Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.525/2017
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2017
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2017


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_525/2017  
 
 
Urteil 30. August 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann, 
Beschwerdeführerin. 
 
gegen  
 
 Schweizerische Mobiliar 
Versicherungsgesellschaft AG, Direktion Bern, Bundesgasse 35, 3011 Bern, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Invalidenrente; Wiedererwägung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau 
vom 31. Mai 2017 (VV.2016.308/E). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________, geboren 1961, war ab 1. Dezember 1996 bei der Schweizerischen
Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG (nachfolgend: Mobiliar) als
Aussendienstmitarbeiterin angestellt und in dieser Eigenschaft bei ihrer
Arbeitgeberin gegen Folgen von Unfällen versichert. Am 13. September 2002
sprach ihr die Mobiliar für die Folgen des Unfalls vom 20. August 1997, bei
welchem sie mit ihrem Wagen vor einem Lichtsignal stand, als von hinten ein
Lastwagen auf diesen auffuhr und ihn in das davor stehende Auto schob (vgl.
Unfallmeldung vom 26. August 1997), ab 1. Mai 2002 eine Invalidenrente bei
einem - mit jenem in der Invalidenversicherung übereinstimmenden -
Invaliditätsgrad von 73 % sowie eine Integritätsentschädigung bei einer
Integritätseinbusse von 40 % zu. Die dagegen erhobene Einsprache vom 14.
Oktober 2002 wurde am 18. Oktober 2002 zurückgezogen. 
Die IV-Stelle des Kantons Thurgau holte bei der MEDAS Zentralschweiz ein
polydisziplinäres Gutachten vom 14. Juni 2013 ein. Gestützt darauf hob die
Mobiliar die von ihr ausgerichtete Invalidenrente mit Verfügung vom 6. November
2013, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 8. Juli 2014, per Ende November
2013 auf. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau am 28. Oktober 2015 mangels eines Revisionsgrundes gut und hob
den Einspracheentscheid vom 8. Juli 2014 auf. Das Bundesgericht hob mit Urteil
8C_889/2015 vom 29. September 2016 den kantonalen Entscheid auf und wies die
Sache zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz zurück. 
 
B.   
Das Verwaltungsgericht holte eine ergänzende Stellungnahme bei der MEDAS ein.
Am 3. Mai 2017 teilte das Gericht A.________ mit, es könne sein, dass gestützt
auf die Stellungnahme der MEDAS vom 7. November 2016 im Rahmen der
substituierten Begründung der Wiedererwägung der Einspracheentscheid vom 8.
Juli 2014 bestätigt werde, und gewährte ihr das rechtliche Gehör. Mit Eingabe
vom 26. Mai 2017 verzichtete A.________ auf einen Rückzug ihrer Beschwerde. Am
31. Mai 2017 bestätigte das Gericht die Aufhebung der Rente per 30. November
2013 und auferlegte der Mobiliar die Kosten der Stellungnahme. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die
Mobiliar zu verpflichten, ihr ab 1. Dezember 2013 weiterhin eine Rente bei
einem Invaliditätsgrad von 73 % auszurichten. 
Die Vorinstanz und die Mobiliar schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
D.   
Mit Eingabe vom 14. Februar 2018 lässt A.________ an ihren Anträgen
festhalten. 
 
E.   
Die Mobiliar reicht am 26. Februar 2018 (Poststempel: 27. Februar 2018)
unaufgefordert eine Stellungnahme zum Schreiben vom 14. Februar 2018 ein. 
 
F.   
Mit Verfügung vom 6. April 2018 gewährte das Bundesgericht den Parteien das
rechtliche Gehör bezüglich einer allfälligen wiedererwägungsweisen Prüfung
unter dem Blickwinkel einer unterlassenen Adäquanzprüfung. 
 
G.   
Die Mobiliar äusserte sich am 18. April 2018 dazu. A.________ nahm mit Eingabe
vom 11. Mai 2018 zur Aufforderung des Bundesgerichts vom 6. April 2018 sowie
zum Schreiben der Mobiliar vom 18. April 2018 Stellung. Mit Schreiben vom 4.
Juni 2018 liess sich die Mobiliar zur Eingabe von A.________ vernehmen. 
 
