermöglicht, von der
Verfügung oder der Entscheidung Kenntnis zu erlangen, um diese gegebenenfalls
sachgerecht anfechten zu können. Bei uneingeschriebenem Brief erfolgt die
Zustellung bereits dadurch, dass er in den Briefkasten oder ins Postfach des
Adressaten gelegt wird und damit in den Macht- beziehungsweise
Verfügungsbereich des Empfängers gelangt. Dass der Empfänger von der Verfügung
tatsächlich Kenntnis nimmt, ist nicht erforderlich (BGE 142 III 599 E. 2.4.1 S.
603).
Bei der Versandmethode "A-Post Plus" wird der Brief mit einer Nummer versehen
und ähnlich wie ein eingeschriebener Brief mit A-Post spediert. Im Unterschied
zu den eingeschriebenen Briefpostsendungen wird aber der Empfang durch den
Empfänger nicht quittiert. Entsprechend wird der Adressat im Falle seiner
Abwesenheit auch nicht durch Hinterlegung einer Abholungseinladung avisiert.
Die Zustellung wird vielmehr elektronisch erfasst, wenn die Sendung in das
Postfach oder in den Briefkasten des Empfängers gelegt wird (BGE 142 III 599 E.
2.2 S. 601).

4.2. Durch die Beschwerdeerhebung wird ein Prozessrechtsverhältnis begründet,
welches für die Partei mit der Pflicht verbunden ist, die Entgegennahme von
gerichtlichen Sendungen zu gewährleisten (vgl. BGE 141 II 429 E. 3.1 S. 431 f.,
E. 3.2 i.f. S. 433; 138 III 225 E. 3.1 S. 227 f.; Urteil 2C_902/2016 vom 30.
September 2016 E. 2.1). Nicht anders verhält es sich mit der Erhebung einer
Einsprache nach Art. 52 ATSG. Wer sich während eines hängigen Verfahrens von
seinem Adressort entfernt, hat geeignete Vorkehren für die Zustellbarkeit
behördlicher Mitteilungen zu treffen, sofern er auf die Zustellung eines
behördlichen Akts während seiner Abwesenheit mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit gefasst sein muss. Der Postrückbehaltungsauftrag ist keine
taugliche Vorkehr. Die rechtlich relevante Zustellung ist nicht erst bei der
effektiven Empfangnahme der Sendung als erfolgt zu betrachten (BGE 107 V 187;
zuletzt etwa Urteile 5A_704/2015 vom 22. März 2016 E. 9.2; 6B_169/2014 vom 18.
März 2014 E. 2).

4.3. Der zulässigerweise uneingeschrieben verschickte Einspracheentscheid wäre
dem Beschwerdeführer - ohne anderweitige Abmachung mit der Post - am 7. Juni
2016 zugestellt worden. Mit dem Einwurf in den Briefkasten hätte er als
eröffnet gelten müssen. Daran vermag der Postrückbehaltungsauftrag nach der
dargelegten Rechtsprechung nichts zu ändern. Da nach Erhebung der Einsprache am
4. Mai 2016 mit einem Entscheid zu rechnen war, wäre der Beschwerdeführer
gehalten gewesen, eine behördliche Zustellung zu ermöglichen oder aber der
Verwaltung seine Abwesenheit zu melden und sie zu einem Zustellungsverzicht zu
bewegen. Der erteilte Postrückbehaltungsauftrag genügte dazu nicht. Er konnte
insbesondere nicht bewirken, dass eine rechtlich wirksame Zustellung erst bei
der effektiven Empfangnahme der Sendung nach seiner Rückkehr aus dem Ausland
(am 20. Juni 2016), statt bereits mit dem Einwurf in den Briefkasten, als
erfolgt zu betrachten wäre. Denn Letzteres hätte faktisch zur Folge, dass die
gesetzliche Beschwerdefrist nach Belieben des Beschwerdeführers verlängert
würde (vgl. BGE 141 II 429 E. 3.1 S. 431). Seinem Einwand, dass die Sendung gar
nicht in seinen Machtbereich gelangt sei, kann aus diesem Grund nicht gefolgt
werden. Insbesondere ist nach dem Gesagten gerade nicht massgeblich, dass er
die Verfügung gemäss Sendungsverfolgung ("Track & Trace") tatsächlich erst am
20. Juni 2016 entgegengenommen hat. Auch trifft es nicht zu, dass eine
Zustellung während der von ihm in Auftrag gegebenen Postrückbehaltung nicht
ordnungsgemäss habe erfolgen können, oblag es doch dem Beschwerdeführer,
geeignete Vorkehren für die Zustellbarkeit zu treffen. Dass er dies versäumt
hat, muss er sich entgegenhalten lassen. Seine Berufung darauf, dass er damals
nicht anwaltlich vertreten gewesen sei, ist unbehelflich, denn dass kurz nach
Einreichung eines Rechtsmittels regelmässig fristansetzende gerichtliche
Mitteilungen erfolgen können, liegt in der Natur der Sache (Urteil 2F_10/2014
vom 27. Juni 2014 E. 2.2.1).

5. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. März 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Frésard

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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