Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.30/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_30/2017

Urteil vom 17. März 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Diego Quinter,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Graubünden, Ottostrasse 24, 7000 Chur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Arbeitsunfähigkeit, Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 4. Oktober 2016.

Sachverhalt:

A.

A.a. Die IV-Stelle des Kantons Graubünden sprach dem 1958 geborenen A.________
aufgrund einer Somatisierungsstörung respektive eines generalisierten
Schmerzsyndroms und depressiven Episoden mit Verfügung vom 10. Juni 2004 eine
ganze Rente der Invalidenversicherung zu. Diesen Rentenanspruch bestätigte sie
revisionsweise im Jahr 2007, wobei A.________ am 5. Januar 2006 einen
ausgedehnten ischämischen Mediainfarkt links erlitten hatte (Austrittsbericht
der Klinik B.________ vom 29. März 2006; Mitteilung vom 29. März 2007). Im
Rahmen einer im Jahr 2012 durchgeführten Rentenrevision bestätigte der Hausarzt
Dr. med. C.________, Allgemeine Medizin FMH, am 11. Mai 2012 einen stabilen
gesundheitlichen Endzustand bei Status nach cerebrovaskulärem Insult im Januar
2006 mit geringer Restlähmung und partieller Aphasie, vor allem in der
Fremdsprache Deutsch sowie mit deutlichen psychoorganischen Funktionseinbussen
(Perseveration, Reizbarkeit, Ermüdbarkeit). Die schwere somatoforme depressiv
gefärbte Schmerzstörung habe sich nach dem Insult deutlich gebessert. Die
IV-Stelle liess ein bidisziplinäres Gutachten am Institut D.________ vom 29.
Juli 2013 erstellen. Die Experten attestierten dem Versicherten in der
angestammten Tätigkeit als Schichtarbeiter weiterhin eine volle
Arbeitsunfähigkeit. Sie erachteten ihn jedoch neu aufgrund des deutlich
gebesserten psychischen Gesundheitszustands in einer leidensadaptierten
Tätigkeit im Umfang von 70 % arbeitsfähig. Wegen erheblicher Selbstlimitierung
und unkooperativen Verhaltens sei eine Beurteilung der effektiven
Leistungsgrenze aber nicht möglich. Nach einer abschliessenden Beurteilung
durch pract. med. E.________, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD) der IV-Stelle,
liess ihn die IV-Stelle vom 2. September bis 4. November 2013 observieren. Denn
der RAD-Arzt hielt eine Arbeitsfähigkeit von 70 % in einer angepassten
Tätigkeit ab gutachterlicher Stellungnahme vom April 2013 fest, er schätzte
aber das faktische Leistungsvermögen wesentlich grösser ein. Nachdem die
IV-Stelle A.________ über die Ergebnisse am 11. Dezember 2013 orientiert hatte,
stellte sie nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens mit rechtskräftig
gewordener Verfügung vom 22. September 2014 die Invalidenrente auf Ende des der
Zustellung folgenden Monats ein.

A.b. Am 15. Juni 2015 reichte A.________ ein erneutes Gesuch um Leistungen der
Invalidenversicherung ein. Die IV-Stelle trat auf das Leistungsbegehren mit
Verfügung vom 23. September 2015 mangels glaubhaft gemachter Verschlechterung
des Gesundheitszustands seit der letzten Verfügung nicht ein.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden mit Entscheid vom 4. Oktober 2016 ab, soweit es darauf eintrat.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids und der Verfügung
vom 23. September 2015 sei festzustellen, dass er zu 100 % invalid sei.
Eventualiter sei eine pluridisziplinäre Begutachtung anzuordnen.
Es wurde kein Schriftenwechsel durchgeführt.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es -
offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren beanstandeten
Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1,
Art. 105 Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung
erheblicher Tatsachen sowie die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an den
Beweiswert von Arztberichten. Die aufgrund dieser Berichte gerichtlich
festgestellte Gesundheitslage bzw. Arbeitsfähigkeit und die konkrete
Beweiswürdigung sind Sachverhaltsfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397; nicht
publ. E. 4.1 des Urteils BGE 135 V 254, veröffentlicht in SVR 2009 IV Nr. 53 S.
164 [9C_204/2009]).

