Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.524/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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8C_524/2017            

 
 
 
Urteil vom 24. November 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Luzius Hafen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Hilflosenentschädigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 12. Juni 2017 (UV.2017.00013). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ war ab 1. März 1992 bei der B.________ AG angestellt und in dieser
Eigenschaft bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) gegen die
Folgen von Unfällen versichert. Am 24. Juni 2012 wurde sie als Mitfahrerin auf
einem Motorrad infolge eines unkorrekt abbiegenden Autofahrers angefahren und
schwer verletzt. In der Folge musste sie sich mehreren Operationen unterziehen.
Die Suva erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Als Unfallfolge verblieben
gemäss Gutachten des Dr. med. C.________, Facharzt für Neurologie sowie für
Psychiatrie und Psychotherapie, Klinik D.________, vom 27. Oktober 2014 eine
spastische Hemiparese links (ICD-10: G 81.8), eine Stimmstörung und eine
kognitiv-kommunikative Sprachstörung (ICD-10: R 49.8), eine mittelschwere bis
schwere neuropsychologische Störung mit deutlichen kognitiven Defiziten in den
Bereichen der Aufmerksamkeits-, der Exekutiv-, der Gedächtnis- und der
visuell-räumlichen Fähigkeiten sowie Verhaltensauffälligkeiten nach einer
Schädigung des Gehirns (ICD-10: F 07.8; DD: F 07.0). Am 26. Januar 2015 sprach
die Suva ihr ab 1. Mai 2015 eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von
100 % sowie eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 100
% zu. 
Bereits mit Verfügung vom 9. Juli 2014, bestätigt mit Einspracheentscheid vom
18. September 2015, sprach die Suva A.________ u.a. gestützt auf den
Abklärungsbericht vom 4. März 2014 ab 1. Februar 2014 eine
Hilflosenentschädigung leichten Grades zu. Die dagegen erhobene Beschwerde wies
das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30.
September 2016 ab. Das Bundesgericht hob diesen mit Urteil vom 5. Januar 2017
auf und wies die Sache an die Vorinstanz zurück, damit sie ihren Entscheid
genügend begründe. 
 
B.   
Mit Entscheid vom 12. Juni 2017 wies das Sozialversicherungsgericht die
Beschwerde von A.________ wiederum ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und ihr eine
Hilflosenentschädigung mittleren Grades zuzusprechen; eventualiter sei für die
Frage der objektiven Notwendigkeit der persönlichen Überwachung eine
fachärztliche Stellungnahme einzuholen. 
Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.   
Streitig ist, ob die Vorinstanz zu Recht einen Anspruch der Versicherten auf
eine Hilflosenentschädigung abgelehnt hat. 
 
3.   
Die Vorinstanz hat die massgebenden Bestimmungen und Grundsätze über das
anwendbare Recht (BGE 141 V 657 E. 3.5.1 S. 661; vgl. auch Abs. 1 der
Übergangsbestimmungen zur Änderung des UVG vom 25. September 2015, AS 2016
4375, 4387), den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der
Unfallversicherung (Art. 26 Abs. 1 und Art. 27 UVG), den Begriff der
Hilflosigkeit und der alltäglichen Lebensverrichtungen (Art. 9 ATSG; BGE 127 V
94 E. 3c S. 97; 125 V 297 E. 4a S. 303, 121 V 88 E. 3 S. 90) sowie die
Unterteilung in leichte und mittelschwere Hilflosigkeit (Art. 38 Abs. 3 und 4
UVV) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
4.   
Die Vorinstanz hat in Erwägung 3 ihres Entscheids die massgebenden Unterlagen
zutreffend wiedergegeben. Es sind dies die Berichte der Klinik E.________ vom
15./21./24. Januar 2014 und vom 7. November 2016, der Abklärungsbericht der
Suva vom 4. März 2014, das Gutachten des Dr. med. C.________ vom 27. Oktober
2014, die Therapieberichte der Klinik D.________ vom 22. August 2014 und vom
29. August 2014 sowie die neuropsychologische Abklärung in der Klinik
D.________ vom 27. August 2014. Darauf wird ebenfalls verwiesen. 
 
5.  
 
5.1. Die Versicherte ist unbestrittenermassen bei den alltäglichen
Lebensverrichtungen der Körperpflege und der Fortbewegung auf Hilfe angewiesen.
In den Bereichen An-/Auskleiden, Aufstehen/Absitzen/Abliegen, Essen, Notdurft
und Pflege gesellschaftlicher Kontakte vermag sie ihren Alltag im Wesentlichen
ohne Hilfe zu bewältigen resp. ist die notwendige Hilfe zur Pflege
gesellschaftlicher Kontakte bereits bei der Fortbewegung berücksichtigt.
Streitig ist hingegen die Notwendigkeit der dauernden persönlichen Überwachung.
 
