Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.210/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_210/2017        

Urteil vom 22. August 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Horschik,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn,
Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Arbeitsunfähigkeit; Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 14. Februar 2017.

Sachverhalt:

A.

A.a. Die 1987 geborene A.________ litt am Geburtsgebrechen Nr. 404
(hyperkinetisches Syndrom im Rahmen eines frühkindlichen psychoorganischen
Syndroms). Die IV-Stelle des Kantons Solothurn kam für medizinische Massnahmen
auf. Weiter sprach sie der Versicherten ab 14. August 1996 bis 31. Juli 2004
Sonderschulmassnahmen zu. Mit Verfügung vom 27. Juli 2004 übernahm die
IV-Stelle die Kosten einer erstmaligen beruflichen Ausbildung zur
hauswirtschaftlichen Angestellten vom 9. August 2004 bis 8. September 2006.
Diese Massnahme brach die Versicherte im Oktober 2004 ab. Mit Verfügung vom 17.
Januar 2005 verneinte die IV-Stelle den Anspruch auf weitere berufliche
Massnahmen.

A.b. Am 12. Mai 2006 meldete sich die Versicherte bei der IV-Stelle erneut zum
Leistungsbezug an. Diese erteilte am 30. November 2006 Kostengutsprache für die
Vorbereitung auf die interne Ausbildung zur Gärtnereimitarbeiterin vom 27.
November 2006 bis 31. Juli 2007. Am 4. Mai 2007 brach die Versicherte diese
Massnahme ab. Mit Verfügung vom 9. Oktober 2007 verneinte die IV-Stelle den
Anspruch auf berufliche Massnahmen und Invalidenrente.

A.c. Am 7. Januar 2009 meldeten die Sozialen Dienste der Stadt Solothurn die
Versicherte bei der IV-Stelle zur Früherfassung an. Diese sprach ihr
Frühinterventionsmassnahmen in Form eines Einzelcoachings und eines
Aufbautrainings zu. Letzteres wurde am 24. Juni 2009 abgebrochen. Die IV-Stelle
holte u.a. ein Gutachten des Psychiaters Dr. med. B.________ vom 4. Februar
2010 ein. Mit Verfügung vom 6. Oktober 2010 verneinte sie den Rentenanspruch,
da der Invaliditätsgrad lediglich 30 % betrage.

A.d. Am 1. Juli 2013 reichte die Versicherte bei der IV-Stelle eine "Anmeldung
bzw. Wiedererwägung/Revision für IV-Leistungen" ein. Mit Vorbescheid vom 5.
März 2014 stellten diese in Aussicht, dass kein Anspruch auf berufliche
Massnahmen und Invalidenrente (Invaliditätsgrad 30 %) bestehe. In der Folge
holte die IV-Stelle u.a. ein interdisziplinäres Gutachten des Zentrums für
Medizinische Begutachtung (ZMB), MEDAS, Bern, vom 27. April 2015 ein. Mit
Vorbescheid vom 17. Juli 2015 bekräftigte die IV-Stelle denjenigen vom 5. März
2014. Mit Vorbescheid vom 25. Februar 2016 stellte sie der Versicherten ab 1.
Januar 2014 eine ganze Rente in Aussicht, wobei sie einen Invaliditätsgrad von
72 % ermittelte. Mit Schreiben vom 4. März 2016 hob sie diesen Vorbescheid auf.
Mit Verfügung vom 25. April 2016 verneinte sie den Rentenanspruch; auf die
Gesuche um prozessuale Revision und Wiedererwägung trat sie nicht ein.

B. 
Die gegen die letztgenannte Verfügung geführte Beschwerde wies das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 14. Februar 2017
ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides seien ihr die gesetzlichen
Leistungen, insbesondere eine Rente ab dem von Amtes wegen zu bestimmenden
Zeitpunkt, zu erbringen; eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die
IV-Stelle zurückzuweisen; es sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu
gewähren.
Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es -
offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten
Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art.
105 Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher
Tatsachen, die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an den
Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Bei den aufgrund
dieser Berichte getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit und bei der konkreten Beweiswürdigung geht es um
Sachverhaltsfragen (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE 141 V 585).

