Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.172/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_172/2017  
 
 
Urteil vom 27. April 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Bundesrichterin Viscione. 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Rainer Deecke, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
11. Januar 2017 (VV.2016.74). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1986 geborene A.________ war bei der Firma B.________ als
Motorradmechaniker-Lehrling angestellt und damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (Suva) gegen die Folgen von Berufs- und
Nichtberufsunfällen versichert. Am 17. September 2003 kollidierte er mit seinem
Motorrad frontal mit einem entgegenkommenden Personenwagen. Dabei zog er sich
nebst weiteren Verletzungen ein schweres Schädel-Hirn-Tauma zu. Die Suva
erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Mit Verfügung vom 2. Juli 2007 richtete
sie dem Versicherten eine Integritätsentschädigung aufgrund einer
Integritätseinbusse von 55 % aus. Die IV-Stelle Thurgau sprach A.________ am
31. Mai 2011 verfügungsweise mit Wirkung ab 1. Juli 2004 bei einem
Invaliditätsgrad von 85 % eine ganze Invalidenrente zu. 
Für die verbliebenen Beeinträchtigungen aus dem Unfallereignis verfügte die
Suva am 28. Februar 2012 ab 1. Januar 2012 die Ausrichtung einer als
Komplementärrente berechneten Invalidenrente aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit
von 85 % und eines versicherten Jahresverdienstes von Fr. 47'468.- sowie eine
zusätzliche Integritätsentschädigung basierend auf einer Integritätseinbusse
von 5 %. Dagegen erhob der Versicherte Einsprache. Über diese wurde am 23.
November/4. Dezember 2012 ein Vergleich abgeschlossen. Gestützt darauf hielt
die Suva am 14. Dezember 2012 verfügungsweise fest, dass sie mit Wirkung ab 1.
Januar 2012 eine als Komplementärrente berechnete Invalidenrente von monatlich
Fr. 2'013.10 aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 88 % und eines versicherten
Jahresverdienstes von Fr. 47'468.- sowie eine zusätzliche
Integritätsentschädigung basierend auf einer Integritätseinbusse von 10 %
ausrichte. Die Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. 
Der von A.________ im Rahmen der Prüfung einer Rentenrevision eingereichten
Steuerbescheinigung des Sozialversicherungszentrums Thurgau für den Zeitraum
vom 1. Januar bis 31. Dezember 2014 entnahm die Suva, dass dieser seit Oktober
2013 Anspruch auf eine Kinderrente der Invalidenversicherung für seinen Sohn
Jona Bamme (* 2. Oktober 2013) hatte. Mit Verfügung vom 31. März 2015
berechnete sie daher die Komplementärrente ab 1. Oktober 2013 neu auf monatlich
Fr. 1'394.10. Gleichzeitig forderte sie für den Zeitraum vom 1. Oktober 2013
bis 30. April 2015 zu Unrecht ausgerichtete Leistungen in Höhe von Fr. 11'761.-
zurück. 
Am 31. März 2015 teilte das Sozialversicherungszentrum der Suva mit, dass
A.________ Vater einer Tochter geworden sei. Mit Verfügung vom 22. April 2015
setzte die Suva die Komplementärrente ab 1. April 2014 neu auf monatlich Fr.
775.- fest und verrechnete den zu viel ausgerichteten Rentenbetrag von Fr.
8'047.- mit der Nachzahlung der Invalidenversicherung für die Zeit vom 1. April
2014 bis 30. April 2015. 
Gegen die Verfügungen vom 31. März und 22. April 2015 erhob A.________
Einsprache. Die Suva vereinigte die Verfahren und wies die Einsprachen mit
Einspracheentscheid vom 11. Februar 2016 ab. 
Am 30. April 2015 hatte A.________ zudem ein Erlassgesuch gestellt. 
 
