Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.518/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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8C_518/2017            

 
 
 
Urteil vom 26. Oktober 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiber Hochuli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A._________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG, 
Bundesgasse 35, 3011 Bern, 
vertreten durch Fürsprecher René W. Schleifer, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 4. Juli 2017 (VBE.2017.141). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A._________, geboren 1966, war als Büroangestellte im Kundenmalerei- und
Gipsereigeschäft tätig und in dieser Eigenschaft bei der Schweizerischen
Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG (nachfolgend: Mobiliar oder
Beschwerdegegnerin) gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten
versichert. Nach einer Heckauffahrkollision vom 11. April 2014 erbrachte die
Mobiliar die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld), bevor sie
den Fall per 31. Juli 2014 folgenlos abschloss. Die entsprechende Verfügung vom
26. August 2016 wurde dem Rechtsvertreter der Versicherten am 30. August 2016
zugestellt. Auf die am 30. September 2016 versandte, vom 29. September 2016
datierende Einsprache trat die Mobiliar wegen Versäumnisses der Einsprachefrist
nicht ein. Gleichzeitig wies sie das Gesuch um Fristwiederherstellung vom 3.
Oktober 2016 ab (Einspracheentscheid und Verfügung vom 5. Januar 2017). 
 
B.   
Die hiegegen erhobene Beschwerde der A._________ wies das Versicherungsgericht
des Kantons Aargau mit Entscheid vom 4. Juli 2017 ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiärer
Verfassungsbeschwerde lässt A._________ beantragen, der angefochtene
Gerichtsentscheid sei aufzuheben. Eventualiter sei die Sache unter Aufhebung
des angefochtenen Entscheids zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. 
Die Verfahrensakten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel findet nicht statt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde muss ein Rechtsbegehren enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Da die
Beschwerde an das Bundesgericht ein reformatorisches Rechtsmittel ist (Art. 107
Abs. 2 BGG), muss auch das Rechtsbegehren grundsätzlich reformatorisch gestellt
werden; ein blosser Antrag auf Rückweisung ist nicht zulässig, ausser wenn das
Bundesgericht ohnehin nicht reformatorisch entscheiden könnte (BGE 136 V 131 E.
1.2 S. 135; 134 III 379 E. 1.3 S. 383 mit Hinweis). Da die Beschwerdebegründung
zur Interpretation des Rechtsbegehrens beigezogen werden kann, genügt nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts ein Begehren ohne einen Antrag in der Sache
dann, wenn sich aus der Begründung zweifelsfrei ergibt, was mit der Beschwerde
angestrebt wird (BGE 137 II 313 E. 1.3 S. 317; 136 V 131 E. 1.2 S. 136; Urteil
6B_1099/2016 vom 1. September 2017 E. 1 mit Hinweis). 
Mit Rechtsbegehren Ziffer 1 beantragt die Beschwerdeführerin, der angefochtene
Entscheid sei aufzuheben "und die Beschwerde sei gutzuheissen". Welcher
konkrete Beschwerdeantrag in der Sache damit gutzuheissen sei, bleibt unklar.
Bei Ziffer 2 beantragt die Versicherte eventualiter, die Sache sei unter
Aufhebung des angefochtenen Entscheides "zur neuen Entscheidung an die
Vorinstanz zurückzuweisen". Der Beschwerdebegründung lässt sich entnehmen, dass
die Versicherte die Aufhebung der vorinstanzlich bestätigten Abweisung des
Fristwiederherstellungsgesuchs durch die Beschwerdegegnerin erreichen möchte.
Das Rechtsbegehren ist in diesem Sinne zu interpretieren. Die Beschwerde ist
damit zulässig. 
 
2.   
Die Beschwerdeführerin bezeichnet ihr Rechtsmittel auch als subsidiäre
Verfassungsbeschwerde. Da ihre Eingabe die Voraussetzungen der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erfüllt, ist darauf nicht einzutreten (
Art. 113 BGG). 
 
3.   
Im vorliegenden Streit, ob die Unfallversicherung zu Recht unter Hinweis auf
mangelnde formelle Voraussetzungen nicht auf die Einsprache der Versicherten
eingetreten ist, kommt ungeachtet dessen, dass von der Beurteilung der
Streitfrage letztlich auch Ansprüche auf Geldleistungen der obligatorischen
Unfallversicherung abhängen können, die Ausnahmeregelung des Art. 105 Abs. 3
(in Verbindung mit Art. 97 Abs. 2) BGG nicht zur Anwendung. Das Bundesgericht
kann somit die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen nur im Rahmen von
Art. 105 Abs. 1 und 2 (in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1) BGG überprüfen (vgl.
BGE 135 V 412 E. 1.2 S. 413). Demnach legt es seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von 
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG) und wenn die Behebung des Mangels für
den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Dies
ist aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde zu prüfen (Urteil 8C_763/2008 vom
19. Juni 2009 E. 1, nicht publ. in: BGE 135 V 306, aber in: SVR 2009 IV Nr. 52
S. 161; SVR 2016 UV Nr. 33 S. 108, 8C_259/2015 E. 1.2 mit Hinweisen). 
 
