Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.349/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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8C_349/2017            

 
 
 
Urteil vom 6. Oktober 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, vertreten durch Rechtsanwalt 
Dr. Ronald E. Pedergnana, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St.
Gallen 
vom 24. März 2017 (IV 2016/264, IV 2016/231). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________, geboren 1969, war gelernter Mechaniker und arbeitete in
verschiedenen Metallverarbeitungsbetrieben. Am 12. Dezember 2005 meldete er
sich unter Hinweis auf Atemnot und Asthma bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) klärte
eine Allergie auf Metallstaub ab. Sie lehnte ihre Leistungspflicht für eine
Berufskrankheit am 19. August 2005 ab, erliess aber am 8. März 2006 eine
Nichteignungsverfügung für Arbeiten mit Exposition zu Glasfasern,
mineralölhaltigen oder synthetischen Kühlschmieremulsionen und Lösungsmitteln.
Nach einer interdisziplinären Untersuchung bescheinigte der Regionale Ärztliche
Dienst (RAD) am 29. August 2007 eine 50-prozentige Arbeitsunfähigkeit vorab aus
psychischen Gründen. Mit Verfügung vom 3. September 2008 sprach ihm die
IV-Stelle des Kantons St. Gallen ab dem 1. Mai 2006 eine halbe Invalidenrente
zu. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen mit Entscheid vom 2. Juli 2010 teilweise gut. Es hob die
angefochtene Verfügung auf und wies die Sache zur Weiterführung des
Verwaltungsverfahrens im Sinne der Erwägungen an die IV-Stelle zurück. Die
Eingliederungsmassnahmen seien bereits nach wenigen Gesprächen zu früh wieder
eingestellt worden.  
 
A.b. Am 3. Januar 2012 erteilte die IV-Stelle Kostengutsprache für ein
Belastbarkeitstraining, welches jedoch nach krankheitsbedingten Absenzen
vorzeitig abgebrochen wurde. Sie holte ein Gutachten der Swiss Medical
Assessment- and Business-Center SMAB AG, Bern, vom 12. Dezember 2012 ein. Die
Ärzte bescheinigten mit Rücksicht auf das Asthma sowie psychische Gründe eine
50-prozentige Arbeitsunfähigkeit in einer Verweistätigkeit. In der Folge nahm
die IV-Stelle ihre Eingliederungsbemühungen wieder auf. Da jedoch eine
psychiatrische Betreuung in einer Tagesklinik geplant war, wartete sie mit
Massnahmen zu. Nachdem der Versicherte dort nicht mehr erschienen war und sich
auch bei der Eingliederungsberaterin nicht meldete, lehnte die IV-Stelle den
Anspruch auf berufliche Massnahmen mit Verfügung vom 28. Oktober 2013 ab.  
 
Einer Publikation des Departements des Innern des Kantons St. Gallen vom
September 2013 mit Hinweis auf das St. Galler Tagblatt (Online-Ausgabe vom 17.
Januar 2013) entnahm sie, dass der Versicherte als Mitarbeiter der offenen
Sprechstunde des Pilotprojekts B.________ zur Information und Begrüssung
zugewanderter Personen in den Gemeinden tätig war. Die IV-Stelle lud ihn zu
einem Standortgespräch am 6. März 2014 ein. Des Weiteren ersuchte sie bei der
Kantonspolizei C.________ sowie bei der Staatsanwaltschaft des Kantons
D.________ um Einsicht in die Strafakten. Der Versicherte reichte einen
Arbeitsvertrag mit dem Verein F.________ vom 12. Dezember 2013 ein. Am 17. Juni
2014 teilte die IV-Stelle dem Versicherten mit, dass die Rentenleistungen
gestützt auf den Entscheid des kantonalen Versicherungsgerichts vom 2. Juli
2010 per sofort eingestellt würden. Nach weiteren Abklärungen werde eine neuer
Vorbescheid zugestellt. Dagegen beschwerte sich sein behandelnder Arzt Dr. med.
G.________, Facharzt Psychiatrie und Psychotherapie. 
 