B.   
Die von A.________ gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht mit Entscheid
vom 11. Januar 2017 ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde beantagt A.________, der vorinstanzliche Entscheid sei
aufzuheben, und es seien bei der Bemessung der Komplementärrente zufolge
Anspruchs auf eine Kinderrente für seinen Sohn ab 1. Oktober 2013 und zufolge
Anspruchs auf eine Kinderrente für seine Tochter ab 1. April 2014 die Familien-
und Kinderzulagen zum versicherten Verdienst hinzuzuzählen, wie sie
ausgerichtet worden wären, wenn die Kinderrenten zusätzlich zur ganzen
Invalidenrente bereits im Zeitpunkt der erstmaligen
Komplementärrentenberechnung ausgerichtet worden wären. Die Rückforderung im
Betrag von Fr. 11'761.- sei aufzuheben; allenfalls sei sie nach Massgabe der
Korrekturberechnung herabzusetzen. 
Die Suva, das kantonale Gericht und das Bundesamt für Gesundheit schliessen auf
Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.   
Streitig und zu prüfen ist zunächst, ob die von der Vorinstanz bestätigte
Berechnung der Komplementärrente der Suva zutreffend ist. 
 
3.  
 
3.1. Ist der Versicherte infolge des Unfalles zu mindestens 10 % invalid, so
hat er gemäss Art. 18 Abs. 1 UVG Anspruch auf eine Invalidenrente. Die Renten
werden nach dem versicherten Verdienst bemessen (Art. 15 Abs. 1 UVG).  
 
3.1.1. Als Grundlage für die Bemessung des versicherten Verdienstes gilt der
innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn (Art. 15 Abs. 2 UVG; vgl.
auch Art. 22 Abs. 4 UVV), wobei grundsätzlich auf den nach der
Bundesgesetzgebung über die AHV massgebende Lohn abzustellen ist (vgl. Art. 22
Abs. 2 Satz 1 UVV). Art. 22 Abs. 2 lit. b UVV sieht im Vergleich zur Regelung
im AHVG für die Bemessung des massgebenden Lohnes in der Unfallversicherung
abweichend vor, dass auch Familienzulagen, die als Kinder-, Ausbildungs- oder
Haushaltszulagen im orts- oder branchenüblichen Rahmen gewährt werden, als
versicherter Verdienst gelten.  
 
3.1.2. Art. 24 UVV umschreibt den massgebenden Lohn für Renten in Sonderfällen.
Beginnt die Rente mehr als fünf Jahre nach dem Unfall oder dem Ausbruch der
Berufskrankheit, so ist der Lohn massgebend, den der Versicherte ohne den
Unfall oder die Berufskrankheit im Jahre vor dem Rentenbeginn bezogen hätte,
sofern er höher ist als der letzte vor dem Unfall oder dem Ausbruch der
Berufskrankheit erzielte Lohn (Art. 24 Abs. 2 UVV). Erleidet der Bezüger einer
Invalidenrente einen weiteren versicherten Unfall, der zu einer höheren
Invalidität führt, so ist für die neue Rente aus beiden Unfällen der Lohn
massgebend, den der Versicherte im Jahre vor dem letzten Unfall bezogen hätte,
wenn früher kein versicherter Unfall eingetreten wäre. Ist dieser Lohn kleiner
als der vor dem ersten versicherten Unfall bezogene Lohn, so ist der höhere
Lohn massgebend (Art. 24 Abs. 4 UVV).  
 
3.1.3. Im Urteil 8C_257/2013 vom 25. September 2013 hat das Bundesgericht
erwogen (E. 3.2), das System der Unfallversicherung, die Höhe der
Rentenleistungen an den versicherten Verdienst und damit an den Vorunfalllohn
und nicht an das mutmasslich entgangene Einkommen zu knüpfen, stelle einen
bewussten Entscheid des Gesetzgebers dar. Über einen solchen könne sich das
Bundesgericht auch dann nicht hinwegsetzen (vg. Art. 190 BV), wenn er im
Einzelfall zu Resultaten führe, welche als ungerecht empfunden werden könnten.
Als Gründe für diesen Entscheid des Gesetzgebers, die Renten aufgrund des
versicherten Verdienstes zu ermitteln, würden in der Lehre einerseits das
Finanzierungsverfahren und Praktikabilitätsüberlegungen, andererseits aber auch
die etwa vom Haftpflichtrecht abweichende Zielsetzung des
Unfallversicherungsrechts genannt. So werde nicht eine volle Kompensation des
durch das Unfallereignis entstandenen Schadens, sondern lediglich eine
angemessene Deckung des Erwerbsausfalles angestrebt (vgl. ANDRÉ PIERRE HOLZER,
Der versicherte Verdienst in der obligatorischen Unfallversicherung, in: SZS
2010 S. 201 ff., S. 203 f.).  
 