4.   
Im angefochtenen Entscheid wird Art. 41 ATSG sowie die dazu ergangene
Rechtsprechung (BGE 112 V 255; SVR 2009 UV Nr. 25 S. 90, 8C_767/2008 E. 5.3.1;
2C_401/2007 E. 3.3) zutreffend dargelegt. Demnach ist eine Frist wieder
herzustellen, wenn die gesuchstellende Person oder ihre Vertretung
unverschuldeterweise abgehalten worden ist, binnen Frist zu handeln und sofern
sie unter Angabe des Grundes innert 30 Tagen nach Wegfall des Hindernisses
darum ersucht und die versäumte Rechtshandlung nachholt. Darauf wird
verwiesen. 
 
5.   
In tatsächlicher Hinsicht steht fest und ist unbestritten, dass der
Rechtsvertreter der Versicherten die auf den letzten Tag der Einsprachefrist
(29. September 2016) datierte Einsprache am 29. September 2016 um 14.03 Uhr aus
seinem Büro in X.________ per Fax versandte. Die identische Einspracheschrift
wurde jedoch erst am 30. September 2016 zwischen 10.00 und 11.00 Uhr am
Postschalter in Y.________ aufgegeben und sodann am 3. Oktober 2016 der
Beschwerdegegnerin per eingeschriebene Postsendung zugestellt. Gemäss
Arztzeugnis des Dr. med. B.________ vom 1. Oktober 2016 war der Rechtsvertreter
am 29. September 2016 "ab spätnachmittags" bis zum 2. Oktober 2016 100 %
arbeitsunfähig. 
 
6.  
 
6.1. Mit in allen Teilen überzeugender Begründung, worauf verwiesen wird (Art.
109 Abs. 3 BGG), hat das kantonale Gericht zutreffend erkannt, dass die
Beschwerdeführerin nicht substanziiert darzulegen vermochte, weshalb bei
gegebener Aktenlage angesichts der geltend gemachten Magendarmgrippe mit den
etwa ab 16.00 Uhr verspürten Symptomen auf eine Unzumutbarkeit fristgerechten
Handelns zu schliessen gewesen wäre. Warum ihr Rechtsvertreter die nach dem
Faxversand ab ca. 14.05 Uhr zur Postaufgabe bereit liegende Eingabe am 29.
September 2016 nicht mehr, jedoch am 30. September 2016 zwischen 10.00 und
11.00 Uhr - trotz weiterhin bescheinigter, angeblich anhaltender vollständiger
Arbeitsunfähigkeit - dann doch am Schalter in Y.________ zum Versand aufgeben
konnte, ist nicht nachvollziehbar. Als er gemäss Beschwerdeschrift angeblich ab
ca. 16.00 Uhr ohne Vorwarnung die heftigen Symptome zu verspüren begann und
nicht mehr klar zu denken oder vernünftige Entscheidungen zu treffen vermochte,
entschloss er sich dazu, von Z.________ per Zug die Heimreise an seinen Wohnort
nach Y.________ anzutreten.  
 
6.2. Was die Beschwerdeführerin gegen den angefochtenen Entscheid vorbringt,
ist offensichtlich unbegründet.  
 
6.2.1. Von einer Verletzung der Begründungspflicht, welche eine sachgerechte
Anfechtung des vorinstanzlichen Entscheides ausgeschlossen hätte (vgl. BGE 136
I 184 E. 2.2.1 S. 188 mit Hinweisen), kann mit Blick auf die ausführliche
Beschwerdeschrift keine Rede sein. Ebenso ergeben sich keine Anhaltspunkte
dafür, dass die Vorinstanz - entgegen der ausdrücklich wiederholt erhobenen
Rüge - im Rahmen der Beweiswürdigung das Willkürverbot (Art. 9 BV) verletzt
hätte. Nicht nachvollziehbar ist demgegenüber die Behauptung der Versicherten,
"die akute Erkrankung [habe] es dem Rechtsvertreter verunmöglicht, sich noch
einmal zurück ins Büro [nach X.________] zu begeben", während er gleichzeitig
in der Lage war, von seinem Besprechungstermin in Z.________ per Zug nach
Y.________ zu reisen.  
 
