Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.214/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_214/2017

Urteil vom 10. April 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Hofer.

Verfahrensbeteiligte
Öffentliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt, Hochstrasse 37, 4053 Basel,
vertreten durch das Amt für Wirtschaft und Arbeit, Kantonale Amtsstelle für
Arbeitslosenversicherung, Rechtsdienst, Hochstrasse 37, 4053 Basel,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Basel-Stadt vom 23. November 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1968 geborene A.________ war seit Oktober 1993 bei der B.________ tätig. Am
16. März 2015 kündigte diese das Arbeitsverhältnis fristlos. A.________ erhob
dagegen Beschwerde. Am 16. Juli 2015 stellte er Antrag auf
Arbeitslosenentschädigung. Die öffentliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt
verfügte am 10. August 2015 eine Wartezeit von 15 Tagen ab 16. Juli 2015 und am
14. September 2015 die Einstellung in der Anspruchsberechtigung von 42 Tagen ab
15. Juli 2015. Die gegen die Einstellung gerichtete Einsprache sistierte das
Amt für Wirtschaft und Arbeit am 27. Oktober 2015. In den Monaten Oktober und
November 2015 richtete die Arbeitslosenkasse dem Versicherten
Arbeitslosenentschädigungen aus. Mit Entscheid vom 7. Dezember 2015 hiess die
Personalrekurskommission die gegen die fristlose Entlassung erhobene Beschwerde
gut. Die B.________ kündigte das Arbeitsverhältnis daraufhin am 16. Dezember
2015 ordentlich auf den 31. März 2016. Mit Verfügung vom 4. April 2016 forderte
die Arbeitslosenkasse von A.________ die ausgerichteten Taggeldleistungen im
Betrag von insgesamt Fr. 10'599.35 zurück, da er von März 2015 bis Ende März
2016 aufgrund des gutgeheissenen Rekurses den vollen Lohn bezogen habe. Daran
hielt sie mit Einspracheentscheid vom 22. Juni 2016 fest.

B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt hiess die von A.________
erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 23. November 2016 gut und hob den
Einspracheentscheid vom 22. Juni 2016 auf.

C. 
Die Arbeitslosenkasse erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 2 BGG). Die Beschwerde hat u.a.
die Begehren und deren Begründung mit Angabe der Beweismittel zu enthalten,
wobei in der Begründung in gedrängter Form - unter Bezugnahme auf und in
Auseinandersetzung mit den entscheidenden vorinstanzlichen Erwägungen (BGE 138
I 171 E. 1.4 S. 176) - darzulegen ist, inwiefern der angefochtene Akt Recht
verletzt (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem
sie die von der Arbeitslosenkasse gegenüber dem Versicherten verfügte
Rückforderung von zu viel bezogenen Taggeldleistungen in Höhe von Fr. 10'599.35
aufgehoben hat.

Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen zu den Voraussetzungen
des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung, insbesondere jene eines
anrechenbaren Arbeitsausfalls (Art. 8 Abs. 1 lit. b AVIG) sowie zur
Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalls (Art. 11 AVIG) zutreffend dargelegt. Darauf
wird verwiesen. Richtig wiedergegeben ist auch, dass die Kasse gemäss Art. 29
Abs. 1 AVIG Arbeitslosenentschädigung auszahlt, wenn sie begründete Zweifel
darüber hat, ob der Versicherte für die Zeit des Arbeitsausfalls gegenüber
seinem bisherigen Arbeitgeber Lohn- oder Entschädigungsansprüche im Sinne von
Art. 11 Abs. 3 AVIG hat oder ob sie erfüllt werden. Mit der Zahlung gehen alle
Ansprüche des Versicherten samt dem gesetzlichen Konkursprivileg im Umfang der
ausgerichteten Taggeldentschädigung auf die Kasse über. Diese darf auf die
Geltendmachung nicht verzichten, es sei denn, das Konkursverfahren werde durch
das Konkursgericht eingestellt. Die Ausgleichsstelle kann die Kasse überdies
ermächtigen, auf die Geltendmachung zu verzichten, wenn sich nachträglich
zeigt, dass der Anspruch offensichtlich unberechtigt ist oder sich nur mit
übermässigen Kosten durchsetzen lässt (Art. 29 Abs. 2 AVIG).

3.

3.1. Die Vorinstanz erwog unter Hinweis auf BGE 114 V 336, entgegen der
Auffassung der Verwaltung stehe es nicht im freien Ermessen der
Arbeitslosenkasse, Art. 29 AVIG anzuwenden, wenn sie begründete Zweifel über
das Bestehen oder die Durchsetzbarkeit von arbeitsvertraglichen Ansprüchen hat.
Vielmehr werde diese in einem solchen Fall gesetzlich angewiesen, die
Entschädigung auszuzahlen. Dies müsse auch dann gelten, wenn die Kasse
derartige Zweifel nicht habe, nach den konkreten tatsächlichen und rechtlichen
Gegebenheiten aber hätte haben müssen. Nach den Feststellungen des kantonalen
Gerichts wusste die Arbeitslosenkasse im April 2015, dass bezüglich der
fristlosen Entlassung ein Verfahren vor der Personalrekurskommission hängig
war. Im Zeitpunkt der Anmeldung zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung sei sie
aufgrund der Angaben im Antragsformular darüber orientiert gewesen, dass ein
gerichtliches Verfahren eingeleitet worden sei. Die Kasse hätte demnach
begründete Zweifel haben müssen, ob dem Versicherten gegenüber seinem
bisherigen Arbeitgeber Lohn- oder Entschädigungsansprüche im Sinne von Art. 11
Abs. 3 AVIG zustehen.

