Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.376/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_376/2017        

Urteil vom 16. August 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Wirthlin,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Advokatin Monica Armesto,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Arbeitsunfähigkeit, Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
13. April 2017.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügung vom 7. August 2003 sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau dem
1962 geborenen A.________ ab 1. Mai 2002 eine ganze Invalidenrente
(Invaliditätsgrad 100 %) zu. Bei den in den Jahren 2006 und 2009 durchgeführten
Revisionen bestätigte sie diesen Rentenanspruch. Im Mai 2012 leitete die
IV-Stelle erneut von Amtes wegen eine Revision ein. Sie holte diverse
Arztberichte und ein Gutachten des Ärztlichen Begutachtungsinstituts (ABI)
GmbH, Basel, vom 14. Oktober 2013 ein. Mit Verfügung vom 21. November 2016 hob
die IV-Stelle die Rente auf Ende des auf die Verfügungszustellung folgenden
Monats auf, da der Invaliditätsgrad nur noch 34 % betrage.

B. 
Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 13. April 2017 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der
Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei die IV-Stelle zu
verpflichten, ihm über das Datum des 1. Januar 2017 hinaus eine ganze
Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 100 % auszurichten. Für das
bundesgerichtliche Verfahren sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu
gewähren.

Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es -
offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten
Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art.
105 Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher
Tatsachen, die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an den
Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Bei den aufgrund
dieser Berichte getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit und bei der konkreten Beweiswürdigung geht es um
Sachverhaltsfragen (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE 141 V 585).

2. 
Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen betreffend die
Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG), die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die
Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG), die Invaliditätsbemessung nach der
allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (vgl. Art. 16 ATSG), die
Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10, 134 V 131 E. 3
S. 132), den Rentenanspruch (Art. 28 Abs. 2 IVG) und den Beweiswert von
Arztberichten (vgl. E. 1 hiervor) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3. 
Strittig und zu prüfen ist, ob die von der IV-Stelle mit Wirkung ab 1. Januar
2017 verfügte und vom kantonalen Gericht bestätigte Rentenaufhebung vor
Bundesrecht standhält.

Das kantonale Gericht erwog im Wesentlichen, die Rentenzusprache vom 7. August
2003 sei wegen einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers
aufgrund eines lumbospondylogenen Syndroms und psychischer Leiden erfolgt. Das
polydisziplinäre (internistische, nephrologische, orthopädische und
psychiatrische) ABI-Gutachten vom 14. Oktober 2013 erfülle die Anforderungen an
eine medizinische Beurteilungsgrundlage. Psychiatrischerseits sei hierin keine
Diagnose mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit mehr gestellt worden. Aus
internistischer und orthopädischer Sicht sei dem Beschwerdeführer eine
wechselbelastende leichte bis mittelschwere Tätigkeit vollumfänglich zumutbar.
Aus nephrologischer Sicht bestehe für diese Arbeiten laut dem ABI-Gutachten
wegen des erhöhten Pausenbedarfs eine Einschränkung von 20 %. Nach der
ABI-Begutachtung habe sich das Nierenleiden vom Stadium 3 zum Stadium 4
verschlechtert (Stellungnahmen der Frau dipl. med. B.________, Fachärztin für
Orthopädie, Regionaler Ärztlicher Dienst [RAD] der IV-Stelle, vom 30. Juni und
19. August 2016; Bericht des Dr. med. C.________, Leitender Arzt, Nephrologie,
Spital D.________, vom 12. Juli 2016). Entscheidend sei jedoch nicht das
geänderte Stadium des Nierenleidens, sondern seine Auswirkung auf die
Arbeitsfähigkeit. Diesbezüglich habe Dr. med. C.________ aus rein
nephrologischer Sicht eine 50-100%ige Arbeitsfähigkeit, je nach körperlicher
Belastung bei der Tätigkeit, festgehalten. Die IV-Stelle sei von einer 20%igen
Leistungsminderung in einer körperlich leichten bis mittelschweren
Verweisungstätigkeit ausgegangen. Dies stimme mit der Einschätzung des Dr. med.
C.________ überein, wonach für eine leichte körperliche Tätigkeit sogar eine
volle Arbeitsfähigkeit bestehe.

4.

4.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, das polydisziplinäre ABI-Gutachten mit
dem nephrologischen Teilgutachten vom 14. Oktober 2013 sei veraltet, weil seine
Niereninsuffizienz im Begutachtungszeitpunkt nicht derart ausgeprägt gewesen
sei wie bei Verfügungserlass am 21. November 2016 (zur Massgeblichkeit dieses
Zeitpunkts für die Beurteilung vgl. BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220). Vor diesem
Hintergrund genüge die Einschätzung seiner Arbeitsfähigkeit im kurzen
nephrologischen Bericht des Dr. med. C.________ vom 12. Juli 2016 nicht, um
zweifelsfrei festzustellen, ob die zwischenzeitlich eingetretene
Verschlechterung des Gesundheitszustandes tatsächlich keine zusätzlichen
Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit habe. Zudem habe Dr. med. C.________ den
Spielraum der Arbeitsunfähigkeit mit 0 % bis 50 % sehr weit festgelegt.