2. 
Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf Art. 87 Abs. 2 und 3 IVV und die hiezu
ergangene Rechtsprechung (BGE 130 V 71 E. 3.2.3 S. 75 ff.; Urteile 9C_236/2011
vom 8. Juli 2011 E. 2.1.1 und 9C_688/2007 vom 22. Januar 2008 E. 2.2)
zutreffend dargelegt, dass die versicherte Person in der Neuanmeldung eine
anspruchsrelevante Änderung des Invaliditätsgrades glaubhaft zu machen hat und
unter welchen Voraussetzungen die laut Art. 87 Abs. 2 und 3 IVV herabgesetzten
Beweisanforderungen als erfüllt betrachtet werden können. Richtig ist auch,
dass der Zeitablauf von Bedeutung ist, indem in Fällen, in welchen seit der
rechtskräftigen Erledigung des Leistungsgesuchs erst kurze Zeit vergangen ist,
an die Glaubhaftmachung einer Sachverhaltsänderung höhere Anforderungen
gestellt werden als bei einer länger zurückliegenden Verfügung über ein
Rentengesuch. Darauf wird verwiesen.

3. 
Prozessthema ist einzig, ob die Vorinstanz zu Recht verneinte, dass die
Beschwerdegegnerin auf das Gesuch des Versicherten vom 15. Juni 2015 hätte
eintreten müssen. Soweit der Beschwerdeführer die Zusprechung von (Renten-)
Leistungen anbegehrt, sind diese Anträge unzulässig, weshalb darauf nicht
einzutreten ist.

3.1. Das kantonale Gericht schützte das Nichteintreten auf die Neuanmeldung mit
der Begründung, der Beschwerdeführer habe eine anspruchserhebliche Änderung
seines Gesundheitszustandes im massgeblichen Zeitraum zwischen der Verfügung
vom 22. September 2014 und der Verfügung vom 23. September 2015 nicht glaubhaft
gemacht. Der Neurologe Dr. med. F.________ auf dessen Darlegungen sich der
Versicherte stütze, habe objektiv betrachtet im Schreiben vom 26. Oktober 2015
den bereits bekannten Sachverhalt lediglich neu gewertet und daraus andere
Schlüsse gezogen. Bereits im Gutachten des Instituts D.________ vom 23. Juli
2013 sei der Mediainfarkt mit persistierender Aphasie festgestellt worden.
Hinsichtlich der zudem geltend gemachten vermehrten epileptischen Anfälle sei,
ebenso wie bei der Aphasie, nicht dargelegt worden, inwiefern diese die
Arbeitsfähigkeit negativ beeinflusst hätten, zumal er auch keine
sprachtherapeutischen Massnahmen mehr in Anspruch nehme. Gestützt auf die
fachärztlichen Darlegungen sei eine erhebliche gesundheitliche Verschlechterung
weder durch Zunahme der Epilepsie noch der Aphasie nachvollziehbar. Es lägen
keine Dokumente vor, die auf organisch-pathologischer Ebene auf eine
Verschlechterung des Gesundheitszustands hinweisen würden.

3.2. Der Beschwerdeführer rügt, das kantonale Gericht habe Recht verletzt,
indem es die neurologische Störung, welche durch den ihn behandelnden Dr. med.
F.________ mehr als nur glaubhaft gemacht worden sei, nicht habe genauer
untersuchen lassen. Ferner treffe nicht zu, dass hinsichtlich der Sprachstörung
keine Logopädie beansprucht worden sei, diese habe aber lediglich einen
vorübergehenden Effekt gehabt.

4.

4.1. Im Neuanmeldungsverfahren ist es in erster Linie Sache der versicherten
Person, substanzielle Anhaltspunkte für eine allfällige neue Prüfung des
Leistungsanspruchs darzulegen. Eine Pflicht der Verwaltung zur Nachforderung
weiterer Angaben besteht nur, wenn den - für sich allein genommen nicht
Glaubhaftigkeit begründenden - Arztberichten konkrete Hinweise entnommen werden
können, wonach möglicherweise eine mit weiteren Erhebungen erstellbare
rechtserhebliche Änderung vorliegt (vgl. Urteil 9C_286/2009 vom 28. Mai 2009 E.
2.2.3). Mit der Vorinstanz ist zu schliessen, dass im Verwaltungsverfahren kein
Anlass zu ergänzenden Abklärungen bestand, da die Angaben des Dr. med.
F.________ (samt MRI vom 30. Oktober 2014) keine wesentliche Verschlechterung
des Gesundheitszustands glaubhaft machen, wie sich aus den nachstehenden
Erwägungen ergibt. Im vorinstanzlichen Verfahren waren erst Recht keine
beweismässigen Weiterungen angezeigt, da das kantonale Gericht lediglich zu
prüfen hatte, ob die IV-Stelle gestützt auf die ihr vorgelegten Unterlagen zu
Recht auf die Neuanmeldung nicht eingetreten war (vgl. BGE 130 V 64 E. 5.2.5 S.
68 f.).

