Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.398/2017
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2017
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2017


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_398/2017  
 
 
Urteil vom 1. März 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Viscione. 
Gerichtsschreiber Hochuli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Advokat Dr. Axel Delvoigt, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Basel-Landschaft, 
Hauptstrasse 109, 4102 Binningen, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, vom 12. Januar 2017 (720 16 300 / 06). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________, geboren 1954, arbeitete seit 1984 selbstständig erwerbend als Maler
/Bodenleger. Am 9. November 2006 meldete er sich erstmals wegen seit 2004
anhaltender Beschwerden (Schulterverletzung, Diskushernien und Schleudertrauma)
bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Von der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (Suva) bezieht der Versicherte eine Invalidenrente
basierend auf einer unfallbedingten Erwerbseinbusse von 27 % (ab 1. Juli 2008)
bzw. 30 % (ab 1. Mai 2013). Nach medizinischen und erwerblichen Abklärungen
verneinte die IV-Stelle Basel-Landschaft (nachfolgend: IV-Stelle oder
Beschwerdegegnerin) einen Rentenanspruch bei einem Invaliditätsgrad von 30 %
(Verfügung vom 20. März 2009). Ein weiteres Rentengesuch lehnte die IV-Stelle
aufgrund eines neu auf 32 % ermittelten IV-Grades ab (Verfügung vom 23. Januar
2014). Nach erneuter Anmeldung zum Rentenbezug vom 30. Januar 2015 und weiteren
Abklärungen verneinte die IV-Stelle basierend auf einem Invaliditätsgrad von 28
% wiederum einen Rentenanspruch (Verfügung vom 12. August 2016). 
 
B.   
Die hiegegen erhobene Beschwerde des A.________ wies das Kantonsgericht
Basel-Landschaft ab (Entscheid vom 12. Januar 2017). 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, ihm sei unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsentscheids ab 1.
Juni 2015 mindestens eine Dreiviertelsrente zuzusprechen. Eventualiter sei die
Sache zwecks Durchführung einer psychiatrischen - allenfalls polydisziplinären
- Begutachtung an die Vorinstanz oder IV-Stelle zurückzuweisen. 
 
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine Vernehmlassung. Im Rahmen der
Gewährung des rechtlichen Gehörs zu der während der Rechtshängigkeit geänderten
Rechtsprechung halten die Parteien an ihren Standpunkten fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen). 
 
2.   
Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen betreffend die
Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG), die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 Abs. 2 ATSG),
die Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG), die
Invaliditätsbemessung nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (
Art. 16 ATSG), die Entstehung des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2, Art. 29 Abs.
1 IVG) und die bei der Neuanmeldung analog anwendbaren Revisionsregeln (Art. 17
Abs. 1 ATSG; BGE 134 V 131 E. 3 S. 132, 117 V 198 E. 3a) richtig dargelegt.
Gleiches gilt hinsichtlich des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1, Art.
61 lit. c ATSG), des massgebenden Beweisgrads der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V 218 E. 6 S. 221) sowie des Beweiswerts ärztlicher
Berichte (BGE 137 V 210 E. 2.2.2 S. 232, 134 V 231 E. 5.1 S. 232, 125 V 351 E.
3a und b S. 352 f.). Darauf wird verwiesen. 
 
3.   
 
3.1. Streitig ist, ob Vorinstanz und Verwaltung das Neuanmeldungsgesuch des
Versicherten vom 30. Januar 2015 zu Recht abgewiesen haben. Zu prüfen ist dabei
insbesondere, ob sich in der Zeit zwischen dem 23. Januar 2014 (Zeitpunkt der
letzten, rechtkräftig verfügten Verneinung eines Rentenanspruchs) und dem 12.
August 2016 (Datum der strittigen Verfügung) eine rentenbegründende Änderung
des Sachverhalts ergeben hat.  
 
