Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.18/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_18/2017

Urteil vom 4. Mai 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Betschart.

Verfahrensbeteiligte
Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), Direktion, Arbeitsmarkt/
Arbeitslosenversicherung, TCRV, Holzikofenweg 36, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

 A.________,
vertreten durch Advokat Philippe Zogg,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Rückerstattung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Basel-Stadt vom 21. November 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________ erhielt wegen eines Unfalls Taggelder der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (Suva). Mit Schreiben vom 4. Dezember 2013 teilte
die Suva ihm mit, er sei zu mindestens 50 % arbeitsfähig, daher werde ihm bis
31. Dezember 2013 das volle und ab 1. Januar 2014 das halbe Taggeld ausbezahlt.
Am 23. Dezember 2013 ersuchte A.________ bei der Unia Arbeitslosenkasse (im
Folgenden: Kasse) um Arbeitslosenentschädigung, wobei er angab, zu 50 %
arbeitsfähig zu sein. In der Folge richtete die Kasse Arbeitslosentaggelder
aus. Per 15. April 2015 meldete sich A.________ von der Arbeitsvermittlung ab.
Mit Rückforderungsverfügung vom 24. September 2015 forderte die Kasse zu viel
ausgerichtete Taggelder in der Höhe von insgesamt Fr. 2'593.75 von A.________
zurück. Seine Einsprache gegen diese Verfügung wies die Kasse mit Entscheid vom
6. November 2015 ab.

B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt hiess die dagegen
gerichtete Beschwerde mit Entscheid vom 21. November 2016 insofern gut, als sie
den Einspracheentscheid teilweise aufhob und A.________ verpflichtete, der
Kasse Fr. 2'007.10 zurückzuerstatten.

C. 
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) führt gegen diesen Entscheid
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt dessen
Aufhebung sowie die Bestätigung der ursprünglichen Rückforderung der Kasse von
Fr. 2'593.75.
 A.________ und das Sozialversicherungsgericht schliessen auf
Beschwerdeabweisung.

Erwägungen:

1. 
Die Legitimation des SECO zur Einreichung der Beschwerde ergibt sich aus Art.
89 Abs. 2 lit. a BGG in Verbindung mit Art. 102 Abs. 2 AVIG. Die übrigen
Voraussetzungen für das Eintreten auf die Beschwerde sind ebenfalls erfüllt.

2. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art.
105 Abs. 2 BGG). Unter Berücksichtigung der Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG) prüft es nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen
Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236; 138 I 274
E. 1.6 S. 280).

3. 
Im Streit steht vorliegend eine Rückerstattungsforderung für zu viel
ausbezahlte Arbeitslosenentschädigung. Die Kasse hatte diese auf Fr. 2'593.75
beziffert. Zu prüfen ist, ob die Vorinstanz den Betrag zu Recht auf Fr.
2'007.10 herabgesetzt hat.

3.1. Nach Art. 95 Abs. 1 AVIG in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 ATSG sind
unrechtmässig bezogene Leistungen zurückzuerstatten. Zu Unrecht bezogene
Geldleistungen, die auf einer formell rechtskräftigen Verfügung beruhen,
können, unabhängig davon, ob die zur Rückforderung Anlass gebenden Leistungen
förmlich oder formlos verfügt worden sind, nur zurückgefordert werden, wenn
entweder die für die Wiedererwägung (wegen zweifelloser Unrichtigkeit und
erheblicher Bedeutung der Berichtigung) oder die für die prozessuale Revision
(wegen vorbestandener neuer Tatsachen oder Beweismittel) bestehenden
Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 53 ATSG; BGE 130 V 318 E. 5.2 in fine S.
320; 129 V 110 E. 1.1; Urteil 8C_652/2015 vom 17. Mai 2016 E. 3, publ. in: SVR
2016 ALV Nr. 11 S. 29).

3.2. Hier steht eine Wiedererwägung zur Diskussion. Gemäss Art. 53 Abs. 2 ATSG
kann der Versicherungsträger auf formell rechtskräftige Verfügungen oder
Einspracheentscheide nur zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und
wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist.

3.2.1. Voraussetzung einer Wiedererwägung ist einerseits dass kein vernünftiger
Zweifel an der Unrichtigkeit der Verfügung (gemeint ist hiermit immer auch ein
allfälliger Einspracheentscheid) besteht, also nur dieser einzige Schluss
denkbar ist. Dieses Erfordernis ist in der Regel erfüllt, wenn eine
Leistungszusprache aufgrund falscher Rechtsregeln erfolgt ist oder wenn
massgebliche Bestimmungen nicht oder unrichtig angewandt worden sind. Ob dies
zutrifft, beurteilt sich nach der bei Erlass der Verfügung bestandenen Sach-
und Rechtslage, einschliesslich der damaligen Rechtspraxis (BGE 140 V 77 E. 3.1
S. 79 f. mit Hinweisen; BGE 125 V 383 E. 3 S. 389; Urteil 8C_629/2016 vom 16.
Januar 2017 E. 2.1.2).

3.2.2. Andererseits setzt die Wiedererwägung voraus, dass die Berichtigung der
zweifellos unrichtigen Verfügung von erheblicher Bedeutung ist. Massgebend für
die Beantwortung dieser Frage sind nach der Rechtsprechung die gesamten
Umstände des Einzelfalls, zu denen auch die Zeitspanne gehört, die seit der zu
Unrecht erfolgten Leistungsgewährung verstrichen ist (Urteile 9C_828/2008 vom
25. Februar 2009 E. 6; C 205/00 vom 8. Oktober 2002 E. 5, nicht publ. in: BGE
129 V 110; C 44/02 vom 6. Juni 2002 E. 3b). Eine allgemeingültige betragliche
Grenze lässt sich allerdings nicht festlegen. Bei periodischen Leistungen wird
die Erheblichkeit praktisch immer bejaht, während bei punktuellen Leistungen
die Grenze praxisgemäss bei einigen hundert Franken liegt (vgl. Urteil 9C_828/
2008 vom 25. Februar 2009 E. 6; Urteil C 205/00 vom 8. Oktober 2002 E. 5, nicht
publ. in: BGE 129 V 110, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; UELI KIESER,
ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 58 zu Art. 53 und N. 22 zu Art. 49 ATSG;
gemäss Urteil 9C_1094/2009 vom 31. Mai 2010 E. 3.6, publ. in: SVR 2010 AHV Nr.
12 S. 42, liegt ein Betrag von Fr. 1'020.60 noch an der unteren Grenze dessen,
was in der Rechtsprechung als von erheblicher Bedeutung qualifiziert wird).

4. 

4.1. Bezüglich der Rückforderung der in den Kontrollperioden Januar und Juni
2014 zu viel bezogenen Arbeitslosenentschädigungen (Fr. 461.65 bzw. Fr.
1'545.45) kann auf die zutreffenden und unbestrittenen Ausführungen im
angefochtenen Entscheid verwiesen werden. Streitig ist dagegen, ob der
Zwischenverdienst, den der Versicherte in den Monaten Oktober 2014 bis Januar
2015 erzielt hatte, korrekt angerechnet wurde.

4.2.

4.2.1. Gemäss Art. 24 Abs. 1 AVIG gilt als Zwischenverdienst jedes Einkommen
aus unselbstständiger oder selbstständiger Erwerbstätigkeit, das der
Arbeitslose innerhalb einer Kontrollperiode erzielt. Nach der Rechtsprechung
ist bei der Berechnung des Zwischenverdiensts - wie bei der Ermittlung des
versicherten Verdiensts (vgl. dazu BGE 125 V 42 E. 8 S. 50; Urteil 8C_467/2015
vom 14. September 2015 E. 6.2.2) - insbesondere die zusätzlich zum Grundlohn
ausgerichtete Feiertagsentschädigung zu berücksichtigen, wobei die Anrechnung
in dem Monat zu erfolgen hat, in dem sie zur Auszahlung kommt (vgl. BGE 125 V
42 E. 8 S. 50; Urteile 8C_467/2015 vom 14. September 2015 E. 6.2.2 mit Hinweis;
C 256/00 vom 16. März 2000 E. 4). Ferienentschädigungen, die der Versicherte
als Lohnzuschlag erhält, sind dagegen bei der Bemessung des versicherten
Verdiensts in dem Monat zu berücksichtigen, in dem die Ferien tatsächlich
bezogen werden, und sind beim Zwischenverdienst entsprechend miteinzubeziehen (
BGE 125 V 42 E. 4b S. 48; Urteile 8C_467/2015 vom 14. September 2015 E. 6.2.1;
C 256/99 vom 16. März 2000 E. 4). Diese Grundsätze werden auch in den
Verwaltungsweisungen des SECO, AVIG-Praxis, ALE, wiedergegeben (s. dort C125
und C149 ff.; Stand Januar 2013).