H.   
Das Bundesgericht hat am 30. August 2018 eine öffentliche Beratung
durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.   
Unbestrittenermassen ist mangels verbesserten Gesundheitszustands eine Revision
der Rente nach Art. 17 ATSG ausgeschlossen. Streitig ist hingegen, ob die
Vorinstanz zu Recht die Aufhebung der Invalidenrente per 30. November 2013 im
Rahmen der substituierten Begründung einer Wiedererwägung bejaht hat. 
 
3.   
Die Vorinstanz hat die Grundsätze und Bestimmungen über die Begriffe der
Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG) und der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die
Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) und die allgemeinen beweisrechtlichen
Anforderungen an einen ärztlichen Bericht (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V
351 E. 3a S. 352) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
4.   
In ihrer Stellungnahme vom 11. Mai 2018 wirft die Versicherte dem Bundesgericht
Einseitigkeit und den Anschein von Befangenheit vor. Sie stellt jedoch keinen
konkreten Antrag auf Ausstand. Da zudem nicht gegenüber einer Behörde, sondern
bloss gegenüber Personen Ausstandsgründe geltend gemacht werden können und die
Versicherte keine Namen nennt, hat es damit sein Bewenden. 
 
5.  
 
5.1. Die Vorinstanz ist gestützt auf die Stellungnahme der MEDAS vom 7.
November 2016 zum Schluss gekommen, das Gutachten des Dr. med. B.________,
Facharzt für Neurologie, vom 2. April 2002, welches Grundlage der
Rentenzusprechung bildete, sei unvollständig bzw. fehlerhaft, da der Gutachter
die subjektiven Angaben der Versicherten trotz fehlender objektivierbarer
Befunde nicht hinterfragt habe und die notwendigen fachärztlichen Abklärungen
bezüglich des Bewegungsapparates überhaupt nicht sowie die neurologischen und
neuropsychologischen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erfolgt seien. Daran
ändere nichts, dass die Rente noch unter der alten Rechtsprechung zu den
Schleudertraumata zugesprochen worden sei. Somit sei die Verfügung vom 13.
September 2002 zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher
Bedeutung. Gestützt auf das MEDAS-Gutachten vom 14. Juni 2013, welchem das
Bundesgericht in seinem Urteil volle Beweiskraft zuerkannt habe und welches der
Versicherten in ihrer angestammten Tätigkeit eine volle Arbeitsfähigkeit
attestiere, sei die Rentenaufhebung per Ende November 2013 mit der
substituierten Begründung der Wiedererwägung zu schützen.  
 
5.2. Die Versicherte rügt, entgegen der Vorinstanz liege kein
Wiedererwägungsgrund nach Art. 53 Abs. 2 ATSG vor. Massgebend sei die
Rechtslage im damaligen Zeitpunkt gewesen und ob der Entscheid der Behörde aus
damaliger Sicht vertretbar gewesen sei. Einerseits sei es im Zeitpunkt der
Rentenzusprechung üblich gewesen, dass nach einem Schleudertrauma ein Neurologe
allein die medizinische Situation, einschliesslich des Bewegungsapparates,
beurteilt habe. Andererseits habe Dr. med. B.________ in seinem Gutachten eine
sehr sorgfältige Beurteilung vorgenommen, welche dem damaligen Standard
entsprochen habe. Weiter sei nicht zu beanstanden, dass der Neurologe auch eine
neuropsychologische Beurteilung vorgenommen habe. Schliesslich lässt sie
geltend machen, eine Wiedererwägung über zehn Jahre seit der Rentenzusprechung
verstosse gegen Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV in Verbindung mit
Art. 35 BV) sowie gegen Art. 6 EMRK und das Diskriminierungsverbot nach Art. 8
in Verbindung mit Art. 14 EMRK. In ihrer Stellungnahme vom 11. Mai 2018 beruft
sie sich erneut auf eine Verletzung des Art. 8 in Verbindung mit Art. 14 EMRK
sowie auf einen Verstoss gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV),
der res iudicata und weitere Einwände in Zusammenhang mit der Adäquanzprüfung.
 
