Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.515/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_515/2017  
 
 
Urteil vom 20. Dezember 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiber Hochuli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Ulrich Kurmann, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zug, 
Baarerstrasse 11, 6300 Zug, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug 
vom 30. Mai 2017 (S 2016 142). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________, geboren 1982, erlitt am 26. Dezember 1999 anlässlich des Sturmes
"Lothar" infolge einer von einer Sonnenstore herunter fallenden Stange eine
Commotio cerebri mit Rissquetschwunde an der rechten Stirnseite und eine
Verstauchung des rechten Handgelenks. Die Elvia Versicherungen, heute Allianz
Suisse Schweizerische Lebensversicherungs-Gesellschaft Zürich (nachfolgend:
Allianz), erbrachte hiefür die gesetzlichen Leistungen nach UVG. Die Allianz
verneinte die Unfalladäquanz psychischer Beschwerden und stellte ihre
Leistungen nach Abheilung der somatischen Unfallfolgen per 31. August 2000 ein,
was das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht (heute: sozialrechtliche
Abteilungen des Bundesgerichts) letztinstanzlich schützte (Urteil U 97/02 vom
25. Juli 2002). 
Am 15. Februar 2001 meldete sich A.________ wegen seit 26. Dezember 1999
anhaltender Beschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an.
Mit Verfügung vom 22. August 2002 sprach ihr die IV-Stelle Zug rückwirkend ab
1. Dezember 2000 bei einem Invaliditätsgrad von 93 % eine ganze Invalidenrente
zu. Ab 1. Januar 2002 bezog sie zusätzlich eine Hilflosenentschädigung infolge
einer mittleren Hilflosigkeit (Verfügung vom 13. November 2003). Anlässlich der
im Februar 2007 eingeleiteten revisionsweisen Überprüfung der ausgerichteten
Leistungen bestätigte die IV-Stelle die ganze Invalidenrente, reduzierte jedoch
die Hilflosenentschädigung mit Wirkung ab 1. Oktober 2008 auf eine solche
leichten Grades (Verfügung vom 15. August 2008). Aufgrund des Verdachts auf
unrechtmässigen Leistungsbezug nahm die IV-Stelle weitere Abklärungen vor und
reichte am 27. November 2013 Strafanzeige gegen die Versicherte und deren
Ehemann wegen Betrugs, Verletzung der Meldepflicht sowie Gewalt und Drohung
gegen Behörden und Beamte, eventuell Drohung oder Nötigung ein. Am 8. April
2014 sistierte die IV-Stelle die Invalidenrente und die Hilflosenentschädigung
mit sofortiger Wirkung. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug liess die
Versicherte bei Prof. Dr. med. B.________
versicherungsmedizinisch-psychiatrisch begutachten. Dessen Gutachten datiert
vom 16. Februar 2016 und stützt sich unter anderem auch auf das
neuropsychologische Fachgutachten des Prof. Dr. C.________ vom 3. Februar 2016.
Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Entscheid vom 16. Mai 2017 hat das
Strafgericht des Kantons Zug A.________ und deren Ehegatten wegen des
gewerbsmässigen Betruges gemäss Art. 146 Abs. 1 und 2 StGB schuldig gesprochen
und je zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. 
Nach Kenntnisnahme von den Gutachten der Prof. Dres. B.________ und C.________
hob die IV-Stelle die Invalidenrente bei einem neu auf 20 % ermittelten
Invaliditätsgrad rückwirkend ab 1. Juli 2003 auf und forderte die zu Unrecht
ausgerichteten Rentenleistungen der letzten fünf Jahre ab Verfügungsdatum
zurück (unangefochten in Rechtskraft erwachsene Verfügungen vom 17. Mai 2016).
Mit Verfügung vom 27. Oktober 2016 hob die IV-Stelle auch die
Hilflosenentschädigung rückwirkend ab Januar 2002 auf. Zudem forderte sie
diesbezüglich die zu Unrecht bezogenen Leistungen der letzten fünf Jahre vor
Verfügungserlass zurück (Verfügung vom 15. November 2016). 
 