4.2.2. Aus den Bescheinigungen zum Zwischenverdienst der Monate Oktober 2014
bis Januar 2015 ergibt sich, dass dem Versicherten nebst dem Grundlohn jeweils
auch eine Feiertags- und eine Ferienentschädigung ausgerichtet worden war. In
den Abrechnungen dieser Kontrollperioden hatte die Kasse aber nebst der (nicht
anzurechnenden) Ferienentschädigung fälschlicherweise auch die
Feiertagsentschädigung nicht berücksichtigt und folglich jeweils einen zu
tiefen Zwischenverdienst eingesetzt. Des Weiteren hatte der Versicherte vom 22.
bis 28. Dezember 2014 Ferien bezogen, doch hatte die Kasse die erarbeitete
Ferienentschädigung im Dezember 2014 zunächst nicht an den Zwischenverdienst
angerechnet. Der aus diesen Unterlassungen resultierende Rückforderungsbetrag
beträgt insgesamt Fr. 586.65. Mit Blick auf die eben dargelegte Rechtsprechung
erweisen sich die ursprünglichen Abrechnungen für die Monate Oktober 2014 bis
Januar 2015 als zweifellos unrichtig im Sinne von Art. 53 Abs. 2 ATSG, während
die Höhe des Rückforderungsanspruchs von der Kasse zutreffend ermittelt wurde.

4.2.3. Die Vorinstanz erachtete die anfängliche Berechnung des
Zwischenverdiensts ohne Berücksichtigung der Feiertags- und Ferienentschädigung
nicht als offensichtlich falsch, weil die Kasse dabei nicht massgebliche
Gesetzesbestimmungen, sondern Verwaltungsweisungen nicht angewandt habe. Diese
dienten indes lediglich der Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben, hätten
keinen Gesetzescharakter und seien nur für die Verwaltung verbindlich. Daher
falle die Rückforderung dieser zu Unrecht ausgerichteter
Arbeitslosenentschädigung ausser Betracht. Allerdings übersieht die Vorinstanz
zum einen, dass die Verwaltungsweisungen des SECO mit der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichts übereinstimmen und diese Rechtspraxis (wie in
E. 3.2.1 gezeigt) bei der Beurteilung der zweifellosen Unrichtigkeit zu
beachten ist. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend festhält, korrigierte die
Kasse die Abrechnungen somit nicht nur aufgrund von verwaltungsinternen
Vorgaben, sondern wendete gleichzeitig die massgebenden Bestimmungen und die
relevante Rechtsprechung an. Zum andern blendet die Vorinstanz aus, dass
Verwaltungsweisungen auch von den Gerichten in der Entscheidfindung zu
berücksichtigen sind, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht
werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen, und dass
die Gerichte nicht ohne triftigen Grund von Verwaltungsweisungen abweichen
sollen, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben
darstellen (BGE 141 V 139 E. 6.3.1 S. 145 f. mit Hinweisen). Dass vorliegend
Anlass bestünde, von den Weisungen abzuweichen, zeigt die Vorinstanz jedoch
nicht auf und ist auch anderweitig nicht ersichtlich.

4.3. Das kantonale Gericht liess für die Kontrollperiode Oktober 2014 bis
Januar 2015 offen, ob die Wiedererwägungsvoraussetzung der Erheblichkeit der
Berichtigung gegeben sei, während es dieses Kriterium bei den im Januar und
Juni 2014 zu viel ausgerichteten Leistungen in der Höhe von Fr. 461.65 bzw. Fr.
1'545.45 bejahte. Für die Beurteilung der Erheblichkeit ist jedoch nicht auf
die einzelnen Teilbeträge abzustellen, ansonsten dieses Kriterium bei jedem
einzelnen Anteil separat geprüft werden müsste. Dies wäre insbesondere dann
nicht praktikabel, wenn sich eine Rückforderung aus mehreren Teilbeträgen
zusammensetzt, die je für sich die Erheblichkeitsschwelle nicht überschreiten.
Massgebend ist daher die Gesamtsumme von Fr. 2'593.75, die als erheblich zu
werten ist.

4.4. Der angefochtene Entscheid erweist sich damit als bundesrechtswidrig und
ist in Gutheissung der Beschwerde in allen Teilen (vgl. Art. 68 Abs. 5 BGG)
aufzuheben.

5. 
Bei diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdegegner die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Basel-Stadt vom 21. November 2016 wird aufgehoben und der
Einspracheentscheid der Unia Arbeitslosenkasse vom 6. November 2015 bestätigt.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Basel-Stadt und der Unia Arbeitslosenkasse, Bern, schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 4. Mai 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Betschart

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