Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.181/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_181/2017        

Urteil vom 21. Juni 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt Meier,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Rückerstattung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 20. Januar 2017.

Sachverhalt:

A.

A.a. Der 1958 geborene A.________ bezog seit 1. Februar 1997 eine halbe Rente
der Invalidenversicherung wegen den Folgen eines bei einer Heckauffahrkollision
erlittenen Schleudertraumas der Halswirbelsäule (HWS; Verfügung vom 20.
November 1998). Anlässlich eines Revisionsgesuchs vom 18. Juni 2001 sprach ihm
die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Verfügung vom 5. Dezember 2001 rückwirkend
per 1. Juni 2001 eine ganze Rente zu. Im Rahmen einer Rentenrevision von Amtes
wegen im Jahre 2008 klärte sie aufgrund eines Hinweises der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (Suva) die medizinische und berufliche Situation
vertieft ab und ordnete im März 2009 eine Observation des Versicherten an. Dies
führte zur Sistierung der Rente am 19. November 2009 und zur Einreichung einer
Strafanzeige gegen A.________ am 5. Januar 2010. Gestützt auf das überdies
veranlasste Gutachten der Medizinischen Begutachtungsstelle des Medizinischen
Zentrums Römerhof (MZR) vom 9. Mai 2011 sprach ihm die IV-Stelle in Aufhebung
der bisherigen Rentenleistungen unter dem Titel der prozessualen Revision vom
1. Februar bis 31. Dezember 1997, vom 1. September 1999 bis 31. Mai 2000 und
vom 27. Februar bis 7. April 2001 eine halbe Rente zu. Ferner hob sie die
bisher vom 1. Januar 1998 bis 1. September 1999, vom 1. Juni 2000 bis 27.
Februar 2001 und ab 7. April 2001 zugesprochenen Renten auf (Verfügung vom 9.
September 2011). Mit Verfügung vom 28. Juli 2011 hatte der Unfallversicherer
bereits die bisher ausgerichtete Rente rückwirkend auf den 1. Juni 2006
aufgehoben und Fr. 108'702.30 zurückgefordert. Am 16. November 2011 forderte
die IV-Stelle ihrerseits zu Unrecht bezogene Rentenleistungen in der Höhe von
Fr. 596'283.- verfügungsweise zurück. Die von A.________ gegen die beiden
Verfügungen erhobenen Beschwerden hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich nach Vereinigung der Verfahren teilweise gut, indem es in
Abänderung der Verfügung vom 9. September 2011 die Rentenleistungen rückwirkend
per 1. Juni 2001 (Zeitpunkt der Meldepflichtverletzung) aufhob und in
Abänderung der Verfügung vom 16. November 2011 den Anspruch auf Rückerstattung
auf Fr. 524'713.- festsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerden ab (Entscheid
vom 30. Mai 2014). Diesen Entscheid bestätigte das Bundesgericht
letztinstanzlich mit Urteil 8C_626/2014 vom 6. Januar 2015.

A.b. Die IV-Stelle des Kantons Zürich erliess am 21. Mai 2015 ein mit
"Verfügung" betiteltes und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenes
Schreiben, worin sie ausführte, diese Verfügung ersetze diejenige vom 16.
November 2011; gestützt auf den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts und
das diesen bestätigende Urteil des Bundesgerichts werde A.________
verpflichtet, die ihm vom Juni 2001 bis 30. November 2009 zu viel bezahlten
Rentenleistungen in der Höhe von Fr. 524'713.- zurückzuerstatten.

B. 
Auf die dagegen erhobene Beschwerde mit der Einrede der bereits getilgten
Forderung auf Rückerstattung trat das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich nicht ein (Entscheid vom 20. Januar 2017).

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei das
Sozialversicherungsgericht zu verpflichten, auf die Beschwerde einzutreten und
materiell zu entscheiden.
Es wurde kein Schriftenwechsel durchgeführt.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist (Art. 97 Abs.
1 BGG) oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht.

2. 
Streitig ist, ob das kantonale Gericht zu Recht auf die Beschwerde vom 22. Juni
2015 nicht eingetreten ist.

3.

3.1. Die Vorinstanz begründete ihr Nichteintreten damit, dass mit dem Urteil
des Bundesgerichts 8C_626/2014 vom 6. Januar 2015 der geltend gemachte
Rückerstattungsanspruch bereits rechtskräftig beurteilt worden sei. Einer
Neubeurteilung der Frage hinsichtlich Zulässigkeit und Höhe der Rückforderung
stehe daher das Prozesshindernis der abgeurteilten Sache entgegen. Dem als
"Verfügung" bezeichneten Schreiben vom 21. Mai 2015 der IV-Stelle komme daher
lediglich Aufforderungscharakter zu, die Rückerstattungssumme zu begleichen;
eine anfechtbare Verfügung liege damit nicht vor. Die materiellen Vorbringen
des Beschwerdeführers würden den Vollzug der Rückforderung betreffen, für deren
Beurteilung das angerufene Gericht nicht zuständig sei, da sie
schuldbetreibungsrechtlicher Natur seien. Weiter hätte der Beschwerdeführer die
Behauptung der bereits getilgten Forderung nicht erst jetzt, sondern in den
früheren Verfahren vorbringen müssen.

3.2. Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, es liege keine reine
Vollzugsverfügung vor. Beschwerdeweise habe er im kantonalen Gerichtsverfahren
beantragt, es sei festzustellen, dass der Rückforderungsanspruch der
Beschwerdegegnerin durch den im April 2008 erhaltenen Regressbetrag im Umfang
von Fr. 924'919.70 getilgt sei. Anfechtungsgegenstand sei die Verfügung vom 21.
Mai 2015 und Streitgegenstand sei die Höhe der Rückforderung bzw. deren Tilgung
durch die aktenkundige Regresszahlung an die IV-Stelle gewesen. Weder im
kantonalgerichtlichen Entscheid vom 30. Mai 2014 noch im Bundesgerichtsurteil
vom 6. Januar 2015 sei der mit Schreiben vom 6. März 2015 gegenüber der
IV-Stelle gestellte Antrag, die Regressleistungen seien anzurechnen, beurteilt
worden. Beim Rückforderungsanspruch der IV-Stelle nach Art. 25 ATSG liege eine
res iudicata vor, nicht aber bei der Frage der Gegenforderung des
Beschwerdeführers mit Antrag auf Feststellung der Tilgung der Schuld durch
Anrechnung des Regressbetrages von Fr. 924'919.70, da hierüber noch nicht
befunden worden sei. Die Vorinstanz sei daher zu verpflichten, hierüber
materiell zu entscheiden. Durch den Umstand, dass die Vorinstanz auf die
Beschwerde vom 22. Juni 2015 nicht eingetreten sei, habe sie den Anspruch auf
rechtliches Gehör und die bundesrechtlichen Verfahrensregeln nach Art. 61 ATSG
verletzt. Sie habe ihr Ermessen überschritten, indem sie eine mit einer
Rechtsmittelbelehrung versehene Verfügung als nicht anfechtbar erklärt habe.
Sein Vertrauen in die Rechtsmittelbelehrung der Verwaltungsverfügung vom 21.
Mai 2015 sei zu schützen. Durch zu hohe Anforderungen an die
Eintretensvoraussetzungen verstosse das kantonale Gericht überdies gegen das
Willkürverbot.

4.

4.1. Dass ein Verwaltungsakt die Umsetzung eines zuvor ergangenen
Gerichtsentscheids zum Inhalt hat, steht dem Verfügungscharakter grundsätzlich
nicht entgegen. Oftmals bedürfen rechtsgestaltende oder -feststellende
Gerichtsentscheide den Erlass einer weiteren Verfügung (SVR 2011 IV Nr. 28 S.
80, 9C_641/2010 E. 3.1). Hier kommt dem Verwaltungsakt vom 21. Mai 2015 die
Eigenschaft einer Verfügung im Rechtssinne (Art. 5 VwVG) aber nicht zu. Darin
ist eine reine Umsetzung des gerichtlich Angeordneten im Sinne eines Vollzugs
des Bundesgerichtsurteils zu sehen, denn einer Konkretisierung - beispielsweise
in zeitlicher oder masslicher Hinsicht - bedurfte es nicht mehr. Die Berufung
des Beschwerdeführers auf sein Vertrauen in die Rechtsmittelbelehrung des
Verwaltungsaktes vom 21. Mai 2015 geht daher fehl.

4.2. Selbst wenn das behördliche Schreiben vom 21. Mai 2015 als Verfügung zu
qualifizieren wäre, stünde der Anfechtbarkeit dieser den Gerichtsentscheid
vollziehenden Verfügung die Rechtskraft des bundesgerichtlichen Urteils 8C_626/
2014 vom 6. Januar 2015 entgegen, welches abschliessend die Höhe der
Rückforderung festlegte und dem Versicherten ordnungsgemäss eröffnet worden
war. Denn eine Verfügung, die einen in Rechtskraft erwachsenen
Gerichtsentscheid umsetzt, kann nur soweit angefochten werden, als die gerügte
Rechtswidrigkeit in der neuen Verfügung selbst begründet ist (SVR 2011 IV Nr.
28 S. 80, 9C_641/2010 E. 3). Daraus folgt, dass die Rückerstattungsfrage auch
im betraglichen Umfang nicht mehr Streitgegenstand des gegen die Verfügung vom
21. Mai 2015 gerichteten kantonalen Beschwerdeverfahrens bilden konnte. Daher
wäre nur der Einwand zulässig, das Verfügte weiche vom zuvor gerichtlich
rechtskräftig Entschiedenen ab, was nicht vorgebracht wird. Schliesslich ist
der Einwand der Schuldentilgung durch seitens der IV-Stelle erhaltene
Regressleistungen im April 2008 verspätet, nachdem das letztinstanzliche Urteil
8C_626/2014 vorliegt. Dieser wäre, wie die Vorinstanz zutreffend ausführte, in
den vorangegangenen Gerichtsverfahren vorzubringen gewesen. Indem die
Vorinstanz auf die vorinstanzliche Beschwerde nicht eintrat, hat sie weder
willkürlich gehandelt noch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt oder
sonstwie bundesrechtswidrig entschieden. Die Beschwerde ist unbegründet.

5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Kosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. Juni 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Polla

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