Die IV-Stelle holte ein weiteres polydisziplinäres Gutachten (mit
internmedizinischer, rheumatologischer, psychiatrischer, dermatologischer und
pneumologischer Untersuchung) des Begutachtungszentrums BEGAZ, Binningen, vom
4. Juni 2015 ein. Die Ärzte bescheinigten eine 50-prozentige
Arbeitsunfähigkeit. Am 30. September 2015 liess ihr der berufliche
Vorsorgeversicherer eine Stellungnahme seines beratenden Arztes Dr. med.
H.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, zukommen, welcher die im
psychiatrischen Teilgutachten gestellten Diagnosen als nicht hinreichend belegt
und die Arbeitsfähigkeit als nicht eingeschränkt erachtete. Die ärztliche
Mitarbeiterin der IV-Stelle gab zu bedenken, dass seine Einwände berechtigt
seien und auch bei einer erneuten Begutachtung auf die subjektiven Angaben des
Versicherten abgestellt würde, weshalb sie zunächst eine Observation empfahl.
Die IV-Stelle erteilte einen Überwachungsauftrag. Gemäss Ermittlungsbericht vom
6. Februar 2016 wurde der Versicherte im Zeitraum vom 2. November 2015 bis zum
15. Januar 2016 beobachtet. Die IV-Stelle lud ihn am 23. März 2016 und am 4.
Mai 2016 (in Anwesenheit seines Rechtsvertreters) zu Standortgesprächen ein.
Mit Verfügung vom 14. Juni 2016 ordnete sie eine monodisziplinäre
psychiatrische Begutachtung an. Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung
lehnte sie mit Verfügung vom 27. Mai 2016 ab. 
 
B.   
A.________ erhob gegen die Verfügungen vom 27. Mai 2016 und vom 14. Juni 2016
Beschwerde beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen. Dieses vereinigte
die Verfahren. Mit Entscheid vom 24. März 2017 hob es die Verfügung vom 27. Mai
2016 in Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde auf und bewilligte die
unentgeltliche Verbeiständung für das Verwaltungsverfahren (Dispositiv-Ziffer
4). Die Beschwerde gegen die Verfügung vom 14. Juni 2017, mit welcher die
Entfernung des Ermittlungs- und Überwachungsberichts und des Berichts des Dr.
med. H.________ sowie die Fortführung der Rente beantragt wurde, hiess es
teilweise gut. Es hob die Verfügung vom 14. Juni 2016 auf und wies die Sache
zur Fortführung des Verwaltungsverfahrens im Sinne der Erwägungen an die
IV-Stelle zurück (Dispositiv-Ziffer 2). Es verpflichtete sie, den
Ermittlungsbericht vom 6. Februar 2016 samt separater DVD, die dazu ergangene
Stellungnahme der IV-Ärztin, einen Auszug aus dem Protokoll des
Standortgesprächs sowie eine Aktennotiz des IV-Sachbearbeiters vom 9. Mai 2016
aus den Akten zu entfernen (Dispositiv-Ziffer 3 und E. 3.4). 
 
C.   
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Antrag, ihre Verfügung vom 14. Juni 2016 sei unter Aufhebung des
angefochtenen Entscheides zu bestätigen. 
 
A.________ lässt auf Nichteintreten, eventualiter auf Abweisung der Beschwerde
schliessen und ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Das
Bundesamt für Sozialversicherungen BSV verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Beim angefochtenen Rückweisungsentscheid handelt es sich, da das Verfahren noch
nicht abgeschlossen wird und die Rückweisung auch nicht einzig der Umsetzung
des oberinstanzlich Angeordneten dient (SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131, 9C_684/2007
E. 1.1), um einen - selbstständig eröffneten - Vor- oder Zwischenentscheid im
Sinne von Art. 93 BGG (BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481 f. mit Hinweisen). Die
Zulässigkeit der Beschwerde setzt somit - alternativ - voraus, dass der
Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Abs. 1 lit.
a) oder dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid
herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein
weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Abs. 1 lit. b). 
 
Mit der vorinstanzlichen Ausschliessung der Verwertung des
Observationsmaterials (Dispositiv-Ziffer 3) ist die Eintretensvoraussetzung von
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG erfüllt, denn die IV-Stelle wäre damit gezwungen, das
von ihr als entscheidwesentlich angesehene Beweismaterial ausser Acht zu lassen
und eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen. Darin liegt ein
nicht wieder gutzumachender Nachteil (Urteil 8C_272/2011 vom 11. November 2011
E. 1, nicht publ. in: BGE 137 I 327, aber in: SVR 2012 IV Nr. 26 S. 107; Urteil
8C_192/2017 vom 25. August 2017 E. 1.2). 
 