 
6.   
Ob die Vorinstanz gestützt auf das gemäss ihrer Einschätzung mangelhafte
Gutachten des Dr. med. B.________ vom 2. April 2002 zu Recht einen
offensichtlich ungenügend abgeklärten Sachverhalt und damit einen
Wiedererwägungsgrund bejaht hat (vgl. zu dieser Frage etwa SVR 2017 UV Nr. 16
S. 53, 8C_425/2016, E. 4.2), kann offen bleiben. Denn - wie nachfolgend gezeigt
wird (E. 7) - ist eine Rentenaufhebung im Rahmen der auch vor Bundesgericht
zulässigen substituierten Begründung (E. 1.1) ausgewiesen. 
 
7.  
 
7.1. Nach Art. 53 Abs. 2 ATSG kann der Versicherungsträger auf formell
rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese
zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung
ist. Die erstgenannte Voraussetzung meint, dass kein vernünftiger Zweifel an
der (von Beginn weg bestehenden) Unrichtigkeit der Verfügung möglich, also
einzig dieser Schluss denkbar ist. Das Erfordernis der zweifellosen
Unrichtigkeit ist in der Regel erfüllt, wenn eine Leistungszusprechung aufgrund
falsch oder unzutreffend verstandener Rechtsregeln erfolgt war oder wenn
massgebliche Bestimmungen nicht oder unrichtig angewandt wurden (BGE 140 V 77
E. 3.1 S. 79). Anders verhält es sich, wenn der Wiedererwägungsgrund im Bereich
materieller Anspruchsvoraussetzungen liegt, deren Beurteilung notwendigerweise
Ermessenszüge aufweist. Erscheint die Beurteilung einzelner Schritte bei der
Feststellung solcher Anspruchsvoraussetzungen (Invaliditätsbemessung,
Arbeitsunfähigkeitsschätzung, Beweiswürdigung, Zumutbarkeitsfragen) vor dem
Hintergrund der Sach- und Rechtslage, wie sie sich im Zeitpunkt der
rechtskräftigen Leistungszusprechung darbot, als vertretbar, scheidet die
Annahme zweifelloser Unrichtigkeit aus. Zweifellos ist die Unrichtigkeit, wenn
kein vernünftiger Zweifel daran möglich ist, dass die Verfügung unrichtig war.
Es ist nur ein einziger Schluss - derjenige auf die Unrichtigkeit der Verfügung
- denkbar (BGE 138 V 324 E. 3.3 S. 328; in BGE 140 V 15 nicht, aber in SVR 2014
IV Nr. 10 S. 39 publizierte E. 4.1 des Urteils 9C_125/2013 vom 12. Februar
2014; vgl. zum Ganzen SVR 2017 UV Nr. 16 S. 53, 8C_425/2016, E. 2.2).  
 
7.2. Nach der Rechtsprechung ist das Erfordernis der zweifellosen Unrichtigkeit
etwa bei Vorliegen einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes nach Art. 43
Abs. 1 ATSG erfüllt (vgl. etwa Urteile 8C_638/2017 vom 25. Januar 2018 E. 2.2,
8C_746/2017 vom 22. Dezember 2017 E. 2.2, 9C_362/2017 vom 8. August 2017 E.
2.1, 8C_861/2015 vom 30. Juni 2016 E. 3.2.5, 9C_633/2015 vom 3. November 2015
E. 2.1 und 8C_347/2015 vom 20. August 2015 E. 2.1, je mit weiteren Hinweisen).
Ebenso wird bei Ausserachtlassung der im Zeitpunkt der Gewährung der Rente
geltenden Rechtsprechung zu den unklaren Beschwerdebildern ohne nachweisbare
organische Grundlage nach BGE 130 V 352 (nunmehr: BGE 141 V 281) die
zweifellose Unrichtigkeit bejaht (Urteile 9C_727/2016 vom 10. März 2017 E. 3.4
und 8C_68/2013 vom 14. Mai 2013 E. 3.4; vgl. aber auch Urteil 9C_309/2016 vom
13. September 2016 E. 3.5).  
 
