Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.177/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_177/2017

Urteil vom 10. April 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Tonia Villiger,
Beschwerdeführerin,

gegen

Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Zürcherstrasse 8, 8400 Winterthur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung
(Einstellung in der Anspruchsberechtigung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 9. Januar 2017.

Sachverhalt:

A. 
Die 1978 geborene A.________ war vom 2. Juni 2014 bis 30. April 2015 über das
Personalvermittlungsunternehmen B.________ AG für die C.________ AG als Call
Center Agent Outbound tätig. Am 9. März 2015 löste die B.________ AG das
Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist per 30.
April 2015 auf. A.________ stellte daraufhin Antrag auf
Arbeitslosenentschädigung für die Zeit ab 1. Mai 2015. Die Arbeitslosenkasse
des Kantons Zürich verfügte am 2. Juli 2015 eine Einstellung in der
Anspruchsberechtigung für die Dauer von 36 Tagen ab 1. Mai 2015 infolge
selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest
(Einspracheentscheid vom 15. September 2015).

B. 
In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde änderte das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid insoweit
ab, als es die Dauer der Einstellung auf neun Tage herabsetzte (Entscheid vom
9. Januar 2017).

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es sei von einer Einstellung in der Anspruchsberechtigung
abzusehen und die kantonale Prozessentschädigung sei neu zu regeln oder die
Sache dafür an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Es ist kein Schriftenwechsel durchgeführt worden.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann eine - für den Ausgang des Verfahrens
entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz die Einstellung in der
Anspruchsberechtigung zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung wegen
selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit zu Recht auf neun Tage festsetzte, bzw. ob
sie nicht vielmehr zufolge Fehlens eines (eventual) vorsätzlichen Verhaltens
der Versicherten von einer Einstellung in der Anspruchsberechtigung ganz hätte
absehen sollen.

3. 
Die für die Beurteilung der erhobenen Beschwerde massgebenden gesetzlichen
Bestimmungen und die von der Rechtsprechung hierzu konkretisierten Grundsätze
hat das kantonale Gericht zutreffend dargelegt, worauf verwiesen wird (vgl.
Art. 30 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 AVIG; Art. 44 Abs. 1 lit. a und Art. 45 Abs. 3
AVIV; BGE 112 V 242 E. 1 S. 244 f.; Urteil 8C_582/2014 vom 17. Januar 2015 E.
4).
Es ist einzig nochmals festzuhalten, dass eine Einstellung in der
Anspruchsberechtigung nach Art. 20 lit. b des Übereinkommens Nr. 168 der
Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über Beschäftigungsförderung und den
Schutz gegen Arbeitslosigkeit vom 21. Juni 1988 (SR 0.822.726.8; für die
Schweiz in Kraft seit dem 17. Oktober 1991, AS 1991 1914) erst zulässig ist,
wenn die gekündigte Person (zumindest) eventualvorsätzlich zu ihrer Entlassung
beigetragen hat. Eventualvorsatz ist anzunehmen, wenn die versicherte Person
vorhersehen kann oder damit rechnen muss, dass ihr Verhalten zu einer Kündigung
durch den Arbeitgeber führt, und dies in Kauf nimmt (ARV 2012 S. 294, 8C_872/
2011 E. 4.1; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, N. 837 S.
2515).

4.

4.1. Im angefochtenen Entscheid wird in tatbeständlicher Hinsicht festgestellt,
im Anschluss an ein Telefonat der Versicherten mit einem Kunden am 27. Februar
2015 sei es zu Reklamationen über ihr Verhalten und schliesslich zur Kündigung
des Arbeitsverhältnisses gekommen. Im vom Kunden am gleichen Tag des Gesprächs
verfassten Reklamationsschreiben habe sich dieser lediglich über den Umstand
beklagt, dass die Beschwerdeführerin ihm zunächst einen falschen Namen
angegeben habe. Überdies habe er ausgeführt, dass die Versicherte freundlich,
jedoch aufdringlich gewesen sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass sie ihn in
verbundenem Status (also vor der Trennung der telefonischen Verbindung) einen
"Tubbel" genannt habe, ansonsten er dies überwiegend wahrscheinlich in seinem
Brief erwähnt und sie nicht noch als freundlich bezeichnet hätte. Allerdings
sei der Beschwerdeführerin vorwerfbar, dass sie dem Kunden einen falschen Namen
genannt habe, weil dies die Skepsis und den Vertrauensverlust beim Kunden
gegenüber der Unternehmung, für welche sie im Einsatz gestanden sei, bewirkt
habe. An der Vorwerfbarkeit des Verhaltens ändere nichts, dass dies aus einer
spontanen Abwehrreaktion heraus - unter anderem aus Angst vor einer Kündigung -
geschehen sei. In Bezug auf die Schwere des Verschuldens sei indessen
nachvollziehbar, dass die falsche Namensnennung aus Angst vor Konsequenzen
seitens der Arbeitgeberin bei zweifelsohne gespanntem Arbeitsverhältnis erfolgt
sei. Daher erscheine die verfügte Dauer der Einstellung von 36 Tagen als nicht
angemessen. Die Einstellung sei auf neun Tage zu reduzieren, entsprechend einer
Sanktion im mittleren Bereich des leichten Verschuldens.

4.2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe das Recht
gestützt auf Art. 20 lit. b IAO-Übereinkommen und Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG
falsch angewendet und/oder einen Rechtsfehler bei der Ermessensausübung
begangen. Ausgehend von der Tatsache, dass sie ihr Verhalten, d.h. die Nennung
eines falschen Namens, aus Angst vor einer Kündigung an den Tag gelegt habe,
werde im angefochtenen Entscheid der unhaltbare rechtliche Schluss gezogen,
dieses Verhalten sei " (eventual) vorsätzlich für die Kündigung" gewesen.
Dieser Schluss sei in sich widersprüchlich und nicht stringent, da einerseits
in tatsächlicher Hinsicht ein die Kündigung vermeidendes Verhalten (Nennung des
falschen Namens) bejaht und gleichzeitig dennoch der (Eventual) vorsatz bzw.
das Selbstverschulden bejaht würden. Es sei nicht nachvollziehbar, wie jemand
eine Kündigung aktiv vermeiden und gleichzeitig herbeiführen oder in Kauf
nehmen könne und wolle. Die Versicherte habe die Kündigung verhindern wollen.
Weder habe sie gewusst noch hätte sie wissen müssen, dass sie damit die
Kündigung auslöste, geschweige denn habe sie diese in Kauf genommen. Es liege
daher kein vorwerfbares Verhalten vor. Sie habe die Kündigung nicht selbst
verschuldet, weshalb von Einstelltagen abzusehen sei. Selbst wenn es hier -
entgegen ihrer Meinung - um Tatfragen gehen würde, wäre keine
selbstverschuldete Arbeitslosigkeit anzunehmen, weil der Schluss der Vorinstanz
auf eine Inkaufnahme der Kündigung unter den gegebenen Umständen in sich
widersprüchlich, offensichtlich unrichtig und unhaltbar sei. Für den Fall, dass
das Bundesgericht befinde, die Beschwerdeführerin habe ihre Entlassung in Kauf
genommen, wäre ihr Verhalten entschuldbar, da sie im Zeitpunkt des Telefonates
aufgrund der vorgängigen, unzutreffenden Vorwürfe seitens der Arbeitgeberin
unter grossem Druck gestanden sei.

5. 
Das zur Kündigung führende Fehlverhalten der versicherten Person muss nach der
Konzeption des Art. 44 Abs. 1 lit. a AVIV in Verbindung mit Art. 30 Abs. 1 lit.
a AVIG in beweismässiger Hinsicht klar feststehen. Dies ist vorliegend der Fall
und wird von der Beschwerdeführerin auch nicht in Frage gestellt. Sie geht
selber davon aus, dass sie mit ihrem Verhalten die Kündigung ausgelöst hat.
Soweit sie jedoch argumentiert, sie habe eine Kündigung durch die falsche
Namensnennung eben gerade verhindern wollen, weshalb ihr Handeln nicht als
(eventual) vorsätzlich zu qualifizieren sei, kann ihr nicht gefolgt werden.
Auch wenn die unbestrittene Nennung eines falschen Namens anlässlich des
Kundengesprächs vom 27. Februar 2015 gemäss vorinstanzlicher Feststellung unter
anderem aus Angst vor einer Kündigung erfolgt sein mochte, bleibt ihre
Falschangabe dennoch ein Fehlverhalten, welches geeignet war, zu ihrer
Entlassung durch die Arbeitgeberin zu führen. Es liegt zudem auf der Hand, dass
ihr das unredliche Verhalten nicht erst im Nachhinein bewusst wurde, sonst
hätte sie nicht im selben Kundengespräch doch noch ihren richtigen Namen
genannt.
Die von der Beschwerdeführerin angegebene Motivation vermag somit nichts am
(Eventual) vorsatz zu ändern. Diese durfte jedoch andererseits von der
Vorinstanz bei der Ermittlung der Schwere des Verschuldens zugunsten der
Beschwerdeführerin berücksichtigt werden. Selbstverschulden ist gegeben, wenn
und soweit der Eintritt oder das Andauern der Arbeitslosigkeit nicht objektiven
Faktoren zuzuschreiben ist, sondern in einem nach den persönlichen Umständen
und Verhältnissen vermeidbaren Verhalten der versicherten Person liegt, für das
die Arbeitslosenversicherung die Haftung nicht übernimmt (ARV 2016 S. 308,
8C_556/2016 E. 4.3; NUSSBAUMER, a.a.O., N. 835 S. 2514). Für eine Abweichung
vom schweren Verschulden nach Art. 45 Abs. 4 AVIV müssen besondere Umstände im
Einzelfall gegeben sein (NUSSBAUMER, a.a.O., N. 864 S. 2524). Die
Beschwerdeführerin nennt keine stichhaltigen Gründe, weshalb das kantonale
Gericht in der falschen Namensnennung - welche zum (vorhersehbaren)
Vertrauensverlust des Kunden in die Unternehmung führte - kein
Selbstverschulden hätte sehen dürfen. Es kann ihr namentlich nicht
beigepflichtet werden, soweit sie annimmt, ein Fehlverhalten sei ihr nicht
vorwerfbar, weil dieses doch einen Versuch darstelle, eine Kündigung aktiv zu
vermeiden. Denn lässt sich die angestellte Person ein unredliches Handeln
zuschulden kommen, muss sie im Gegenteil damit rechnen, dass dieses negative
Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis nach sich zieht. Die besonderen
Umstände, insbesondere auch der damalige Druck am Arbeitsplatz, welcher für die
Angstreaktion der Versicherten mitverantwortlich war, wurden im angefochtenen
Entscheid mit der Herabsetzung auf neun Einstelltage bereits gebührend
berücksichtigt. Das kantonale Gericht hat folglich weder Recht verletzt noch
kann seine Beweiswürdigung im Rahmen des ihm dabei zustehenden Ermessens unter
dem Blickwinkel der eingeschränkten Kognition als bundesrechtswidrig oder gar
willkürlich bezeichnet werden.

6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Dem Prozessausgang
entsprechend sind die Gerichtskosten von der unterliegenden Beschwerdeführerin
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. April 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz

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