Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.50/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_50/2017

Urteil vom 19. April 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Kaufmann,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 2.
Dezember 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1994, befand sich im ersten Lehrjahr als Strassenbauer bei
der B.________ AG, als er am 23. Juni 2011 einen Unfall erlitt. Bei
Ausschalarbeiten an der Decke eines Verteilschachtes stürzte er zehneinhalb
Meter in die Tiefe auf den betonierten Untergrund und zog sich dabei Frakturen
am Rücken, am rechten Unterschenkel und an der rechten Ferse zu. Er musste sich
im Spital C.________ verschiedenen Operationen unterziehen und wurde danach in
der Klinik D.________ betreut. Am 30. August 2011 meldete er sich bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern gewährte am 8.
Mai 2012 eine Grundabklärung im Rahmen der Berufsberatung durch die E.________,
und ab dem 8. Oktober 2012 absolvierte er bei der B.________ ein einjähriges
Praktikum. Am 16. Juli 2013 erteilte die IV-Stelle Bern Kostengutsprache für
eine erstmalige berufliche Ausbildung zum Logistiker EFZ vom 1. August 2013 bis
zum 31. Juli 2016. Wegen Rückfällen und Infektionen waren jedoch weitere
Hospitalisationen sowie die Amputation des Unterschenkels erforderlich.
A.________ konnte die geplante Ausbildung nicht antreten und weitere berufliche
Abklärungen mussten abgebrochen werden.

Gestützt auf Spitex-Berichte vermutete die IV-Stelle, dass A.________ Cannabis
konsumiere. Nach Rücksprache mit dem Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD)
forderte sie A.________ am 23. Oktober 2015 zur Mitwirkung auf. Für den Erfolg
der beruflichen Massnahmen sei eine Abstinenz von Cannabis und anderen
illegalen Substanzen zwingend notwendig. Sie stellte monatliche Vorladungen
durch den RAD zur Abstinenzkontrolle in Aussicht und drohte für den Fall der
Versäumnis die Verfügung aufgrund der Akten beziehungsweise die Einstellung der
Erhebungen und das Nichteintreten an. Nachdem A.________ zu drei von vier
angeordneten Kontrollen nicht erschienen war, stellte sie ihre Erhebungen mit
Verfügung vom 14. April 2016 ein und trat auf das Leistungsbegehren nicht ein.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 2. Dezember 2016 teilweise gut. Es hob die Verfügung vom 14.
April 2016 auf, soweit sie den Leistungsanspruch bis zum 23. Oktober 2015
betraf, und wies die Sache an die IV-Stelle zu neuer Verfügung zurück. Im
Übrigen wies sie die Beschwerde ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei insofern aufzuheben, als damit
das Nichteintreten auf das Leistungsbegehren für die Zeit ab dem 23. Oktober
2015 bestätigt wurde. Die beruflichen Massnahmen seien wieder aufzunehmen.

Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt und auf einen
Schriftenwechsel verzichtet.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

2. 
Die Vorinstanz hat die Sache an die IV-Stelle zurückgewiesen, damit sie über
den Anspruch des Beschwerdeführers bis zum 23. Oktober 2015 neu verfüge.
Letztinstanzlich streitig sind allein die Leistungen der Invalidenversicherung
ab diesem Zeitpunkt beziehungsweise die Frage, ob die IV-Stelle am 14. April
2016 zu Recht mangels Mitwirkung des Versicherten auf das Leistungsbegehren
nicht eingetreten sei.

3. 
Art. 43 ATSG regelt die Abklärung im Sozialversicherungsverfahren. Der
Versicherungsträger prüft die Begehren, nimmt die notwendigen Abklärungen von
Amtes wegen vor und holt die erforderlichen Auskünfte ein (Abs. 1 Satz 1).
Soweit ärztliche oder fachliche Untersuchungen für die Beurteilung notwendig
und zumutbar sind, hat sich die versicherte Person diesen zu unterziehen (Abs.
2). Kommt sie den Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten in unentschuldbarer
Weise nicht nach, so kann der Versicherungsträger aufgrund der Akten verfügen
oder die Erhebungen einstellen und Nichteintreten beschliessen. Er muss vorher
schriftlich mahnen und auf die Rechtsfolgen hinweisen sowie eine angemessene
Bedenkzeit einräumen (Abs. 3).