7.3. Gleich wie bei der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes oder der
Ausserachtlassung der bei unklaren Beschwerdebildern ohne nachweisbare
organische Grundlage massgeblichen spezifischen Rechtsprechung von BGE 130 V
352 (nunmehr: BGE 141 V 281) stellt eine Rentenzusprechung ohne explizite oder
wenigstens implizite Prüfung der Adäquanz eine Leistungszusprechung auf Grund
falscher Rechtsanwendung und damit eine zweifellos rechtsfehlerhafte Verfügung
dar, so dass der Unfallversicherer berechtigt ist, darauf zurückzukommen (vgl.
dazu bereits SVR 2017 UV Nr. 8 S. 27, 8C_193/2016, E. 4.2 und 4.3). Gestützt
auf diese zweifellose Unrichtigkeit kann eine Überprüfung erfolgen, ohne dass
gefragt werden muss, ob die ursprüngliche Verfügung auch im Ergebnis, d.h. im
Dispositiv zweifellos unrichtig ist. Dadurch soll mit Wirkung ex nunc et pro
futuro ein rechtskonformer Zustand hergestellt werden. Dabei ist wie bei einer
materiellen Revision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG auf der Grundlage eines richtig
und vollständig festgestellten Sachverhalts der Invaliditätsgrad im Zeitpunkt
der Verfügung über die Herabsetzung oder Aufhebung einer Rente zu ermitteln
(vgl. Urteil 8C_861/2015 vom 30. Juni 2016 E. 3.3; vgl. auch BGE 141 V 9 E. 2.3
S. 10 f. sowie die Urteile 8C_638/2017 vom 25. Januar 2018 E. 4.1, 9C_362/2017
vom 8. August 2017 E. 2.2, und 8C_347/2015 vom 20. August 2015 E. 4.2).  
 
7.4. Vorliegend erfolgte die Rentenzusprechung nicht gestützt auf
objektivierbare Beschwerden, sondern infolge eines Schleudertraumas, so dass
für die Leistungsbeurteilung eine separate Prüfung des adäquaten
Kausalzusammenhangs nach dem damals massgebenden BGE 117 V 359 hätte
vorgenommen werden müssen. Es ist jedoch weder der Verfügung vom 13. September
2002, noch den Schreiben vom 14. August 2002 und vom 28. Juni 2002 eine Prüfung
des adäquaten Kausalzusammenhangs zu entnehmen. Auch in den übrigen
echtzeitlichen Akten findet sich kein Hinweis zur Thematisierung der Adäquanz.
Vielmehr waren sich die Mobiliar und der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin
über den versicherten Verdienst uneins; diese Frage konnte jedoch ohne ein
strittiges Verfahren erledigt werden (vgl. den Rückzug der Einsprache vom 18.
Oktober 2002). Demnach liegt infolge unterlassener Adäquanzprüfung eine
zweifellos rechtsfehlerhaft zustandegekommene Verfügung vor. Da auch das
Erfordernis der erheblichen Bedeutung erfüllt ist (BGE 140 V 85 E. 4.4 S. 87),
sind die Voraussetzungen für eine Prüfung ex nunc et pro futuro gegeben.  
 
7.5. An diesem Ergebnis ändern auch die Vorbringen der Versicherten nichts.  
Bezüglich der Rüge, es sei unzulässig, nach über zehn Jahren eine
Wiedererwägung vorzunehmen, kann vollumfänglich auf die Ausführungen in BGE 140
V 514 E. 3.5 S. 518 verwiesen werden, wo das Bundesgericht die in BGE 97 V 144
aufgeworfene Frage der Befristung einer Wiedererwägung verneint. Die
Versicherte bringt nichts vor, das diese Rechtsprechung ernsthaft in Zweifel
ziehen würde (BGE 140 V 538 E. 4.5 S. 541). Soweit sie in diesem Zusammenhang
eine Verletzung von Art. 6 EMRK sowie von Art. 8 in Verbindung mit Art. 14 EMRK
geltend macht, vermögen ihre Ausführungen den Begründungsanforderungen von Art.
106 Abs. 2 BGG nicht zu genügen. Dasselbe gilt auch für die in der
Stellungnahme vom 11. Mai 2018 erhobenen Rügen des Verstosses gegen das
Gleichbehandlungsgebot nach Art. 8 Abs. 1 BV (vgl. in diesem Zusammenhang BGE
142 V 106 E. 4.3 S. 110) sowie der Missachtung des ILO-Abkommens Nr. 121, zumal
letzteres von der Schweiz nicht ratifiziert worden ist (vgl. dazu die Antwort
des Bundesrates vom 15. Mai 2002 zur einfachen Anfrage Rechsteiner [02.1025],
AB 2002 N 1144; vgl. auch Gächter/Burch, Nationale und internationale
Rechtsquellen, in: Steiger-Sackmann/ Mosimann [Hrsg.], Recht der Sozialen
Sicherheit, 2014, Rz. 1.60). 
Ebenfalls unhelflich ist der Einwand der res iudicata, da das Bundesgericht mit
seinem Urteil 8C_889/2015 vom 29. September 2016 das Verfahren nicht abschloss,
sondern die Sache zu weiteren Abklärungen und neuem Entscheid an die Vorinstanz
zurückwies. Dabei hat es weder der Vorinstanz materielle Vorgaben noch
Feststellungen zur Adäquanz oder einer Wiedererwägung gemacht und sich auch
nicht darauf festgelegt, dass nur eine Revision möglich wäre. 
Weiter ändert der geltend gemachte Umstand, es handle sich nicht um ein reines
Schleudertrauma, sondern um ein solches mit Wirbelfraktur, nichts. Denn im
Rahmen der Schleudertraumapraxis wird seit je nicht zwischen psychischen und
physischen Beschwerden unterschieden (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 112 mit
Hinweisen), sondern eine Gesamtbeurteilung vorgenommen. 
 
Schliesslich übersieht die Versicherte, dass das Bundesgericht über die
Beschwerde auch gestützt auf andere als den angerufenen Gründen entscheiden
kann (vgl. E. 1.1). 
 
8.  
 
8.1. Nach dem Gesagten ist der Anspruch der Versicherten auf eine
Invalidenrente nunmehr ex nunc et pro futuro zu prüfen.  
 
8.2.  
 
8.2.1. Was das Vorgehen bei der Adäquanzprüfung betrifft, ist nach der
Schleudertrauma-Praxis (analog zu den bei psychischen Fehlentwicklungen nach
Unfall geltenden Grundsätzen) für die Bejahung des adäquaten
Kausalzusammenhangs im Einzelfall zu verlangen, dass dem Unfall eine
massgebende Bedeutung für die Entstehung der Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit
zukommt. Dies trifft dann zu, wenn er eine gewisse Schwere aufweist oder mit
anderen Worten ernsthaft ins Gewicht fällt. Für die Beurteilung dieser Frage
ist an das Unfallereignis anzuknüpfen, wobei - ausgehend vom augenfälligen
Geschehensablauf - zwischen banalen bzw. leichten Unfällen einerseits, schweren
Unfällen anderseits und schliesslich dem dazwischen liegenden mittleren Bereich
unterschieden wird. Während der adäquate Kausalzusammenhang in der Regel bei
schweren Unfällen ohne Weiteres bejaht und bei leichten Unfällen verneint
werden kann, lässt sich die Frage der Adäquanz bei Unfällen aus dem mittleren
Bereich nicht aufgrund des Unfallgeschehens allein schlüssig beantworten. Es
sind weitere, objektiv erfassbare Umstände, welche unmittelbar mit dem Unfall
in Zusammenhang stehen oder als direkte bzw. indirekte Folgen davon erscheinen,
in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen. Je nachdem, wo im mittleren Bereich der
Unfall einzuordnen ist und abhängig davon, ob einzelne dieser Kriterien in
besonders ausgeprägter Weise erfüllt sind, genügt zur Bejahung des adäquaten
Kausalzusammenhangs ein Kriterium oder müssen mehrere herangezogen werden (BGE
134 V 109 E. 10.1 S. 126).  
 