6.2.2. Entgegen der Beschwerdeführerin hat das kantonale Gericht ihr
Replikrecht (BGE 137 I 195 E. 2.3.1 S. 197; 133 I 100 E. 4.5 S. 103 f.) nicht
verletzt. Die Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels ist nicht zwingend.
Das Gericht kann Eingaben auch lediglich zur Kenntnisnahme zustellen, wenn von
den Parteien erwartet werden kann, dass sie unaufgefordert dazu Stellung nehmen
(BGE 138 I 484 E. 2.1 und 2.2 S. 485 f.; 133 I 98 E. 2.2 S. 99). Dies trifft
vor allem bei rechtskundig vertretenen Personen wie der Versicherten zu. Daran
ändert nichts, auch wenn der Hinweis "Zustellung zur Kenntnisnahme" in
Fettschrift gesetzt war. Es wird erwartet, dass eine Partei, die eine Eingabe
ohne Fristansetzung erhält und dazu Stellung nehmen will, dies umgehend tut
oder zumindest beantragt; ansonsten wird angenommen, sie habe auf eine weitere
Eingabe verzichtet (BGE 133 I 100 E. 4.8 S. 105 mit Hinweisen; Pra 2011 Nr. 92
S. 657, 5A_42/2011, Urteil 8C_379/2017 vom 8. September 2017 E. 2.1).  
 
6.2.3. Die Vorinstanz hat die Praxis zu den unverschuldeten Hindernissen im
Sinne von Art. 41 ATSG bzw. zur objektiven und subjektiven Unzumutbarkeit
fristgerechten Handelns (vgl. Urteil 9C_1060/2010 vom 23. Februar 2011 E. 2 und
8C_554/2010 vom 4. August 2010 E. 4.2, je mit Hinweisen) zutreffend
wiedergegeben. Mit Blick darauf hat die Versicherte - trotz geltend gemachter
akuter Magendarmgrippe (vgl. Urteil 8C_554/2010 vom 4. August 2010 E. 3) ihres
Rechtsvertreters - gemäss angefochtenem Entscheid nicht dazulegen vermocht,
dass Letzterer nach dem Faxversand der vollständig erstellten Einsprache
infolge gänzlicher Handlungsunfähigkeit verhindert war, die Rechtsschrift
fristwahrend per Post aufzugeben oder aufgeben zu lassen. Auch ein
Rechtsvertreter, der seine Anwaltspraxis alleine führt, muss sich so
organisieren, dass die Fristen im Falle einer Verhinderung gewahrt bleiben
(Urteil 8C_554/2010 vom 4. August 2010 E. 4.2 i.f.).  
 
6.2.4. Schliesslich kann auch von überspitztem Formalismus keine Rede sein. Die
strikte Anwendung der Bestimmungen über die Rechtsmittelfristen stellt im
Prinzip keinen überspitzten Formalismus dar (BGE 142 V 152 E. 4.2 i.f. S. 158
mit Hinweisen). Dies gilt grundsätzlich auch für das Erfordernis der
eigenhändigen Unterschrift von Rechtsschriften (BGE 142 V 152 E. 4.3 S. 158).
Unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin die Einsprache nicht durch
persönliche Vorsprache (Art. 10 Abs. 3 ATSV) erhoben hat. Die einzige
gesetzmässige Alternative - die schriftliche Einsprache - hat den
Voraussetzungen von Art. 10 Abs. 4 ATSV zu genügen. Stattdessen entschied sich
der Rechtsvertreter bewusst für die Zustellung per Telefax, welche die
Anforderungen an die Schriftlichkeit praxisgemäss nicht erfüllt und auch nicht
die Gelegenheit zur nachträglichen Verbesserung eines Formfehlers eröffnet (BGE
142 V 152 E. 4.6 S. 160 f.).  
 
6.3. Der angefochtene Entscheid, mit welchem die Vorinstanz das Nichteintreten
der Beschwerdegegnerin auf die Einsprache vom 29. September 2016 bestätigt hat,
ist nicht zu beanstanden. Eine subjektive und objektive Umzumutbarkeit
fristgerechten Handelns haben Verwaltung und Vorinstanz zu Recht verneint.  
 
7.   
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet, weshalb sie im Verfahren nach 
Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG mit summarischer Begründung abgewiesen wird. 
 
8.   
Bei diesem Ergebnis hat die Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens vor
Bundesgericht zu tragen (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1
BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.   
Die öffentlich-rechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 26. Oktober 2017 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Hochuli 

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