2. 
Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen betreffend die
Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 Abs. 2 ATSG), die Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG;
Art. 4 Abs. 1 IVG), die Invaliditätsbemessung nach der allgemeinen Methode des
Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG), die Entstehung des Rentenanspruchs (Art.
28 Abs. 2, Art. 29 Abs. 1 IVG) und die bei der Neuanmeldung analog anwendbaren
Revisionsregeln (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 134 V 131 E. 3 S. 132, 117 V 198 E.
3a) richtig dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich der Revision und
Wiedererwägung formell rechtskräftiger Verfügungen (Art. 53 Abs. 1 und 2 ATSG),
des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG), des
massgebenden Beweisgrads der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V 218 E.
6 S. 221) sowie des Beweiswerts ärztlicher Berichte (BGE 137 V 210 E. 2.2.2 S.
232, 134 V 231 E. 5.1 S. 232, 125 V 351 E. 3a und b S. 352 f.). Darauf wird
verwiesen.

3. 
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat,
indem es einen Rentenanspruch der Versicherten verneinte und die Verfügung der
IV-Stelle vom 25. April 2016 insbesondere auch insoweit geschützt hat, als
diese die Voraussetzungen einer prozessualen Revision der Verfügung vom 6.
Oktober 2010 verwarf und auf ein Gesuch um deren Wiedererwägung nicht eintrat.

3.1. Grundlage der rentenablehnenden Verfügung vom 6. Oktober 2010 war das
Gutachten des Psychiaters Dr. med. B.________ vom 4. Februar 2010. Dieser
stellte folgende Diagnose mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit:
Persönlichkeitsentwicklungs-Dysharmonie mit Verdacht auf akzentuierte
sensitiv-paranoide, narzisstische, leicht schizoide, emotional instabile
(impulsive), ängstlich vermeidende und abhängige Züge (DD: kombinierte
Persönlichkeitsstörung, noch nicht beurteilbar). Weiter führte er aus, die
Beschwerdeführerin sei in einer einfachen, ungelernten, nicht erheblich
rückenbelastenden, manuellen Tätigkeit zu 70 % arbeitsfähig.

3.2. Ausgangspunkt der hier streitigen Verfügung vom 25. April 2016 war das
interdisziplinäre (internistische, rheumatologische, psychiatrische und
neuropsychologische) ZMB-Gutachten vom 27. April 2015. Hierin wurden folgende
Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit gestellt: Emotional-instabile
Persönlichkeitsstörung, impulsiver Typ (ICD-10 F60.30) mit Exazerbationen in
Form einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichte Episode
(ICD-10 F33.00); einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (ICD-10
F90.0). Weiter führten die Gutachter aus, für sämtliche Arbeiten, die unter den
Bedingungen der freien Marktwirtschaft verrichtet werden müssten, bestehe eine
Arbeitsfähigkeit von höchstens 30 %. Im geschützten Rahmen komme höchstens ein
Einsatz im Umfang von 50 % in Frage. Der Beginn der Arbeitsunfähigkeit im
heutigen Ausmass sei auf den Eintritt der Versicherten ins Erwerbsleben
festzulegen.

4. 
Das kantonale Gericht erwog im Wesentlichen, zunächst sei eine Rentenzusprache
nach den bei der Neuanmeldung analog geltenden Revisionsregeln (Art. 17 Abs. 1
ATSG) zu prüfen. Dies setze eine Veränderung des relevanten Sachverhalts
zwischen der rentenablehnenden Verfügung vom 6. Oktober 2010 und der
angefochtenen Verfügung vom 25. April 2016 voraus. Eine solche Veränderung sei
gestützt auf das ZMB-Gutachten vom 27. April 2015 zu verneinen. Denn dieses
gehe von einem seit Eintritt der Beschwerdeführerin ins Erwerbsleben - der im
Jahre 2004 anzusetzen sei - weitgehend unveränderten Zustand aus. Die
erhebliche Abweichung vom Gutachten des Dr. med. B.________ vom 4. Februar 2010
basiere somit - wie auch Frau Dr. med. C.________, Praktische Ärztin,
Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD) der IV-Stelle, am 15. Juli 2015 festgestellt
habe - auf einer abweichenden Beurteilung des im Wesentlichen unverändert
gebliebenen Sachverhalts. Dies sei aber keine Grundlage für eine Rentenrevision
nach Art. 17 Abs. 1 ATSG. Somatischerseits hätten die ZMB-Gutachter keine
Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit gestellt, weshalb auch
insoweit kein Revisionsgrund nach Art. 17 Abs. 1 ATSG vorliege. Auf das von der
Beschwerdeführerin gestellte Gesuch um Wiedererwägung der Verfügung vom 6.
Oktober 2010 nach Art. 53 Abs. 2 ATSG sei die IV-Stelle am 25. April 2016 nicht
eingetreten. Da kein Anspruch auf Wiedererwägung bestehe, sei diese nicht
weiter zu prüfen. Hieran ändere auch eine Rechtsverweigerungsbeschwerde nichts.
Eine prozessuale Revision der Verfügung vom 6. Oktober 2010 nach Art. 53 Abs. 1
ATSG lasse sich aufgrund des ZMB-Gutachtens vom 27. April 2015 ebenfalls nicht
begründen. Denn die hierin erfolgte abweichende Würdigung der bereits bekannten
Tatsachen sei kein Grund für eine prozessuale Revision. Somit habe die
IV-Stelle den Rentenanspruch der Beschwerdeführerin zu Recht verneint.

