Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.277/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_277/2017

Urteil vom 8. Mai 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiber Nabold.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS,
Beschwerdeführer,

gegen

 Gemeinde X.________, v.d. den Stadtrat, vertreten durch Rechtsanwalt André
Schlatter,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Sozialhilfe (Rückerstattung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
22. Februar 2017.

Sachverhalt:

A. 
Der 1975 geborene A.________ wurde seit Dezember 2007 von der Stadt X.________
finanziell unterstützt. Am 4. März 2016 beschlossen die Sozialen Dienste der
Politischen Gemeinde X.________, die finanziellen Leistungen an A.________
rückwirkend per 1. Januar 2012 einzustellen, da dieser weder einen Wohnsitz
noch einen Aufenthalt mit einer tatsächlichen Anwesenheit in X.________ habe.
Zudem wurde A.________ verpflichtet, die seither zu Unrecht bezogenen
Leistungen von Fr. 94'552.20 (inkl. 5 % Zins ab Januar 2012) zurückzuerstatten.
Den dagegen erhobenen Rekurs wies das Departement für Finanzen und Soziales des
Kantons Thurgau mit Entscheid vom 11. Juli 2016 unter Auferlegung einer
Verfahrensgebühr von Fr. 800.- ab und verpflichtete A.________, zu Unrecht
bezogene Unterstützung von Fr. 94'552.20 nebst 5 % Zins seit 30. Januar 2014
zurückzuerstatten.

B. 
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht
des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 22. Februar 2017 gut, soweit sie die
Auferlegung von Verfahrenskosten im Rekursverfahren betraf. Im Übrigen wies es
die Beschwerde ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________,
die Politische Gemeinde X.________ sei unter Aufhebung der vorinstanzlichen
Entscheide zu verpflichten, die seit 1. März 2017 nicht mehr ausgerichtete
wirtschaftliche Sozialhilfe rückwirkend nachzuleisten. Gleichzeitig stellt
A.________ ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und ein Gesuch um
vorsorgliche Massnahme, wonach die Beschwerdegegnerin zu verpflichten sei,
während der Dauer dies Verfahrens weiterhin Sozialhilfeleistungen zu
erbringen. 

In einer Eingabe vom 25. April 2017 ersucht die  Politische Gemeinde X.________
um Abweisung der Beschwerde und der gestellten Gesuche. Mit Schreiben vom 2.
Mai 2017 hält  A.________ an seinen Anträgen fest.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 139 II 404 E. 3 S. 415). Die Verletzung
von kantonalem Gesetzes- und Verordnungsrecht bildet keinen eigenständigen
Rügegrund; sie wird nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür geprüft (BGE 139 I
169 E. 6.1 S. 172 f.; 136 I 316 E. 2.2.1 S. 318; je mit Hinweisen).
Diesbezüglich gilt, wie generell in Bezug auf die Verletzung von Grundrechten,
eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE
136 II 304 E. 2.5 S. 314). Gelten durch Verweis im kantonalen öffentlichen
Recht ergänzend Bestimmungen des Bundesrechts, werden diese zum öffentlichen
Recht des betreffenden Gemeinwesens. Sie sind nach dessen Regeln anzuwenden und
auszulegen. Die übernommenen Regeln gelten somit als subsidiäres Recht des
Kantons. Entsprechend ist die Bundesrechtsrüge gemäss Art. 95 lit. a BGG auf
die Verletzung verfassungsmässiger Rechte beschränkt (vgl. BGE 140 I 320 E. 3.3
S. 322 mit weiteren Hinweisen).

1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Streitig ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf wirtschaftliche Sozialhilfe
durch die Politische Gemeinde X.________ in der Zeit ab 1. Januar 2012 sowie
die Rückerstattung allfällig zu Unrecht ausbezahlter Leistungen. Dabei ist
nicht mehr streitig, dass der Beschwerdeführer im fraglichen Zeitraum weder
Wohnsitz noch Aufenthalt in X.________ hatte. Streitig und zu prüfen ist
jedoch, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, als sie daraus folgerte, der
Anspruch des Beschwerdeführers gegen die Politische Gemeinde X.________ sei
damit dahingefallen und er sei deshalb zur Rückerstattung der bereits bezogenen
Leistungen zu vepflichten.

3.

3.1. Gemäss § 1 des Gesetzes des Kantons Thurgau über die öffentliche
Sozialhilfe (Sozialhilfegesetz; SHG TG) treffen die politischen Gemeinden
Vorkehren, um soziale Not zu verhindern. Sie leisten Hilfe zu deren Behebung.
Verfügt jemand nicht über hinreichende Mittel zur Bestreitung des
Lebensunterhaltes für sich und seine Angehörigen mit gleichem Wohnsitz, sorgt
in Anwendung von § 8 SHG TG die Gemeinde für die notwendige Unterstützung,
sofern von Hilfsbedürftigen nicht verlangt werden kann, sich die Mittel durch
eigene Arbeit zu beschaffen, und keine andere Hilfe möglich ist. Zuständig ist
gemäss § 4 Abs. 1 SHG TG die Wohnsitzgemeinde des Hilfsbedürftigen. Die
Gemeinde des Aufenthaltsortes ist zuständig, solange die Wohnsitzgemeinde nicht
feststeht oder wenn jemand unaufschiebbar Hilfe benötigt. Wohnsitz und
Aufenthalt bestimmen sich gemäss § 4 Abs. 2 SHG TG nach den Vorschriften des
Bundes über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger, mithin in
analoger Anwendung des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1977 über die Zuständigkeit
für die Unterstützung Bedürftiger (Zuständigkeitsgesetz, ZUG; SR 851.1).

3.2. Das kantonale Gericht hat erwogen, mit dem Wegfall des Wohnsitzes und des
Aufenthaltes im Sinne von § 4 SHG TG in der bisher leistungspflichtigen
Gemeinde sei der Anspruch auf Unterstützung gemäss § 8 SHG TG durch diese
Gemeinde dahingefallen. Inwiefern diese Auslegung des kantonalen Rechts
willkürlich oder sonstwie bundesrechtswidrig sein sollte, ist entgegen den
Ausführungen des Beschwerdeführers nicht ersichtlich: Ein Leistungsanspruch
richtet sich im Bereich der öffentlichen Sozialhilfe regelmässig gegen ein
bestimmtes Gemeinwesen; gegen ein unzuständiges Gemeinwesen besteht in aller
Regel kein Leistungsanspruch.

3.3. Das kantonale Gericht begründete seine Bestätigung der
Leistungseinstellung mit dem Wegfall einer Anspruchsvoraussetzung, und nicht
mit einer Sanktionierung des Beschwerdeführers für pflichtwidriges Verhalten.
Es verstösst somit nicht gegen Bundesrecht, dass die Vorinstanz nicht die
kantonale Regelung zur Leistungskürzung und -einstellung wegen Nicht-Befolgens
von Anordnungen der Behörden anwendete und damit insbesondere auf das
Erfordernis einer schriftlichen Verwarnung verzichtete. Damit durfte die
Vorinstanz, ohne damit gegen Bundesrecht zu verstossen, eine Leistungspflicht
der Beschwerdegegnerin für die Zeit ab 1. Januar 2012 verneinen.

3.4. Gemäss § 19 Abs. 1 SHG TG sind zu Unrecht bezogene Leistungen samt Zins
zurückzuerstatten. Nachdem seit dem 1. Januar 2012 keine Leistungspflicht der
Beschwerdegegnerin mehr bestand, sind die ab diesem Zeitpunkt erbrachten
Leistungen zu Unrecht bezogen. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, dass er
zwischenzeitlich bei einer anderen (schweizerischen) Gemeinde finanzielle
Unterstützung beantragt hat. Damit steht weder die Leistungspflicht einer
anderen Gemeinde fest noch bestand für die Beschwerdegegnerin eine Möglichkeit,
die Rückerstattung der bezogenen Leistungen von einer anderen Gemeinde zu
verlangen. Somit braucht auch nicht näher geprüft zu werden, ob ein Ausgleich
unter den beteiligten Gemeinden von Bundesrechts wegen vor einer Rückerstattung
durch den Bezüger Priorität hätte. Es verstösst jedenfalls bei dieser
Ausgangslage nicht gegen Bundesrecht, dass die Gemeinde die Rückerstattung der
bezogenen Leistungen durch den Beschwerdeführer anordnete.

3.5. Somit hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, als sie die
Eintstellung der Sozialhilfeleistungen durch die Beschwerdegegnerin rückwirkend
auf den 1. Januar 2012 bestätigte und den Beschwerdeführer zur Rückerstattung
der zu Unrecht bezogenen Leistungen verpflichtete. Die Beschwerde ist demnach
abzuweisen.

4. 

4.1. Da die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist, wird sie im Verfahren
nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG erledigt. Das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren ist wegen Aussichtslosigkeit
abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdeführer sind demnach die
Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

4.2. Mit diesem Entscheid in der Sache wird das Gesuch des Beschwerdeführers um
vorsorgliche Massnahmen gegenstandslos.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Departement für Finanzen und Soziales des Kantons Thurgau schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 8. Mai 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Nabold

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