B.   
Hiegegen lässt A.________ beschwerdeweise beantragen, ihr sei unter Aufhebung
der Verfügung der IV-Stelle vom 27. Oktober 2016 ab 8. April 2014 weiterhin
eine Hilflosenentschädigung nach IVG auszurichten. Das Verwaltungsgericht des
Kantons Zug wies die Beschwerde ab (Entscheid vom 30. Mai 2017). 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ unter
Aufhebung des angefochtenen Gerichtsentscheids und der Verfügung vom 27.
Oktober 2016 beantragen, die IV-Stelle sei zu verpflichten, ihr bis auf
Weiteres eine Hilflosenentschädigung auszurichten. "Eventualiter sei [die
IV-Stelle] zu verpflichten, von einer rückwirkenden Aufhebung der
Hilflosenentschädigung per Januar 2002 abzusehen und diese bis im Februar 2016
auszurichten." 
Während Verwaltung und Vorinstanz auf Abweisung der Beschwerde schliessen,
verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine
Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art.
105 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art.
106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend
gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann
eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es
kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der
allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG),
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel
nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich
unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und
augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine
offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in
Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint (vgl. BGE 129 I
8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_101/2015 vom 30. November 2015 E. 1.1). Diese
Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (Urteil 9C_468
/2017 vom 11. September 2017 E. 1 mit Hinweisen).  
 
1.3. Einem ärztlichen Bericht kommt Beweiswert zu, wenn er für die streitigen
Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die
geklagten Beschwerden berücksichtigt und in Kenntnis der Vorakten (Anamnese)
abgegeben worden ist, wenn die Beschreibung der medizinischen Situation und
Zusammenhänge einleuchtet und die Schlussfolgerungen des Arztes begründet sind
(BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232 mit Hinweis). Ein Richter weicht bei
Gerichtsgutachten nicht ohne zwingende Gründe von der Einschätzung des
medizinischen Experten ab (BGE 125 V 351 E. 3b/aa S. 352 mit Hinweisen; Urteil
8C_304/2016 vom 15. September 2017 E. 1.3).  
 
2.   
Die Vorinstanz hat die entscheidwesentlichen Rechtsgrundlagen zum Anspruch auf
Hilflosenentschädigung bei Hilflosigkeit schweren, mittelschweren oder leichten
Grades (Art. 9 ATSG; Art. 42 IVG in Verbindung mit Art. 35 ff. IVV), namentlich
zu den massgebenden sechs alltäglichen Lebensverrichtungen (Aufstehen,
Absitzen, Abliegen; An- und Auskleiden; Essen; Körperpflege; Verrichten der
Notdurft; Fortbewegung und Kontaktaufnahme [Art. 37 IVV]), zutreffend
wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. 
 
3.   
Fest steht, dass die IV-Stelle gestützt auf das
versicherungsmedizinisch-psychiatrische Gutachten des Prof. Dr. med. B.________
vom 16. Februar 2016 mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Verfügungen
vom 17. Mai 2016 rückwirkend ab 1. Juli 2003 einen Rentenanspruch verneint und
die seit 1. Mai 2011 zu Unrecht ausgerichteten Rentenleistungen zurückgefordert
hat. Zudem haben die Versicherte und ihr Ehegatte die IV-Stelle und deren
Hilfspersonen laut rechtskräftigem Urteil des Strafgerichts des Kantons Zug vom
16. Mai 2017 über den tatsächlichen Gesundheitszustand und ihre tatsächliche
Hilfsbedürftigkeit getäuscht und in einen entsprechenden Irrtum versetzt. 
 
4.   
Strittig ist einzig die von der IV-Stelle am 27. Oktober 2016 rückwirkend ab 1.
Januar 2002 verfügte Aufhebung der Hilflosenentschädigung. 
 