3.2. Hat der nach UVG rentenberechtigte Versicherte Anspruch auf eine Rente der
Invalidenversicherung (IV) oder Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV),
so wird ihm eine Komplementär rente gewährt; diese entspricht in Abweichung von
Art. 69 ATSG der Differenz zwischen 90 % des versicherten Verdienstes und der
Rente der IV oder der AHV, höchstens aber dem für Voll- und Teilinvalidität
vorgesehenen Betrag. Die Komplementärrente wird beim erstmaligen
Zusammentreffen der erwähnten Renten festgesetzt und lediglich späteren
Änderungen der für Familienangehörige bestimmten Teile der Rente der IV oder
der AHV angepasst (Art. 20 Abs. 2 UVG). Gestützt auf Art. 20 Abs. 3 UVG hat der
Bundesrat nähere Vorschriften zur Berechnung der Komplementärrenten in
Sonderfällen erlassen.  
 
3.3. Gemäss Art. 31 Abs. 1 UVV (in der hier massgebenden, vom 1. Januar 1997
bis 31. Dezember 2016 in Kraft stehenden Fassung) sind, wenn infolge eines
Unfalls eine Rente der IV neu ausgerichtet wird, bei der Berechnung der
Komplementärrente auch die Zusatz- und Kinderrenten der IV voll zu
berücksichtigen. Die Komplementärrenten werden nach Art. 33 Abs. 2 lit. a UVV
(in der hier massgebenden, vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2016 in Kraft
gestanden Fassung) den veränderten Verhältnissen angepasst, wenn Zusatz- und
Kinderrenten der AHV oder der IV dahinfallen oder neu hinzukommen. Auf den 1.
Januar 2017 wurden diese Bestimmungen dahingehend präzisiert, dass gleichartige
Renten ausländischer Sozialversicherungen den Kinderrenten der AHV oder der IV
gleichgestellt sind.  
 
3.4. In BGE 119 V 484 E. 4a S. 491 hat das Bundesgericht erwogen, dass die
Komplementärrente nach der Geburt eines Kindes geringer ausfalle oder gänzlich
wegfalle und die Gesamtleistung nicht im Umfang der zusätzlichen Kinderrente
der Invalidenversicherung steige, sei dem Umstand zuzuschreiben, dass die
Komplementärrente auf 90 % des versicherten Verdienstes begrenzt sei und die
Rente nach Art. 20 Abs. 2 UVG bei Änderungen der für Familienangehörige
bestimmten Teile der Renten der IV oder AHV anzupassen sei. Laut Bundesgericht
(BGE 119 V 484 E. 4b S. 492) entspricht es dem Willen des Gesetzgebers, dass
Veränderungen des vom Versicherten ohne den Versicherungsfall mutmasslich
erzielbaren Jahresverdienstes keinen Einfluss auf die Rente der
Unfallversicherung haben sollen. Dies habe auch zu gelten, wenn die
Komplementärrente zufolge Änderungen der für Familienangehörige bestimmten
Rententeile neu festzusetzen sei (Art. 20 Abs. 2 letzter Satz UVG). Es bestehe
kein Anlass, diesen Fall der Rentenanpassung hinsichtlich des massgebenden
Jahresverdienstes anders zu behandeln. Daran vermöge auch Art. 24 Abs. 2 UVV
nichts zu ändern. Diese Bestimmung erlaube keine Neufestsetzung des
massgebenden Lohnes bei der Anpassung von Komplementärrenten gemäss Art. 33 UVV
.  
 