4. 
Nach den vorinstanzlichen Feststellungen hat die IV-Stelle dem Beschwerdeführer
in korrekt durchgeführtem Verfahren nach Art. 43 Abs. 3 ATSG am 23. Oktober
2015 die Pflicht auferlegt, sich insbesondere im Voraus angekündigten
Laboruntersuchungen zur Kontrolle seines Cannabiskonsums zu unterziehen. Drei
von vier Kontrollen (am 1. Dezember 2015, am 5. Februar 2016 und am 2. März
2016) habe er in unentschuldbarer Weise versäumt, weshalb die IV-Stelle
hinsichtlich ihrer Leistungen ab dem 23. Oktober 2015 zu Recht auf das Begehren
des Versicherten nicht eingetreten sei.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er die Termine zur Laborkontrolle
nicht wahrgenommen hat. Er macht geltend, die Anordnung der Abstinenzkontrolle
sei im Verfahren der beruflichen Massnahmen nicht zulässig gewesen. Sie habe
sich auf die blosse Vermutung der Spitex gestützt, welche am 23. Januar und am
20. März 2015, also Monate vor dem 23. Oktober 2015, Cannabisgeruch
festgestellt habe. Der Substanzgebrauch habe sich im Rahmen der beruflichen
Massnahmen nicht negativ auf die Abklärung ausgewirkt.

5. 
Für das kantonale Gericht stand fest, dass der Beschwerdeführer übermässig
Cannabis konsumiere. Dem Betreuungsbericht der Spitex sei zu entnehmen, dass es
bei mehreren Besuchen nach Cannabis gerochen habe. Beim Gespräch vom 27.
Februar 2015 habe er selber angegeben, dass er seit dem Unfall dazu neige, sich
"nur noch etwas reinzuziehen", damit er nicht über seine Situation nachdenken
müsse. Des Weiteren stützte es sich dabei auf den Bericht des RAD vom 24. Mai
2016. Der Beschwerdeführer sei unzuverlässig, habe Termine nicht eingehalten
und die Wundpflege vernachlässigt, dadurch die Wundheilung und auch die
Eingliederung verzögert. Es fehle an der nötigen Motivation zur beruflichen
Abklärung und Eingliederung.

Was der Beschwerdeführer vorbringt, vermag diese Feststellungen nicht als
offensichtlich unrichtig erscheinen zu lassen. Insbesondere stützen sich die
Annahmen des RAD und der Vorinstanz nicht nur auf Vermutungen aufgrund
einzelner Vorkommnisse. Vielmehr ist dem Spitex-Betreuungsbericht zu entnehmen,
dass der Beschwerdeführer auf Anrufe kaum je reagiert habe und trotz
Terminvereinbarung zu Hause nicht anzutreffen gewesen beziehungsweise nicht
erschienen sei. Der RAD verweist des Weiteren auf die Akten der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (Suva). Auch daraus ergibt sich, dass der
Beschwerdeführer Termine verpasst und Abmachungen nicht eingehalten habe. Er
habe zugegeben, dass er unzuverlässig gewesen sei, sich in einem Tief befunden
habe und sich deshalb nicht habe aufraffen können (vgl. etwa das Protokoll der
Besprechung vom 19. Januar 2015).

Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass die geplanten beruflichen
Massnahmen wegen übermässigen Cannabiskonsums gefährdet waren. Es ist nicht
nachvollziehbar, weshalb die Aufforderung der IV-Stelle zur Mitwirkung an der
Abklärung (vereinbarte Termine mit der IV-Stelle und F.________ wahrnehmen,
regelmässig an den beruflichen Massnahmen teilnehmen und den Aufforderungen der
Durchführungsstelle Folge leisten) und in diesem Rahmen auch die Verpflichtung
zu Laborkontrollen unter diesen Umständen rechtswidrig sein soll. Die
Untersuchungen standen im Übrigen auch im Interesse des Beschwerdeführers, die
beruflichen Massnahmen durch seinen übermässigen Cannabiskonsum nicht zu
gefährden.

6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. April 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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