Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.179/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_179/2017        

Urteil vom 30. Juni 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kreso Glavas,
Beschwerdeführer,

gegen

Arbeitslosenkasse des Kantons Thurgau, Langfeldstrasse 53a, 8510 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Einstellung in der Anspruchsberechtigung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
25. Januar 2017.

Sachverhalt:

A. 
Der 1974 geborene A.________ war ab 1. August 2011 als Operator und Spediteur
für die B.________ AG tätig. Am 21. Januar 2016 löste die B.________ AG das
Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung per 31. März 2016 auf, wobei als
Kündigungsgrund "Nichtanpassungsfähigkeit" genannt wurde. A.________ meldete
sich daraufhin am 28. Januar 2016 zur Arbeitsvermittlung an und stellte am 1.
April 2016 Antrag auf Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung. Die
Arbeitslosenkasse des Kantons Thurgau verfügte am 9. August 2016 die
Einstellung in der Anspruchsberechtigung für die Dauer von 31 Tagen ab 1. April
2016 wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit. Daran hielt sie auf Einsprache
hin fest (Einspracheentscheid vom 20. Oktober 2016).

B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies die dagegen erhobene Beschwerde
ab (Entscheid vom 25. Januar 2017).

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es seien ihm Versicherungsleistungen "ohne Einstelltage" zu
gewähren; eventualiter sei die Streitsache zu weiteren Abklärungen an die
Arbeitslosenkasse zurückzuweisen.

Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42
Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern
allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE
141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann
eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) -
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen zur Einstellung in der
Anspruchsberechtigung zufolge selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit (Art. 30
Abs. 1 lit. a AVIG), namentlich wenn das Verhalten des Versicherten dem
Arbeitgeber Anlass zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegeben hat (Art. 44
Abs. 1 lit. a AVIV), sowie zur verschuldensabhängigen Dauer der Einstellung
(Art. 30 Abs. 3 Satz 3 AVIG in Verbindung mit Art. 45 Abs. 3 AVIV) zutreffend
wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

3. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz die Einstellung in der
Anspruchsberechtigung zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung wegen
selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit im Umfang von 31 Tagen zu Recht bestätigt
hat.

Dabei gelten als Rechtsfragen die gesetzlichen und praxisgemässen Regeln über
die Einstellung in der Anspruchsberechtigung (Art. 30 AVIG). Zu prüfen ist
insbesondere eine falsche Rechtsanwendung. Feststellungen über innere oder
psychische Tatsachen, wie beispielsweise was jemand wollte oder wusste, sind
Tatfragen (BGE 130 IV 58 E. 8.5 S. 62; nicht publ. E. 3.1 f. des Urteils BGE
133 V 640; Urteil 8C_958/2008 vom 30. April 2009 E. 3). Die Beachtung des
Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 43 Abs. 1
bzw. Art. 61 lit. c ATSG sind Rechtsfragen. Die konkrete Beweiswürdigung stellt
eine Tatfrage dar (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil 8C_165/2015
vom 20. Mai 2015 E. 3 mit Hinweisen), wobei das Bundesgericht grundsätzlich an
den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt gebunden ist (E. 1 hiervor).

3.1. Ein Selbstverschulden im Sinne der Arbeitslosenversicherung liegt vor,
wenn und soweit der Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht objektiven Faktoren
zuzuschreiben ist, sondern in einem nach den persönlichen Umständen und
Verhältnissen vermeidbaren Verhalten der versicherten Person liegt, für das die
Arbeitslosenversicherung die Haftung nicht übernimmt (ARV 1998 Nr. 9 S. 41, C
334/95 E. 2b; 1982 Nr. 4 S. 37, C 50/81 E. 1a; Urteil 8C_12/2010 vom 4. Mai
2010 E. 2.2 mit Hinweis; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in:
Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 2514 Rz. 835 ff.; GERHARD
GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz [AVIG], Bd. I [Art.
1-58], 1988, N. 8 zu Art. 30 AVIG). Die Einstellung in der
Anspruchsberechtigung setzt keine Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus
wichtigem Grund gemäss Art. 337 bzw. Art. 346 Abs. 2 OR voraus. Es genügt, dass
das allgemeine Verhalten der versicherten Person Anlass zur Kündigung gegeben
hat; Beanstandungen in beruflicher Hinsicht müssen nicht vorgelegen haben (BGE
112 V 242 E. 1 S. 245 mit Hinweisen).

3.2. Eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung kann jedoch nur verfügt
werden, wenn das dem Versicherten zur Last gelegte Verhalten in beweismässiger
Hinsicht klar feststeht (BGE 112 V 242 E. 1 S. 245; ARV 2012 S. 294, 8C_872/
2011; SVR 2006 ALV Nr. 15 S. 51, C 223/05 E. 1; je mit Hinweisen; NUSSBAUMER,
a.a.O. N. 837 S. 2515). Das vorwerfbare Verhalten muss zudem nach Art. 20 lit.
b des Übereinkommens Nr. 168 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über
Beschäftigungsförderung und den Schutz gegen Arbeitslosigkeit vom 21. Juni 1988
vorsätzlich erfolgt sein, wobei Eventualvorsatz genügt (BGE 124 V 234 E. 3a und
b S. 236; ARV 2012 S. 294, 8C_872/2011 E. 4.1 mit Hinweisen). Eventualvorsatz
liegt vor, wenn die versicherte Person vorhersehen kann oder damit rechnen
muss, dass ihr Verhalten zu einer Kündigung durch den Arbeitgeber führt, und
sie dies in Kauf nimmt (NUSSBAUMER, a.a.O. N. 837 S. 2515 mit Hinweisen).

4. 
Aufgrund der - insoweit - unbestrittenen vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellungen fanden im Januar 2016 Einigungsversuche für im Juli
oder August 2016 geplante Ferien statt, nachdem der Versicherte und zwei
weitere Mitarbeiter des gleichen Teams zur selben Zeit Ferien beziehen wollten.
Die Arbeitgeberin räumte dem Beschwerdeführer und einem weiteren Mitarbeiter
mit Schreiben vom 21. Januar 2016 bis am 28. Januar 2016 Zeit für eine
gemeinsame Einigung bezüglich Ferienbezug ein. Für den Fall der Nichteinigung
drohte sie ihnen die Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter Einhaltung der
Kündigungsfrist infolge Missachtung von Arbeitgeber-Richtlinien an.

Nach den Erwägungen des kantonalen Gerichts ist dem Beschwerdeführer
vorzuwerfen, dass er keinerlei Kompromissbereitschaft gegenüber den Kollegen
und der Arbeitgeberin gezeigt und die Annahme des Schreibens vom 21. Januar
2016 verweigert habe. Es sei unbestritten, dass er das Schreiben gelesen und
die Relevanz der Situation habe einschätzen können. Dennoch habe er sich
geweigert, mit den Kollegen einen Kompromiss zu finden. Damit habe er der
Arbeitgeberin Anlass zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegeben. Durch sein
Verhalten habe er in gravierender Weise zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses
beigetragen. Für die Arbeitgeberin sei insbesondere in Berücksichtigung der
Auswirkungen auf das Betriebsklima die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit
ihm nicht weiter tragbar gewesen.

5.

5.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Sachverhaltsermittlung des
kantonalen Gerichts sei unvollständig, falsch und willkürlich. Der angefochtene
Entscheid stütze sich namentlich auf die unbelegte Behauptung der Kasse, wonach
die Anwesenheit zweier von drei Mitarbeitern im Betrieb aus unternehmerischer
Sicht zwingend notwendig gewesen wäre. Bereits aus dem Umstand, dass der
Vorgesetzte, Herr C.________, anlässlich des Einigungsgesprächs im Januar 2016
vorgeschlagen habe, der Versicherte solle vom 11. bis 31. Juli 2016 und Herr
D.________ vom 18. Juli bis 7. August 2016 Ferien beziehen, ergebe sich, dass
auch die gleichzeitige Abwesenheit von zwei Mitarbeitern möglich und gewollt
gewesen sei. Herrn D.________ sei nach dem Gespräch der Ferienbezug bewilligt
worden, während er und Herr E.________ aufgefordert worden seien, gemeinsam
eine Lösung zu suchen. Es sei verständlich, dass er das
Kündigungsandrohungsschreiben (vom 21. Januar 2016) mit einer letzten Frist, um
sich mit Herrn E.________ über die Ferien zu einigen, nicht unterzeichnet habe.
Er habe zwar weiterhin eine Einigung suchen wollen, doch aufgrund der
gescheiterten Einigungsgespräche sei er der Ansicht gewesen, dass die
Vorgesetzten die Ferien zu bestimmen hatten oder zumindest (unter den
Mitarbeitern) hätten vermitteln müssen. Indem die Arbeitgeberin ihre
diesbezügliche Weisungspflicht nicht wahrgenommen habe, sei Art. 329c OR
verletzt worden und der vorinstanzliche Entscheid sei als willkürlich zu
qualifizieren.

5.2. Entgegen der Ansicht des Versicherten ist die Behauptung der
Beschwerdegegnerin, wonach gemäss Vorschrift der Arbeitgeberin jeweils nur ein
Mitarbeiter pro Team Ferien beziehen dürfe, nicht unbelegt geblieben. Dies
lässt sich vielmehr direkt den Richtlinien der Arbeitgeberin, unterschrieben
vom Beschwerdeführer am 25. November 2014, entnehmen, die den Verfahrensakten
beiliegen. Auch in der Kündigungsandrohung der B.________ AG vom 21. Januar
2016, welche der Beschwerdeführer unstrittig zur Kenntnis genommen, aber nicht
unterschrieben hatte, wird aus den Richtlinien zitiert: "Die Ferienbezüge
müssen untereinander abgesprochen werden, da pro Team jeweils nur ein
Mitarbeiter abwesend sein darf.". Die Arbeitgeberin signalisierte aber in den
Einigungsgesprächen Bereitschaft, im fraglichen Zeitraum nicht nur einem,
sondern sogar zwei Mitarbeitern den Ferienbezug gleichzeitig zu ermöglichen.
Dieses Entgegenkommen kann nicht als Pflichtverletzung der Arbeitgeberin
qualifiziert werden. Denn damit hatte sie vielmehr in Nachachtung von Art. 329c
Abs. 2 OR auf die Wünsche ihrer Arbeitnehmer soweit Rücksicht genommen, als
dies mit den Interessen des Betriebes vereinbar war. Der Beschwerdeführer
verkennt, dass sie ihr Weisungsrecht sehr wohl wahrnahm, indem sie dem einen
Mitarbeiter die Ferien bewilligte und von den anderen zwei Mitarbeiterin die
Entscheidung verlangte, wie sie sich dementsprechend bezüglich Datum und Länge
der Ferien einrichteten, um sicherzustellen, dass mindestens ein Mitarbeiter
des Teams im Betrieb anwesend gewesen wäre. Indem ihm die Zugeständnisse der
Arbeitgeberin bewusst sein mussten, nahm er durch seine Verweigerung einer
weiteren Gesprächsbereitschaft am 21. Januar 2016 die Kündigung des
Arbeitsverhältnisses, welche ihm im Übrigen an jenem Tag explizit angedroht
worden war, in Kauf.

5.3. Auf die Dauer der Einstellung in der Anspruchsberechtigung geht der
Versicherte letztinstanzlich nicht ein, sodass sich Weiterungen dazu erübrigen
(vgl. E. 1 hiervor).

6. 
Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz zutreffend auf ein fehlerhaftes Verhalten
des Versicherten geschlossen, das geeignet war, zur Kündigung der Anstellung
durch die Arbeitgeberin zu führen. Ihre Beweiswürdigung ist unter dem
Blickwinkel der eingeschränkten Kognition (E. 1 hiervor) weder als
bundesrechtswidrig noch als willkürlich (BGE 140 V 22 E. 7.3.1 S. 39; 135 II
145 E. 8.1 S. 153) zu beanstanden. Die Vorinstanz verletzte weder den
Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG) noch die Begründungspflicht (Art.
61 lit. h ATSG). Auch eine offensichtlich unrichtige oder unvollständige
Sachverhaltsfeststellung (Art. 105 Abs. 2 BGG) liegt nicht vor.

7. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Dem Prozessausgang
entsprechend sind die Gerichtskosten vom unterliegenden Beschwerdeführer zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. Juni 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz

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