3.5. In BGE 122 V 338 E. 4b S. 340 hielt das Bundesgericht fest, aus der
Regelung von Art. 20 Abs. 2 UVG sei zu schliessen, dass die Komplementärrente
beim Hinzutritt oder Wegfall von Zusatz- bzw. Kinderrenten der AHV/IV zwar neu
festzusetzen sei, jedoch auf den Berechnungsgrundlagen, wie sie beim
erstmaligen Zusammentreffen der UVG-Rente mit Renten der AHV oder der IV
bestanden haben. Für diese Lösung spreche insbesondere der Umstand, dass der
versicherte Verdienst keiner Anpassung zugänglich sei und damit in der beim
erstmaligen Zusammentreffen der Renten massgebend gewesenen Höhe in die
Berechnung einzubeziehen sei. Die hievon in Abzug zu bringenden Renten der AHV
oder IV seien daher auf dieser zeitlichen Grundlage einzusetzen. Dies gelte
auch für die neben der Hauptrente zur Ausrichtung gelangenden Kinderrenten,
unabhängig davon, ob der Anspruch hierauf schon bei Entstehung des Anspruchs
auf die Komplementärrente bestanden habe oder erst nachträglich entstanden sei.
Laut Bundesgericht lässt sich weder aus der Bundesverfassung noch aus der EMRK
eine Besitzstandsgarantie ableiten. Es bleibe auch kein Raum für eine
EMRK-konforme Auslegung von Art. 20 Abs. 2 UVG, da die Grundrechte auf Ehe und
Familiengründung nicht ihres Gehalts enthoben würden. Obwohl die Regelung dazu
führt, dass grundsätzlich unabhängig davon, ob im Rahmen der AHV oder IV
anspruchsberechtigte Kinder hinzukommen oder wegfallen, praktisch stets die
gleiche Gesamtleistung zur Ausrichtung gelangt, solange die Leistungen der AHV
oder IV den nach UVG versicherten Verdienst nicht übersteigen, sah sich das
Bundesgericht angesichts des dem Bundesrat zustehenden weiten
Ermessensspielraums nicht dazu veranlasst, eine andere Regelung zu treffen.  
 
3.6. In BGE 127 V 165 E. 4b S. 174 führte das Bundesgericht aus, nach Art. 33
Abs. 2 lit. a UVV seien hinzutretende Kinderrenten der AHV oder IV bei den
Komplementärrenten zwar zu berücksichtigen. Der versicherte Verdienst bleibe
nach der gesetzlichen Regelung jedoch auch in diesen Fällen unverändert.
Kinderzulagen, auf die erst nach Eintritt des Unfallereignisses ein Anspruch
entstanden wäre, seien im Rahmen von Art. 24 Abs. 2 UVV, welche Bestimmung
einzig die Anpassung des versicherten Verdienstes an die allgemeine
Lohnentwicklung, nicht aber an andere Änderungen in den erwerblichen
Verhältnissen bezwecke, nicht zu berücksichtigen.  
 
4.   
 
4.1. Unter Berufung auf die hiervor erwähnte Rechtsprechung schloss das
kantonale Gericht, die Suva habe zu Recht keine Kinderzulagen zum versicherten
Verdienst hinzugerechnet. Dieser belaufe sich auf Fr. 47'468, 90 % davon
entsprechen Fr. 42'721.20. Bei einer abzuziehenden Invalidenrente des
Beschwerdeführers von Fr. 18'564.- pro Jahr und der zu berücksichtigenden
Kinderrente des Sohnes von Fr. 7'428.- pro Jahr resultiere ab 1. Oktober 2013
eine Komplementärrente von jährlich Fr. 16'729.20. Nach Berücksichtigung des
Abzugs der Kinderrente für die Tochter von Fr. 7'428.- pro Jahr ergebe dies ab
1. April 2014 die vom Unfallversicherer veranschlagte Komplementärrente von Fr.
9'301.10. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die vorinstanzliche
Berechnung der Komplementärrente der dargelegten Rechtsprechung entspricht. Er
macht indessen geltend, es verstosse im Ergebnis gegen Art. 8 EMRK und Art. 13
BV (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) in Verbindung mit Art. 14
EMRK und Art. 8 Abs. 2 BV (Diskriminierungsverbot), dass er auch nach Geburt
seiner beiden Kinder von der Invalidenversicherung und der Unfallversicherung
zusammen mehr oder weniger die gleich hohen Leistungen erhalte, wie vor Geburt
dieser Kinder.  
 
