Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.302/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_302/2017        

Urteil vom 18. August 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

SWICA Krankenversicherung AG, Rechtsdienst, Römerstrasse 38, 8400 Winterthur,
Beschwerdegegnerin,

A.________.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 28. März 2017.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1984, wurde vom Sozialamt der Gemeinde B.________
(nachfolgend: Sozialamt) unterstützt. Dieses verwies sie an die C.________
GmbH, wo A.________ ab dem 1. Juli 2013 Reinigungsarbeiten ausführte. Am 8.
Juli 2014 meldete die C.________ GmbH der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (Suva), dass A.________ dabei am 2. August 2013
gestolpert sei und sich eine Bänderverletzung zugezogen habe. Mit Verfügung vom
17. November 2014 lehnte die Suva ihre Leistungspflicht ab mit der Begründung,
dass keine Versicherungsdeckung bestehe, weil der Arbeitseinsatz der
Sozialhilfeempfängerin bei der C.________ GmbH vom Sozialamt angeordnet worden
sei. Ein Lohn sei ihr bei diesem Arbeitsversuch nicht ausgerichtet worden. Sie
sei daher nicht als Arbeitnehmerin im Sinne des UVG zu qualifizieren und nicht
obligatorisch unfallversichert gewesen. Die SWICA Krankenversicherung
(nachfolgend: SWICA) erhob dagegen Einsprache, welche die Suva mit Entscheid
vom 25. Juni 2015 abwies.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde der SWICA hiess das Versicherungsgericht des
Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 28. März 2017 gut. Es hob den
angefochtenen Einspracheentscheid auf und wies die Sache zur Abklärung der
konkreten Versicherungsleistungen an die Suva zurück.

C. 
Die Suva führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides.

Die SWICA schliesst auf Abweisung. A.________ und das Bundesamt für Gesundheit
haben sich nicht vernehmen lassen.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zulässig gegen Endentscheide, das
heisst gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (Art. 90 BGG), und
gegen Teilentscheide, die nur einen Teil der gestellten Begehren behandeln,
wenn diese unabhängig von den anderen beurteilt werden können, oder die das
Verfahren nur für einen Teil der Streitgenossen und Streitgenossinnen
abschliessen (Art. 91 BGG). Gegen selbstständig eröffnete Vor- und
Zwischenentscheide ist hingegen die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die
Zuständigkeit oder den Ausstand betreffen (Art. 92 BGG), einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder wenn
die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit
einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges
Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG).
Rückweisungsentscheide, mit denen eine Sache zur neuen Entscheidung an die
Vorinstanz zurückgewiesen wird, sind Zwischenentscheide, die nur unter den
genannten Voraussetzungen beim Bundesgericht angefochten werden können (BGE 133
V 477 E. 4.2 S. 481 f.). Anders verhält es sich nur dann, wenn der unteren
Instanz, an welche zurückgewiesen wird, kein Entscheidungsspielraum mehr
verbleibt und die Rückweisung nur noch der Umsetzung des oberinstanzlich
Angeordneten dient (BGE 140 V 282 E. 4.2 S. 285 f.; SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131,
9C_684/2007 E. 1.1).

1.2. Das kantonale Gericht hat die Versicherungsdeckung der Suva bejaht. Es
verbleibt ihr nach dem angefochtenen Entscheid diesbezüglich kein
Entscheidungsraum mehr. Materiell handelt es sich dabei daher nicht um einen
Zwischenentscheid, sondern um einen Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG. Die
Beschwerde der Suva ist deshalb zulässig.

2. 
Streitig ist, ob das kantonale Gericht zu Recht von einer UVG-Deckung der Suva
als Unfallversicherer der C.________ GmbH ausging. Weiter ist die
Beschwerdelegitimation der SWICA bestritten.

3.