8.2.2. Der Katalog dieser Kriterien lautet (vgl. BGE 134 V 109 E. 10.3 S. 130)
:  
 
- besonders dramatische Begleitumstände oder besondere Eindrücklichkeit des
Unfalls; 
- die Schwere oder besondere Art der erlittenen Verletzungen; 
- fortgesetzt spezifische, belastende ärztliche Behandlung; 
- erhebliche Beschwerden; 
- ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert; 
- schwieriger Heilungsverlauf und erhebliche Komplikationen; 
- erhebliche Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen. 
 
8.3. Beim Unfall vom 20. August 1997 fuhr ein Lastwagen von hinten in das vor
einem Lichtsignal stehende Auto der Versicherten und schob dieses in das vor
ihm stehende Fahrzeug. Dabei wurden die Airbags ausgelöst sowie Front und Heck
ihres Autos stark eingedrückt und ein Sachschaden von ca. Fr. 12'000.-
verursacht (vgl. Polizeirapport vom........). Gemäss den Feststellungen im
Polizeirapport wurde die Versicherte beim Unfall leicht verletzt. Das
erstbehandelnde Spital C.________ diagnostizierte eine HWS/LWS-Kontusion sowie
eine Kontusion der linken Hand, hielt fest, es habe kein Schwindel, keine
Übelkeit und kein Erbrechen vorgelegen, und verneinte einen Kopfanprall
(Bericht vom 10. September 1997). Am 3. Oktober 1997 diagnostizierte Dr. med.
D.________, Facharzt für Neurologie, ein Schleudertrauma mit Knochenanriss C4
und radikulärem Reizsyndrom C8 links. Der Hausarzt, Dr. med. E.________ hielt
am 5. Dezember 1997 fest, es liege der übliche protrahierte Verlauf nach einem
Schleudertrauma vor; zur Zeit stehe die Depression im Vordergrund, die
Versicherte leide aber nach wie vor an Kopfschmerzen. Auch Dr. med. D.________
hielt am 10. Dezember 1997 fest, im Vordergrund stehe die Depression. Ab Januar
1998 war die Versicherte bei Dr. med. F.________, Facharzt für Neurologie, in
Behandlung, der vorerst keine psychischen Probleme erwähnte. Im
Austrittsbericht der Klinik G.________ vom 14. August 1998, wo sich die
Versicherte vom 21. Juli bis 13. August 1998 stationär aufhielt,
diagnostizierten die Ärzte eine Cervikobrachialgie ulnar links bei
HWS-Distorsionstrauma am 20. August 1997, Diskusprotrusion C5/6 und reaktiver
Depression und psychosozialer Belastung, Nikotinabusus, mässiges Übergewicht
und Status nach Hysterektomie 1994 wegen Endometriose; zudem hielten sie fest,
zur dringenden psychischen Stabilisierung und zum Erlernen eines adäquaten
Umgangs mit den Beschwerden werde eine psychologische Begleitung empfohlen. Dr.
med. B.________ diagnostizierte in seinem Gutachten vom 2. April 2002 einen
Heckauffahrunfall vom 20. August 1997 mit HWS-Distorsion, persistierendem,
linksbetontem, leichtem bis mässigem, unterem Cervicalsyndrom mit leichter,
