Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.12/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_12/2017

Urteil vom 28. Februar 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Frésard, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Beat Wachter,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst, St. Gallerstrasse
11, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Revision; Invalideneinkommen),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
2. November 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1986 geborene A.________ meldete sich am 9. Juli 2003 zum Bezug von
Leistungen der Invalidenversicherung für Erwachsene an, nachdem er bereits als
Minderjähriger wegen einer nachgeburtlich diagnostizierten und in der Folge
weitgehend ausgeheilten Bewegungsstörung IV-Leistungen bezogen hatte. Im Rahmen
beruflicher Eingliederungsmassnahmen bzw. einer erstmaligen beruflichen
Ausbildung schloss A.________ im Jahr 2006 eine Lehre an der Schule B.________
mit dem Fähigkeitszeugnis "Kaufmann Basisbildung" ab. Im November 2007 erlangte
er zusätzlich das Diplom als Sachbearbeiter Rechnungswesen. Die Klinik
C.________ AG, Neurorehabilitation, schätzte nach einem
Rehabilitationsaufenthalt im Februar 2007 seine verbleibende Arbeitsfähigkeit
auf 60 % (Bericht vom 26. Februar 2007). Mit Verfügung vom 3. Juni 2008 sprach
ihm die IV-Stelle Schaffhausen bei einem Invaliditätsgrad von 45 % eine
Viertelsrente zu. Nach einem Wohnortswechsel hielt die nun zuständige IV-Stelle
des Kantons Thurgau am Anspruch auf eine Viertelsrente fest (Verfügung vom 15.
August 2013). Anlässlich einer von Amtes wegen durchgeführten Revision
bestätigte sie mit Verfügung vom 6. April 2016 erneut den Anspruch auf eine
Viertelsrente.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
mit Entscheid vom 2. November 2016 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids und der Verfügung vom 2.
November 2016 sei ihm mit Wirkung ab 1. Januar 2016 eine halbe Invalidenrente
zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz
zurückzuweisen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.

2.1. Die für die Beurteilung relevanten Rechtsgrundlagen finden sich im
kantonalen Entscheid. Sie sind zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.2. Anlass zur Revision einer Invalidenrente im Sinne von Art. 17 ATSG gibt
jede wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die geeignet ist,
den Invaliditätsgrad und damit den Rentenanspruch zu beeinflussen. Die
Invalidenrente ist somit nicht nur bei einer wesentlichen Veränderung des
Gesundheitszustandes, sondern auch dann revidierbar, wenn sich die erwerblichen
Auswirkungen des an sich gleich gebliebenen Gesundheitsschadens erheblich
verändert haben (BGE 130 V 343 E. 3.5 S. 349; siehe auch BGE 133 V 545). Liegt
in diesem Sinne ein Revisionsgrund vor, ist der Rentenanspruch in rechtlicher
und tatsächlicher Hinsicht allseitig neu zu prüfen, wobei keine Bindung an
frühere Beurteilungen besteht (BGE 117 V 198 E. 4b S. 200; 141 V 9 E. 2.3 S. 11
mit Hinweisen und E. 6.1 S. 13).

2.3. Ob und in welcher Höhe statistische Tabellenlöhne herabzusetzen sind,
hängt von sämtlichen persönlichen und beruflichen Umständen des Einzelfalles
ab, die nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen sind. Relevante
Merkmale sind leidensbedingte Einschränkung, Alter, Dienstjahre, Nationalität/
Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad (BGE 126 V 75 E. 5b/bb S. 80). Die
Frage, ob ein Abzug vom Tabellenlohn vorzunehmen sei oder nicht, stellt eine
vom Bundesgericht frei zu prüfende Rechtsfrage dar (BGE 132 V 393 E. 3.3 S.
399).

3. 
Das kantonale Gericht erwog, es sei kein leidensbedingter Abzug vorzunehmen. Es
gäbe auf dem relevanten ausgeglichenen Arbeitsmarkt (Art. 16 ATSG)
Nischenarbeitsplätze, die mit Blick auf das funktionelle Leistungsprofil des
Versicherten die notwendigen Rahmenbedingungen - wie ein nur mässiger
Zeitdruck, strukturierte Arbeitszeiten, keine hohen Anforderungen an
selbstständige Problemlösungsfähigkeiten, eine ruhige Umgebung usw. - bieten
könnten. Daher sei ein leidensbedingter Abzug aufgrund der neuropsychologischen
Einschränkungen nicht gerechtfertigt, zumal diese Defizite bereits in der
attestierten 40%-igen Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt worden seien. Ebenso
wenig führe der Umstand, dass der Beschwerdeführer nur noch teilzeitlich tätig
sein könne, zu einem weiteren Abzug vom Tabellenlohn, da hieraus keine
Lohneinbusse resultiere.

4. 
Nicht zu beanstanden ist, dass die Vorinstanz insofern von einer Entwicklung
des Valideneinkommens und damit von einer revisionsbegründenden
Tatsachenänderung ausgegangen ist, als aufgrund des vollendeten 30.
Altersjahres des Beschwerdeführers neu nach Art. 26 Abs. 1 IVV der ungekürzte
Medianwert für das Valideneinkommen massgeblich ist.

5.

5.1. Streitig ist einzig, ob ein leidens- oder behinderungsbedingter Abzug vom
tabellarisch ermittelten Invalideneinkommen zu gewähren ist.

5.2. Die Vorinstanz zog aus sämtlichen medizinischen Berichten, namentlich aus
dem neuropsychologischen Fachgutachten der Frau Dipl. Psych. D.________ und des
Dr. phil. Dipl. Psych. E.________, Praxis für Klinische Neuropsychologie, vom
14. Januar 2010 und dem Abklärungsbericht des Zentrums F.________, vom 19.
Dezember 2012 den Schluss, der Versicherte sei weiterhin unter Beachtung der
bereits im Bericht der Klinik C.________ vom 26. Februar 2007 formulierten
Rahmenbedingungen, welche die vorhandenen neuropsychologischen Defizite
berücksichtigten, unverändert in einem 60%-igen Pensum voll leistungsfähig.
Dies ist nicht offensichtlich unrichtig. Es besteht demnach aufgrund von
neuropsychologischen Defiziten bei Status nach einem am 12. August 1995
erlittenen schweren Schädel-Hirn-Traumaweiterhin eine Restarbeitsfähigkeit von
60 % mit im Vergleich zur Verfügung vom 3. Juni 2008 gleich gebliebenem
Zumutbarkeitsprofil. Damit ist - was auch nicht behauptet wird - keine
erhebliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse seit der verfügungsweisen
Festsetzung einer Viertelsrente am 3. Juni 2008 eingetreten.

5.3. Das Valideneinkommen wurde in Anwendung von Art. 26 Abs. 1 IVV gestützt
auf den Medianwert gemäss der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) berechnet. Hieraus ergab sich nach
vorinstanzlicher Feststellung ein hypothetischer Wert von Fr. 82'500.- (vgl.
IV-Rundschreiben Nr. 329 vom 18. Dezember 2014). Das Invalideneinkommen
ermittelte die Vorinstanz sodann anhand der Tabelle T17 der LSE 2014,
Berufsgruppe Ziff. 4 "Bürokräfte und verwandte Berufe", Total, Männer
(unabhängig vom Lebensalter), woraus sie einen Bruttolohn von monatlich Fr.
5'789.- ableitete. Bei einer Restarbeitsfähigkeit von 60 % resultierte - unter
Berücksichtigung der betriebsüblichen Wochenarbeitszeit sowie aufindexiert für
das Jahr 2015 - ein Invalideneinkommen von Fr. 43'569.67 und verglichen mit dem
Valideneinkommen ein Invaliditätsgrad von 47 %.

5.4. Im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit der attestierten
Restarbeitsfähigkeit wies die Vorinstanz korrekterweise darauf hin, dass der
ausgeglichene Arbeitsmarkt auch Nischenarbeitsplätze umfasst (Urteil 8C_740/
2014 vom 11. Februar 2015 E. 3.4.3 mit Hinweis), weshalb mit Blick auf das
funktionelle Leistungsprofil des Versicherten und den einzuhaltenden
Rahmenbedingungen genügend Stellen vorhanden sind. Aus dieser Tatsache kann für
die Frage nach der Höhe des leidensbedingten Abzuges aber nichts abgeleitet
werden, wie der Beschwerdeführer richtig anmerkt; die Zusammensetzung des
Arbeitsmarktes gilt allgemein und stellt keinen persönlichen oder beruflichen
Umstand dar, welcher im Einzelfall eine Herabsetzung des Tabellenlohnes
rechtfertigen würde. Es steht im Übrigen auch nicht fest, dass die
Restarbeitsfähigkeit des Versicherten nur an einem Nischenarbeitsplatz
verwertet werden könnte.

5.5.

5.5.1. Wie die Vorinstanz überzeugend darlegte, fanden die neuropsychologischen
Einschränkungen bereits bei der Festsetzung der verbleibenden Arbeitsfähigkeit
Berücksichtigung. Im neuropsychologischen Fachgutachten vom 14. Januar 2010
wurde die eingeschränkte Arbeitsfähigkeit mit einer reduzierten Belastbarkeit,
einer verlängerten Erholungsphase, erschwertem Lernen, Einbussen in der
Aufmerksamkeit, einschliesslich der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit
unter komplexen Reiz- und Reaktionsbedingungen, begründet. Dies deckt sich mit
den in den übrigen Berichten formulierten Auswirkungen auf die
Arbeitsfähigkeit. Ein weitergehender Einbezug der gesundheitlichen
Einschränkungen, einschliesslich der Verhaltensauffälligkeiten, beim Abzug vom
Tabellenlohn würde somit eine unzulässige doppelte Berücksichtigung darstellen
(vgl. Urteil 8C_678/2015 vom 9. Juni 2016 E. 5.6 mit Hinweis).

5.5.2. Entgegen den Ausführungen des Versicherten ist es mit Blick auf die
konkrete Situation auch nicht bundesrechtswidrig, bei einem Beschäftigungsgrad
von 60 % keinen Abzug zu gewähren. Gemäss der gestützt auf die LSE 2012
erstellten Tabelle zu den nach Beschäftigungsgrad, Geschlecht und beruflicher
Stellung differenzierten monatlichen Durchschnittsbruttolöhnen, die im Anhang
des vom Bundesamt für Sozialversicherungen herausgegebenen IV-Rundschreibens
Nr. 328 vom 22. Oktober 2014 veröffentlicht wurde, besteht bei Männern ohne
Kaderfunktion zwischen dem Durchschnittslohn bei einem Teilzeitpensum von 50-74
% proportional bezogen auf ein 100%-Pensum (Fr. 6'080.-) und dem
Durchschnittslohn bei einem Vollzeitpensum (Fr. Fr. 6'085.-) eine
vernachlässigbare Differenz (von Fr. 5.-), worauf die Vorinstanz bereits
verwies. Bei Berücksichtigung der für das Jahr 2014 aktualisierten Tabelle
besteht zwar bei den angegebenen Werten (Fr. 5'714.- [Teilzeitpensum] und Fr.
6'069.- [Vollzeitpensum] eine Differenz von Fr. 355.- oder 5,85 %). Hieraus
jedoch eine überproportionale Lohneinbusse abzuleiten, die bei
Nichtberücksichtigung eine Bundesrechtswidrigkeit begründen würde, geht fehl
(vgl. MEYER/REICHMUTH, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum
Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 3.
Aufl. 2014, N. 104 zu Art. 28a IVG). Die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung
hält stand.

6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 28. Februar 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Frésard

Die Gerichtsschreiberin: Polla

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