5. 
Soweit die Beschwerdeführerin ab Seite 12 Ziff. 24 bis Seite 15 Ziff. 25 Abs. 1
der letztinstanzlichen Beschwerde wortwörtlich die vor kantonalem Gericht
vorgebrachte Argumentation wiederholt, ist darauf von vornherein nicht weiter
einzugehen (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 134 II 244 E. 2.1 und E. 2.3 S. 245 ff.;
Urteil 8C_836/2015 vom 26. Februar 2016 E. 3.4).

6.

6.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, bereits vorinstanzlich habe sie eine
Verletzung von Art. 17 ATSG geltend gemacht. Die IV-Stelle habe mit Vorbescheid
vom 25. Februar 2016 eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands anerkannt.
Hierauf sei sie gemäss dem Grundsatz von Treu und Glauben sowie dem Verbot
widersprüchlichen Verhaltens zu behaften. Tatsächlich sei eine wesentliche
Verschlechterung eingetreten, die sich auch darin zeige, dass seit dem
Gutachten des Dr. med. B.________ vom 4. Februar 2010 bis zum ZMB-Gutachten vom
27. April 2015 alle Eingliederungsmassnahmen gescheitert seien. Somit sei von
einer chronifizierten Verschlechterung auszugehen. Dr. med. B.________ habe
festgehalten, die psychischen Beeinträchtigungen seien noch nicht beurteilbar.
Die Verschlechterung der Arbeitsunfähigkeit sei auch verstärkt mit dem
Drogenkonsum zu sehen. Dazu gehörten u.a auch diverse im ZMB-Gutachten
gestellte Diagnosen.

6.2.

6.2.1. Einem Vorbescheid kommt nicht die verbindliche Wirkung wie einer
Verfügung zu, weshalb er ohne die Voraussetzungen einer prozessualen Revision
oder Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 1 f. ATSG) abgeändert werden kann. Wird in
der Verfügung zu Ungunsten der versicherten Person von dem abgewichen, was
vorbescheidweise in Aussicht gestellt wurde, verletzt dies grundsätzlich auch
Treu und Glauben nicht (Urteil 9C_874/2014 vom 2. September 2015 E. 3.2).
Demnach kann die IV-Stelle nicht auf ihrem Vorbescheid vom 25. Februar 2016
behaftet werden.

6.2.2. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf diverse im ZMB-Gutachten
gestellte Diagnosen beruft, handelt es sich um solche, denen die ZMB-Gutachter
gerade keine Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit beimassen.

6.2.3. Die ZMB-Gutachter stellten am 27. April 2015 fest, der Beginn der
Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin im heutigen Ausmass von 70 % in der
freien Marktwirtschaft und von 50 % im geschützten Rahmen sei auf ihren
Eintritt ins Erwerbsleben festzulegen. Weiter führten sie aus, die Annahme
einer 70%igen Arbeitsfähigkeit im Gutachten des Dr. med. B.________ vom 4.
Februar 2010 scheine ihnen zu hoch gegriffen. Aus ihrer Sicht habe unter den
Bedingungen der freien Marktwirtschaft zu keinem Zeitpunkt eine 70%ige
Arbeitsfähigkeit bestanden.
In diesem Lichte kam das kantonale Gericht zu Recht zum Schluss, dass das
ZMB-Gutachten vom 27. April 2015 im Vergleich mit dem Gutachten des Dr. med.
B.________ vom 4. Februar 2010 bloss eine unterschiedliche Beurteilung eines im
Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhalts beinhalte, die im
revisionsrechtlichen Kontext nach Art. 17 ATSG unbeachtlich sei (vgl. E. 4
hiervor; BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10 f.).

6.2.4. Von einer ungenügenden Auseinandersetzung der Vorinstanz mit dem
ZMB-Gutachten vom 27. April 2015 kann entgegen der Beschwerdeführerin keine
Rede sein.

7. 
Die Beschwerdeführerin wendet weiter ein, zu Unrecht sei eine prozessuale
Revision der Verfügung vom 6. Oktober 2010 nach Art. 53 Abs. 1 ASG abgelehnt
worden.

7.1. Im Rahmen von Art. 53 Abs. 1 ATSG sind Tatsachen neu, wenn sie sich bis
zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung oder des Einspracheentscheides
verwirklicht haben, jedoch dem Revisionsgesuchsteller trotz hinreichender
Sorgfalt nicht bekannt waren. Die neuen Tatsachen müssen ferner erheblich sein,
d.h. sie müssen geeignet sein, die tatbestandliche Grundlage des zur Revision
beantragten Entscheids zu verändern und bei zutreffender rechtlicher Würdigung
zu einer anderen Entscheidung zu führen. Neue Beweismittel haben entweder dem
Beweis der die Revision begründenden neuen erheblichen Tatsachen oder dem
Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt gewesen,
aber zum Nachteil der gesuchstellenden Person unbewiesen geblieben sind.
Erheblich ist ein Beweismittel, wenn anzunehmen ist, es hätte zu einem anderen
Urteil geführt, falls das Gericht resp. die Verwaltung im Hauptverfahren davon
Kenntnis gehabt hätte. Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss
der Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsfeststellung dient. Es
bedarf dazu neuer Elemente tatsächlicher Natur, welche die
Entscheidungsgrundlagen als objektiv mangelhaft erscheinen lassen (BGE 143 V
105 E. 2.3 S. 107 mit Hinweisen).

7.2.

7.2.1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, mindestens sei die Tatsache, dass sie
schon im Zeitpunkt des Gutachtens des Dr. med. B.________ vom 4. Februar 2010
in hohem Mass erwerbsunfähig gewesen sei, bekannt gewesen, aber
fälschlicherweise von diesem nicht korrekt festgehalten worden. Es sei von
einem Kunstfehler in diesem Gutachten auszugehen, der ihr nicht zum Nachteil
gereichen dürfe. Diese Argumentation steht der Anwendung von Art. 53 Abs. 1
ATSG entgegen. Denn diese Norm setzt gerade voraus, dass neue Tatsachen
entdeckt werden, die sich vor Erlass der formell rechtskräftigen Verfügung vom
6. Oktober 2010 verwirklicht haben, jedoch der Beschwerdeführerin trotz
hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren. Zudem wäre es ihr möglich und
zumutbar gewesen, gegen die Verfügung vom 6. Oktober 2010 fristgerecht den
Rechtsweg zu beschreiten (vgl. Urteil 8C_780/2016 vom 24. März 2017 E. 8.4).

7.2.2. Im Weiteren basiert das ZMB-Gutachten vom 27. April 2015 lediglich auf
einer anderen medizinischen Sachverhaltswürdigung. Gegenteiliges macht die
Beschwerdeführerin nicht substanziiert geltend. Demnach stellt es kein
Beweismittel dar, das eine prozessuale Revision rechtfertigen würde (siehe E.
7.1 hiervor).

7.2.3. Unbehelflich ist der pauschale Einwand der Beschwerdeführerin, allein
schon wegen ihrer verminderten Intelligenz habe sie einen Rentenanspruch.

8.

8.1. Die Beschwerdeführerin wendet weiter ein, die Voraussetzungen für eine
Wiedererwägung der Verfügung vom 6. Oktober 2010 nach Art. 53 Abs. 2 ATSG seien
erfüllt. Entgegen der Vorinstanz sei die IV-Stelle mit Verfügung vom 25. April
2016 auf ihr Wiedererwägungsgesuch eingetreten. Dies ergebe sich allein schon
aus den diversen Stellungnahmen des RAD, insbesondere der Frau Dr. med.
C.________ vom 15. Juli 2015. Hierin habe sie die Wiedererwägung mindestens
sinngemäss zu ihren Gunsten gutgeheissen. Am 21. Oktober 2015 habe Frau Dr.
med. C.________ sodann festgehalten, der Vorbescheid vom 17. Juli 2015 sei im
Sinne der Ausführungen im ZMB-Gutachten vom 27. April 2015 zu ihrer
Arbeitsunfähigkeit zu ändern. Nach Treu und Glauben bedeute dies, dass die
IV-Stelle die Wiedererwägungsvoraussetzungen materiell geprüft habe. Somit sei
ihre Verfügung vom 25. April 2016 ein anfechtbarer Entscheid.

8.2. Die Verwaltung hat der versicherten Person das Nichteintreten nach
summarischer Prüfung in einfacher Briefform ohne Rechtsmittelbelehrung und in
der Regel ohne eingehende Begründung mitzuteilen. Sie kann weder vom
Betroffenen noch vom Gericht zu einer Wiedererwägung nach Art. 53 Abs. 2 ATSG
verhalten werden. Es besteht mithin kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch
auf Wiedererwägung. Auf eine Beschwerde gegen ein Nichteintreten auf ein
Wiedererwägungsgesuch kann das Gericht nicht eintreten (BGE 133 V 50 E. 4.1 S.
52, E. 4.2.1 S. 54 und E. 4.3 S. 56; SVR 2008 IV Nr. 54 S. 179, I 896/06 E. 3.1
f. und E. 4.1; Urteil 8C_196/2015 vom 4. August 2015 E. 4.1).
Mit der Wiederanmeldung bei der IV-Stelle vom 1. Juli 2013 verlangte die
Beschwerdeführerin nicht nur eine Prüfung der Wiedererwägung, sondern auch der
Revision der IV-Leistungen. Die IV-Stelle hatte somit auch die Revisionsfrage
abzuklären und zu beurteilen. Dass Frau Dr. med. C.________ in diesem Rahmen
auch zur Wiedererwägungsfrage Stellung nahm, ist nicht entscheidrelevant.
Massgebend ist vielmehr, dass dem Nichteintreten der IV-Stelle in der
strittigen Verfügung vom 25. April 2016 eine äusserst summarische Verfügung
zugrunde lag. Sie führte nämlich lediglich aus, sie sehe keine Veranlassung,
auf die formell rechtskräftigen Verfügungen zurückzukommen. Auf das
Wiedererwägungsgesuch werde deshalb in einfacher Briefform nicht eingetreten.
Von einem Eintreten der IV-Stelle auf das Rückkommensgesuch, d.h. von dessen
materieller Behandlung und einem erneut ablehnenden Sachentscheid, kann unter
diesen Umständen keine Rede sein (vgl. auch SVR 2008 IV Nr. 54 E. 4.1). Auf die
Beschwerde ist in diesem Punkt somit nicht einzutreten, was bereits die
Vorinstanz - die gemäss Dispositiv ihres Entscheids auf deren Abweisung
erkannte - hätte tun müssen.

9. 
Insgesamt ist es weder bundesrechts- noch EMRK-widrig noch beruht es auf einer
offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung, wenn das kantonale Gericht
die Verneinung des Rentenanspruchs durch die IV-Stelle bestätigte. Eine
vorinstanzliche Verletzung der Begründungspflicht (hierzu vgl. BGE 138 I 232 E.
5.1 S. 237) liegt entgegen der Beschwerdeführerin nicht vor.
Da von weiteren medizinischen Abklärungen keine entscheidrelevanten Ergebnisse
zu erwarten sind, durfte darauf verzichtet werden. Dies verstösst weder gegen
den Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG) noch gegen den Grundsatz der
Waffengleichheit (Art. 6 EMRK) noch gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör
bzw. Beweisabnahme (Art. 29 Abs. 2 BV) oder das Gebot eines fairen Verfahrens
nach Art. 9 BV bzw. Art. 6 Ziff. 1 EMRK (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 136
I 229 E. 5.3 S. 236; nicht publ. E. 6 des Urteils BGE 141 V 585, in SVR 2016 IV
Nr. 33 S. 102 E. 6; Urteil 8C_153/2017 vom 29. Juni 2017 E. 8). Von
willkürlicher Beweiswürdigung der Vorinstanz kann keine Rede sein.
Nach dem Gesagten erübrigt sich die Prüfung der von der Beschwerdeführerin
aufgeworfenen Frage nach der Höhe des hypothetisch erzielbaren
Invalideneinkommens.

10. 
Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1
BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihr gewährt werden (Art. 64 BGG).
Sie hat der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn sie später dazu in der
Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Matthias Horschik wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. August 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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