schmerzhafter Funktionseinschränkung, milder traumatischer Hirnverletzung,
persistierenden, leichten kognitiven Defiziten, Distorsion der LWS, leichtem
links betontem, rezidivierendem Lumbovertebralsyndrom mit Funktionsstörung im
Bereich der Iliosakralgelenke; zu der seit Jahren andauernden psychologischen
Behandlung sowie entsprechenden Beschwerden nahm er keine Stellung und hielt
als Behandlung die Einnahme von Medikamenten, wöchentliche Physiotherapie sowie
wöchentliche Konsultationen bei Frau med. pract. H.________ fest. Im
MEDAS-Gutachten vom 14. Juni 2013 diagnostizierten die Experten mit
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit chronische Handgelenksschmerzen links mit
Funktionseinschränkung, leichter Arthrose im Mittelhandbereich und Status nach
Radiusfraktur 2011; ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit konstatierten sie
eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10
F45.41) mit möglichen früheren depressiven Episoden (ICD-10 F32.4), aktuell
remittiert, ein chronisches Schmerzsyndrom im Nacken- und Hinterkopfbereich mit
Ausstrahlung in den linken Arm, ohne eindeutig zuzuordnendes somatisches
Korrelat, möglicher Mitbeteiligung der deutlichen degenerativen Veränderungen
zwischen dem 5. und 6. sowie dem 6. und 7. Halswirbel und der ausgeprägten
muskulären Dekonditionierung, Status nach Heckauffahrkollision am 20. August
1997, ein chronisches lumbales Schmerzsyndrom mit Ausstrahlung in den linken
Oberschenkel, ohne zuzuordnendes somatisches Korrelat, wahrscheinlicher
Mitbeteiligung der ausgeprägten muskulären Dekonditionierung, eine Adipositas
simplex (BMI von 33.5), eine arterielle Hypertonie, Kopfweh vom Spannungstyp,
teilweise in Migräne übergehend, sowie Nikotinabusus. Für die zuletzt ausgeübte
Tätigkeit bestehe eine volle Arbeitsfähigkeit; dies gelte auch für körperlich
leichte Verweistätigkeiten, während mittelschwere und schwere Tätigkeiten aus
rheumatologischen Gründen nicht mehr zumutbar seien. In ihrer Ergänzung vom 7.
November 2016 äusserte sich die MEDAS vornehmlich zum Gutachten des Dr. med.
B.________ vom 2. April 2002. Dabei hielt sie verschiedene Unzulänglichkeiten
dieses Gutachtens fest und kam zum Schluss, eine leichte Verbesserung des
Gesundheitszustandes habe lediglich der psychiatrische MEDAS-Gutachter
feststellen können, während sich die aus somatischer Sicht höhere
Leistungsfähigkeit aus dem Umstand ergebe, dass keine objektivierbaren
strukturellen Läsionen nachgewiesen werden könnten, was keiner Besserung des
Gesundheitszustandes entspreche, sondern eine andere Einschätzung des
Sachverhaltes darstelle.  
 
