Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.278/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_278/2017        

Urteil vom 29. Juni 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Frauenfelderstrasse 16, 8570
Weinfelden,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Sozialhilfe (Honorierung der unentgeltlichen Rechtsvertretung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
22. Februar 2017.

Sachverhalt:

A. 
Der 1975 geborene B.________ wurde seit Dezember 2007 von der Stadt C.________
finanziell unterstützt. Am 4. März 2016 beschlossen die Sozialen Dienste der
Politischen Gemeinde C.________, die finanziellen Leistungen an B.________
rückwirkend per 1. Januar 2012 einzustellen, da dieser weder einen Wohnsitz
noch einen Aufenthalt mit einer tatsächlichen Anwesenheit in C.________ habe.
Zudem wurde B.________ verpflichtet, die seither zu Unrecht bezogenen
Leistungen von Fr. 94'552.20 (inkl. 5 % Zins ab Januar 2012) zurückzuerstatten.
Den dagegen erhobenen Rekurs wies das Departement für Finanzen und Soziales des
Kantons Thurgau mit Entscheid vom 11. Juli 2016 unter Auferlegung einer
Verfahrensgebühr von Fr. 800.- ab und verpflichtete B.________, zu Unrecht
bezogene Unterstützung von Fr. 94'552.20 nebst 5 % Zins seit 30. Januar 2014
zurückzuerstatten.

B. 
Die von B.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht
des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 22. Februar 2017 gut, soweit sie die
Auferlegung von Verfahrenskosten im Rekursverfahren betraf. Die Vorinstanz
wurde verpflichtet den Beschwerdeführer mit Fr. 250.- zuzüglich 8 %
Mehrwertsteuer ausseramtlich zu entschädigen. Das Gericht gewährte B.________
im Übrigen die unentgeltliche Rechtspflege und bestellte Rechtsanwältin
A.________ als unentgeltliche Rechtsvertreterin. Die ihr zu entrichtende -
zusätzliche - Entschädigung setzte das kantonale Gericht pauschal auf Fr.
2'200.- (inkl. Barauslagen) zuzüglich 8 % Mehrwertsteuer fest. Im Übrigen wies
es die Beschwerde ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten stellt A.________ in
eigenem Namen den Antrag, ihr sei durch den Staat ein Aufwand von Fr. 8'683.-
(unter Berücksichtigung der Parteientschädigung von Fr. 250.-), Auslagen von
Fr. 448.55 sowie 8 % Mehrwertsteuer von Fr. 730.50, total somit Fr. 9'862.05 zu
bezahlen. Eventualiter seien ihr ein angemessener Aufwand bei einem
Stundenansatz von Fr. 200.- sowie Auslagen von Fr. 448.55 zuzüglich 8 %
Mehrwertsteuer zuzusprechen. Subeventualiter sei die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen, damit diese eine entsprechende Entschädigung festsetze. Für das
letztinstanzliche Verfahren ersucht sie um eine Entschädigung von Fr. 3'213.40
zuzüglich Mehrwertsteuer.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau schliesst auf Abweisung der
Beschwerde.

Erwägungen:

1. 
Da sich die Beschwerde führende Rechtsanwältin gegen die von der Vorinstanz
zugesprochene Entschädigung für ihre Tätigkeit als unentgeltlicher
Rechtsbeistand wendet, ist sie zur Beschwerde in eigenem Namen legitimiert
(Art. 89 Abs. 1 BGG; SVR 2013 IV Nr. 26 S. 75, 8C_54/2013 E. 1 mit Hinweisen;
vgl. auch BGE 140 IV 213 E. 1.7 S. 216). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2. 
Streitig und zu prüfen ist die Höhe des von der Vorinstanz auf Fr. 2'200.-
zuzüglich Mehrwertsteuer festgesetzten Honorars für die unentgeltliche
Verbeiständung im kantonalen Verfahren.

2.1. Die Bemessung der Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes im
kantonalen Verfahren ist mangels bundesrechtlicher Bestimmungen dem kantonalen
Recht überlassen (BGE 131 V 153 E. 6.1 S. 158 f.), mit welchem sich das
Bundesgericht unter Vorbehalt der in Art. 95 lit. c-e BGG genannten Ausnahmen
grundsätzlich nicht zu befassen hat. Eine Bundesrechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 lit. a BGG liegt vor, wenn die Anwendung kantonalen Rechts, sei es
wegen seiner Ausgestaltung oder auf Grund des Ergebnisses im konkreten Fall, zu
einer Verfassungsverletzung führt. Im Bereich der nach kantonalem Recht
zuzusprechenden und zu bemessenden Parteientschädigungen, und damit namentlich
auch der Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes, fällt praktisch
nur das in Art. 9 BV verankerte Willkürverbot in Betracht (BGE 141 I 70 E. 2.1
S. 72; SVR 2013 IV Nr. 26 S. 75, 8C_54/2013 E. 2 mit Hinweisen).

2.2. Eine willkürliche Anwendung kantonalen Rechts liegt vor, wenn der
angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen
Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid
jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch dessen Ergebnis
unhaltbar ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar als
zutreffender erscheinen mag, genügt nicht (BGE 141 I 70 E. 2.2 S. 72, 132 I 13
E. 5.1 S. 17, 125 V 408 E. 3a S. 409).

2.3. Dem kantonalen Gericht ist bei der Bemessung der Entschädigung des
unentgeltlichen Rechtsbeistandes praxisgemäss ein weiter Ermessensspielraum
einzuräumen (vgl. die Zusammenfassung der Rechtsprechung in SVR 2000 IV Nr. 11
S. 31, I 308/98 E. 2b; vgl. auch BGE 141 I 124 E. 3.2 S. 126). Das
Bundesgericht greift nur ein, wenn der Ermessensspielraum klar überschritten
worden ist oder wenn Bemühungen nicht honoriert worden sind, die zweifelsfrei
zu den Obliegenheiten eines amtlichen Vertreters gehören (BGE 141 I 70 E. 2.3
S. 72 f., 118 Ia 133 E. 2d S. 136; Urteil 8C_327/2015 vom 8. September 2015 E.
2.2).

3. 
Gemäss § 2 der Verordnung des Verwaltungsgerichtes über den Anwaltstarif für
Streitigkeiten vor dem Verwaltungsgericht, des Versicherungsgerichts, der
Enteignungskommission und den Rekurskommissionen des Kantons Thurgau (ATVG; RB
176.61) umfasst die Parteientschädigung die Kosten der anwaltlichen Vertretung,
allfällige weitere notwendige Auslagen der Partei sowie den Ersatz der
Mehrwertsteuer, soweit eine entsprechende Pflicht besteht (Abs. 1). Die
Parteientschädigung wird durch das Gericht festgelegt. Es kann eine Honorarnote
eingereicht werden (Abs. 2).

Die Parteientschädigung bemisst sich nach Bedeutung und Schwierigkeit der
Sache, dem für eine sachgerechte Vertretung notwendigen Zeitaufwand und den
Barauslagen (§ 3 Abs. 1 ATVG). Der Stundenansatz bei unentgeltlicher
anwaltlicher Vertretung beträgt Fr. 200.- (§ 4 Abs. 1 ATVG). In diesem
Stundenansatz sind die Mehrwertsteuer und die Auslagen nicht enthalten (§ 3
Abs. 1 ATVG).

4. 
Das kantonale Gericht hat die Entschädigung für die unentgeltliche Vertretung
auf Fr. 2'200.-, entsprechend einem Aufwand von elf Stunden à Fr. 200.-
zuzüglich Mehrwertsteuer, festgesetzt. Auslagen wurden dabei nicht
berücksichtigt. Hinzu kommt die für das teilweise Obsiegen zugesprochene
Parteientschädigung von Fr. 250.- für eine Stunde Arbeit.

5. 
Die Beschwerdeführerin rügt insbesondere, die Vorinstanz habe sie vor der
Festsetzung der Entschädigung für ihre Leistungen als unentgeltlichen
Rechtsbeistand nicht angehört und ohne Berücksichtigung des tatsächlichen
Arbeitsaufwandes als Rechtsvertreterin die Entschädigung ermessensweise auf Fr.
2'200.- festgesetzt, was unzulässig sei. Ihr zeitlicher Aufwand für den
umfangreichen Rechtsstreit mit langen Eingaben, unzähligen Beilagen, welche ein
nicht unerhebliches Aktenstudium erforderlich machten, einem doppelten
Schriftenwechsel sowie verschiedenen kürzeren Eingaben habe weit mehr als die
berücksichtigten elf Stunden betragen. Sie macht einen Aufwand von Fr. 8'683.-
zuzüglich Auslagen von Fr. 448.55 und Mehrwertsteuer geltend. Umgerechnet
ergebe die zugesprochene Entschädigung ein Stundenhonorar von Fr. 20.-, was
deutlich unter jenem Bereich liege, der gemäss Rechtsprechung als willkürfrei
gelte.

6. 

6.1. Die kantonale Instanz ist bei der Bemessung der Parteientschädigung von
Bundesrechts wegen nicht an die allenfalls geltend gemachten Honoraransprüche
gebunden, weshalb Art. 29 Abs. 2 BV grundsätzlich nicht verletzt wird, wenn auf
die Einholung einer Kostennote verzichtet wird (Urteil 9C_338/2010 vom 26.
August 2010, SVR 2011 AHV Nr. 7 S. 23 E. 5.1 mit Hinweis). Soweit die
Beschwerdeführerin rügt, das kantonale Gericht habe ihren Anspruch auf
rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es keine Honorarnote einholte, sind
ihre Vorbringen unbegründet. Das ergibt sich auch aus § 2 Abs. 2 ATVG, welcher
den Betroffenen ein Recht zur Einreichung einer Honorarnote einräumt, das
Gericht indessen nicht verpflichtet, eine solche einzuholen.

6.2. Die Beschwerdeführerin legt letztinstanzlich eine nach Erlass des
angefochtenen Entscheides vom 22. Februar 2017 erstellte Honorarnote vom 20.
April 2017 auf. Darin stellt sie einen Aufwand von 93.08 Stunden in Rechnung
(unter Berücksichtigung der bereits entschädigten Stunde aufgrund des
teilweisen Obsiegens). Sie beziffert diesen bei einem Stundenansatz von Fr.
200.- mit Fr. 8'683.-, was rechnerisch offensichtlich nicht zutreffen kann. Ob
auf den in Rechnung gestellten Betrag oder auf den geltend gemachten zeitlichen
Aufwand abzustellen wäre, und ob es letztinstanzlich überhaupt zulässig ist,
ein solches Novum ins Recht zu legen (vgl. Urteil 9C_338/2010 vom 26. August
2010, SVR 2011 AHV Nr. 7 S. 23 E. 5.2), kann vorliegend offen bleiben. Fest
steht nähmlich, dass ein doppelter Schriftenwechsel angeordnet und durchgeführt
wurde, dass die Beschwerdeführerin auf Aufforderung des kantonalen Gerichts hin
noch weitere Eingaben einzureichen und dafür zum Teil noch Unterlagen zu
beschaffen hatte, dass jeweils nicht nur die damalige Beschwerdegegnerin, die
politische Gemeinde C.________, sondern auch noch die damalige Vorinstanz, das
Departement für Finanzen und Soziales des Kantons Thurgau, bei beiden
Schriftenwechseln Vernehmlassungen einreichten, dass während des laufenden
Verfahrens auch von den Gegenparteien neue Akten, insbesondere
Observationsberichte eingereicht wurden und dass die Rechtslage während des
Verfahrens insoweit in Frage gestellt wurde, als die Rechtsprechung die
Verwertbarkeit des Ergebnisses von Observationen änderte (Urteil des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [EGMR] in Sachen Vukota-Bojic
gegen die Schweiz vom 18. Oktober 2016) und dieser Umstand in den Eingaben
verwertet werden musste. Dieser unbestrittene Aufwand ist durch die
zugesprochene Parteientschädigung, welche insgesamt einem Arbeitsaufwand von
zwölf Stunden entspricht, wobei keinerlei Auslagen berücksichtigt wurden, bei
weitem nicht abgedeckt. Damit sind notwendige Bemühungen nicht honoriert
worden, die zweifelsfrei zu den Obliegenheiten eines amtlichen Vertreters
gehören (vgl. E. 2.3 hievor). Insoweit erweist sich der vorinstanzliche
Entscheid als willkürlich. Damit wird der Anspruch auf unentgeltliche
Verbeiständung als bundesrechtliche Institutsgarantie im Kern verletzt. Die
Beschwerde ist gutzuheissen und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen,
damit sie über die Höhe der der Beschwerdeführerin zustehenden Entschädigung
(Aufwand und Auslagen) neu entscheide.

7. 
Die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz (mit noch offenem Ausgang) gilt
praxisgemäss für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der
Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 und
Art. 68 Abs. 1 sowie 2 BGG, unabhängig davon, ob sie überhaupt beantragt oder
ob das Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 132 V 215
E. 6.1 S. 235 mit Hinweisen). Von der Erhebung von Gerichtskosten ist unter den
vorliegenden Umständen jedoch abzusehen (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 BGG).
Der obsiegenden Beschwerdeführerin steht eine Parteientschädigung zu Lasten des
Kantons Thurgau zu (Art. 68 Abs. 1 BGG; BGE 129 V 335 E. 4 S. 342).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 22. Februar 2017, Dispositivziffer
5, 2. Halbsatz wird aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau zurückgewiesen, damit es über die Höhe der Entschädigung der
Beschwerdeführerin neu entscheide. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Der Kanton Thurgau hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'213.40 (zuzügl. MwSt.) zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Departement für Finanzen und Soziales
des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. Juni 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer

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