3.2. Laut unbestrittener Sachverhaltsfeststellung gemäss angefochtenem
Entscheid war der selbstständig erwerbende Beschwerdeführer bereits seit 7.
September 2004 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, seine
angestammten Tätigkeiten als Maler und Bodenleger auszuüben. In einer den
somatischen Einschränkungen angepassten Tätigkeit blieb er jedoch voll
arbeitsfähig. Auch der behandelnde Handchirurg Dr. med. B.________ ging mit
Bericht vom 8. Juli 2015 von einer postoperativen vollen Arbeitsfähigkeit in
leidensangepasster Tätigkeit aus.  
 
3.3. Der Versicherte begründete sein Neuanmeldungsgesuch vom 29. Januar 2015
ursprünglich mit der Erforderlichkeit von mehreren operativen
Heilbehandlungseingriffen, also mit somatischen Beschwerden. Vor Bundesgericht
verzichtet er auf diese Begründung. Stattdessen beschränkt er sich auf die
Geltendmachung der vom behandelnden Psychiater Dr. med. C.________
beschriebenen psychischen Beeinträchtigungen. Der Beschwerdeführer lässt sich
seit August 2015 von Dr. med. C.________ psychotherapeutisch behandeln.  
 
3.4. Zu prüfen bleibt demnach, ob die Vorinstanz unter Berücksichtigung der
seit 23. Januar 2014 (vgl. E. 3.1 hievor) einzig neu geltend gemachten
psychischen Beschwerden bundesrechtskonform eine revisionsrechtlich
anspruchsrelevante Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse verneint hat.
Massgebend ist grundsätzlich der bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen
Verfügung (hier: 16. August 2016) eingetretene Sachverhalt (BGE 132 V 215 E.
3.1.1 S. 220 mit Hinweis).  
 
4.   
 
4.1. Dr. med. C.________ diagnostizierte mit Bericht vom 17. Februar 2016 eine
psychische Gesundheitsstörung, welche die Leistungsfähigkeit um 50 %
einschränke. Der Psychiater des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) der
IV-Stelle, Dr. med. D.________ nahm am 23. Mai 2016 ausführlich zum Bericht des
behandelnden Psychiaters Stellung. Im Auftrag des Rechtsvertreters des
Beschwerdeführers äusserte sich Dr. med. C.________ mit Bericht vom 13.
September 2016 zur Kritik des RAD-Arztes. Darauf berief sich der Versicherte in
seiner vorinstanzlichen Beschwerdeschrift vom 14. September 2016. Mit
Beschwerdeantwort vom 7. November 2016 reichte die IV-Stelle die ergänzenden
Bemerkungen des RAD-Psychiaters vom 23. September 2016 ein. Die diesbezüglichen
Entgegnungen des Dr. med. C.________ vom 7. Dezember 2016 stellte der
Beschwerdeführer der Vorinstanz am 12. Dezember 2016 unaufgefordert zu. Dazu
nahm der RAD-Psychiater innert gesetzter Frist am 19. Dezember 2016 vor der
terminierten Urteilsberatung nochmals Stellung. Die Vorinstanz leitete eine
Kopie davon an den Versicherten weiter.  
 
4.2. Diagnostizierte der behandelnde Psychiater anfänglich eine
Anpassungsstörung mit depressiver Störung mittleren Grades (ICD-10:F43.23),
führte er in seinem Bericht vom 13. September 2016 aus, er könne diese
Beeinträchtigung durchaus auch als anhaltende mittelgradige depressive Störung
(ICD-10:F32.1) klassifizieren. Am 7. Dezember 2016 hielt er schliesslich fest,
das Ergebnis des MADRS-Test, den er inzwischen - auf Rüge des RAD-Arztes hin -
durchgeführt habe, lasse bei einem Score von 32 auf das Vorliegen einer
schweren Depression schliessen.  
 
4.3. Demgegenüber stellte der RAD-Arzt eine invalidisierende psychische
Gesundheitsstörung generell in Frage, indem er einerseits nur von einer
leichten depressiven Störung ausging, welche "in aller Regel keine wesentliche
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit" zu begründen vermöge. Andererseits
argumentierte er, die Therapieoptionen seien bisher nicht ausgeschöpft worden,
weshalb nicht von einer dauerhaften Therapieresistenz auszugehen sei.  
 
