Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.112/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_112/2017

Urteil vom 13. März 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Roos,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Invalidenrente; Kausalzusammenhang),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 10. Januar 2017.

Sachverhalt:

A. 
Der 1969 geborene A.________ war als Bauarbeiter bei der Firma B.________ AG
angestellt und in dieser Eigenschaft bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (Suva) gegen die Folgen von Berufs- und
Nichtberufsunfällen versichert. Am 16. Januar 2006 stürzte eine 2 m hohe Mauer,
an der er arbeitete, ein. Noch während er versuchte wegzulaufen, wurde er von
herabfallenden Steinen getroffen. Der Versicherte zog sich dabei einen
knöchernen Ausriss des hinteren Kreuzbandes links, eine Ruptur des vorderen
Kreuzbandes links, Rupturen des medialen und des lateralen Seitenbandes links,
eine Kondylenimpressionsfraktur links, eine Thoraxprellung und eine
Rissquetschwunde am linken Ellbogen zu. Das linke Knie des A.________ wurde
mehrfach operiert. Die Suva erbrachte Versicherungsleistungen. Trotz
verschiedenster ambulanter und stationärer Therapien klagte der Versicherte
über persistierende Schmerzen im linken Knie. Gemäss behandelndem Arzt am
Spital C.________ standen dabei psychische Beschwerden im Vordergrund (Bericht
vom 1. Dezember 2006). Am 1. Oktober 2007 erstattete die medizinische
Abklärungsstelle Ostschweiz (MEDAS) im Auftrag der Invalidenversicherung des
Kantons St. Gallen ein polydisziplinäres Gutachten. Es folgten verschiedene
stationäre Behandlungen der psychischen und somatischen Beschwerden. Am 3. Juni
2009 führte der Kreisarzt der Suva, Dr. med. D.________, Facharzt für
Chirurgie, die ärztliche Abschlussuntersuchung durch. Er fand eine funktionell
verbliebene Belastungs- und Bewegungseinschränkung des linken Knies bei
erheblicher nicht organischer Überlagerung. Aus organischer Sicht sei dem
Versicherten eine mittelschwere Tätigkeit mit Einnahme von Wechselpositionen
und unter Vermeidung von repetitivem Begehen von Treppen und Leitern sowie
knieflektierenden Zwangshaltungen wie Knien und Kauern vollumfänglich zumutbar.
Er schätzte den Integritätsschaden auf 7,5 %. Die Suva stellte ihre
Taggeldleistungen per 31. Juli 2009 ein.

Am 8. April 2013 wandte sich der Versicherte mit dem Antrag auf Gewährung einer
Invalidenrente gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 55 % und der Ausrichtung
einer Integritätsentschädigung von 10 % an die Suva. Nach weiteren Abklärungen
verneinte die Unfallversicherung mit Verfügung vom 29. August 2014 bei einem
ermittelten Invaliditätsgrad von 3,42 % einen Anspruch auf eine Invalidenrente.
Die psychischen Beschwerden stünden nicht in einem adäquat-kausalen
Zusammenhang mit dem versicherten Unfall. Es werde ihm eine
Integritätsentschädigung auf Grund einer Integritätseinbusse von 7,5 %
ausgerichtet. Auf Einsprache hin - mit der unter anderem um Durchführung einer
medizinischen Expertise im Sinne einer "neutralen Zweitbeurteilung" ersucht
wurde - hielt die Suva mit Entscheid vom 24. April 2015 an ihrer Verfügung
fest.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen mit Entscheid vom 10. Januar 2017 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ein
neutrales, objektives Obergutachten anzuordnen und gestützt darauf seien der
Invaliditätsgrad und die Integritätsentschädigung neu festzulegen. Eventualiter
sei die Sache zwecks Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In
prozessualer Hinsicht ersucht der Versicherte um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege.

Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht
durchgeführt.

Erwägungen:

1. 

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist
somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen oder es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Das
Bundesgericht prüft indessen, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten
Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 236 E. 1 S. 236; 140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Streitig ist, ob die Vorinstanz den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine
Rente der obligatorischen Unfallversicherung und eine höhere
Integritätsentschädigung zu Recht verneinte und ob der medizinische Sachverhalt
zur Prüfung dieser Fragen genügend abgeklärt ist.
Die für die Beurteilung der umstrittenen Leistungspflicht des
Unfallversicherers massgebenden gesetzlichen und von der Rechtsprechung weiter
entwickelten Grundlagen hat das kantonale Gericht sowohl in materiell- als auch
in formell-, namentlich beweisrechtlicher Hinsicht zutreffend dargelegt. Es
betrifft dies unter anderem die Anspruchsvoraussetzungen des natürlichen und -
kumulativ erforderlichen - adäquaten Kausalzusammenhanges zwischen versichertem
Unfallereignis und eingetretenem Schaden (BGE 129 V 177 E. 3 S. 181 ff. mit
Hinweisen), insbesondere bei psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133). Richtig
sind hier namentlich die Ausführungen über den im Sozialversicherungsrecht in
aller Regel üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V
177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen) sowie die nach der Rechtsprechung bei der
beweismässigen Auswertung medizinischer Berichte zu beachtenden Grundsätze (BGE
125 V 256 E. 4 S. 261 und 351 E. 3 S. 352 ff. mit Hinweisen). Darauf wird
verwiesen.

3. 