8.4. Nach der Rechtsprechung ist bei Auffahrkollisionen vor Lichtsignalen oder
Fussgängerstreifen stets von Unfällen im mittleren Bereich an der Grenze zu den
leichten Fällen auszugehen; dies gilt selbst dann, wenn das Fahrzeug der
versicherten Person durch den Aufprall in das vor ihr stehende geschoben wird
(RKUV 2005 Nr. U 549 S. 236 E. 5.1.2, U 380/04). Angesichts des in E. 8.3
dargelegten Geschehensablaufs ist somit von einem Unfall im mittleren Bereich
an der Grenze zu den leichten Fällen auszugehen. Demnach müssen für die
Erfüllung des adäquaten Kausalzusammenhangs mindestens vier der Kriterien oder
eines in besonders ausgeprägter Weise gegeben sein (SVR 2010 UV Nr. 25 S. 100,
8C_897/2009, E. 4.5).  
 
8.5. Der Unfall vom 20. August 1997 hat sich bei objektiver Betrachtungsweise
weder unter besonders dramatischen Begleitumständen ereignet noch war er von
einer besonderen Eindrücklichkeit. Denn dabei wird nicht vom subjektiven
Empfinden der versicherten Person ausgegangen, sondern es gilt ein objektiver
Massstab; daran ändert nichts, dass jedem Unfall im mittleren Bereich eine
gewisse Eindrücklichkeit zukommt (SVR 2017 UV Nr. 8 S. 27, 8C_193/2016, E. 5.3;
Urteil 8C_318/2013 vom 18. September 2013 E. 5.4 mit Hinweisen). Auch das
Kriterium der Schwere oder besonderen Art der erlittenen Verletzungen ist nicht
gegeben, da die Diagnose eines Schleudertraumas dazu nicht genügt, sondern es
einer besonderen Schwere der für ein Schleudertrauma typischen Beschwerden oder
besonderer, das Beschwerdebild beeinflussender Umstände, wie etwa einer
abgedrehten Körperhaltung, bedarf (SVR 2017 UV Nr. 41 S. 141, 8C_833/2016, E.
6.3 mit Hinweisen), die hier nicht vorliegen. Für das Kriterium der fortgesetzt
spezifischen, belastenden ärztlichen Behandlung fallen die medikamentöse und
physiotherapeutische Behandlung wie auch ärztliche Verlaufskontrollen und
Abklärungen ausser Betracht (SVR 2017 UV Nr. 9 S. 31, 8C_616/2016, E. 8; Urteil
8C_318/2013 vom 18. September 2013 E. 5.4 mit Hinweisen). Ob es angesichts der
jahrelangen psychotheraupeutischen Behandlung zu bejahen ist, ist mangels eines
umfassenden Konzeptes fraglich (Urteil 8C_318/2013 vom 18. September 2013 E.
5.4), kann aber offen bleiben, da es jedenfalls nicht besonders ausgeprägt
vorliegt. Das Kriterium der erheblichen Beschwerden kann unter Berücksichtigung
der Einschränkungen in der Haushaltsführung sowie des sozialen Rückzugs als
knapp erfüllt gelten (SVR 2017 UV Nr. 9 S. 31, 8C_616/2016, E. 9; Urteil 8C_234
/2012 vom 26. Juli 2012 E. 5.4). Offensichtlich nicht erfüllt ist das Kriterium
der ärztlichen Fehlbehandlung. Dasselbe gilt für das Kriterium des schwierigen
Heilungsverlaufs und erheblicher Komplikationen. Denn aus der blossen Dauer der
ärztlichen Behandlung und der geklagten Beschwerden darf nicht schon auf einen
schwierigen Heilungsverlauf geschlossen werden; dazu bedarf es besonderer
Gründe (vgl. SVR 2018 UV Nr. 3 S. 9, 8C_147/2017, E. 5.3, wo eine multiple
Sklerose zum unfallbedingten Gesundheitsschaden hinzukam), die hier nicht
gegeben sind (Urteil 8C_234/2012 vom 26. Juli 2012 E. 5.4 mit Hinweisen). Das
Kriterium der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Bemühungen ist
zu verneinen. Zwar war die Versicherte von März bis August 1999 in ihrer
angestammten Tätigkeit zu 40 bis 50 % tätig und erledigte danach bis Ende 2002
zu einem 40 %-Pensum administrative Arbeiten für einen Pflegebetrieb, seither
ging sie jedoch keiner Erwerbstätigkeit mehr nach (vgl. die Angaben im
Gutachten des Dr. med. B.________ vom 2. April 2002 und im MEDAS-Gutachten vom
14. Juni 2013) und es finden sich in den Akten auch keine Hinweise auf
Bemühungen, im Berufsleben wieder Fuss zu fassen.  
Damit sind höchstens zwei der Kriterien und keines in besonders ausgeprägter
Weise erfüllt, so dass der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall vom
20. August 1997 und den noch geklagten Beschwerden zu verneinen ist. 
 
8.6. Angesichts der fehlenden Leistungsvoraussetzung der Adäquanz besteht kein
Leistungsanspruch. Folglich ist die Rentenaufhebung per 30. November 2013 im
Ergebnis zu Recht erfolgt.  
 
9.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die unterliegende Versicherte hat die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 und 2 BGG). Die Mobiliar hat keinen
Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 30. August 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold 

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben