Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.243/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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8C_243/2017            

 
 
 
Urteil vom 31. August 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG, Richtiplatz 1, 8304 Wallisellen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Taggeld), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug 
vom 23. Februar 2017. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1975 geborene A.________ war bis zum 31. Juli 2014 als Gerichtsschreiber
erwerbstätig gewesen und damit bei der Allianz Suisse
Versicherungs-Gesellschaft AG (nachstehend: die Allianz) gegen die Folgen von
Unfällen versichert. Vor Ende des Arbeitsverhältnisses schloss er eine
Abredeversicherung ab und war damit weiterhin bei der Allianz versichert, als
er sich am 9. November 2014 beim Fussballspielen am rechten Fuss verletzte. Die
Allianz anerkannte ihre grundsätzliche Leistungspflicht und erbrachte
Heilbehandlungsleistungen. Mit Verfügung vom 14. Oktober 2015 und
Einspracheentscheid vom 3. Mai 2016 stellte sie diese per 12. Januar 2015 ein,
da auf diesen Tag hin wieder der Zustand erreicht worden sei, wie er ohne den
Unfall bestanden hätte (Status quo sine). Gleichzeitig verneinte sie mangels
Erwerbsausfalls einen Taggeldanspruch des Versicherten. 
 
B.   
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Zug mit Entscheid vom 23. Februar 2017 ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde beantragt A.________, die Allianz sei unter Anpassung des
Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheides zu verpflichten, ihm
Taggeldleistungen im Betrag von Fr. 3'036.- zu erbringen, eventuell sei die
Sache zu einer Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Während die Allianz auf Abweisung der Beschwerde schliesst, soweit auf sie
einzutreten sei, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf einen formellen
Antrag, äussert sich aber im Sinne einer Gutheissung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.   
Es steht fest und ist unbestritten, dass der Versicherte am 9. November 2014,
mithin zu einem Zeitpunkt, in dem er nicht mehr für seinen vorhergehenden
Arbeitgeber tätig, aber weiterhin durch eine Abredeversicherung im Sinne von 
Art. 3 Abs. 3 UVG bei der Beschwerdegegnerin gegen die Folgen von Unfällen
versichert war, einen Unfall erlitten hat. Ebenso ist letztinstanzlich nicht
länger streitig, dass bezüglich dieses Unfalles am 12. Januar 2015 der Status
quo sine erreicht war und die Unfallversicherung daher ihre Leistungen auf
dieses Datum hin einstellen durfte. Streitig ist jedoch der Taggeldanspruch in
der Zeit zwischen dem Unfall und der Leistungseinstellung. Vorinstanz und
Verwaltung haben hiezu erwogen, es könne bereits deshalb kein Anspruch auf ein
Taggeld bestehen, weil der Versicherte unbestrittenermassen in dieser Zeit auch
ohne den Unfall nicht erwerbstätig gewesen wäre. 
 
3.  
 
3.1. Gemäss Art. 3 Abs. 2 UVG endet die Unfallversicherung mit dem 30. Tag
(seit 1. Januar 2017: mit dem 31. Tag) nach dem Tag, an dem der Anspruch auf
mindestens den halben Lohn aufhört. Der Versicherer hat gemäss Art. 3 Abs. 3
UVG dem Versicherten die Möglichkeit zu bieten, die Versicherung durch
besondere Abrede bis zu 180 Tagen (seit 1. Januar 2017: bis zu sechs Monaten)
zu verlängern.  
 
3.2. Ist der Versicherte infolge des Unfalles voll oder teilweise
arbeitsunfähig, so hat er nach Art. 16 Abs. 1 UVG Anspruch auf ein Taggeld.
Arbeitsunfähigkeit ist gemäss Art. 6 ATSG die durch eine Beeinträchtigung der
körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit bedingte, volle oder
teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare
Arbeit zu leisten. Die Taggelder werden in Anwendung von Art. 15 Abs. 1 UVG
nach dem versicherten Verdienst bemessen. Als versicherter Verdienst gilt dabei
der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn.  
 
3.3. Die Bemessung der Taggelder nach dem letzten vor dem Unfall bezogenen Lohn
stellte gegenüber der altrechtlichen Regelung des KUVG eine Neuerung dar: Nach
altem Recht wurde das Taggeld nicht nach diesem Lohn, sondern nach dem
mutmasslich entgangenen Verdienst berechnet. Allerdings stellte sich diese
Berechnungsmethode als für die Versicherung aufwändig heraus, musste diese doch
im Massengeschäft für jeden einzelnen Tag festlegen, wie viel die versicherte
Person mutmasslich verdient hätte. Der Systemwechsel zur neuen, sog.
"abstrakten" Bemessungsmethode wurde in erster Linie mit administrativen
Vereinfachungen, die mit der neuen Methode einhergehen, begründet (Botschaft
zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 18. August 1976, BBl 1976 III
141, S. 168; vgl. auch WALTER SEILER, Der Entwurf zu einem neuen
Unfallversicherungsgesetz, in: SZS 1977 S. 6 ff., S. 21 f. und ANDRÉ PIERRE
HOLZER, Der versicherte Verdienst in der obligatorischen Unfallversicherung,
in: SZS 2010, S. 201 ff., S. 204). Gestützt auf Art. 15 Abs. 3 UVG hat der
Bundesrat sodann in Art. 23 UVV Sonderbestimmungen zur Bemessung des
versicherten Verdienstes für das Taggeld erlassen, die vor allem dann sinnvoll
sind, wenn das Taggeld abstrakt bemessen wird.  
 
3.4. In BGE 130 V 35 ging es um einen Versicherten, der kurz nach seiner
vorzeitigen Pensionierung und damit noch in der Nachdeckungsfrist gemäss Art. 3
Abs. 2 UVG verunfallte. Das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht
(heute: Bundesgericht, I. sozialrechtliche Abteilung) erwog, eine solche Person
könne gar nicht mehr arbeitsunfähig im Sinne von Art. 16 Abs. 1 UVG (heute: im
Sinne von Art. 6 ATSG) sein, so dass auch kein Anspruch auf ein Taggeld mehr
bestehen könne. Dieser Entscheid ist in der Folge von der Lehre kritisiert
worden (GABRIELA RIEMER-KAFKA, Ein Kommentar: Urteil U 51/03 vom 29. Oktober
2003, in: SZS 2004, S. 78 ff.; UELI KIESER, Lohneinbusse als Voraussetzung von
Taggeldern der Unfallversicherung? Art. 16 Abs. 1 UVG, in: AJP 2004, S. 190
ff.). Insbesondere wurde bemängelt, er stelle eine Abkehr von der abstrakten
Bemessungsmethode der Taggelder dar.  
 
3.5. In BGE 134 V 392 präzisierte das Bundesgericht, BGE 130 V 35 habe nichts
an der grundsätzlich abstrakten Berechnungsmethode der Taggelder geändert.
Gemäss diesem Entscheid besteht daher der Taggeld-Anspruch einer Versicherten,
die in einem Zeitpunkt verunfallte, in dem sie noch erwerbstätig war,
gegebenenfalls auch über das Erreichen des ordentlichen AHV-Rentenalters
hinaus.  
 
3.6. Sinn und Zweck der Nachdeckung gemäss Art. 3 Abs. 2 UVG und der
Abredeversicherung nach Art. 3 Abs. 3 UVG ist das Vermeiden von Lücken im
Versicherungsschutz, die ohne diese Bestimmungen entstehen könnten, wenn die
versicherte Person für einen kürzeren Zeitraum (maximal ein halbes Jahr) nicht
in einem Arbeitsverhältnis steht (vgl. GABRIELA RIEMER-KAFKA, a.a.O., S. 80).
Dabei stehen für die versicherte Person naturgemäss die Geldleistungen im
Vordergrund, wäre doch jedenfalls die in der Schweiz wohnhafte Person auch ohne
diese Möglichkeit für die Heilbehandlung versichert (vgl. Art. 1a Abs. 2 lit. b
KVG). Insbesondere die Abredeversicherung würde somit weitgehend ihres Zwecks
beraubt, wenn während ihrer Dauer kein Anspruch auf Taggeld-Leistungen
entstehen könnte. Zu Recht wird daher von der Lehre vorgeschlagen, bei der
Bemessung der Taggelder die versicherte Person so zu stellen, wie wenn sie am
letzten Tag ihrer Erwerbstätigkeit verunfallt wäre (ANDRÉ PIERRE HOLZER,
a.a.O., S. 2 14). Bei Bestehen einer Abredeversicherung kann daher der Anspruch
auf ein Taggeld grundsätzlich nicht einzig mit dem Argument verneint werden,
die versicherte Person wäre auch ohne den Unfall während der Heilungsphase
nicht erwerbstätig gewesen. Etwas Abweichendes gilt nur dann, wenn feststeht,
dass sich die versicherte Person bereits vor dem Unfall endgültig aus dem
Arbeitsmarkt zurückziehen wollte, mithin im Falle einer Pensionierung.  
 
3.7. Der Versicherte war im Unfallzeitpunkt noch nicht ganz 39 Jahre alt, womit
eine mögliche Absicht zu einer vorzeitigen Pensionierung nicht ernsthaft in
Betracht fällt. Vorinstanz und Verwaltung hätten daher einen Taggeld-Anspruch
nicht mit dem Argument verneinen dürfen, er wäre zwischen dem Zeitpunkt des
Unfalles und jenem des Fallabschlusses auch ohne den Unfall nicht erwerbstätig
gewesen. Entsprechend ist die Beschwerde gutzuheissen, der Einsprache- und der
kantonale Gerichtsentscheid sind, soweit sie den Taggeld-Anspruch in der Zeit
vor dem 12. Januar 2015 betreffen, aufzuheben und die Sache ist an die Allianz
zurückzuweisen, damit diese die übrigen Anspruchsvoraussetzungen prüfe und über
den Taggeld-Anspruch des Versicherten neu entscheide. Damit erübrigt sich eine
Auseinandersetzung mit den Vorbringen des Beschwerdeführers zum
Vertrauensschutz.  
 
4.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 BGG). Die Gerichtskosten
werden der Beschwerdegegnerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs.
1 BGG). Der in eigenem Namen prozessierende Beschwerdeführer hat keinen
Anspruch auf eine Parteientschädigung (vgl. Urteil 8C_124/2012 vom 27. August
2012 E. 7 mit weiteren Hinweisen). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 23. Februar 2017 und der
Einspracheentscheid der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG vom 3. Mai
2016 werden, soweit sie den Taggeld-Anspruch in der Zeit vor dem 12. Januar
2015 betreffen, aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die Allianz
Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG zurückgewiesen. Im Übrigen wird die
Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug und dem
Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 31. August 2017 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold 

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