Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.158/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_158/2017        

Urteil vom 22. August 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Kopp Käch.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roger König,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Bern,
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Neuanmeldung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 20. Januar 2017.

Sachverhalt:

A. 
Die 1972 geborene A.________ meldete sich am 21. Juli 2005 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug (Umschulung auf eine neue Tätigkeit,
ev. Rente) an. Die IV-Stelle Wallis sprach ihr in den Jahren 2006 bis 2008
diverse berufliche Massnahmen sowie mit Verfügung vom 20. Juni 2008 eine vom 1.
August 2005 bis 31. August 2006 befristete Dreiviertelsrente zu. Die befristete
Rentenzusprache wurde mit Entscheid des Kantonsgerichts Wallis vom 24. November
2009 bestätigt.
Am 28. Juli 2014 meldete sich A.________ erneut zum Bezug von Leistungen der
Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle Bern holte die Akten der IV-Stelle
Wallis sowie des Unfallversicherers ein und nahm erwerbliche sowie medizinische
Abklärungen vor; namentlich holte sie ein polydisziplinäres Gutachten des Swiss
Medical Assessment- and Business-Center (SMAB AG), Bern, vom 9. Februar 2016
ein. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren verneinte die IV-Stelle Bern mit
Verfügung vom 14. April 2016 ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 23 %
einen Rentenanspruch.

B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die hiegegen erhobene Beschwerde
mit Entscheid vom 20. Januar 2017 ab und brachte den Entscheid gestützt auf
Art. 66c IVG dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern zur
Kenntnis.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, es sei ihr in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids ab 14.
Januar 2014, ev. ab 28. Juli 2014 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen.
Eventualiter sei die Sache zu ergänzenden Abklärungen bezüglich Schizophrenie
sowie deren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit und zur anschliessenden
Neubeurteilung an die Vorinstanz oder an die IV-Stelle zurückzuweisen. Die
IV-Stelle sei zudem zu verpflichten, ihr die Auslagen für die
versicherungspsychiatrische Stellungnahme der Dr. med. B.________, Psychiatrie
und Psychotherapie FMH, vom 17. Februar 2017 im Betrag von Fr. 5'600.- zu
bezahlen. Gleichzeitig lässt A.________ um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege ersuchen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Mit Eingabe vom 5. Mai 2017 lässt A.________ an ihren Anträgen festhalten.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.3. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit bzw. deren Veränderung in einem bestimmten Zeitraum handelt es
sich grundsätzlich um Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Gleiches
gilt für die konkrete Beweiswürdigung (Urteil 9C_204/2009 vom 6. Juli 2009 E.
4.1, nicht publ. in BGE 135 V 254, aber in: SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164). Dagegen
sind die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln
nach Art. 61 lit. c ATSG Rechtsfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.;
Urteil 8C_253/2017 vom 29. Juni 2017 E. 1.3).

2. 
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit
vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt
(Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194), was in der Beschwerde näher darzulegen ist
(BGE 133 III 393 E. 3 S. 395). Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein
bildet noch keinen hinreichenden Anlass im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG für die
Zulässigkeit von unechten Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne
Weiteres hätten vorgebracht werden können. Das Vorbringen von Tatsachen, die
sich erst nach dem angefochtenen Entscheid ereigneten oder entstanden (echte
Noven), ist vor Bundesgericht unzulässig (BGE 143 V 19 E. 1.2 S. 22 f. mit
Hinweisen).
Die letztinstanzlich neu aufgelegten, erst nach dem angefochtenen Entscheid
entstandenen Dokumente - so die Verfügung betr. fürsorgerische Unterbringung
der Psychiatrischen Dienste Spital C.________ vom 9. Februar 2017, der
Überweisungsbericht Psychiatrische Dienste Spital C.________/Psychiatriezentrum
D.________ vom 10. Februar 2017, der stationäre Bericht des Psychiatriezentrums
D.________ vom 17. Februar 2017 und die versicherungspsychiatrische
Stellungnahme der Dr. med. B.________ vom 17. Februar 2017 mitsamt Lebenslauf
der Gutachterin - haben somit als echte Noven unbeachtlich zu bleiben. Überdies
ist ohnehin im Normalfall - wie vorliegend - der Sachverhalt zu beurteilen, wie
er sich bis zum Verfügungszeitpunkt entwickelt hat (BGE 121 V 362 E. 1b S. 366
mit Hinweisen).

3. 
Streitig ist, ob Vorinstanz und Verwaltung das Neuanmeldungsgesuch der
Versicherten zu Recht abgewiesen haben. Zu prüfen ist dabei insbesondere, ob
sich in der Zeit zwischen dem 20. Juni 2008 (Zeitpunkt der letzten, mit
Entscheid des Kantonsgerichts Wallis vom 24. November 2009 bestätigten
Verfügung) und dem 14. April 2016 (Datum der angefochtenen Verfügung) eine
rentenbegründende Änderung des Sachverhalts ergeben hat.
Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7
Abs. 1 ATSG), der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG) und des Rentenanspruchs
(Art. 28 Abs. 2 IVG) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die Ausführungen
zu den bei der Neuanmeldung analog anwendbaren Revisionsregeln (Art. 17 Abs. 1
ATSG; BGE 134 V 131 E. 3 S. 132, 117 V 198 E. 3a) sowie zum Beweiswert und zur
Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 137 V 210 E. 6.2.2 S.
269; 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352). Darauf wird verwiesen.

4.

4.1. Das kantonale Gericht hat in umfassender Würdigung der gesamten
medizinischen Aktenlage, insbesondere gestützt auf das Gutachten des SMAB vom
9. Februar 2016 mit einlässlicher und nachvollziehbarer Begründung erkannt,
dass nach wie vor kein rentenbegründender Invaliditätsgrad von mindestens 40 %
bestehe. Die Beschwerdeführerin leide - so die Vorinstanz - gemäss
beweiskräftigem Gutachten an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit
histrionischen und emotional instabilen Anteilen sowie an einer Somatisierungs-
bzw. somatoformen Schmerzstörung. Eine somatoforme Schmerzstörung bzw. ein den
gleichen versicherungsrechtlichen Anforderungen unterstelltes Leiden aus dem
psychosomatischen Formenkreis sowie eine kombinierte Persönlichkeitsstörung
hätten bereits im Vergleichszeitpunkt Juni 2008 vorgelegen. Auch die
medizinisch-theoretische Arbeitsunfähigkeit sei im Wesentlichen unverändert
geblieben, indem die Versicherte in der bisherigen und in einer angepassten
Tätigkeit nach wie vor zu 80 % arbeitsfähig sei.

4.2. Die durch das kantonale Gericht getroffenen Tatsachenfeststellungen,
namentlich die aus den medizinischen Unterlagen gewonnenen Erkenntnisse, sind
im letztinstanzlichen Prozess grundsätzlich verbindlich (vgl. E. 1 hievor). Was
die Beschwerdeführerin gegen diese Feststellungen vorbringt, vermag sie nicht
als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Auf ein im Verfahren nach Art. 44
ATSG eingeholtes Gutachten ist rechtsprechungsgemäss abzustellen, wenn nicht
konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 137 V
210 E. 2.2.2 S. 232; 135 V 465 E. 4.4 S. 470). Solche vermag die Versicherte
nicht darzutun. Mit dem kantonalen Gericht ist dem Gutachten des SMAB vom 9.
Februar 2016 die Erfüllung der rechtsprechungsgemässen Kriterien
beweiskräftiger medizinischer Gutachten zuzuerkennen. Es basiert auf eigenen
Untersuchungen und setzt sich mit den Vorakten auseinander. Im Rahmen der
eingeschränkten Sachverhaltskontrolle (Art. 97 Abs. 1 BGG) ist es nicht Aufgabe
des Bundesgerichts, die schon im vorangehenden Verfahren im Recht gelegenen
ärztlichen Berichte neu zu beurteilen und die rechtsfehlerfreie
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz hinsichtlich der medizinisch
begründeten Verminderung des Leistungsvermögens und des Ausmasses der trotz
gesundheitlicher Beeinträchtigungen verbleibenden Arbeitsfähigkeit zu
korrigieren. Soweit sich die Beschwerdeführerin wiederum auf abweichende
Berichte behandelnder Ärzte beruft, ist mit dem kantonalen Gericht der
Erfahrungstatsache Rechnung zu tragen, dass behandelnde Ärztinnen und Ärzte wie
auch Therapiepersonen mitunter im Hinblick auf ihre Vertrauensstellung in
Zweifelsfällen eher zu Gunsten ihrer Patientinnen und Patienten aussagen (BGE
135 V 465 E. 4.5 S. 470). Zudem hat die Vorinstanz zu Recht darauf hingewiesen,
dass die Diagnose einer chronischen paranoiden Schizophrenie, auf welche sich
die Versicherte beruft, sowohl im Bericht des behandelnden Psychiaters Dr. med.
E.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Spital F.________, vom
16. Februar 2015, im Austrittsbericht des Spitals F.________ vom 1. Mai 2015
und im Austrittsbericht der Klinik G.________ vom 24. März 2016 lediglich als
Verdachtsdiagnose gestellt worden war. Erst im Schreiben vom 11. Mai 2016 an
den Rechtsvertreter der Versicherten - und somit nach Kenntnis des Gutachtens
des SMAB vom 9. Februar 2016 - äusserte sich der behandelnde Psychiater
dahingehend, dass er eine chronische paranoide Schizophrenie als zweifellos
gegeben erachte, dies indessen ohne nähere Begründung seines
Meinungsumschwungs. Die neu aufgelegten Urkunden schliesslich haben - wie in E.
2 hievor dargelegt - als echte Noven unberücksichtigt zu bleiben. Der Umstand,
dass ganze Passagen der versicherungspsychiatrischen Stellungnahme der Dr. med.
B.________ vom 17. Februar 2017 in die Beschwerdeschrift hineinkopiert worden
sind, ändert nichts daran, dass die Stellungnahme als echtes Novum unbeachtlich
zu bleiben hat.

4.3. Da die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen für den massgebenden Zeitpunkt
eine zuverlässige Beurteilung erlauben, konnte und kann auf weitergehende
Erhebungen verzichtet werden (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E.
5.3 S. 236 f. mit Hinweis; Urteil 8C_19/2017 vom 22. Mai 2017 E. 5.3).

4.4. Zusammenfassend hat es beim vorinstanzlichen Entscheid sein Bewenden.

5. 
Soweit die Beschwerdeführerin davon ausgeht, eine seit dem Erlass der
angefochtenen Verfügung vom 14. April 2016 eingetretene namhafte
Verschlechterung des Gesundheitszustandes glaubhaft machen zu können, steht es
ihr frei, sich erneut mit einem Leistungsbegehren an die Invalidenversicherung
zu wenden.

6. 
Die Kosten eines von der versicherten Person veranlassten Gutachtens sind vom
Versicherungsträger dann zu übernehmen, wenn sich der medizinische Sachverhalt
erst auf Grund des neu beigebrachten Untersuchungsergebnisses schlüssig
feststellen lässt und dem Versicherer insoweit eine Verletzung der ihm im
Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes obliegenden Pflicht zur rechtsgenüglichen
Sachverhaltsabklärung vorzuwerfen ist (RKUV 2004 Nr. U 503 S. 186 [U 282/00]
und Urteil 8C_280/2014 vom 30. Januar 2015 E. 5).
Vorliegend kann auf die versicherungspsychiatrische Stellungnahme der Dr. med.
B.________ vom 17. Februar 2017 nicht abgestellt werden (vgl. E. 2 hievor). Dem
Antrag der Versicherten, die Kosten der von ihr in Auftrag gegebenen
versicherungsmedizinischen Beurteilung der IV-Stelle aufzuerlegen, ist somit
nicht stattzugeben.

7. 
Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1
BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihr gewährt werden (Art. 64 BGG).
Die Versicherte hat der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn sie später
dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. Rechtsanwalt Dr.
Roger König wird als unentgeltlicher Anwalt der Beschwerdeführerin bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. August 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Kopp Käch

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