4.2. Was die geltend gemachte gesundheitliche Verschlechterung hinsichtlich
Aphasie und Epilepsie betrifft, werden die tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz seitens des Beschwerdeführers zwar in Zweifel gezogen; die von ihm
erhobenen Einwendungen erschöpfen sich jedoch zur Hauptsache in
appellatorischer Kritik an der Beweiswürdigung des kantonalen Gerichts, auf
welche das Bundesgericht im Rahmen der ihm gesetzlich eingeräumten
Überprüfungsbefugnis nicht einzugehen hat (E. 1.1 hievor). Sodann begründete
das kantonale Gericht im Einzelnen, weshalb der Beschwerdeführer keine
relevante Veränderung glaubhaft vorbringen konnte. Es legte willkürfrei und
schlüssig dar, dass sowohl ein am 30. Oktober 2014 angefertigtes Kontroll-MRI
als auch die Angaben des Dr. med. F.________ keine genügenden Anhaltspunkte für
eine Verschlechterung des Gesundheitszustands liefern würden. Zur Begründung
führte es aus, dass sich die bereits rund zwei Monate nach der
renteneinstellenden Verfügung vom 22. September 2014 behauptete
Verschlechterung der Aphasie (Bericht des Dr. med. F.________ vom 5. Dezember
2014) einzig auf subjektiven Angaben stütze und nicht ansatzweise dargelegt
werde, weshalb sich die aphasische Sprachstörung - mithin nach einer zunächst
signifikanten Verbesserung (Bericht der Klinik B.________ vom 21. April 2006
und Schreiben des Dr. med. F.________ vom 30. Juni 2008, aufgeführt im
Gutachten des Instituts D.________) - zunehmend erheblich verschlechtert haben
sollte. Entgegen den Darlegungen des behandelnden Arztes sei der von ihm
angeführte, grossflächige Insult mit persistierender Aphasie schon von den
Experten des Instituts D.________ am 23. Juli 2013 hinreichend gewürdigt worden
(vgl. Schreiben des Dr. med. F.________ vom 20. August und 26. Oktober 2015).
Ebenso vermag der Versicherte hinsichtlich zunehmender epileptischer Anfälle
keine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts darzutun. Die
Vorinstanz legte korrekt dar, dass Dr. med. F.________ auch hier auf die
Angaben der Ehefrau verwiesen habe, die von einem nunmehr eindeutigen
epileptischen Anfall berichtet habe (Schreiben des Dr. med. F.________ vom 19.
Mai 2015), wobei eine narbenbedingte, sich nicht auf die Arbeitsfähigkeit
auswirkende Epilepsie ebenfalls bereits im Gutachten des Instituts D.________
festgehalten wurde. Das kantonale Gericht wies zudem zu Recht darauf hin, dass
nicht dargetan werde, inwiefern die einzelnen Anfälle mit der Arbeitsfähigkeit
interferierten. Wenn es feststellte, die Darlegungen des Dr. med. F.________
enthielten weder in Bezug auf die Sprachstörung noch hinsichtlich der Epilepsie
Angaben über das quantitative Element einer relevanten, die Arbeitsfähigkeit
schmälernden Veränderung des Gesundheitszustandes, ist dies nicht zu
beanstanden (vgl. RAD-Stellungnahme vom 26. Oktober 2010). Eine
anspruchsrelevante Veränderung vermögen die Unterlagen nach dem Gesagten mit
der Vorinstanz nicht glaubhaft zu machen. Die zu diesem Schluss führende
vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung ist nicht offensichtlich unrichtig oder
sonstwie rechtsfehlerhaft und daher für das Bundesgericht verbindlich. Damit
hat es beim vom kantonalen Gericht bestätigten Nichteintreten der IV-Stelle auf
die Neuanmeldung vom 15. Juni 2015 sein Bewenden.

5. 
Die Gerichtskosten (Art. 65 BGG) gehen ausgangsgemäss zu Lasten des
Beschwerdeführers (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

 

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. März 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Polla

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