Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.347/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_347/2017        

Urteil vom 18. August 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiber Grunder.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Leimbacher,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Teilerwerbstätigkeit,
Einkommensvergleich, Betätigungsvergleich),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 22. März 2017.

Sachverhalt:

A. 
Die seit 1989 verheiratete A.________ (Jahrgang 1964) gab die Erwerbstätigkeit
nach der Geburt des ersten Sohnes im Jahre 1994 auf und widmete sich fortan der
Erziehung der Kinder (der zweite Sohn wurde 1996 geboren) und der Führung des
Haushaltes. Am 1. Oktober 2013 meldete sich A.________, die seit April 2011 vom
Ehemann getrennt lebte, wegen der seit dem Jahre 2006 bestehenden
gesundheitlichen Beeinträchtigung zum Leistungsbezug bei der
Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich holte unter anderem
einen Auszug aus dem Individuellen Konto (IK) ein und veranlasste eine
Begutachtung bei Dr. med. B.________, Psychiatrie und Psychotherapie,
(Expertise vom 5. Dezember 2014), sowie eine Abklärung im Haushalt an Ort und
Stelle (Bericht vom 6. März 2015). Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren
eröffnete die Verwaltung der Versicherten mit Verfügung vom 18. September 2015,
sie habe gestützt auf den nach der gemischten Methode (Anteil Erwerbstätigkeit
und Führung des Haushalts je zu 50 %) ermittelten Invaliditätsgrad von 60 % ab
1. April 2014 Anspruch auf eine Dreiviertelsrente.

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 22. März 2017 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die
IV-Stelle zu verpflichten, ihr ab 1. April 2014 eine ganze Invalidenrente
zuzusprechen.

Das Bundesgericht ordnet keinen Schriftenwechsel an.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.

2.1. Streitgegenstand bildet der Rentenanspruch und dabei insbesondere die
Frage, ob der Invaliditätsgrad anhand der gemischten Methode (vgl. Art. 28a
Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 IVG), wie die Vorinstanz in Bestätigung der
Verfügung der IV-Stelle vom 13. Mai 2015 entschieden hat, oder aufgrund der
Methode des Einkommensvergleichs (vgl. Art. 16 ATSG), wie die
Beschwerdeführerin geltend macht, zu bestimmen ist.

2.2. Die Statusfrage, das heisst ob eine versicherte Person im Gesundheitsfall
ganz, teilzeitlich oder überhaupt nicht erwerbstätig wäre, ist hypothetisch zu
beurteilen, unter Berücksichtigung ihrer ebenfalls hypothetischen
Willensentscheidungen. Diese Entscheidungen sind als innere Tatsachen einer
direkten Beweisführung nicht zugänglich und müssen in aller Regel aus äusseren
Indizien erschlossen werden. Soweit die Beurteilung hypothetischer
Geschehensabläufe auf Beweiswürdigung beruht, handelt es sich um eine Tatfrage,
selbst wenn darin auch Schlussfolgerungen aus der allgemeinen Lebenserfahrung
mitberücksichtigt werden. Die auf einer Würdigung konkreter Umstände basierende
Festsetzung des hypothetischen Umfanges der Erwerbstätigkeit ist für das
Bundesgericht daher verbindlich, ausser wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung beruht. Rechtsfragen sind hingegen Folgerungen,
die ausschliesslich - losgelöst vom konkreten Sachverhalt - auf die allgemeine
Lebenserfahrung gestützt werden oder die Frage, ob aus festgestellten Indizien
mit Recht auf bestimmte Rechtsfolgen geschlossen worden ist (BGE 133 V 504 E.
3.2 S. 507; SVR 2017 IV Nr. 2 S. 2, 9C_926/2015 E. 1.2 mit Hinweis).

3.

3.1. Die Vorinstanz hat erkannt, dass die Versicherte gemäss dem in allen
Teilen beweiskräftigen Gutachten des Dr. med. B.________ vom 5. Dezember 2014
wegen der diagnostizierten paranoiden Persönlichkeitsstörung und der
rezidivierenden depressiven Störung für jegliche Erwerbstätigkeit vollständig
arbeitsunfähig sei. Laut dem grundsätzlich ebenfalls unbestritten
beweistauglichen Bericht der IV-Stelle betreffend Abklärung der
beeinträchtigten Arbeitsfähigkeit in Beruf und Haushalt vom 6. März 2015 habe
die Versicherte nach umfassenden Erläuterungen der zuständigen Fachperson
angegeben, "dass sie (zu) 50 % arbeitstätig sein müsste". Entgegen den
Vorbringen der Versicherten sei nicht ersichtlich, dass diese Aussage falsch
protokolliert worden sei. Ihrer Argumentation, sie würde, wäre sie gesund
geblieben, zu 100 % erwerbstätig sein, weil sie, um ihren Lebensunterhalt
bestreiten zu können, monatlich Fr. 5'800.- benötige, könne nicht gefolgt
werden. Zunächst sei festzuhalten, dass sich dieser Bedarf nicht verifizieren
lasse. Weiter sei angesichts der lebensprägenden Ehe, aus der zwei Kinder
hervorgegangen seien, und während der eine traditionelle Rollenteilung gelebt
worden sei, nicht nachvollziehbar, weshalb die an sie zu leistenden -
gerichtlich festgesetzten und auch tatsächlich geleisteten -
Unterhaltszahlungen des getrennt lebenden Ehemannes von Fr. 3'000.- monatlich
bei der Beurteilung der Statusfrage nicht berücksichtigt werden sollten.
Insgesamt betrachtet habe die IV-Stelle zu Recht darauf hingewiesen, dass den
sogenannten "Aussagen der ersten Stunde" in beweismässiger Hinsicht grösseres
Gewicht beizumessen sei, als den später erfolgten Darlegungen. Daher sei mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Versicherte auch in
Berücksichtigung des Umstands, dass die Kinder aus ihrer Wohnung ausgezogen
seien, ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen heute zu 50 % erwerbstätig sein
würde.

3.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie neige wegen ihrer psychischen
Erkrankung ausweislich der Akten (vgl. Gutachten des Dr. med. B.________ vom 5.
Dezember 2014, Abklärungsbericht Haushalt vom 6. März 2015, Eingabe im
Vorbescheidverfahren vom 29. März 2015) zu weitscheifenden Ausführungen. Daher
könne ausgeschlossen werden, dass ihre Antwort auf die Frage nach dem
Erwerbspensum derart klar und eindeutig, wie im Abklärungsbericht Haushalt
festgehalten, ausgefallen sei. Mit ihrem Beharren auf der angerufenen
Beweismaxime "Aussage der ersten Stunde" verkenne die Vorinstanz, dass die
grundsätzliche Massgeblichkeit des Abklärungsberichts Haushalt dann
eingeschränkt sein könne, wenn die versicherte Person - wie hier - an
psychischen Beeinträchtigungen leide. Das kantonale Gericht unterlasse eine
entsprechende Würdigung, weshalb es gegen Bundesrecht verstosse.

3.3.

3.3.1. Nach der von der Beschwerdeführerin angesprochenen, auch im
angefochtenen Entscheid erwähnten Rechtsprechung ist den fachmedizinischen
Stellungnahmen in der Regel mehr Gewicht einzuräumen als dem Bericht der
hauswirtschaftlichen Abklärung an Ort und Stelle, wenn sich deren Ergebnisse
und die psychiatrischen Feststellungen zur Fähigkeit der versicherten Person,
ihre gewohnten Aufgaben im Haushalt zu erfüllen, widersprechen (vgl. SVR 2012
IV Nr. 19 S. 86, 9C_201/2011). Diese Praxis ist im vorliegend zu beurteilenden
Fall offensichtlich nicht einschlägig, weil es allein um die hypothetisch zu
bestimmende Frage geht, in welchem Umfang die Beschwerdeführerin ohne die
gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Aufgaben- bzw. im Erwerbsbereich tätig
sein würde. Die Vorinstanz ist daher insoweit zu Recht nicht auf die Einwände
der Versicherten näher eingegangen.

3.3.2. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, sie habe sich anlässlich
der Abklärung an Ort und Stelle einzig wegen ihres paranoiden
Wahrnehmungsvermögens eine Erwerbstätigkeit zu 50 % vorstellen können, ist
darauf hinzuweisen, dass die zuständige Person der IV-Stelle sie mehrfach
darauf hinwies, die Qualifikation des Status könne rechtliche Konsequenzen
haben. Die Versicherte habe darauf geantwortet, im Übrigen gleichlautend mit
ihrer Eingabe auf den Vorbescheid der IV-Stelle, dass der von ihr getrennt
lebende Ehemann für ihren Unterhalt aufzukommen habe. Daraus wird entgegen
ihren Einwänden ohne Weiteres ersichtlich, dass sie jedenfalls während des
laufenden Eheschutzverfahrens und im Zeitpunkt der Abklärung im Haushalt an Ort
und Stelle davon ausging, der Ehemann leiste für sie einen erheblichen Teil der
Unterhaltskosten. Damit ist wenig nachvollziehbar, wenn sie auf den Vorbescheid
hin geltend machte, sie habe wegen der psychischen Probleme die Fragen der
Abklärungsperson der IV-Stelle an Ort und Stelle nicht vernunftgemäss
beantworten können. Dass dem nicht so ist, ergibt sich auch aus der Aussage der
Beschwerdeführerin, der getrennt lebende Ehemann habe vollumfänglich für sie
aufzukommen. Unter diesen Umständen erweist sich die von der Beschwerdeführerin
aufgeworfene Frage, entscheidend sei, was der Ehemann nach dem zu erwartenden
Scheidungsurteil an Unterhaltszahlungen zu leisten haben werde, als wenig
ergiebig. Wie das kantonale Gericht dazu zu Recht festgehalten hat, kann im
massgeblichen Verfügungszeitpunkt nicht prospektiv der Ausgang eines künftigen
Scheidungsprozesses vorweggenommen werden, um gestützt darauf hypothetische
Schlussfolgerungen zur Statusfrage zu ziehen. Abschliessend ist darauf
hinzuweisen, dass der geltend gemachten Aktenwidrigkeit keine entscheidende
Bedeutung zukommt. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

4. 
Die Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren sind der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. August 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Grunder

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