4.4. Verwaltung und Vorinstanz verneinten gestützt auf die Beurteilungen des
RAD-Psychiaters sowohl in Bezug auf den Gesundheitszustand als auch
hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit den Eintritt einer anspruchserheblichen
Änderung der tatsächlichen Verhältnisse seit Januar 2014.  
 
5.   
 
5.1. Das Bundesgericht hat mit dem zur Publikation vorgesehenen Urteil 8C_130/
2017 vom 30. November 2017 erkannt, dass grundsätzlich sämtliche psychischen
Erkrankungen einem strukturierten Beweisverfahren nach Massgabe von BGE 141 V
281 zu unterziehen sind. Im ebenfalls zur Publikation vorgesehenen Urteil
8C_841/2016 mit demselben Datum hielt es im Speziellen in Bezug auf leichte bis
mittelschwere depressive Störungen fest, eine invalidenversicherungsrechtlich
relevante psychische Gesundheitsschädigung sei nicht mehr mit dem Argument der
fehlenden Therapieresistenz auszuschliessen. Dabei bekräftigte das
Bundesgericht in E. 4.2.1 seine Rechtsprechung gemäss BGE 127 V 294 E. 4c S.
298, wonach die Therapierbarkeit eines Leidens dem Eintritt einer
rentenbegründenden Invalidität nicht absolut entgegenstehe. In der
Folgeerwägung hielt es fest, diese Grundsätze stünden im Einklang mit der
Rechtsprechung zu den psychosomatischen Leiden gemäss BGE 141 V 281, wonach die
grundsätzlich gegebene Therapierbarkeit (als Indiz) in die gesamthaft
vorzunehmende allseitige Beweiswürdigung miteinzubeziehen sei (Urteil 9C_43/
2017 vom 29. Januar 2018 E. 3.1).  
 
5.2. Nach dem Gesagten ist den diagnostizierten und teilweise auch seitens des
RAD-Psychiaters in Betracht gezogenen psychischen Störungen weder mangels
Ausschöpfung der zumutbaren Behandlungsmöglichkeiten noch infolge des
Schweregrades jede invalidenversicherungsrechtliche Relevanz abzusprechen.
Soweit Verwaltung und Vorinstanz basierend auf dem gegenteiligen Standpunkt
gemäss früherer Rechtsprechung den Eintritt einer anspruchsrelevanten Änderung
der tatsächlichen Verhältnisse seit Januar 2014 ausgeschlossen haben, kann
daran nicht festgehalten werden. Schlüssige medizinische Ausführungen, die eine
zuverlässige Beurteilung der Arbeitsfähigkeit im nunmehr anzuwendenden
strukturierten Beweisverfahren nach BGE 141 V 208 erlauben würden, liegen nicht
vor. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben und die Sache an die
IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie ein den Grundsätzen von BGE 141 V 281
entsprechendes psychiatrisches Gutachten einhole, wobei auf die Fragen nach
Therapieerfolg bzw. -resistenz und nach invaliditätsfremden psychosozialen und
soziokulturellen Faktoren ein besonderes Augenmerk zu richten sein wird.
Gestützt auf dieses Gutachten wird sie in Berücksichtigung des gesundheitlichen
Verlaufs erneut über den Rentenanspruch verfügen.  
 
6.   
Die Rückweisung der Sache zu erneuter Abklärung gilt für die Frage der
Auferlegung der Gerichtskosten sowie der Parteientschädigung als vollständiges
Obsiegen im Sinn von Art. 66 Abs. 1 und, Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG (Art. 68 Abs.
2 BGG; BGE 141 V 281 E. 11.1 S. 312). Mithin hat die unterliegende IV-Stelle
die Gerichtskosten zu tragen und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung
auszurichten. Diese wird gemäss Honorarnote des Rechtsvertreters auf Fr.
3'756.05 festgesetzt. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, vom 12. Januar 2017 und
die Verfügung der IV-Stelle Basel-Landschaft vom 12. August 2016 werden
aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die IV-Stelle Basel-Landschaft
zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'756.05 zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Kantonsgericht Basel-Landschaft
zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 1. März 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Hochuli 

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben