Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.13/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_13/2017         

Urteil vom 21. Juni 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiber Krähenbühl.

Verfahrensbeteiligte
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Christos Antoniadis,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Unfallversicherung
(Einkommensvergleich; Invalideneinkommen),

Beschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 15. November 2016.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügung vom 3. Juli 2015 sprach die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (Suva) dem seit 1. Februar 2007 in der B.________ AG
als Kundenmaurer angestellten A.________ (Jg. 1958) nach einer am 20. Dezember
2012 durch eine Schrotschussverletzung auf der Kaninchenjagd in Portugal
verursachten Augenverletzung (penetrierende Bulbusverletzung rechts) nebst
einer Entschädigung für eine Integritätseinbusse von 28 % mit Wirkung ab 1. Mai
2015 eine Invalidenrente aufgrund einer 31%igen Beeinträchtigung der
Erwerbsfähigkeit zu. Dies bestätigte sie mit Einspracheentscheid vom 20. August
2015.

B. 
Eine gegen die Höhe der zugesprochenen Invalidenrente gerichtete Beschwerde
hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 15.
November 2016 in dem Sinne gut, als es unter Aufhebung des angefochtenen
Einspracheentscheides für die Zeit ab 1. Mai 2015 eine Rente auf der Basis
einer 40%igen Invalidität zusprach.

C. 
Die Suva erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Begehren um teilweise Aufhebung des kantonalen Entscheides vom 15. November
2016 und Bestätigung der mit Einspracheentscheid vom 20. August 2015
zugesprochenen Rente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 31 %.

A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, während sich das
kantonale Gericht einer Stellungnahme zur Sache enthält. Das Bundesamt für
Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Im
Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der
Militär- oder der Unfallversicherung ist das Bundesgericht - anders als in den
übrigen Sozialversicherungsbereichen (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 1 und 2
BGG) - nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhaltes gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Die für die Beurteilung des streitigen Rentenanspruches massgebenden
gesetzlichen Bestimmungen und die von der Rechtsprechung dazu weiter
konkretisierten Grundlagen hat das kantonale Gericht im angefochtenen Entscheid
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3. 

3.1. Aufgrund der Vorbringen in der Beschwerdeschrift ist einzig der für den
Einkommensvergleich nach Art. 16 ATSG angenommene Verdienst zu prüfen, welchen
der heutige Beschwerdegegner trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung
zumutbarerweise noch zu erzielen in der Lage wäre (Invalideneinkommen).
Unbestrittenermassen nicht mehr zur Diskussion stehen die - bereits
rechtskräftig festgelegte - Entschädigung für eine Integritätseinbusse von 28 %
sowie die - vom Beschwerdegegner im vorinstanzlichen Verfahren anerkannte -
Herabsetzung des versicherten Verdienstes auf Fr. 81'353.- statt wie
ursprünglich angenommen Fr. 88'221.-. Das Gleiche gilt für das ohne
Gesundheitsschädigung mutmasslich realisierte Jahresgehalt von Fr. 86'550.-
(Valideneinkommen).

3.2.

3.2.1. Laut dem von der Augenärztin Frau Dr. med. C.________ in ihrem Bericht
vom 20. August 2014 vorgestellten Leistungsprofil wäre dem Beschwerdegegner in
einer der Behinderung angepassten Verweistätigkeit - welche bestimmten
Einschränkungen genügt - eine 100%ige Arbeitsleistung möglich. Dessen
ungeachtet blieb dieser jedoch trotz seiner Augenverletzung als Maurer in der
bisherigen Arbeitgeberfirma tätig. Das kantonale Gericht erachtete einen
Wechsel von der angestammten Maurertätigkeit zu einer leidensadaptierten neuen
Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt - anders als die
Beschwerdeführerin - als nicht zumutbar. Den in der jetzigen Arbeitgeberfirma
nach seinem Unfall noch erhaltenen Lohn setzte es deshalb als
Invalideneinkommen in die Vergleichsrechnung nach Art. 16 ATSG ein.

3.2.2. Dabei zog die Vorinstanz die Dauer der seit 2007 bestehenden Anstellung
sowie die Bereitschaft der Arbeitgeberin zu einer Weiterbeschäftigung des
Beschwerdegegners bis zur Frühpensionierung bei Erreichen des 60. Altersjahres
in Betracht. Aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung und der deswegen
auf 60 % reduzierten Leistungsfähigkeit im bisherigen Betrieb war die
Entlöhnung dort entsprechend auch auf 60 % des Gehalts herabgesetzt worden, das
ohne Gesundheitsschädigung zur Ausrichtung gelangt wäre. Das kantonale Gericht
befand, dass von einem besonders stabilen Arbeitsverhältnis auszugehen sei und
kein Soziallohn ausgerichtet werde. An einem anderen Arbeitsplatz erwartete es
für die verbleibende Aktivitätsdauer von mehr als drei Jahren bis zur
Frühpensionierung keine nennenswerte Steigerung des Erwerbseinkommens mehr. Im
Hinblick auf die Möglichkeit eines vorzeitigen Altersrücktrittes und der dabei
vorgesehenen Unterstützung in Form einer Überbrückungsrente erachtete es die
Aufgabe der bisherigen Tätigkeit zugunsten einer optimal leidensangepassten
Tätigkeit angesichts der mit der bestehenden Behinderung zu erwartenden
Schwierigkeiten auf der Suche nach einer neuen Stelle als nicht zumutbar.

3.3. 

3.3.1. Bevor eine versicherte Person Leistungen der Sozialversicherung
verlangt, hat sie aufgrund ihrer Schadenminderungspflicht alles ihr Zumutbare
selber vorzukehren, um die Folgen der Invalidität bestmöglich zu mindern. Ein
Rentenanspruch ist zu verneinen, wenn sie selbst ohne Eingliederungsmassnahmen
- nötigenfalls mit einem Berufswechsel - zumutbarerweise in der Lage ist, ein
rentenausschliessendes Erwerbseinkommen zu erzielen. Für die Auslegung des
unbestimmten Rechtsbegriffs der zumutbaren Tätigkeit sind die gesamten
subjektiven und objektiven Gegebenheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen.
Dies gilt auch, wenn es um den Wechsel von einer seit Jahren ausgeübten
Erwerbstätigkeit zu einer bei der bestehenden körperlichen Beeinträchtigung
unter Umständen besser geeigneten Beschäftigung auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt oder gar um die Aufgabe einer als selbstständig Erwerbender
ausgeübten Betätigung mit eigenem Betrieb geht. Im Vordergrund stehen bei den
zu berücksichtigenden subjektiven Umständen die verbliebene Leistungsfähigkeit
sowie weitere persönliche Merkmale wie etwa das Alter, die berufliche Stellung
oder eine enge Verbundenheit mit dem bisherigen Wohnort. Bei den objektiven
Umständen sind insbesondere die Verhältnisse auf dem ausgeglichenen
Arbeitsmarkt und die noch zu erwartende Aktivitätsdauer massgeblich (SVR 2010
IV Nr. 11 S. 35, 9C_236/2009 E. 4.1 und 4.3; 2007 IV Nr. 1 S. 1, Urteil I 750/
04 vom 5. April 2006 E. 5.3; Urteile 9C_834/2011 vom 2. April 2012 E. 2 und
8C_482/2010 vom 27. September 2010 E. 4.2).

3.3.2. Bei einer seiner Behinderung angepassten Betätigung könnte der
Beschwerdegegner nach den Feststellungen der Beschwerdeführerin im
Einspracheentscheid vom 20. August 2015 ein Jahreseinkommen von Fr. 60'090.-
erreichen. Dieser Betrag lässt sich aus der Lohnstrukturerhebung des
Bundesamtes für Statistik für das Jahr 2012 herleiten, wobei ein auf das
Augenleiden zurückzuführender Abzug von 10 % gewährt wird. Dieses Vorgehen gibt
zu keinen Beanstandungen Anlass und führt verglichen mit dem Valideneinkommen
von - unbestritten - Fr. 86'550.- (E. 3.1 hiervor) zu einem Invaliditätsgrad
von 31 %. Nimmt man - wie die Vorinstanz - die tatsächlich generierten
Einkünfte an der bisherigen Maurerstelle als Invalideneinkommen, ergibt sich
ein Invaliditätsgrad von 40 %.

