Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.184/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_184/2017        

Urteil vom 13. Juli 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Frésard, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Fürsprecher Frank Goecke,
Beschwerdeführer,

gegen

VAUDOISE ALLGEMEINE,
Versicherungs-Gesellschaft AG,
Place de Milan, 1007 Lausanne,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 5. Januar 2017.

Sachverhalt:

A. 
Der 1963 geborene A.________ war seit 2005 bei der B.________ AG als
Getränkeauslieferant angestellt und damit bei der VAUDOISE ALLGEMEINE,
Versicherungs-Gesellschaft AG (nachfolgend Vaudoise), obligatorisch
unfallversichert. Am 26. November 2012 stürzte er in die ungesicherte Öffnung
eines Reparaturschachts. Die erstbehandelnden Ärzte des Spitals C.________
diagnostizierten im Bericht vom 27. November 2012 eine Schulterluxation rechts
nach ventral-kaudal mit Abrissfraktur des Tuberculum majus und minus. Am 28.
November 2012 erfolgte in diesem Spital eine Osteosynthese am proximalen
Humerus rechts. Die Vaudoise kam für die Heilbehandlung und das Taggeld auf.
Sie holte Arztberichte ein und veranlasste eine Observation des Versicherten,
die zwischen dem 8. November 2013 und 21. Juni 2014 stattfand (Bericht vom 21.
Juli 2014). Mit Verfügung vom 8. Mai 2015 verneinte sie eine Leistungspflicht
für die psychischen Beschwerden des Versicherten, da sie nicht adäquat
unfallkausal seien. Seine Einsprache wies sie mit Entscheid vom 13. Juli 2015
ab.

B. 
Hiergegen erhob der Versicherte beim Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich Beschwerde. Er legte diverse neue Arztberichte auf. Die Vaudoise reichte
am 30. März 2016 das im Auftrag der IV-Stelle des Kantons Zürich erstellte
polydisziplinäre Gutachten des Swiss Medical Assessment- and Business-Centers
(SMAB), Bern, vom 12. August 2015 ein. Der Versicherte legte Stellungnahmen zu
diesem Gutachten des Psychiaters FMH Dr. med. D.________ vom 21. Februar 2016
und des Orthopädischen Chirurgen FMH Dr. med. E.________ vom 4. April 2016
sowie diverse Berichte des Spitals C.________ auf. Mit Entscheid vom 5. Januar
2017 wies das kantonale Gericht die Beschwerde ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der
Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides seien ihm gesetzliche
Leistungen aus dem Unfall vom 26. November 2012 zu erbringen; eventuell sei die
Sache zur weiteren Abklärung an die Vaudoise zurückzuweisen.

Die Vaudoise schliesst auf Beschwerdeabweisung. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).
 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.

2.1. Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen betreffend den für
die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers (Art. 6 UVG)
erforderlichen natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem
Gesundheitsschaden (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111 f., 129 V 177 E. 3.1 f. S. 181)
sowie die erforderliche Adäquanz des Kausalzusammenhangs bei psychischen
Unfallfolgen (BGE 115 V 133) richtig dargelegt. Gleiches gilt bezüglich des
Beweiswerts von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232, 125 V 351 E. 3a S.
352) und des massgebenden Beweisgrads der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE
138 V 218 E. 6 S. 221). Darauf wird verwiesen.

2.2. Zu ergänzen ist, dass der Unfallversicherer den Fall unter Einstellung von
Heilbehandlung und Taggeld sowie Prüfung des Anspruchs auf Invalidenrente und
Integritätsentschädigung abzuschliessen hat, wenn von der Fortsetzung der
ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes mehr
erwartet werden kann und allfällige Eingliederungsmassnahmen der
Invalidenversicherung abgeschlossen sind (Art. 19 Abs. 1 UVG; BGE 134 V 109 E.
4.1 S. 113). Die Besserung bestimmt sich namentlich nach Massgabe der zu
erwartenden Steigerung oder Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, soweit
unfallbedingt beeinträchtigt, wobei die durch weitere Heilbehandlung zu
erwartende Besserung ins Gewicht fallen muss. Unbedeutende Verbesserungen
genügen nicht. Diese Frage ist prospektiv zu beurteilen (RKUV 2005 Nr. U 557 S.
388, U 244/04 E. 3.1; Urteil 8C_285/2016 vom 22. Juli 2016 E. 7.1).
Die Prüfung der Adäquanz, d.h. der Fallabschluss, ist bei Anwendung der Praxis
gemäss BGE 115 V 133 in jenem Zeitpunkt vorzunehmen, in dem von der Fortsetzung
der auf die somatischen Leiden gerichteten ärztlichen Behandlung keine namhafte
Besserung des Gesundheitszustandes mehr erwartet werden kann (BGE 134 V 109 E.
6.1 S. 116; Urteil 8C_170/2015 vom 29. September 2015 E. 5.2).

3.

3.1. Strittig und zu prüfen ist, ob die vom kantonalen Gericht bestätigte
Verneinung der Leistungspflicht der Vaudoise standhält. Für die Beurteilung der
Streitsache in zeitlicher Hinsicht massgebend ist der Sachverhalt, wie er sich
bis zum Erlass des Einspracheentscheides vom 13. Juli 2015 verwirklicht hat (
BGE 134 V 392 E. 6 S. 397; Urteil 8C_847/2015 vom 2. September 2016 E. 1.3).

3.2. Das kantonale Gericht erwog im Wesentlichen, der Unfall des
Beschwerdeführers vom 26. November 2012 sei als mittelschwer im Grenzbereich zu
den leichten Unfällen einzustufen. Von den sieben Adäquanzkriterien nach BGE
115 V 133 E. 6c/aa S. 140 seien lediglich zwei zu bejahen, nämlich körperliche
Dauerschmerzen sowie Grad und Dauer der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit.
Da sie nicht besonders ausgeprägt erfüllt seien, habe die Vaudoise die adäquate
Unfallkausalität der psychischen Beschwerden zu Recht verneint.

4. 
Der Beschwerdeführer beruft sich auf einen Bericht des Dr. med. E.________ vom
6. März 2017. Hierbei handelt es sich, da erst nach dem angefochtenen
Gerichtsentscheid entstanden, um ein unzulässiges echtes Novum (Art. 99 Abs. 1
BGG; BGE 140 V 543 E. 3.2.2.2 S. 548; Urteil 8C_92/2017 vom 20. März 2017 E.
5.3).
Soweit der Beschwerdeführer neu den von diversen Ärzten verfassten, allgemein
zugänglichen Aufsatz <Posttraumatische "frozen shoulder"> auflegt, ist dies
zulässig (nicht publ. E. 2.3 des Urteils BGE 136 V 395, in SVR 2011 KV Nr. 5 S.
20, 9C_334/2010).

5.

5.1. Der Beschwerdeführer rügt zu Recht, dass das kantonale Gericht auf 10
Seiten seines Entscheides die relevanten medizinischen Akten bloss aufgelistet
hat, ohne in der Folge eine Wertung derselben vorzunehmen. Vielmehr ist es ohne
Begründung davon ausgegangen, bei ihm liege bloss ein psychischer
Gesundheitsschaden vor, dessen adäquate Unfallkausalität zu klären sei. Es hat
aber nicht geprüft, ob beim Beschwerdeführer daneben ein anspruchsrelevanter
somatischer Gesundheitsschaden besteht. Dies hat es unterlassen, obwohl diverse
Arztberichte hierzu Anlass gegeben hätten, wie sich aus Folgendem ergibt:
Im Bericht vom 5. November 2013 diagnostizierte Dr. med. F.________, Facharzt
FMH für Neurologie, Oberarzt, Klinik für Plastische Chirurgie und
Handchirurgie, Spital C.________, eine posttraumatische/postoperative
Schultersteife rechts. Im Bericht vom 15. September 2015 diagnostizierten Dr.
med. G.________, Leitender Arzt, und Assistenzarzt H.________, Klinik für
Unfallchirurgie, Spital C.________, unter anderem eine posttraumatische frozen
shoulder rechts sowie ein progredientes zervikospondylogenes Schmerzsyndrom
rechts. Weiter führten sie aus, die intensive physiotherapeutische Übung habe
nicht zum erhofften Erfolg geführt. Dennoch werde dem Beschwerdeführer die
Physiotherapie zur Erhaltung der Restbeweglichkeit empfohlen. Ansonsten seien
die Behandlungsmöglichkeiten aus unfallchirurgischer Sicht leider ausgeschöpft.
Dr. med. E.________ legte in der Stellungnahme vom 4. April 2016 dar, hier gehe
es im Wesentlichen um eine posttraumatische Schultersteife bzw.
posttraumatische adhäsive Kapsulitis. Im Bericht vom 1. Juli 2016 erneuerte PD
Dr. med. I.________, Leitender Arzt, Institut für Anästhesiologie, Spital
C.________, die im obgenannten Bericht vom 15. September 2015 gestellte
Diagnose.
Praxisgemäss handelt es sich bei der frozen shoulder grundsätzlich um einen
organisch objektiv nachweisbaren Gesundheitsschaden (Urteile 8C_372/2010 vom 8.
September 2010 E. 6.2 und 8C_595/2009 vom 17. November 2009 E. 5.1.2).

5.2. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, ein Endzustand als
Voraussetzung des Fallabschlusses nach Art. 19 Abs. 1 UVG sei noch nicht
erreicht gewesen (vgl. E. 2.2 hiervor). Zu dieser Frage hat sich das kantonale
Gericht ebenfalls nicht geäussert. Insbesondere hat es die umfangreiche
medizinische Aktenlage trotz einlässlicher Wiedergabe keiner näheren Würdigung
unterzogen, namentlich nicht im Hinblick darauf, ob ("prospektiv") im Mai 2015
mit weiterer Heilbehandlung noch eine namhafte Steigerung der Arbeitsfähigkeit
möglich gewesen wäre. Insofern fehlt es im angefochtenen Gerichtsentscheid an
den bundesrechtlich verlangten Feststellungen der massgebenden Gründe (vgl.
Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG sowie Urteil 8C_298/2016 vom 30. November 2016 E.
5.1). Davon konnte mit Blick auf die von der Rechtsprechung umschriebenen
Voraussetzungen des Fallabschlusses (vgl. E. 2.2 hiervor) und die gebotene
Rechtsanwendung von Amtes wegen (BGE 122 V 34 E. 2b S. 36; Urteil 8C_228/2017
vom 14. Juni 2017 E. 4.1.5) auch deshalb nicht abgesehen werden, weil die
betreffende Frage in der Beschwerde an die Vorinstanz nicht ausdrücklich
aufgeworfen worden war.

5.3. Unter diesen Umständen ist der Sachverhalt auch für eine einwandfreie
Adäquanzprüfung nicht hinreichend abgeklärt (BGE 135 V 465 E. 5.1 S. 472). Die
Vorinstanz hat denn auch hinsichtlich des von ihr bejahten Kriteriums des
Grades und der Dauer der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit bloss pauschal
und ohne Verweis auf konkrete Arztberichte ausgeführt, dieses sei insofern
nicht einfach zu bestimmen, als sich in den medizinischen Akten nur sehr wenig
verwertbare Angaben dazu fänden und bereits ab April 2013 auch psychische
Beeinträchtigungen eine namhafte Rolle gespielt hätten. Auch diesbezüglich ist
die Vorinstanz dem Untersuchungsgrundsatz nicht nachgekommen.

6. 
Nach dem Gesagten hält der angefochtene Gerichtsentscheid wegen Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 138 V 218 E. 6 S. 221) und
unzulänglicher Begründung (Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG) vor Bundesrecht nicht
stand. Die Vorinstanz wird die medizinische Aktenlage einer eigenen Würdigung
zu unterziehen, sich auch zum Beweiswert der verschiedenen Arztberichte zu
äussern und die allenfalls erforderlichen Ergänzungen zu veranlassen haben.
Soweit sie dabei auf das von der Vaudoise eingereichte SMAB-Gutachten vom 12.
August 2015 abzustellen gedenkt, das sich im angefochtenen Gerichtsentscheid
ebenfalls zusammengefasst wiedergegeben findet, wird sie sich namentlich mit
den dagegen schon im vorinstanzlichen Verfahren erhobenen Einwänden zu befassen
haben.

7. 
Die unterliegende Beschwerdegegnerin trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs.
1, Art. 68 Abs. 2 BGG; BGE 141 V 281 E. 11.1 S. 312).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 5. Januar 2017 wird
aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 13. Juli 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Frésard

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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