3.2. Unter Hinweis auf BGE 137 V 362 hat die Vorinstanz weiter erwogen, bei der
Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung gestützt auf den Sonderfall von Art.
29 Abs. 1 AVIG werde unter der Voraussetzung, dass begründete Zweifel über
Ansprüche aus Arbeitsvertrag bestehen, zugunsten des Leistungsbezügers das
Anspruchsmerkmal des anrechenbaren Arbeitsausfalls im Sinne einer
unwiderlegbaren gesetzlichen Vermutung als gegeben angenommen. Die spätere
vollständige oder teilweise Erfüllung der im Bestand oder im Hinblick auf die
Realisierbarkeit mit Zweifeln behafteten Lohn- und Entschädigungsansprüche im
Sinne von Art. 11 Abs. 3 AVIG stelle keinen prozessualen Revisionsgrund dar.
Die dem Versicherten gestützt auf Art. 29 Abs. 1 AVIG ausgerichteten Leistungen
der Arbeitslosenkasse seien von diesem nicht unrechtmässig bezogen worden. Sie
könnten nicht gestützt auf Art. 25 Abs. 1 ATSG zurückgefordert werden. Art. 55
Abs. 2 AVIG regle die Rückerstattung von Insolvenzentschädigung in bewusster
Abweichung vom üblichen Rückforderungssystem, weshalb diese Bestimmung nicht
analog auf die Rückforderung von gestützt auf Art. 29 AVIG ausgerichtete
Arbeitslosenentschädigungen angewendet werden könne. Da kein
Rückforderungstitel gegenüber dem Versicherten bestehe, müsse die
Arbeitslosenkasse nach Art. 29 Abs. 1 und 2 AVIG vorgehen. Das kantonale
Gericht hiess die Beschwerde daher unter Aufhebung des Einspracheentscheids vom
22. Juni 2016 gut.

4. 
Die Beschwerdeführerin wendet ein, am 7. Dezember 2015 sei die fristlose in
eine ordentliche Kündigung mit entsprechenden Lohnzahlungen umgewandelt worden.
Zu jenem Zeitpunkt habe sie - in Unkenntnis dieses Entscheids - in den Monaten
Oktober und November 2015 Arbeitslosenentschädigungen ausgerichtet. In diesen
beiden Monaten habe der Beschwerdegegner keinen anrechenbaren Arbeitsausfall im
Sinne von Art. 11 AVIG erlitten. Nach Art. 10 Abs. 1 AVIV in Verbindung mit
Art. 11 Abs. 5 AVIG gelte, dass der bis zum Abschluss des Hauptverfahrens
erlittene Arbeitsausfall vorläufig anrechenbar sei, wenn der Versicherte gegen
die Einstellung der Lohnzahlung, die mit einem Verfahren zur Auflösung seines
Dienstverhältnisses verbunden sei, Beschwerde erhoben habe. Die Kasse zahle die
Entschädigung aus, wenn der Versicherte alle Anspruchsvoraussetzungen erfülle
und insbesondere vermittlungsfähig sei. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung gehen mit
der Zahlung die im Verfahren festgestellten oder vom Arbeitgeber anerkannten
Lohn- und Schadenersatzansprüche des Versicherten im Umfang der Entschädigung
auf die Kasse über; diese muss die Ansprüche unverzüglich beim Arbeitgeber
geltend machen. Zeigt das Beschwerdeverfahren, dass der Versicherte durch sein
Verhalten, insbesondere wegen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, dem
Arbeitgeber Anlass zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegeben hat, so
stellt ihn die Kasse in der Anspruchsberechtigung ein und fordert die zu viel
bezahlten Taggelder von ihm zurück (Art. 10 Abs. 3 AVIV). Die
Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, dass das Arbeitsverhältnis
des Versicherten mit der fristlosen Kündigung vom 16. März 2015 faktisch
geendet habe und die Kündigungsfrist Ende Juni 2015 abgelaufen sei. Ein
Verfahren nach Art. 29 AVIG habe sich daher nicht aufgedrängt.

4.1. Damit setzt sich die Beschwerdeführerin mit den vorinstanzlichen
Erwägungen nicht ansatzweise auseinander und legt nicht dar, inwiefern der
angefochtene Entscheid Recht im Sinne von Art. 95 ff. BGG verletzen könnte. Sie
zeigt auch mit keinem Wort auf, inwiefern die Anwendung von Art. 10 AVIV zu
einem anderen Ergebnis führen müsste. Solches ist im Übrigen auch nicht
ersichtlich. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, muss die Kasse
Arbeitslosenentschädigung ausrichten, wenn begründete Zweifel am Bestehen oder
an der Durchsetzbarkeit arbeitsvertraglicher Ansprüche vorhanden sind.
Begründete Zweifel sind anzunehmen, wenn die versicherte Person - wie
vorliegend der Beschwerdegegner in Bezug auf die fristlose Auflösung des
Arbeitsverhältnisses - ein arbeitsrechtliches Verfahren eingeleitet hat (THOMAS
NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, S. 2399 Rz.
451). Es bleibt daher bei der Erkenntnis des kantonalen Gerichts, dass ein
Anwendungsfall von Art. 29 AVIG vorliegt und der Arbeitslosenkasse demnach im
Sinne der Rechtsprechung gemäss BGE 137 V 362 kein Rückforderungsanspruch
gegenüber dem Versicherten zusteht.

5. 
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten
Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG ohne Durchführung eines
Schriftenwechsels, mit summarischer Begründung und unter Hinweis auf die
Erwägungen im angefochtenen Entscheid (Art. 109 Abs. 3 BGG) erledigt wird.

6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Basel-Stadt und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 10. April 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Hofer

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