3.1. Das kantonale Gericht hielt es mit Blick auf die medizinischen Akten für
fraglich, ob im Zeitpunkt des Verfügungserlasses überhaupt noch eine relevante
Arbeitsunfähigkeit bestand. Es liess dies offen, weil es den adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen den geltend gemachten psychischen Beschweren und
dem Unfall vom 16. Januar 2006 ohnehin verneinte. Eine volle Arbeitsfähigkeit
in einer adaptierten Tätigkeit sei aus somatischer Sicht ausgewiesen. Dies sei
auch vom Beschwerdeführer im Grundsatz nicht bestritten. Weiter schützte es die
Integritätsschadenbemessung des Kreisarztes der Suva. Ein Eingreifen in dessen
Beurteilung rechtfertige sich nicht.

3.2. Der Beschwerdeführer erachtet den Sachverhalt als ungenügend abgeklärt und
hält den Untersuchungsgrundsatz als durch die Vorinstanz verletzt. Er begründet
dies insbesondere damit, die medizinischen Entscheidungsgrundlagen, auf welche
sich die Versicherung und die Vorinstanz stützten, seien veraltet. Obwohl er
sowohl im Einspracheverfahren als auch im kantonalen Verfahren die Anordnung
eines neutralen, objektiven Obergutachtens gefordert habe, sei ein solches
nicht eingeholt worden. Diese Vorgehensweise sei willkürlich. Sein
Gesundheitszustand habe sich seit der MEDAS-Begutachtung vom 1. Oktober 2007
und dem Bericht der Klinik E.________ vom 19. Januar 2009 massiv
verschlechtert.

4. 

4.1. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern sich sein
Gesundheitszustand seit der kreisärztlichen Abschlussuntersuchung vom 3. Juni
2009 verschlechtert haben sollte. Insbesondere legt er auch keine Arztzeugnisse
vor, die eine Verschlechterung belegen würden. Entgegen seiner Darstellung hat
die Suva im Rahmen des Einspracheverfahrens abgeklärt, ob sich die Verhältnisse
in physischer Hinsicht verändert haben. Dr. med. D.________ führte im Rahmen
des Einspracheverfahrens am 25. Februar 2015 eine kreisärztliche Untersuchung
durch (Bericht vom 27. Februar 2015). Demnach gab der Versicherte selbst an,
insgesamt seien die Beschwerden vergleichbar mit der Situation im Jahre 2009.
Der Kreisarzt fand keine neuen medizinischen Tatsachen, die zu einer Änderung
der Beurteilung aus dem Jahre 2009 Anlass geben würden. Er kam zum Schluss,
sowohl die damals formulierte Bemessung des Integritätsschadens, als auch die
Zumutbarkeitsbeurteilung blieben bestehen. Angesichts der dokumentierten
medizinischen Verhältnisse erübrigen sich zusätzliche Abklärungen respektive
die Einholung eines Obergutachtens, wie sie der Beschwerdeführer beantragt.
Davon sind - in antizipierter Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236) -
keine neuen Erkenntnisse zu erwarten, welche sich auf den Ausgang des
Verfahrens auswirken könnten. Der Vorinstanz kann insoweit weder eine
Missachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 42
ATSG) noch eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1 und
Art. 61 lit. c ATSG) vorgehalten werden.

4.2. Auch soweit der Beschwerdeführer geltend machen lässt, die
Adäquanzbeurteilung des kantonalen Gerichts stütze sich auf veraltete
medizinische Berichte und Gutachten, kann ihm nicht gefolgt werden. Ob zwischen
den geltend gemachten psychischen Beschwerden und seinen - nicht
objektivierbaren - Schmerzen im linken Knie ein natürlicher Kausalzusammenhang
besteht, durfte die Vorinstanz offen lassen, nachdem gemäss ihrer sorgfältig
vorgenommenen Adäquanzprüfung feststeht, dass der adäquate Kausalzusammenhang
zu verneinen ist. Inwiefern ein polydisziplinäres Gutachten an dieser bezogen
auf den Zeitpunkt des Fallabschlusses (vgl. Art. 19 Abs. 1 UVG) vorzunehmenden
rechtlichen Würdigung etwas zu ändern vermöchte, hat der Beschwerdeführer nicht
dargetan und ist auch nicht ersichtlich. Nachdem die erfolgten Erhebungen
keinerlei Hinweise auf allenfalls erfüllte Adäquanzkriterien ergeben und das
kantonale Gericht damit das Fehlen adäquater psychischer Unfallfolgen als
erwiesen betrachten durfte, wäre es auch hier Sache des Beschwerdeführers
gewesen, diese Annahme zu widerlegen. Dazu genügt es nicht, in der blossen
Hoffnung, weitere Abklärungen könnten neue Erkenntnisse zutage fördern, die
Aktenlage als unzureichend zu kritisieren.

4.3. Schliesslich führt der Versicherte auch bezüglich der
Integritätsentschädigung an, deren Bemessung beruhe auf einer veralteten
medizinischen Grundlage. Er übersieht dabei, dass diese von Kreisarzt Dr. med.
D.________ anlässlich seiner Untersuchung vom 25. Februar 2015 nochmals
überprüft worden war. Er konnte keine Veränderung gegenüber der kreisärztlichen
Abschlussuntersuchung vom 3. Juni 2009 feststellen.

4.4. Zusammenfassend hat das kantonale Gericht den Einspracheentscheid vom 24.
April 2015 ohne Durchführung weiterer Beweismassnahmen zu Recht geschützt.

5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend trägt der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche
Prozessführung und Verbeiständung kann jedoch entsprochen werden (Art. 64 BGG;
BGE 125 V 201 E. 4a S. 202). Es wird ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG
hingewiesen, wonach die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu
leisten hat, wenn sie später dazu in der Lage ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Markus Roos wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 13. März 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer

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