3.1. Das Bundesgericht prüft für das vor- und das letztinstanzliche Verfahren
von Amtes wegen und ohne Bindung an die Parteianträge, ob die
Prozessvoraussetzungen erfüllt sind (BGE 142 V 67 E. 2.1 S. 69; SVR 2010 UV Nr.
31 S. 125, 8C_816/2009 E. 2).

3.2. Nach den vorinstanzlichen Erwägungen war die SWICA zur Anfechtung des
Einspracheentscheides der Suva legitimiert, denn es hätte daraus für die SWICA
eine potenzielle Leistungspflicht resultieren können. So hätte nach der
Verneinung der Versicherteneigenschaft beziehungsweise der Versicherungsdeckung
durch die Suva eine Leistungspflicht der SWICA gestützt auf Art. 1a KVG
entstehen können. Danach gewährt die soziale Krankenversicherung Leistungen bei
Unfall, soweit dafür keine Unfallversicherung aufkommt (Abs. 2 lit. b). Zudem
stehe die Frage eines anderen Unfallversicherers, vorliegend möglicherweise die
SWICA, im Raum.

3.3. Die Suva bringt dagegen vor, es sei nicht erstellt, inwieweit die SWICA
durch ihren Einspracheentscheid berührt sei. Die von der Vorinstanz in Betracht
gezogenen Varianten einer möglichen Haftung der SWICA vermöchten lediglich eine
hypothetische Betroffenheit zu begründen, was jedoch für die
Beschwerdelegitimation nicht genüge. Dass die SWICA nach der Bestimmung von
Art. 1a KVG hafte, sei auszuschliessen, denn in einer Vereinbarung zwischen
A.________, der C.________ GmbH und dem Sozialamt (dazu unten E. 4.3) sei
festgehalten worden, dass A.________ bei der SWICA unfallversichert sei. Auch
habe das kantonale Gericht nicht ausgeschlossen, dass A.________ als
Arbeitnehmerin des Sozialamts zu qualifizieren sei und eine
Versicherungsdeckung über dessen Unfallversicherer bestehe. Ausserdem betreffe
die hier streitige Suva-Verfügung allein die Frage der Versicherungsdeckung,
nicht aber, ob die Beschwerden am linken Fuss unfallkausal oder
krankheitsbedingt seien. Schliesslich sei nach Lage der Akten auch nicht
erstellt, dass die SWICA als Krankenversicherer Vorleistungen im Sinne von Art.
70 Abs. 2 lit. a ATSG erbracht habe.

3.4. Im vorinstanzlichen Verfahren setzt die Legitimation der SWICA als einer
Dritten (ebenso wie im Einspracheverfahren) praxisgemäss voraus, dass diese ein
selbstständiges eigenes Rechtsschutzinteresse an der Beschwerdeerhebung in
Anspruch nehmen kann. Das trifft dann zu, wenn sie damit zu rechnen hat, fortan
für die Ausrichtung von Versicherungsleistungen hinsichtlich der noch
bestehenden gesundheitlichen Beschwerden von der versicherten Person in
Anspruch genommen zu werden (Art. 59 ATSG; SVR 2010 UV Nr. 31 S. 125, 8C_816/
2009 E. 2.1; SVR 2009 UV Nr. 11 S. 45, 8C_606/2007 E. 5.1; E. 7.3 in Verbindung
mit E. 9.2; vgl. auch Art. 49 Abs. 4 ATSG). Möglich ist dabei, dass die
Verneinung einer Leistungspflicht des verfügenden Versicherungsträgers
unmittelbar jene des anfechtungswilligen Trägers begründet, dass die
Anspruchsbeurteilung durch den einen Versicherer für den anderen
Bindungswirkung entfaltet, dass die strittige Verfügung unmittelbare
quantitative Auswirkungen auf seine Leistungspflicht zeitigt oder dass sie eine
Vorleistungspflicht des anfechtenden Sozialversicherungsträgers begründet (BGE
134 V 153 E. 4.1 S. 154 f.). Die Vorinstanz ging demnach zu Recht von der
Beschwerdelegitimation der SWICA aus.

4.

4.1. Die Suva macht geltend, das kantonale Gericht habe die
Versicherungsdeckung zu Unrecht gestützt auf die Empfehlung Nr. 01/2007 der
Ad-hoc-Kommission Schaden UVG (Arbeitsversuche; nachfolgend: Empfehlung Nr. 01/
2007) bejaht.

4.2. Das kantonale Gericht hat die Bestimmung von Art. 1a Abs. 1 UVG über die
obligatorische Unfallversicherung in der bis 31. Dezember 2016 gültigen Fassung
zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen.

4.3. Die Vorinstanz stellte fest, dass A.________ im Rahmen eines
Arbeitsversuchs im Sinne der Empfehlung Nr. 01/2007 bei der C.________ GmbH
Reinigungsarbeiten ausgeführt habe. Die Arbeitgeberin habe für die geleistete
Arbeit weder A.________ einen Lohn ausgerichtet noch dem Sozialamt ein Entgelt
bezahlt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag liege für den Unfallzeitpunkt (2.
August 2013) nicht vor. Im Dezember 2013 hätten A.________, das Sozialamt
B.________ und die C.________ GmbH jedoch eine Vereinbarung für ein
"Ausbildungspraktikum" ab dem 1. Dezember 2013 bis zum 28. Februar 2014
abgeschlossen. Dem "Praktikumszeugnis" der C.________ GmbH vom 30. September
2014 sei zu entnehmen, dass die genannten Parteien bereits zuvor eine
Vereinbarung mit Beschäftigungsbeginn am 1. Juli 2013 für die Dauer von drei
Monaten getroffen hätten. A.________ sei in dieser Zeit vom Sozialamt an den
Betrieb verwiesen und weiterhin vom Sozialamt finanziell unterstützt worden,
weshalb das kantonale Gericht von einer Versicherungsdeckung im Rahmen eines
Arbeitsversuchs im Sinne der Empfehlung Nr. 01/2007 ausging.

4.4. Die Suva macht geltend, dass sich die Empfehlung Nr. 01/2007 ausdrücklich
und ausschliesslich auf Arbeitsversuche im Rahmen der beruflichen
Rehabilitation beziehe, bei welcher es um die Wiedereingliederung von geistig
oder körperlich Erkrankten oder Behinderten ins Arbeitsleben gehe. Dies treffe
auf den Arbeitseinsatz von A.________ nicht zu. Des Weiteren seien während der
Arbeitstätigkeit Sozialhilfeleistungen ausgerichtet worden, eine solche
Konstellation sei in der Empfehlung nicht geregelt.

4.5. Die Frage, ob die Empfehlung Nr. 01/2007 auf den vorliegenden
"Arbeitsversuch" Anwendung findet, kann offen bleiben, wobei die von der
Beschwerdeführerin aufgezeigte Zweckbestimmung nachvollziehbar ist. Auch kann
angesichts der Beschäftigungsdauer ein wirtschaftliches Interesse der Firma
nicht ernsthaft bezweifelt werden (SVR 2012 UV Nr. 9 S. 32, 8C_503/2011 E. 3)

Nach Art. 1a Abs. 1 UVG (in der hier anwendbaren, bis 31. Dezember 2016
gültigen Fassung; seit 1. Januar 2017: Art. 1a Abs. 1 lit. a UVG) sind die in
der Schweiz beschäftigten Arbeitnehmer, einschliesslich der Heimarbeiter,
Lehrlinge, Praktikanten, Volontäre sowie der in Lehr- oder Invalidenwerkstätten
tätigen Personen, obligatorisch nach den Bestimmungen des UVG versichert. Unter
das Versicherungsobligatorium fällt nach der Rechtsprechung, wer um des Erwerbs
oder der Ausbildung willen für einen Arbeitgeber, mehr oder weniger
untergeordnet, dauernd oder vorübergehend tätig ist, ohne hiebei ein eigenes
wirtschaftliches Risiko tragen zu müssen. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag ist
nicht erforderlich (BGE 141 V 313 E. 2.1 S. 314 f.). Bei
Ausbildungsverhältnissen wird eine Lohnvereinbarung beziehungsweise
Erwerbsabsicht nicht vorausgesetzt (BGE 141 V 313 E. 4.4 S. 319). Eine
Versicherungsdeckung hat die Rechtsprechung insbesondere etwa angenommen in den
Fällen einer Medizinstudentin im Einzeltutoriat in einer Arztpraxis (BGE 141 V
313), der Volontärin an einer Universität, die ohne Arbeitsvertrag und
Lohnvereinbarung für ein Forschungsprojekt in Afrika tätig war (SZS 2015 S.
144, 8C_183/2014), des Schnupperlehrlings bei den Schweizerischen Bundesbahnen
(SBB) ohne Lohnanspruch (BGE 124 V 301) oder der Schülerin, welche in ihrer
Freizeit regelmässig in einem Reitstall Stallarbeiten verrichtete und
Gelegenheit zum Reiten erhielt (BGE 115 V 55; vgl. zum Arbeitsversuch in einem
Restaurant SVR 2012 UV Nr. 9 S. 32, 8C_503/2011).

Die C.________ GmbH, A.________ und das Sozialamt haben eine "Vereinbarung für
Ausbildungspraktikum" abgeschlossen. Dass dieser schriftliche Vertrag erst für
die Zeit ab dem 1. Dezember 2013 galt, schliesst eine Versicherungsdeckung nach
der Rechtsprechung nicht aus. Dem Praktikumszeugnis vom 30. September 2014 ist
zu entnehmen, dass A.________ schon ab dem 1. Juli 2013 bei der C.________ GmbH
eingesetzt wurde. Ziel des Praktikums war es, wie in der Vereinbarung
festgehalten, Neues zu lernen. A.________ sollte bei der Unterhaltsreinigung
von Gebäuden sowie bei Umbau- und Rohbaureinigungen eingesetzt werden und sich
Fachkenntnisse über die professionelle Reinigung aneignen. Im Praktikumszeugnis
bestätigte die C.________ GmbH, es sei Ziel gewesen, theoretische und
praktische Kenntnisse im Reinigungsbereich zu erlangen und zu erweitern.
A.________ habe viele Erfahrungen sammeln können wie beispielsweise das
Arbeiten auf der Leiter und auf einem Gerüst, die professionelle Erledigung der
ihr aufgetragenen Arbeiten und den sachgemässen Umgang mit dem Material.

Die Tätigkeit von A.________ bei der C.________ GmbH diente somit einer
praktischen Ausbildung. Dass die C.________ GmbH nach der (mündlichen)
Vereinbarung keinen Lohn schuldete, schliesst nach der Rechtsprechung eine
obligatorische Versicherungsdeckung bei Ausbildungsverhältnissen nicht aus. Der
hier zu beurteilende Arbeitsversuch ist als Praktikum im Sinne des UVG zu
qualifizieren.

4.6. Die vom kantonalen Gericht angenommene obligatorische
Unfallversicherungsdeckung der Suva hält damit vor Bundesrecht stand. Sie
haftet für den Unfall von A.________ vom 2. August 2013 und ihre Beschwerde ist
abzuweisen.

5. 
Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da sich zwei
Sozialversicherungsträger gegenüberstehen, gilt hierbei der ordentliche Rahmen
nach Art. 65 Abs. 3 BGG, während Art. 65 Abs. 4 lit. a BGG keine Anwendung
findet (SVR 2012 UV Nr. 9 S. 32, 8C_503/2011 E. 4).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, A.________, dem Versicherungsgericht des
Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. August 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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