3.3.3. Nach Auffassung des kantonalen Gerichts lässt es sich nicht
rechtfertigen, von einem an einer anderen Stelle möglichen höheren
Invalideneinkommen auszugehen, weil es dem Beschwerdegegner nicht zumutbar
wäre, seine bisherige Stelle aufzugeben und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
eine neue erwerbliche Betätigung zu suchen. Dieser Ansicht kann nicht
beigepflichtet werden. Der allgemeine Arbeitsmarkt bietet eine Vielzahl
verschiedenartiger Stellen, die auch mit der Behinderung des Beschwerdegegners
einen geeigneten Arbeitseinsatz ermöglichen. Dass dieser - gemäss eigenen
Angaben - seit bereits 31 Jahren immer als Maurer tätig war und über keine
Berufsausbildung verfügt, steht der Zumutbarkeit einer beruflichen
Neuausrichtung und der dazu erforderlichen Stellensuche nicht entgegen. Bei den
dabei allenfalls zu Tage tretenden und unter Umständen mit gewissen
Unannehmlichkeiten verbundenen Schwierigkeiten handelt es sich um
Gegebenheiten, welche ein entsprechendes Unterfangen nicht als unzumutbar
erscheinen lassen. Sie sind im Rahmen der einer verunfallten und deshalb
Versicherungsleistungen beanspruchenden Person obliegenden
Schadenminderungspflicht (E. 3.3.1 hiervor) in Kauf zu nehmen. Ebenso wenig
kann von Unzumutbarkeit eines Berufswechsels gesprochen werden, weil der
Beschwerdegegner - zumindest nach Erwartung der für die Einschätzung von
Verdienstmöglichkeiten alllerdings nicht zuständigen und insoweit auch nicht
fachkompetenten Augenärztin Frau Dr. med. C.________ - bei einem Berufswechsel
in der ersten Zeit mit einer gewissen Lohneinbusse zu rechnen hätte. Immerhin
würde ihm mit rund 9 Jahren bis zur ordentlichen Pensionierung mit 65 Jahren
eine relativ lange Aktivitätsdauer bevorstehen, während welcher sich eine
vorübergehende Lohnminderung ausgleichen liesse, sodass diese über einen
längeren Zeitraum gesehen zumindest nicht mehr entscheidend ins Gewicht fällt.
Verständlich mag die Ablehnung eines Berufswechsels des Beschwerdegegners zwar
angesichts seiner Möglichkeit einer Frühpensionierung schon mit 60 Jahren sein.
Das Dahinfallen dieser Option bei einer Aufgabe der bisherigen Anstellung zu
vermeiden entspricht einem legitimen Bedürfnis des Beschwerdegegners. Er kann
jedoch nicht erwarten, dass die Unfallversicherung für Minderverdienste
aufkommt, welche darauf zurückzuführen sind, dass er deswegen auf die Aufnahme
einer an sich zumutbaren Betätigung verzichtet. Dies würde zu einer nicht
gerechtfertigten Bevorzugung gegenüber Versicherten führen, welchen die
Möglichkeit eines vorzeitigen Altersrücktrittes gar nicht offensteht.

3.4. Die Beschwerde ist demnach begründet und gutzuheissen. Für dieses Ergebnis
lässt sich allerdings aus dem Hinweis der Beschwerdeführerin auf Art. 28 Abs. 4
UVV nichts ableiten. Die darin geregelte Invaliditätsbemessung bei Versicherten
in vorgerücktem Alter ist nicht anwendbar, weil der Beschwerdegegner mit 57
Jahren noch gar nicht zu dieser Versichertenkategorie zählt (vgl. RKUV 1996 Nr.
U 244 S. 144 E. 4). Ebenso wenig zeitigt der Umstand Auswirkungen auf die
Invaliditätsbemessung beim Beschwerdegegner, dass laut dem auf den 1. Januar
2017 in Kraft getretenen Art. 20 Abs. 2ter UVG Rentenansprüche gegenüber der
Unfallversicherung nicht mehr bis ans Lebensende unverändert bestehen bleiben,
sondern ab Erreichen des ordentlichen Rentenalters unter bestimmten
Voraussetzungen gekürzt werden. Diese Regelung wird beim Beschwerdegegner
gegebenenfalls unabhängig von der der Rentengewährung zugrunde liegenden
Invaliditätsbemessung Wirkung entfalten.

4. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1 und 4
lit. a BGG) vom Beschwerdegegner als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG).
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 15. November 2016 wird aufgehoben und der
Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) vom
20. August 2015 bestätigt.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. Juni 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Krähenbühl

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