2.   
Die Vorinstanz hat die Observation und die Verwertung der
Überwachungsergebnisse als unzulässig erachtet. Streitig ist, ob diese
Beurteilung vor Bundesrecht standhält. Des Weiteren ist umstritten, ob nach der
Observation eine weitere Begutachtung angezeigt war. 
 
3.   
Das kantonale Gericht stellte fest, dass für die Observation keine gesetzliche
Grundlage bestehe. Das beschaffte Datenmaterial sei aus den Akten zu entfernen.
Zur Beweiskraft der von der IV-Stelle eingeholten SMAB- und BEGAZ-Gutachten
sowie des Berichts des Dr. med. H.________ äusserte es sich nicht näher. Es
hielt indessen fest, dass es dem Versicherungsträger nicht zustehe, eine
"second opinion" zum bereits in einem Gutachten festgestellten Sachverhalt
einzuholen. 
 
Die beschwerdeführende IV-Stelle macht geltend, dass die Überwachung
rechtmässig gewesen und das dabei erhobene Beweismaterial verwertbar sei. Das
Observationsmaterial stelle die gutachtlichen Einschätzungen in Frage, weshalb
eine erneute Exploration erforderlich sei. 
 
4.  
 
4.1. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinem Urteil
vom 18. Oktober 2016 in Sachen Vukota-Bojic gegen die Schweiz (61838/10) über
die EMRK-Konformität einer Observation, die im Auftrag eines (sozialen)
Unfallversicherers durch einen Privatdetektiv erfolgt war, befunden. Er
erkannte, dass eine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine Observation
nicht besteht, weshalb er auf eine Verletzung von Art. 8 EMRK (Recht auf
Achtung des Privatlebens) schloss. Hingegen verneinte er eine Verletzung von 
Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Gebot eines fairen Verfahrens) durch die erfolgte
Verwendung der Observationsergebnisse.  
 
Das Bundesgericht hat unter Berücksichtigung der betreffenden Erwägungen des
EGMR entschieden, dass es trotz Art. 59 Abs. 5 IVG ("Zur Bekämpfung des
ungerechtfertigten Leistungsbezugs können die IV-Stellen Spezialisten
beiziehen") auch im Bereich der Invalidenversicherung an einer ausreichenden
gesetzlichen Grundlage fehlt, die die Observation umfassend klar und
detailliert regelt. Folglich verletzen solche Handlungen, seien sie durch den
Unfallversicherer oder durch eine IV-Stelle veranlasst, Art. 8 EMRK
beziehungsweise den einen im Wesentlichen gleichen Gehalt aufweisenden Art. 13
BV (Urteil 9C_806/2016 vom 14. Juli 2017, zur Publikation vorgesehen). 
 
4.2. Was die Verwendung des im Rahmen der widerrechtlichen Observation
gewonnenen Materials anbelangt, richtet sich diese allein nach schweizerischem
Recht. Das Bundesgericht hat in seinem Urteil 9C_806/2016 im Wesentlichen
erkannt, dass die Verwertbarkeit der Observationsergebnisse (und damit auch der
gestützt darauf ergangenen weiteren Beweise) grundsätzlich zulässig ist, es sei
denn, bei einer Abwägung der tangierten öffentlichen und privaten Interessen
würden diese überwiegen (E. 5.1.1). Mit Blick auf die gebotene
Verfahrensfairness hat es sodann in derselben Erwägung (mit Hinweisen) eine
weitere Präzisierung angebracht: Eine gegen Art. 8 EMRK verstossende
Videoaufnahme ist verwertbar, solange Handlungen des "Beschuldigten"
aufgezeichnet werden, die er aus eigenem Antrieb und ohne äussere Beeinflussung
machte, und ihm keine Falle gestellt worden war. Ferner hat es erwogen, dass
von einem absoluten Verwertungsverbot wohl immerhin insoweit auszugehen ist,
als es um Beweismaterial geht, das im nicht öffentlich frei einsehbaren Raum
zusammengetragen wurde (E. 5.1.3; Urteile 8C_735/2016 vom 27. Juli 2017 E.
5.3.6; 8C_45/2017 vom 26. Juli 2017 E. 4; vgl. zum öffentlich einsehbaren Raum:
BGE 137 I 327).  
 
5.   
Mit Rücksicht auf diese jüngste Rechtsprechung steht mit dem kantonalen Gericht
fest, dass die Observation unzulässig war, weshalb eine Verletzung von Art. 8
EMRK und Art. 13 BV festzustellen ist. Hingegen erweist sich der angefochtene
Entscheid insoweit als bundesrechtswidrig, als er die Verwertbarkeit der
Observationsergebnisse betrifft und ohne Weiteres deren Entfernung aus den
Akten angeordnet wurde. Es bleibt zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine
Verwertung erfüllt sind. 
 
5.1. Nach einer Aktennotiz der IV-Sachbearbeiterin vom 6. Januar 2014 sei ein
interner Hinweis eingegangen, der den Gesundheitsschaden in Frage stelle. In
den Akten finden sich Artikel des Departements des Innern des Kantons
D.________ vom September 2013 sowie der Online-Ausgabe des St. Galler Tagblatts
vom 17. Januar 2013, in welcher der Versicherte als Mitarbeiter der Fachstelle
Integration porträtiert wird. Er bestreitet nicht, dass er diese Tätigkeit
beziehungsweise den damit erzielten Verdienst - nach eigenen Angaben 2'346
Franken im Jahr 2015 - der IV-Stelle nicht gemeldet hat. Nach Art. 31 Abs. 1
IVG wird die Rente revidiert, wenn eine rentenberechtigte Person neu ein
Erwerbseinkommen erzielen oder ein bestehendes Erwerbseinkommen erhöhen kann,
sofern die Einkommensverbesserung jährlich mehr als 1'500 Franken beträgt. Da
die IV-Stelle darüber vom Versicherten nicht informiert worden war und daher
insbesondere auch keine Kenntnis vom Umfang seiner Beratertätigkeit beim Kanton
oder allenfalls auch einer weitergehenden Erwerbstätigkeit hatte, war ein
hinreichender Anfangsverdacht gegeben, der eine Observation rechtfertigte.
Damals liess sie den Versicherten jedoch zunächst erneut begutachten. Die
BEGAZ-Ärzte bestätigten die bereits im SMAB-Gutachten bescheinigte
50-prozentige Arbeitsunfähigkeit. Der Vertrauensarzt des Vorsorgeversicherers,
Dr. med. H.________, bezweifelte, dass der Versicherte aus psychiatrischer
Sicht derart stark eingeschränkt sei, insbesondere weil gestützt auf seine
eigenen Angaben auf ein verhältnismässig gutes Funktionsniveau zu schliessen
sei. Die zu Rate gezogene IV-Ärztin gab unter Hinweis auf das zu erwartende
Verhalten bei den gutachtlich gestellten Diagnosen zu bedenken, dass sich eine
erneute Begutachtung aufdränge, die Ärzte sich aber wiederum auf die
subjektiven Beschwerdeangaben stützen würden. Nur eine vorausgehende
Observation könne weitere Hinweise auf das tatsächliche Funktionsniveau
liefern. Mit Blick drauf war die Observation angezeigt.  
 
5.2. Dass es sich bei der von der Detektei überwachten Person nicht um den
Versicherten handeln könnte, wurde nicht geltend gemacht. Es bestehen dafür
auch keine Hinweise angesichts der Angaben im Observationsbericht zur
Identifikation und zur Wohnsituation.  
 
5.3. Die Observation erfolgte an sechs Tagen. An drei Tagen konnte der
Versicherte nicht beobachtet werden. Am 3. und 4. Dezember 2015 sowie am 12.
Januar 2016 erfolgte eine eigentliche Überwachung über mehrere Stunden. Der
Versicherte war jeweils mit seinem Auto unterwegs und wurde im Wesentlichen bei
Gesprächen mit anderen Personen beobachtet.  
 
5.4. Es wurden ausschliesslich alltägliche Verrichtungen im öffentlich
einsehbaren Raum aufgezeichnet. Sie erfolgten aus eigenem Antrieb. Der
zeitliche Umfang beschränkte sich auf drei Tage. Die Privatsphäre des
Versicherten war dadurch nur geringfügig betroffen. Es kann daher nicht von
einer schweren Verletzung der Persönlichkeit ausgegangen werden. Dem
gegenüberzustellen gilt es das Interesse des Versicherungsträgers und der
Versichertengemeinschaft, unrechtmässige Leistungsbezüge abzuwenden. Dieses ist
unter den hier gegebenen Umständen höher zu gewichten als das Interesse des
Versicherten an einer unbehelligten Privatsphäre.  
Damit können im vorliegenden Fall die ohne ausreichende gesetzliche Grundlage
erhobenen Observationsergebnisse in Form des entsprechenden Berichts sowie der
Foto- und Videoaufnahmen verwertet werden, zumal der Kerngehalt von Art. 13 BV
bei der hier gegebenen Überwachung und der damit verbundenen geringen
Eingriffsschwere ebenfalls unangetastet blieb (Urteile 9C_806/2016 vom 14. Juli
2017 E. 5.1.2; 8C_735/2016 vom 27. Juli 2017 E. 5.3.5 und E. 5.3.6.3). Gleiches
gilt auch für die danach ergangenen weiteren Beweise (Stellungnahme der
IV-Ärztin vom 26. Februar 2016; Befragung zu den Observationsergebnissen im
Standortgespräch vom 4. Mai 2016; Aktennotiz des IV-Mitarbeiters vom 9. Mai
2016; Beschwerde an das kantonale Gericht gegen die Verfügung vom 14. Juni 2016
betreffend Anordnung einer Begutachtung samt Beilagen). 
 
6.   
Ein Observationsbericht bildet für sich allein keine sichere Basis für
Sachverhaltsfeststellungen betreffend den Gesundheitszustand und die
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person. Er kann diesbezüglich höchstens
Anhaltspunkte liefern oder Anlass zu Vermutungen geben. Sichere Kenntnis des
Sachverhalts kann in dieser Hinsicht erst die ärztliche Beurteilung des
Observationsmaterials liefern (BGE 137 I 327 E. 7.1 S. 337; SVR 2012 UV Nr. 17
S. 63, 8C_434/2011 E. 4.2). Im vorliegenden Fall wurden sämtliche Arztberichte
und Gutachten vor der Observation verfasst. Es war daher nach der dargelegten
Rechtsprechung unumgänglich, deren Ergebnisse ärztlich beurteilen zu lassen. 
 
Die SMAB- und die BEGAZ-Gutachter hatten übereinstimmend festgestellt, dass in
der angestammten Tätigkeit Arbeiten mit Glasfasermaterial, Kühlschmierstoffen
und Lösungsmitteln das diagnostizierte Asthma bronchiale verstärkten. Sie
bescheinigten für eine dem pneumologischen Leiden angepasste Tätigkeit (ohne
atemwegsreizende Stoffe wie Staub, Rauch, Gas, Dämpfe, ohne Kälte, Nässe,
starke Temperaturschwankungen sowie ohne schwere körperliche Arbeiten) eine
Arbeitsunfähigkeit von 50 Prozent wegen einer rezidivierenden depressiven
Störung, leichte bis mittelgradige depressive Episode beziehungsweise
mittelgradige Episode (ICD-10 F33.1) sowie einer (möglichen) Agoraphobie mit
Panikstörung (ICD-10 F40.01). Der Vertrauensarzt des Vorsorgeversicherers, Dr.
med. H.________, erachtete insbesondere die BEGAZ-Begutachtung als mangelhaft
und die psychisch bedingte Einschränkung der Arbeitsunfähigkeit um 50 Prozent
aus von ihm näher dargelegten Gründen, insbesondere wegen des verhältnismässig
guten Funktionsniveaus des Versicherten, als nicht überzeugend. Dies war denn
auch der Anlass für die Anordnung einer Observation. Ob diese Zweifel an der
Schlüssigkeit insbesondere des späteren BEGAZ-Gutachtens zu erwecken vermochte,
blieb ärztlich unbeurteilt. 
 
Die vorinstanzliche Aufhebung der Verfügung vom 14. Juni 2016, mit welcher die
IV-Stelle eine erneute psychiatrische Begutachtung unter Berücksichtigung des
Berichts des Dr. med. H.________ sowie der Observationsergebnisse angeordnet
hat, hält daher vor Bundesrecht nicht stand. 
 
7.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Beschwerdegegner auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die
unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den
Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung, Art. 64 Abs. 1 und Abs.
2 BGG) kann gewährt werden. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4
BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse
Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Dispositiv-Ziffern 2 und 3 des
Entscheides des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 24. März 2017
werden aufgehoben und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom
14. Juni 2016 wird bestätigt. 
 
2.   
Dem Beschwerdegegner wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Dr. Ronald E. Pedergnana wird als unentgeltlicher Anwalt
bestellt. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.   
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdegegners wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an
das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen. 
 
6.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 6. Oktober 2017 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo 

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