4.2. Gemäss Art. 8 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres
Familienlebens. Geschützt sind tatsächlich gepflegte Beziehungen innerhalb der
Kernfamilie (Eltern, Kinder), unter Umständen auch weitere Beziehungen (z.B. zu
den Grosseltern). Die Bestimmung begründet ein Recht auf Zusammenleben und auf
persönliche Kontakte unter den Familienmitgliedern (BGE 140 I 77 E. 5.2 S. 80).
Gemäss dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fallen
Massnahmen, welche das Familienleben begünstigen und so Auswirkungen auf dessen
Gestaltung haben, in den Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK (vgl. Urteil des
EGMR in Sachen Di Trizio gegen die Schweiz [7186/09] § 61 vom 2. Februar 2016;
2C_998/2015 vom 20. September 2016 E. 4.3.1).  
 
4.3. Die Grundrechte auf Familie und Achtung des Familienlebens (Art. 13 BV und
Art. 8 EMRK) richten sich in erster Linie als Abwehrrechte gegen willkürliche
Eingriffe durch den Staat. Sie begründen nur ausnahmsweise und punktuell
verfassungsunmittelbare Leistungsansprüche (BGE 139 I 155 E. 4.2 S. 158; 134 I
105 E. 6 S. 110; Urteil 2C_998/2015 vom 20. September 2016 E. 4.5). Auch wenn
aufgrund der Nähe zwischen gelebter Familienordnung und
sozialversicherungsrechtlichen Leistungen solche Ansprüche möglicherweise das
Recht auf Schutz des Familienlebens tangieren, kann aus Art. 8 EMRK
grundsätzlich kein direkter Anspruch auf positive staatliche Leistungen, welche
die Ausübung des Familienlebens ermöglichen, abgeleitet werden. Jedoch ist bei
der Auslegung sozialversicherungsrechtlicher Leistungsnormen sowie bei der
Ermessenshandhabung den Grundrechten und verfassungsmässigen Grundsätzen
Rechnung zu tragen, soweit dies im Rahmen von Art. 190 BV, wonach Bundesgesetze
und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden
Behörden massgebend sind, möglich ist (BGE 140 I 77 E. 5.3 S. 81; 138 I 225 E.
3.5 S. 229; 134 I 105 E. 6 S. 110).  
 
4.4. Die Konventionsgarantien sind bereits aus entstehungsgeschichtlichen
Gründen (Konzeption der EMRK als Katalog von Abwehrrechten unter ausdrücklicher
Negation des Schutzes sozialer Rechte) tendenziell enger auszulegen, wenn ein
Anspruch auf staatliche Leistungen der sozialen Sicherheit im Raum steht.
Darüber hinaus gesteht der Gerichtshof den Mitgliedstaaten im Bereich der
Ausgestaltung von Systemen der sozialen Sicherheit einen weiten
Beurteilungsspielraum zu (BGE 140 I 305 E. 9.1 f. S. 315; 140 I 77 E. 8 S. 87).
Er hat auch festgehalten, dass Art. 8 EMRK den Konventionsstaaten keine
Verpflichtung auferlegt, bestimmte finanzielle Leistungen zu erbringen oder
einen bestimmten Lebensstandard zu gewährleisten. Die Bestimmung schränkt die
Freiheit der Staaten nicht ein zu entscheiden, ob sie ein System der sozialen
Sicherheit einrichten wollen oder nicht oder die Art und Höhe der Leistungen zu
bestimmen, die in einem solchen System ausgerichtet werden sollen (BGE 139 I
155 E. 4.2 S. 158; bereits erwähntes Urteil 2C_998/2015 E. 4.5).  
 