Diese Vorbringen sind nicht stichhaltig. Denn der Versicherte lässt ausser
Acht, dass die IV-Stelle beim Einkommensvergleich (hierzu vgl. E. 5 hiernach)
zur Ermittlung des trotz Gesundheitsschadens hypothetisch erzielbaren
Invalideneinkommens als Ausgangspunkt das (niedrigste) Anforderungsniveau der
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) 2010 heranzog. Angerechnet wurden
somit nur Löhne, die für einfache und repetitive Arbeiten von ungelernten
Arbeitnehmenden bezahlt werden (vgl. auch BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301; Urteil
8C_717/2014 vom 30. November 2015 E. 5.1). Wenn Dr. med. C.________ aus rein
nephrologischer Sicht von 50-100%iger Arbeitsfähigkeit, je nach körperlicher
Belastung bei der Tätigkeit, ausging, ist es somit im Lichte der
eingeschränkten Kognition (E. 1 hiervor) nicht zu beanstanden bzw. sogar als
wohlwollend zu bezeichnen, dass IV-Stelle und Vorinstanz bei Einbezug einfacher
bzw. leichter Arbeiten eine 20%ige Arbeitsunfähigkeit veranschlagten.

4.2. Der Beschwerdeführer rügt weiter, seit dem Bericht des Dr. med. C.________
vom 12. Juli 2016 bis zum Zeitpunkt der Verfügung vom 21. November 2016 habe
sich seine Niereninsuffizienz nochmals verschlechtert. Deshalb hätten die
behandelnden Ärzte eine Dialyse in die Wege geleitet.

Bei diesen Ausführungen handelt es sich im Vergleich zu den Vorbringen in der
vorinstanzlichen Beschwerde um unzulässige unechte Noven nach Art. 99 Abs. 1
BGG. Denn der Versicherte legt nicht dar, inwiefern erst der kantonale
Entscheid zu diesen Vorbringen Anlass gibt bzw. dass ihm deren Geltendmachung
vorinstanzlich trotz hinreichender Sorgfalt prozessual unmöglich und objektiv
unzumutbar war (nicht publ. E. 1.3 des Urteils BGE 138 V 286, in SVR 2012 FZ
Nr. 3 S. 7 [8C_690/2011]; Urteil 8C_138/2017 vom 23. Mai 2017 E. 5.2.1).
Arztberichte, die dies belegen würden, brachte der Beschwerdeführer
vorinstanzlich nicht bei.

4.3. Soweit sich der Beschwerdeführer neu auf ein Zeugnis des Dr. med.
E.________, Leitender Arzt, Spital D.________ und Berichte des Instituts für
Labormedizin, Spital D.________, vom 17. Mai 2017 beruft, handelt es sich, da
erst nach dem angefochtenen Gerichtsentscheid vom 13. April 2017 entstanden, um
unzulässige echte Noven (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 139 III 120 E. 3.1.2 S. 123;
Urteil 8C_148/2017 vom 19. Juni 2017 E. 5).

4.4. Dass sich die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers seit dem
ABI-Gutachten vom 14. Oktober 2013 aus anderen medizinischen Gründen
verschlechtert hätte, macht er nicht substanziiert geltend und ist auch nicht
ersichtlich.

Da von weiteren ärztlichen Abklärungen keine entscheidrelevanten Ergebnisse zu
erwarten waren, verzichtete die Vorinstanz darauf zu Recht (antizipierte
Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; Urteil 8C_148/2017 E. 6.5).

5. 
Der Einkommensvergleich der IV-Stelle für das Jahr 2013 ergab einen
rentenausschliessenden Invaliditätsgrad von 34 % (vgl. Art. 28 Abs. 2 IVG). Die
Vorinstanz erwog, der grundsätzlich richtig durchgeführte Einkommensvergleich
werde nicht gerügt. Die Berechnung hätte aber für das Jahr 2016 vorgenommen
werden müssen (vgl. E. 4.1 hiervor), was jedoch zu einem ebenfalls
rentenausschliessenden Invaliditätsgrad von 13 % führe. Hiergegen erhebt der
Beschwerdeführer keine Einwände, weshalb sich Weiterungen dazu erübrigen.

6. 
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1).
Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihm wegen Aussichtslosigkeit der
Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG; BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. August 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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