 
5.2. Die Versicherte macht geltend, sie könne tagsüber nicht länger als drei
bis vier Stunden alleine gelassen werden, danach fühle sie sich unwohl. Es
könne sein, dass sie sich etwas zu essen zubereiten wolle und vergesse, die
Herdplatte abzustellen. Weiter könne sie nach einem Sturz nicht ohne Hilfe
aufstehen und es bestehe die Gefahr des Stolperns infolge fehlender Wahrnehmung
der linken Körperseite. Ihre konstant vorhandene Unruhe könne sich bei längerem
Allein-Sein zu Angst und bis hin zur Panik steigern. Dies sei nicht bloss ein
subjektives Phänomen, sondern Ausfluss der hirnorganischen Beeinträchtigungen.
Dabei stützt sie sich auf die Berichte der Klinik E.________ sowie auf das
Gutachten des Dr. med. C.________. Schliesslich macht sie geltend, das Gericht
hätte im Zweifelsfall diese Frage mit einem neurologischen/neuropsychologischen
Konsilium klären sollen.  
 
5.3. Mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass der allfällig notwendigen Hilfe
nach einem Sturz etwa mit dem Tragen einer Notruf-Uhr begegnet werden kann und
dieser Umstand darüber hinaus die Lebensverrichtung der Fortbewegung beschlägt,
bei welcher die Notwendigkeit von Hilfe unbestrittenermassen gegeben ist (vgl.
dazu Hardy Landolt, Die Crux mit der Überwachung, Pflegerecht 2017 158, 160).
Ebenso zutreffend ist, dass das subjektive Empfinden der Versicherten die
Notwendigkeit der dauernden Überwachung nicht zu begründen vermag. So hält auch
die Klinik E.________ in seinem Bericht vom 7. November 2016 fest, das
Unruhegefühl sei subjektiv. Soweit es aus dem Umstand der vollen
Erwerbstätigkeit der Versicherten vor dem Unfall ableitet, das Unruhegefühl und
die geschilderten Angstzustände hingen deshalb untrennbar mit der
Hirnschädigung zusammen, kann dieser Einschätzung nicht gefolgt werden. Denn
sie beruht auf der unzulässigen Beweismaxime "post hoc ergo propter hoc" (BGE
119 V 335 E. 2b/bb S. 341; SVR 2008 UV Nr. 11 S. 34 E. 4.2.3, U 290/06; vgl.
auch Urteil 8C_260/2016 vom 13. Juli 2016 E. 5.2). Dass die Anwesenheit des
Lebenspartners der Versicherten ein Gefühl von Sicherheit und Ruhe vermittelt,
ist nachvollziehbar, begründet aber noch keine medizinische Notwendigkeit der
Anwesenheit einer Drittperson. Wie die Vorinstanz ebenfalls richtig festhält,
wurde der Bericht der Klinik E.________ vom 7. November 2016 nicht von einem
Arzt oder einer Ärztin verfasst, so dass die darin enthaltenen Aussagen mit
Zurückhaltung zu würdigen sind. Es kann jedoch auf die Einholung des von der
Versicherten beantragten fachärztlichen Berichts verzichtet werden. Denn
massgebend ist vorliegend der Sachverhalt wie er sich am 18. September 2015
präsentierte. Dr. med. C.________, welcher nebst dem Facharzttitel Neurologie
auch über jenen für Psychiatrie und Psychotherapie verfügt, hat in seinem
Gutachten vom 27. Oktober 2014 zwar festgehalten, dass bei einer
Verschlechterung der berichteten Angstsymptomatik eine psychotherapeutische
Behandlung zu prüfen sei; er erwähnt jedoch mit keinem Wort bereits bestehende
Umstände, welche zu diesem Zeitpunkt eine auf die versicherte Person bezogene
und über eine allgemeine kollektive Aufsicht hinausgehende dauernde Überwachung
der Versicherten erforderlich machen würden (Urteile 8C_158/2008 vom 15.
Oktober 2008 E. 5.2.1 und 8C_912/2008 vom 5. März 2009 E. 3.2.3; vgl. zum
Unterschied des Begriffs nach Abs. 3 und Abs. 4 von Art. 38 UVV Landolt,
a.a.O., 159 f.). Es bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte, wonach die
fachärztlichen Feststellungen des Dr. med. C.________ unzutreffend wären. Zudem
vermag eine mehrere Jahre nach dem massgebenden Zeitpunkt einzuholende
fachärztliche Beurteilung in dieser Hinsicht keine besseren Erkenntnisse zu
liefern, weshalb im Rahmen der grundsätzlich zulässigen antizipierten
Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; 124 V 90 E. 4b S. 94) darauf zu
verzichten ist. Vorinstanz und Verwaltung haben den Anspruch auf eine
Hilflosenentschädigung mittleren Grades zu Recht verneint.  
 
6.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die unterliegende Versicherte hat die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Suva hat keinen Anspruch auf
eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 24. November 2017 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold 

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