4.5. Die Kinderrente der Invalidenversicherung beträgt gemäss Art. 38 Abs. 1
Satz 1 IVG 40 % der dem massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommen
entsprechenden Invalidenrente. Damit liegen die IV-Kinderrente betraglich
deutlich über den Mindestansätzen für die Kinder- und Ausbildungszulagen gemäss
Art. 5 FamZG. Grund für diese unterschiedliche Behandlung ist der
unterschiedliche Leistungszweck der beiden Sozialversicherungszweige: Während
Familienzulagen ausgerichtet werden, um die finanzielle Belastung durch ein
oder mehrere Kinder teilweise auszugleichen (vgl. Art. 2 FamZG), bezwecken die
IV-Kinderrenten, die verbleibenden ökonomischen Folgen der Invalidität im
Rahmen einer angemessenen Deckung des Existenzbedarfs auszugleichen (vgl. Art.
1a lit. b IVG). Im Unterschied zu den Familienzulagen sollen somit die
IV-Kinderzulagen die finanzielle Belastung nicht nur teilweise ausgleichen,
sondern den Existenzbedarf des Kindes grundsätzlich voll abdecken. Entsprechend
dieser Zielsetzung werden die Kinderrenten in Anwendung von Art. 38bis Abs. 1
IVG wegen "Überentschädigung" gekürzt, soweit sie zusammen mit der Rente des
Vaters oder derjenigen der Mutter 90 % des für diese Rente jeweils massgebenden
durchschnittlichen Jahreseinkommens übersteigen (zu den Ausnahmen von dieser
Kürzung bei sehr tiefen Renten vgl. Art. 38bis Abs. 2 IVG i.V.m. Art. 33bis
Abs. 1 IVV und Art. 54bis Abs. 2 AHVV). Vor diesem Hintergrund zeigt sich im
vorliegenden Fall weder eine Diskriminierung noch eine anderweitige Verletzung
der BV oder der EMRK. Vielmehr scheint es folgerichtig, wenn das
Komplementärrentensystem nur jenen versicherten Personen die relativ hohen
Kinderrenten zukommen lässt, denen einzig eine Rente der IV zusteht, nicht aber
jenen, die aufgrund ihres Rentenanspruchs gegenüber der Unfallversicherung
Leistungen in annähernd der Höhe ihres existenzsichernden Einkommens vor dem
Unfall beziehen. Würde man anders entscheiden und die erst nach dem Unfall
entstehenden Kinderrenten bei der Berechnung der Komplementärrente übergehen,
zöge dies in vielen Fällen eine Überentschädigung der entsprechenden
versicherten Personen nach sich.  
 
4.6. Der Beschwerdeführer macht geltend, Familienzulagen, die im Zeitpunkt des
Unfalls bereits ausbezahlt wurden, würden in die Bemessung des versicherten
Verdienstes einbezogen, während der versicherte Verdienst nach dem Unfall auch
bei der Geburt von Kindern nicht angepasst werde. In der Tat gelten
Familienzulagen, die als Kinder-, Ausbildungs- oder Haushaltszulagen im orts-
und branchenüblichen Rahmen gewährt werden, nach Art. 22 Abs. 2 lit. b UVV als
versicherter Verdienst. Soweit ersichtlich, hat sich das Bundesgericht bis
anhin noch nie zur Gesetz- und Verfassungsmässigkeit dieser Bestimmung äussern
müssen, obwohl im Schrifttum Zweifel an der Systemkonformität dieser Regelung
geäussert wurden (vgl. ANDRÉ PIERRE HOLZER, a.a.O., S. 209). Die Frage braucht
indessen auch vorliegend nicht abschliessend geprüft zu werden. Zum einen
gehört es zum Wesen jeder Versicherung, dass die Deckung nach Eintritt des
befürchteten Ereignisses nicht neu begründet oder erhöht werden kann. Ausnahmen
von diesem Rückwärtsversicherungsverbot bräuchten eine gesetzliche Grundlage
(vgl. Urteil 8C_257/2013 vom 25. September 2013 E. 3.2). Zum andern stammt die
Regel, wonach Familienzulagen zum versicherten Verdienst zu rechnen sind,
offenkundig noch aus einer Zeit, als die Ausrichtung von solchen Zulagen auch
für erwerbstätige Personen nicht selbstverständlich war. Somit sollten
Personen, welche vor dem Unfall Kinderzulagen bezogen hatten, dafür entschädigt
werden, dass sie durch den Unfall dieses Privilegs beraubt wurden. Diese Regel
verfolgt aber nicht unmittelbar den Zweck, das Familienleben zu fördern oder in
die persönlichen oder familiären Verhältnisse einzugreifen. Dies gilt umso
mehr, als der Anspruch auf Familienzulagen für ein Kind unabhängig davon
besteht, ob einem Elternteil eine UVG-Rente ausbezahlt wird und ob in die
Rentenberechnung Kinderzulagen eingeflossen sind oder nicht (vgl. auch THOMAS
FLÜCKIGER, Koordinations- und verfahrensrechtliche Aspekte bei den Kinder- und
Ausbildungszulagen, in: Bundesgesetz über die Familienzulagen [FamZG], St.
Gallen 2009, S. 161 ff., S. 192). Somit fällt diese Regelung nicht in den
Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK oder von Art. 13 BV. Damit kann sie auch
nicht gegen Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 8 EMRK verstossen.  
 
4.7. Anzumerken bleibt in diesem Zusammenhang noch ein Doppeltes: Zum einen
geht der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde stillschweigend davon aus, ohne
den Unfall hätte er nach der Geburt seiner Kinder Anspruch auf Familienzulagen
gehabt. Ob diese Annahme zutrifft, kann indessen ohne nähere Kenntnis der
Erwerbs- und Wohnsituation der jeweiligen Kindesmutter und weiterer
persönlicher Verhältnisse des Versicherten, seiner Kinder und deren Mütter
(vgl. Art. 7 FamZG) nicht beurteilt werden. Zum andern ist auch, wie das BAG in
seiner Vernehmlassung zutreffend ausführt, nicht bekannt, ob aktuell nicht
andere Personen als der am Recht stehende Versicherte - etwa die Kindesmütter -
für seine Kinder Familienzulagen beziehen. Somit steht auch nicht fest, ob
aufgrund des Unfalls für die Kinder geringere Familienzulagen ausbezahlt
werden, als dies ohne den Unfall der Fall wäre.  
 
4.8. Zusammenfassend verstösst die vorinstanzliche Berechnung der
Komplementärrente nicht gegen Bundesrecht, insbesondere weder gegen die BV noch
gegen die EMRK.  
 
5.   
Der Beschwerdeführer macht geltend, entgegen den vorinstanzlichen Erwägungen
sei er bezüglich der Geburt seiner Kinder seiner Meldepflicht hinreichend
nachgekommen, so dass jedenfalls keine rückwirkende Anpassung der
Rentenleistungen möglich sei. Damit nimmt der Versicherte Bezug auf die
spezifische Anpassungsregelung für die IV, wie sie in den Art. 88a und 88bis
IVV enthalten ist. Vorliegend ist indessen nicht die Anpassung der IV-Rente
streitig, sondern jene der UV-Kompelmentärrente. Die Anpassung stützt sich
hierbei auf Art. 20 Abs. 2 UVG i.V.m. Art. 33 Abs. 2 lit. a UVV (vgl. E. 3.2
und 3.3 hievor). Diese Normen sehen eine Anpassung der Komplementärrente auf
den Zeitpunkt des Dahinfallens oder des Neuhinzukommens einer Zusatz- oder
Kinderrente der AHV oder der IV vor, ohne Bezug auf eine allfällige
Meldepflichtverletzung zu nehmen. Eine solche Bezugnahme drängt sich auch nicht
auf, bezweckte doch der Gesetzgeber mit der Komplementärrentenregelung eine
administrativ einfache Lösung zur Vermeidung einer Überentschädigung und
Koordination der Renten der Unfallversicherung mit jenen der AHV oder der IV
(PHILIPP GEERTSEN, Das Komplementärrentensystem der Unvallversicherung zur
Koordination von UVG-Invalidenrenten mit Rentenleistungen der I. Säule [Art. 20
Abs. 2 UVG], 2011, S. 70; ALFRED MAURER, Schweizerisches
Unfallversicherungsrecht, 1985, S. 381; JEAN-MAURICE FRÉSARD, Rentes
complémentaires de l'assurance-accidents obligatoire: Quelques effets
indésirables de la simplicité, in: SVZ 60/1992 S. 288). Eine allfällige
Überentschädigung besteht aber unabhängig von der Frage einer
Meldepflichtverletzung. Zudem ist zu beachten, dass eine
Komplementärrentenberechnung erst nach Vorliegen der IV-Verfügungen und damit
notwendigerweise mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung erfolgen kann. Somit
kann die Frage, ob der Versicherte seine Meldepflicht verletzt hat,
offenbleiben; so oder anders hat die Vorinstanz zu Recht die verfügte
Rückfroderung der Unfallversicherung bestätigt. Die Beschwerde des Versicherten
ist abzuweisen. 
 
6.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 27. April 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold 

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