4.1. Das kantonale Gericht bestätigte im Ergebnis die von der IV-Stelle
vertretene Auffassung, wonach aus versicherungspsychiatrischer Sicht mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit nie eine anspruchsrelevante dauerhafte
Hilfsbedürftigkeit bestanden habe. Es hielt die von der Invalidenversicherung
veranlasste Observation der Versicherten auch im Lichte des Urteils des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 18. Oktober 2016 in
Sachen Vukota-Bojic gegen die Schweiz (61838/10) für zulässig. Zwar seien die
Voraussetzungen der prozessualen Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG) nicht erfüllt.
Doch sei sowohl in Bezug auf die ursprünglich zugesprochene
Hilflosenentschädigung mittleren Grades ab 1. Januar 2002 (Verfügung vom 13.
November 2003) als auch hinsichtlich der Reduktion der Hilflosenentschädigung
auf eine solche leichten Grades mit Wirkung ab 1. Oktober 2008 (Verfügung vom
15. August 2008) von zweifelloser Unrichtigkeit auszugehen. Die von der
IV-Stelle wiedererwägungsweise rückwirkend ab 1. Januar 2002 verfügte Aufhebung
der Hilflosenentschädigung sei folglich zu bestätigen, weil nie ein
entsprechender, anspruchsbegründender Gesundheitsschaden bestanden habe. Dies
folge aus den massgebenden tatsächlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand
und zu den Voraussetzungen der Hilflosigkeit gemäss Gutachten des Prof. Dr.
med. B.________ vom 16. Februar 2016. Der rechtserhebliche Sachverhalt sei
hinreichend zuverlässig erstellt. Weder ab 1. Januar 2002 noch über den 8.
April 2014 hinaus habe demnach ein Anspruch auf Hilflosenentschädigung
bestanden. Von zusätzlichen Beweismassnahmen seien in antizipierter
Beweiswürdigung keine neuen entscheidwesentlichen Erkenntnisse mehr zu erwarten
gewesen. Infolge einer Verletzung der zumutbaren Meldepflicht nach Art. 77 IVV
habe die Beschwerdegegnerin die Hilflosenentschädigung zu Recht mit Verfügung
vom 27. Oktober 2016 rückwirkend ab Januar 2002 aufgehoben.  
 
4.2. Demgegenüber rügt die Beschwerdeführerin, die Observation verletze Art. 10
Abs. 2 und Art. 13 BV sowie Art. 8 EMRK. Folglich verstosse die Verwertung der
rechtswidrig erlangten Observationsergebnisse gegen das Gebot des fairen
Verfahrens (Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Schliesslich seien auch
die Wiedererwägungsvoraussetzungen von Art. 53 Abs. 2 ATSG betreffend Aufhebung
der Hilflosenentschädigung entgegen der Vorinstanz nicht erfüllt.  
 
5.  
 
5.1. Ein Observationsbericht bildet für sich allein keine sichere Basis für
Sachverhaltsfeststellungen betreffend den Gesundheitszustand und die
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person. Er kann diesbezüglich höchstens
Anhaltspunkte liefern oder Anlass zu Vermutungen geben. Sichere Kenntnis des
Sachverhalts kann in dieser Hinsicht erst die ärztliche Beurteilung des
Observationsmaterials liefern (BGE 137 I 327 E. 7.1 S. 337; SVR 2012 UV Nr. 17
S. 63, 8C_434/2011 E. 4.2; Urteil 8C_349/2017 vom 6. Oktober 2017 E. 6). Die
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug stellte den Gutachtern bei der
Auftragserteilung mit der Aktenübermittlung auch die Observationsergebnisse zur
Verfügung. Prof. Dr. med. B.________ nahm in seinem umfangreichen
psychiatrischen Gutachten bei der Beantwortung der Fragen ausführlich Bezug auf
die Observationsergebnisse.  
 
5.2. Zwar hat das Bundesgericht jüngst entschieden, dass durch die IV-Stelle
veranlasste Überwachungen einer genügenden gesetzlichen Grundlage entbehren
(Urteil 9C_806/2016 vom 14. Juli 2017 E. 4, zur Publikation vorgesehen). Deren
Ergebnisse im Einzelfall sind indessen nicht von vornherein unverwertbar. Die
Versicherte macht nicht geltend (vgl. Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), und es ist
auch nicht ersichtlich, dass in örtlicher, zeitlicher, persönlicher oder
sachlicher Hinsicht die privaten Interessen gegenüber dem öffentlichen
Interesse an der Verwertbarkeit überwiegen sollen (vgl. E. 5 des genannten
Urteils; Urteil 8C_735/2016 vom 27. Juli 2017 E. 5.3.6). Denn die
Verwertbarkeit der Observationsergebnisse (und damit auch der gestützt darauf
ergangenen weiteren Beweise) ist grundsätzlich zulässig, es sei denn, bei einer
Abwägung der tangierten öffentlichen und privaten Interessen würden diese
überwiegen (E. 5.1.1). Mit Blick auf die gebotene Verfahrensfairness hat das
Bundesgericht sodann in derselben Erwägung (mit Hinweisen) eine weitere
Präzisierung angebracht: Eine gegen Art. 8 EMRK verstossende Videoaufnahme ist
verwertbar, solange Handlungen des "Beschuldigten" aufgezeichnet werden, die er
aus eigenem Antrieb und ohne äussere Beeinflussung machte, und ihm keine Falle
gestellt worden war. Ferner hat es erwogen, dass von einem absoluten
Verwertungsverbot wohl immerhin insoweit auszugehen ist, als es um
Beweismaterial geht, das im nicht öffentlich frei einsehbaren Raum
zusammengetragen wurde (E. 5.1.3; Urteile 8C_305/2017 vom 20. Oktober 2017 E.
4.2 mit Hinweisen; vgl. zum öffentlich einsehbaren Raum: BGE 137 I 327).  
 
5.3. Entgegen der Beschwerdeführerin ist aus dem letzten Satz der E. 4 des
Urteils 9C_806/2016 vom 14. Juli 2017 nicht zu schliessen, dass BGE 137 I 327
jegliche Bedeutung verloren hätte. So sind zumindest die dort im Anwendungsfall
erörterten Grundsätze der Verhältnismässigkeit und Interessenabwägung (vgl. BGE
137 I 327 E. 5.4 ff. S. 332 ff.) in Bezug auf die Beurteilung des
Anfangsverdachts und des Ausmasses der Observation mit Blick auf die Frage der
Verwertbarkeit praxisgemäss weiterhin zu berücksichtigen (vgl. u.a. Urteile
9C_261/2017 vom 14. November 2017 E. 4.1 i.f., 9C_328/2017 vom 9. November 2017
E. 4.2 i.f., 8C_352/2017 vom 9. Oktober 2017 E. 5.4.3, 8C_735/2016 vom 27. Juli
2013 E. 5.3.6.3).  
 
5.4. Im Rahmen der im Sommer 2010 von Amtes wegen eingeleiteten Rentenrevision
versuchte die IV-Stelle am 18. Juli 2011 eine Haushaltsabklärung durchzuführen.
Dabei war ein Gespräch mit der Versicherten nicht möglich. Der Ehemann
beantwortete die Fragen. Er betonte, eine stationäre Behandlung in einer
psychiatrischen Klinik stehe sie nicht durch. Sie benötige die Familie und
"ertrage keine fremden Menschen um sich herum." Die Beschwerdeführerin sass
neben ihm - in sich gekehrt - und nahm am Gespräch keinen Anteil. Wie von der
IV-Stelle schon im vorinstanzlichen Verfahren dargelegt, bildete diese
faktische Verweigerung eines Gespräches seitens der Versicherten mit der
Abklärungsperson der IV-Stelle ausreichenden Anlass dafür, dieses angeblich
krankheitsbedingte Verhalten ausserhalb eines Direktgespräches zu überprüfen.  
 
5.5. Soweit die Versicherte geltend macht, mit Ausnahme der Observation vom 5.
Mai 2012 falle das gesamte Observationsmaterial unter das absolute
Verwertungsverbot, weil es im nicht öffentlich frei einsehbaren Raum
zusammengetragen worden sei, ist die Beschwerde unbegründet. Die Argumentation,
weshalb die Observationsergebnisse aus öffentlichen Einkaufszentren entgegen
der einschlägigen Rechtsprechung (Urteil 8C_920/2014 vom 12. Mai 2015 E. 3.2.1
mit Hinweisen) nicht verwertbar sein sollten, beruht auf Mutmassungen über den
Willen der Betreibergesellschaft und ist nicht stichhaltig. Weder behauptet die
Beschwerdeführerin noch legt sie dar, dass die entsprechenden Observationen
während ihrer Einkäufe gegen den massgebenden Willen der zuständigen
Geschäftseigentümerschaft erfolgte (vgl. zum öffentlichen Raum das Urteil
8C_192/2017 vom 25. August 2017 E. 5.4.3.2 i.f. bzw. zum öffentlich einsehbaren
Raum in Geschäften und Restaurants die Urteile 8C_69/2017 vom 18. August 2017
E. 5.3 f., 8C_735/2016 vom 27. Juli 2017 E. 5.3.6.2). Ebenfalls nicht unter das
absolute Verwertungsverbot fallen die aus dem Bereich des öffentlich frei
einsehbaren Gartens und Balkons (SVR 2013 UV Nr. 32 S. 111, 8C_192/2013 E. 5.1
f. mit Hinweisen und Urteil 8C_304/2016 vom 15. September 2017 E. 4.2; vgl. im
Gegensatz zu einem abgeschlossenen, privaten Garten: BGE 137 I 327 E. 6.1 S.
335 mit Hinweisen) gewonnenen Erkenntnisse.  
 
5.6. Entgegen der Versicherten wurde sie nicht über zwei Jahre hinweg, sondern
einzig während mehrerer Stunden an total elf Tagen im Zeitraum zwischen 2.
Dezember 2011 und 27. Januar 2013 im öffentlich frei einsehbaren Raum
überwacht. Weshalb die vorinstanzliche Güterabwägung hinsichtlich der
Verwertung des anlässlich dieser Abklärungen gesammelten Beweismaterials
Bundesrecht verletzen soll, legt die Versicherte nicht dar. Was sie im Übrigen
gegen die Verwertung des Observationsmaterials vorbringt, ist unbegründet.
Insbesondere ist der Beschwerdegegnerin beizupflichten, wonach der Verweis in §
14 Abs. 1 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zug (VRG/ZG; 162.1;
vgl. dazu Urteil 9C_806/2016 vom 14. Juli 2017 E. 5.1.1) auf die sinngemässe
Anwendbarkeit der ZPO toter Buchstabe bliebe, wenn diesem Verweis immer dann
die Anwendung zu versagen wäre, falls eine mit hoheitlicher Funktion agierende
Institution als Partei am verwaltungsrechtlichen Streitverfahren beteiligt ist.
Was die Beschwerdeführerin im Übrigen gegen die angebliche Schwere der Straftat
(vgl. Art. 141 Abs. 2 StPO und dazu das Urteil 1B_75/2017 vom 16. August 2017
E. 4.6, zur Publikation vorgesehen) vorbringt, ist mit Blick auf die
Verurteilung wegen gewerbsmässigen Betruges bei einem Vermögensschaden zu
Lasten der Sozialversicherung von knapp Fr. 300'000.- gemäss unangefochten in
Rechtskraft erwachsenem kantonalem Strafurteil vom 16. Mai 2017 nicht haltbar.
Soweit die Versicherte gar die Auffassung zu vertreten scheint, die IV-Stelle
habe sich durch Anordnung der Observation eines Verbrechens schuldig gemacht,
erübrigen sich weitere Ausführungen dazu. Die vorinstanzliche Rechtsanwendung
ist jedenfalls hinsichtlich der Verwertbarkeit des Observationsmaterials nicht
als bundesrechtswidrig zu beanstanden.  
 
6.   
Nachdem das kantonale Gericht die Voraussetzungen der prozessualen Revision (
Art. 53 Abs. 1 ATSG) zutreffend geprüft und verneint hat (vgl. E. 4.1 hievor),
kommt hier als Rückkommenstitel (vgl. SVR 2017 UV Nr. 8 S. 27, 8C_193/2016 E.
3.1) einzig die Wiedererwägung nach Art. 53 Abs. 2 ATSG in Frage. 
 
6.1. Die Feststellungen, welche der Beurteilung der zweifellosen Unrichtigkeit
zugrunde liegen, sind tatsächlicher Natur und folglich nur eingeschränkt
überprüfbar (vgl. E. 1 hievor). Dagegen ist die Auslegung (Konkretisierung)
dieses unbestimmten Rechtsbegriffs als Wiedererwägungsvoraussetzung eine
grundsätzlich frei prüfbare Rechtsfrage (Art. 95 lit. a BGG; Urteile 9C_11/2016
vom 22. Februar 2016 E. 3.3 und 9C_994/2010 vom 12. April 2011 E. 2, in: SVR
2011 IV Nr. 71 S. 213).  
 
6.2. Die Aufhebung oder Herabsetzung des bisherigen Anspruchs auf
Hilflosenentschädigung auf dem Weg einer Wiedererwägung setzt voraus, dass bis
dahin keine Hilflosigkeit eingetreten ist (vgl. SVR 2014 IV Nr. 39 S. 137,
9C_121/2014 E. 3.4; Urteil 8C_864/2015 vom 30. März 2016 E. 5.3.1). Dies ist
anhand des beweistauglichen (E. 1.3 hievor) psychiatrischen Gutachtens des
Prof. Dr. med. B.________ vom 16. Februar 2016 zu verneinen, wie die Vorinstanz
richtig erkannt hat (vgl. E. 4.1 hievor).  
 
6.2.1. Gemäss Verfügung vom 13. November 2003 war die Versicherte seit Ende
1999 aufgrund der geklagten Beeinträchtigungen angeblich in vier
Lebensverrichtungen auf die dauernde Hilfe Dritter angewiesen, weshalb die
IV-Stelle rückwirkend ab 1. Januar 2002 einen Anspruch auf eine
Hilflosenentschädigung mittleren Grades bejahte. Laut Verfügung vom 15. August
2008 bestand ab diesem Zeitpunkt nach Massgabe der von der Beschwerdeführerin
gezeigten Einschränkungen die Hilfsbedürftigkeit nur - aber immerhin - noch im
angeblichen Bedarf an lebenspraktischer Begleitung (in den Bereichen
selbstständiges Wohnen und Begleitung bei ausserhäuslichen Verrichtungen sowie
in einzelnen Aufforderungen beim An- und Auskleiden, der Körperpflege und
Hygiene) und der dauernden Pflege (Kontrolle der Medikamenteneinnahme).  
 
6.2.2. Das kantonale Gericht hat gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. med.
B.________ festgestellt, dass die während vieler Jahre attestierte
Hilfsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit - abgesehen von einer kurzen
vorübergehenden Phase nach dem Unfall vom 26. Dezember 1999 - nie im Ausmass
der echtzeitlich beschriebenen Defizite bestand. Es zeigten sich erhebliche
Diskrepanzen zwischen der präsentierten Symptomatik und der tatsächlichen
Lebensführung. Zudem sei nicht nachvollziehbar, weshalb sich aus den ärztlichen
Berichten bezüglich des Nierenleidens und der Endometriose nicht die geringsten
Hinweise auf derart schwerwiegende psychische Auffälligkeiten ergaben. Auch
anlässlich der polizeilichen Sachverhaltsabklärungen während jeweils
mehrstündiger Befragungen der Versicherten im Jahre 2014 hätten die Beamten
besondere Verhaltensauffälligkeiten verneint. Gestützt auf das psychiatrische
Gutachten sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das schwere
psychische Krankheitsbild auszuschliessen, welches in der Vergangenheit von
verschiedenen Fachärzten beschrieben worden war. Durch die unzutreffenden
Klagen über ihren Gesundheitszustand und Darstellungen eines entsprechend
eingeschränkten Aktivitätsniveaus habe sie die behandelnden Ärzte und die
IV-Stelle erfolgreich getäuscht. Deshalb seien die beiden Verfügungen vom 13.
November 2003 und 15. August 2008 zweifellos unrichtig und folglich zu Recht
wiedererwägungsweise aufgehoben worden.  
 
6.3.  
 
6.3.1. Was die Beschwerdeführerin gegen die vorinstanzlich bestätigten
Schlussfolgerungen aus dem beweiskräftigen, im Auftrag der Staatsanwaltschaft
des Kantons Zug erstellten psychiatrischen Gutachten des Prof. Dr. med.
B.________ vom 16. Februar 2016 vorbringt, ist unbegründet. Sorgfältig und
präzise sowie überzeugend und nachvollziehbar hat Prof. Dr. med. B.________ die
einzelnen Fragen zum Gesundheitszustand während der verschiedenen Zeiträume
gestützt auf seine eigenen medizinischen Untersuchungsbefunde, die umfangreiche
medizinische Aktenlage und das Observationsmaterial beantwortet. Entgegen der
Versicherten geht es hier nicht um die Frage, ob sie zu bestimmten Zeiten an
psychischen Beeinträchtigungen litt. Gemäss rechtskräftiger Verfügung vom 17.
Mai 2016, mit welcher die IV-Stelle rückwirkend ab Juli 2003 einen
Rentenanspruch verneint hat, resultierte aus den - unbestreitbar bestehenden -
gesundheitlichen Einschränkungen jedoch nur ein rentenausschliessender
Invaliditätsgrad von 20 % (Art. 28 Abs. 2 IVG). Für die hier ausschlaggebende
Frage ist demgegenüber entscheidend, ob die psychischen Störungen der
Beschwerdeführerin zwischen 1. Januar 2002 und 27. Januar 2016 (Zeitpunkt des
Erlasses der hier strittigen Verfügung) tatsächlich aus medizinischen Gründen
regelmässige Hilfeleistungen im Sinne der alternativen Kriterien gemäss Abs. 2
bzw. Abs. 3 von Art. 37 IVV erforderten.  
 
6.3.2. Die Versicherte beruft sich unter anderem auf Passagen aus dem
psychiatrischen Gutachten des Prof. Dr. med. B.________ und aus der Beurteilung
des Neuropsychologen Prof. Dr. C.________. Daraus folge, dass die Annahme einer
zweifellosen Unrichtigkeit Art. 53 Abs. 2 ATSG verletze. Die gegen den
angefochtenen Entscheid erhobenen Einwände sind nicht stichhaltig. Die von der
Beschwerdeführerin zitierte zusammenfassende versicherungsmedizinische
Beurteilung des Prof. Dr. med. B.________ dokumentiert vielmehr dessen
differenzierte und kritische Würdigung der widersprüchlichen Eindrücke vom
Gesundheitszustand aufgrund der Angaben der behandelnden Ärzte, des
Observationsmaterials und seiner eigenen Untersuchungsbefunde. Der Gutachter
bringt jedoch klar zum Ausdruck, dass eine Hilflosigkeit und die
Einschränkungen der Leistungsfähigkeit über die letzten fünfzehn Jahre so nicht
erklärbar sind. Die vorgezeigte Schwere der psychischen Erkrankung liege
definitiv nicht vor. Es sei unzweifelhaft, dass sich sehr früh nach dem Unfall
bis heute anhaltend eine massive Diskrepanz herausgebildet habe zwischen
erkennbaren Ressourcen im Alltag einerseits und der insbesondere im Rahmen der
Arztbesuche präsentierten sowie der auch vom Ehemann nach aussen gestützten und
bezeugten Symptomatik andererseits. Video- und Fotoaufnahmen von 2003 über
Ferienaufenthalte stünden im Widerspruch zu den Angaben der Versicherten gemäss
"Abklärungsbericht Hilflosigkeit" vom 13. Mai 2003. Aus psychiatrischer Sicht
sei nicht erklärbar, dass sie angeblich Hilfe beim An- und Auskleiden, beim
Waschen und bis hin zum Ordnen der Kleider nach der Notdurft benötige, aber
nach aussen hin situativ angepasst und emotional adäquat agieren und
interagieren könne. Auch Filmaufnahmen von 2005 zeigten die Beschwerdeführerin
auf einem Sportplatz als "vollständig unauffällig agierende lebenslustige junge
Frau". Die geltend gemachte Hilfsbedürftigkeit (nicht alleine zu Hause bleiben
zu können, insbesondere abends kontinuierliche Betreuung zu benötigen und nur
begleitete Ausgänge unternehmen zu können) kontrastiere scharf zu sämtlichen
eingesehenen Video- und Fotoaufnahmen, welche von aussen betrachtet eine völlig
normal agierende und interagierende Versicherte zeigten, die sich in der
Öffentlichkeit exponieren könne, nicht ängstlich wirke, gegenüber ihrem Kind
fürsorglich sei und keine Anhaltspunkte für eine schwere psychische Erkrankung
biete.  
 
6.3.3. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin nicht
darlegt und nicht ersichtlich ist, inwiefern sich aus dem beweiskräftigen
psychiatrischen Gutachten des Prof. Dr. med. B.________ in Bezug auf die
vorinstanzlich bestätigte zweifellose Unrichtigkeit der beiden Verfügungen vom
13. November 2003 und 15. August 2008 Unsicherheiten ergeben könnten. Auch wenn
die Versicherte an einer Persönlichkeitsstörung litt, steht gemäss
angefochtenem Entscheid gestützt auf das psychiatrische Gutachten fest, dass
sie im massgebenden Zeitraum von 2002 bis zum Erlass der hier strittigen
Verfügung vom 27. Oktober 2016 niemals in einem anspruchsbegründenden Ausmass
im Sinne von Art. 37 Abs. 2 oder 3 IVV regelmässig oder dauerhaft hilflos war.
Daran ändern auch die Ausführungen des Prof. Dr. C.________ nichts, zumal sich
Prof. Dr. med. B.________ mit den teils abweichenden Einschätzungen des
neuropsychologischen Gutachters einlässlich auseinandergesetzt hat.  
 
6.4. Ist der vorinstanzliche Entscheid nicht als bundesrechtswidrig zu
beanstanden, bleibt es bei der wiedererwägungsweise verfügten Verneinung eines
Anspruchs auf Hilflosenentschädigung ab 2002.  
 
7.   
Als unterliegende Partei hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 20. Dezember 2017 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Hochuli 

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