Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.108/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_108/2017        

Urteil vom 16. August 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Assista Rechtsschutz AG,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom
22. Dezember 2016.

Sachverhalt:

A. 
Die Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern hatte dem 1958 geborenen A.________ in
der Rahmenfrist für den Leistungsbezug vom 25. März 2013 bis 24. März 2015
Taggelder der Arbeitslosenversicherung ausgerichtet. Im letzten Bezugsmonat
Januar 2015 wurden diesem gemäss Abrechnung der Arbeitslosenkasse vom 28.
Januar 2015 16 entschädigungsberechtigte Taggelder ausbezahlt, wobei per 28.
Januar 2015 260 bezogene Taggelder aufgeführt wurden, ohne explizite Angabe des
letzten Bezugstages. Die Online-Anmeldung des A.________ zum Abschluss einer
Abredeversicherung für Nichtberufsunfälle an die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (Suva) datiert vom 24. Februar 2015. Ebenfalls am
24. Februar 2015 zahlte er auch die erste Monatsprämie ein. Gleichentags
bestätigte die Suva die Versicherungsdeckung nach UVG. A.________ verlängerte
den Versicherungsschutz monatlich bis Ende August 2015 und bezahlte
entsprechende Prämien ein. Die Suva sicherte ihm jeweils, letztmals mit
Schreiben vom 21. Juli 2015 für die Dauer vom 1. März bis 31. August 2015, die
Versicherungsdeckung nach UVG zu.

Gemäss Unfallmeldung der Arbeitslosenkasse an die Suva vom 24. Juli 2015
rutschte A.________ am 22. Juli 2015 auf einer nassen Treppenstufe aus und zog
sich einen Bruch des Mittelfusses links zu. Die Suva verneinte mit Verfügung
vom 20. August 2015 einen Leistungsanspruch für die Folgen des Unfalls vom 22.
Juli 2015 mit der Begründung, A.________ habe keine gültige Abredeversicherung
abgeschlossen und sei daher nicht bei ihr unfallversichert. Daran hielt sie auf
Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 2. März 2016).

B. 
Das Kantonsgericht Luzern wies die dagegen erhobene Beschwerde ab, soweit es
darauf eintrat (Entscheid vom 22. Dezember 2016).

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, die Suva sei zu verpflichten, ihm im Zusammenhang mit dem
Unfallereignis vom 22. Juni (gemeint: Juli) 2015 die gesetzlichen
Versicherungsleistungen nach UVG zu erbringen.
Die Suva und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde und
verweisen auf die Erwägungen im angefochtenen Gerichtsentscheid. Das Bundesamt
für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist
folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht
der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend
gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich
sind.

1.2. Im Streit, ob für ein Unfallereignis Versicherungsdeckung besteht, kommt
die Ausnahmeregelung des Art. 105 Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 97 Abs. 2) BGG
ungeachtet dessen, dass von der Beurteilung der Streitfrage auch Ansprüche auf
Geldleistungen der obligatorischen Unfallversicherung abhängen können, nicht
zur Anwendung. Das Bundesgericht kann somit die vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellungen nur im Rahmen von Art. 105 Abs. 1 und 2 (in
Verbindung mit Art. 97 Abs. 1) BGG überprüfen (BGE 135 V 412). Demnach legt es
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG) und wenn
die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG).

2. 
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst
der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Der
vorinstanzliche Verfahrensausgang allein bildet noch keinen hinreichenden
Anlass im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG für die Zulässigkeit von unechten Noven,
die bereits im kantonalen Verfahren ohne Weiteres hätten vorgebracht werden
können. Das Vorbringen von Tatsachen, die sich erst nach dem angefochtenen
Entscheid ereigneten oder entstanden (echte Noven), ist vor Bundesgericht
unzulässig (SVR 2016 UV Nr. 11 S. 33, 8C_412/2015 E. 4 mit Hinweis).

Das Schreiben des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums Luzern (RAV) vom 2.
Februar 2015, mit welchem dem Beschwerdeführer mitgeteilt worden war, dass er
per 31. Januar 2015 von der Arbeitsvermittlung abgemeldet worden sei (unechtes
Novum), und das E-Mail des Beschwerdeführers vom 31. Januar 2017 an seinen
Rechtsvertreter über in der Vergangenheit mit der Suva abgeschlossene
Abredeversicherungen (echtes Novum) sind im vorliegenden Verfahren
unbeachtlich.

3.

3.1. Auf den 1. Januar 2017 sind die mit Bundesgesetz vom 25. September 2015
revidierten Bestimmungen des UVG in Kraft getreten (AS 2016 4375; Botschaft zur
Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung vom 30. Mai 2008, BBl
2008 5395; Zusatzbotschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die
Unfallversicherung vom 19. September 2014, BBl 2014 7911). Auf den gleichen
Zeitpunkt beanspruchen auch die Änderungen vom 9. November 2016 in der UVV
Geltung (AS 2016 4393). In Ziff. II der Schlussbestimmungen UVV wird die
Verordnung über die Unfallversicherung von arbeitslosen Personen vom 24. Januar
1996 (SR 837.171; nachfolgend: aUVAL) aufgehoben. Versicherungsleistungen für
Ereignisse, die sich vor dem Inkrafttreten der revidierten Bestimmungen
zugetragen haben, und für Berufskrankheiten, die vor diesem Zeitpunkt
ausgebrochen sind, werden nach bisherigem Recht gewährt (vgl.
Übergangsbestimmung in Art. 118 Abs. 1 UVG). Auch bezüglich der hier fraglichen
Abredeversicherung kommt das bisherige Recht zur Anwendung, auf welches
nachfolgend Bezug genommen wird.

3.2.

3.2.1. Arbeitslose Personen, welche die Anspruchsvoraussetzungen gemäss Art. 8
AVIG erfüllen oder Entschädigungen nach Art. 29 AVIG beziehen, sind bei der
Suva obligatorisch gegen Unfälle versichert (Art. 2 Satz 1 aUVAL). Die
Versicherung nach Art. 2 aUVAL ist eine Nichtberufsunfallversicherung (BGE 133
V 161 E. 2.2.1 S. 164). Sie beginnt nach Art. 3 Abs. 1 aUVAL mit dem Tag, an
welchem die arbeitslose Person erstmals die Anspruchsvoraussetzungen nach Art.
8 AVIG erfüllt oder Entschädigungen nach Art. 29 AVIG bezieht (vgl. BGE 127 V
458 E. 2a/bb S. 459). Die Versicherung endet mit dem 30. Tag nach dem Tag, an
dem die arbeitslose Person letztmals die Anspruchsvoraussetzungen nach Art. 8
AVIG erfüllt hat oder Entschädigungen nach Art. 29 AVIG bezogen hat (Art. 3
Abs. 2 aUVAL; vgl. nunmehr ab 1. Januar 2017 die mit einer kleinen Änderung in
Art. 3 Abs. 2 UVG aufgenommene Regelung). Soweit die aUVAL keine spezielle
Regelung enthält, richtet sich die Unfallversicherung der arbeitslosen Personen
nach den Vorschriften des UVG und der UVV (Art. 1 aUVAL).

3.2.2. Der Versicherer hat dem Versicherten die Möglichkeit zu bieten, die
Versicherung durch besondere Abrede bis zu 180 Tage zu verlängern (Art. 3 aAbs.
3 UVG). Abreden mit dem Versicherer über die Verlängerung der
Nichtberufsunfallversicherung müssen einzeln oder kollektiv vor dem Ende dieser
Versicherung getroffen werden (Art. 8 UVV).

3.2.2.1. Nach den Grundsätzen über die Informationspflicht, die bezüglich der
Abredeversicherung dem Versicherer und dem Arbeitgeber - als Organe der
Versicherungsdurchführung - zukommt, und denjenigen über die Folgen einer
Verletzung dieser Pflicht gilt, dass der Versicherer den Arbeitgeber und dieser
den Arbeitnehmer über die Möglichkeit der Abredeversicherung zu informieren
hat. Eine Verletzung dieser Informationspflicht kann nach den Prinzipien des
öffentlich-rechtlichen Vertrauensschutzes zur Folge haben, dass die
Versicherungsdeckung auch in Ermangelung einer Abredeversicherung bejaht wird
(aArt. 72 UVV; SVR 2010 UV Nr. 2 S. 7, 8C_784/2008 E. 2, mit Hinweis auf BGE
121 V 28).

3.2.2.2. Nach ständiger Rechtsprechung betreffend die Abredeversicherung einer
arbeitslosen Person gemäss Art. 3 aAbs. 3 UVG und Art. 8 UVV in Verbindung mit
Art. 2 und 3 aUVAL trifft die Informationspflicht nach aArt. 72 UVV (vgl. ab 1.
Januar 2017 die explizite Regelung in Art. 72 Abs. 2 UVV) grundsätzlich die
Organe der Arbeitslosenversicherung, die in diesem Regelungszusammenhang als
Organe der Unfallversicherungsdurchführung tätig sind. Verletzen diese demnach
ihre Pflicht, eine versicherte Person über die Möglichkeit einer Verlängerung
des Unfallversicherungsschutzes durch Abschluss einer Abredeversicherung zu
orientieren, hat dies unter bestimmten Voraussetzungen ebenso eine
Leistungspflicht der Suva zur Folge (BGE 121 V 28 E. 2c S. 34; ARV 2010 S. 50,
8C_286/2009; RKUV 2004 Nr. U 499 S. 167, U 263/02 E. 1.2; Urteil U 600/06 vom
22. November 2007 E. 3.2 mit Hinweisen).

4. 
In der Unfallmeldung der Arbeitslosenkasse vom 24. Juli 2015 wurde als letzter
Tag mit Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung der 16. Januar 2015 angegeben.
Gleichentags korrigierte die Kasse dieses Datum mittels E-Mail auf den 22.
Januar 2015. Gestützt darauf hat die dreissigtägige Versicherungsnachdeckung im
Sinne von Art. 3 Abs. 2 aUVAL in Verbindung mit Art. 8 UVV am 23. Januar 2015
begonnen und am 21. Februar 2015 geendet. Die Anmeldung des Beschwerdeführers
zwecks Abschlusses einer Abredeversicherung mit Online-Zahlung am 24. Februar
2015 war folglich unbestrittenermassen verspätet. Umstritten ist hingegen, ob
der Beschwerdeführer in seinem Vertrauen auf eine gültig zustande gekommene
Abredeversicherung zu schützen ist.

5.

5.1. Die Vorinstanz vertritt die Auffassung, die Anmeldung wäre selbst dann
verspätet gewesen, wenn nicht auf den Zeitpunkt der ersten Prämienzahlung und
der erstmaligen Erfassung im elektronischen System (24. Februar 2015), sondern
auf das vom Beschwerdeführer behauptete, aber in den Akten nicht dokumentierte
Telefongespräch vom 23. Februar 2015 abzustellen wäre. Auf den Vertrauensschutz
könne er sich nicht erfolgreich berufen, weil dem Suva-Mitarbeiter, mit dem er
das Telefongespräch vom 23. Februar 2015 angeblich geführt habe, in jedem Fall
nicht sämtliche relevanten Informationen zur Verfügung gestanden seien. So habe
er offenbar davon gesprochen, dass der Taggeldanspruch gegenüber der
Arbeitslosenversicherung noch bis am 28. Januar 2015 bestanden habe. Dies habe
sich später als falsch herausgestellt. Die Übermittlung der korrekten Daten,
bzw. der zeitlichen Grundlagen für die Versicherungsdeckung, liege jedoch nicht
in der Verantwortung der Suva. Vielmehr hätte der Beschwerdeführer, wenn er
sich hinsichtlich des letzten Anspruchstages nicht im Klaren gewesen sein
sollte, bei der Arbeitslosenkasse nachfragen müssen. Nicht von Bedeutung sei in
diesem Zusammenhang, dass ihm monatlich eine Bestätigung über die Bezahlung der
Abredeversicherung zugestellt worden sei. Aus diesen automatisch generierten
Bestätigungen gehe nämlich hervor, dass die Versicherung nur insoweit als
abgeschlossen bestätigt werde, als die vom Versicherten gemachten Angaben
korrekt seien. Genau dies sei hier aber nicht der Fall gewesen, weil der
Beschwerdeführer bei den Verlängerungen der Abredeversicherung als letzten
Taggeld-Bezugstag jeweils den 28. Januar 2015 anstelle des 22. Januar 2015
angegeben habe.

5.2.

5.2.1. Der in Art. 9 BV verankerte Grundsatz von Treu und Glauben statuiert ein
Verbot widersprüchlichen Verhaltens und verleiht einer Person Anspruch auf
Schutz des berechtigten Vertrauens in behördliche Zusicherungen oder sonstiges,
bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten der Behörden (BGE 131 II 627 E.
6.1 S. 636). Die Voraussetzung für eine Berufung auf Vertrauensschutz, die
unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende
Behandlung der Rechtsuchenden gebieten kann, ist erfüllt: 1. wenn die Behörde
in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat; 2.
wenn sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder wenn
die rechtsuchende Person die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig
betrachten durfte; 3. wenn die Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne
weiteres erkennen konnte; 4. wenn sie im Vertrauen auf die Richtigkeit der
Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig
gemacht werden können, und 5. wenn die gesetzliche Ordnung seit der
Auskunftserteilung keine Änderung erfahren hat. Der unrichtigen Auskunft
gleichgestellt ist die Unterlassung einer behördlichen Auskunft, die gesetzlich
vorgeschrieben oder nach den im Einzelfall gegebenen Umständen geboten war. Die
dritte Voraussetzung lautet diesfalls: wenn die Person den Inhalt der
unterbliebenen Auskunft nicht kannte oder deren Inhalt so selbstverständlich
war, dass sie mit einer anderen Auskunft nicht hätte rechnen müssen (BGE 131 V
472 E. 5 S. 480).
Gemäss Art. 27 Abs. 2 ATSG hat jede Person Anspruch auf grundsätzlich
unentgeltliche Beratung über ihre Rechte und Pflichten (Satz 1). Dafür
zuständig sind die Versicherungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu
machen oder die Pflichten zu erfüllen sind (Satz 2). Die Beratung ist
grundsätzlich auf entsprechendes Begehren der betreffenden Person sowie ohne
Antrag vorzunehmen, wenn der Versicherungsträger einen entsprechenden Bedarf
feststellt. Eine ungenügende oder fehlende Wahrnehmung der Beratungspflicht
kommt einer falsch erteilten Auskunft des Versicherungsträgers gleich, weshalb
dieser in Nachachtung des Vertrauensprinzips hierfür einzustehen hat (SVR 2007
KV Nr. 14 S. 53, K 7/06 vom 12. Januar 2007 E. 3.3 mit Hinweisen).

5.2.2. Im vorliegenden Fall besteht die nachteilige Disposition des
Beschwerdeführers darin, dass er - ohne dies zu wissen - keine gültige
Abredeversicherung abgeschlossen hat und somit im Zeitpunkt des Ereignisses vom
22. Juli 2015 nicht gegen die Folgen von Nichtberufsunfällen versichert war.
Die Ausgangslage lässt keinen Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer von der
Möglichkeit der Abredeversicherung Gebrauch machen wollte, wähnte er sich doch
im Glauben, für einen entsprechenden Versicherungsschutz alles Notwendige
unternommen zu haben. Hätte er von der zu späten Anmeldung bei der Suva
gewusst, hätte er sich bei einem anderen Versicherungsträger um Abschluss einer
Nichtberufsunfallversicherung bemüht. Insoweit liegt eine andere Konstellation
vor als im Urteil 8C_784/2008 vom 11. September 2009, welches in der Beschwerde
angerufen wird.

5.3.

5.3.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe drei Telefonate mit der Suva
geführt, in welchen er mehrfach mündlich seine Absicht geäussert habe, eine
Abredeversicherung abschliessen zu wollen. Zwar habe er von der 30-tägigen
Nachdeckungsphase gewusst, da er bereits früher einmal eine entsprechende
Versicherung bei der Suva abgeschlossen habe. Er sei jedoch in Unkenntnis der
tatsächlichen Rechtslage davon ausgegangen, dass die entsprechende Frist erst
am Ende des letzten Bezugsmonats von Arbeitslosentaggeldern zu laufen beginne.
Hinsichtlich des letzten Bezugstags von Leistungen der Arbeitslosenversicherung
hätten sowohl seitens der Suva als auch seitens der Arbeitslosenversicherung
Unsicherheiten bestanden. So habe der Sachbearbeiter der
Arbeitslosenversicherung nachträglich seine Bestätigung hinsichtlich des
letzten Arbeitslosentaggeldbezugs um mehrere Tage korrigiert. Ein juristischer
Laie sei demzufolge auf verlässliche und präzise Informationen seitens des
Sozialversicherungsträgers angewiesen. Auf der letzten Taggeldabrechnung der
Arbeitslosenkasse vom 28. Januar 2015 sei der letzte effektive Bezugstag nicht
vermerkt, sondern es sei bloss die Gesamtzahl der entschädigungsberechtigten
Taggelder des betreffenden Monats ersichtlich.
Eine vom Gesetz abweichende Behandlung eines Rechtsuchenden als Folge des
Vertrauensschutzes kann nur in Betracht fallen, wenn die Voraussetzungen des
Vertrauensschutzes klar und eindeutig erfüllt sind. In Bezug auf mündliche und
namentlich telefonische Zusicherungen und Auskünfte hat die Rechtsprechung
erkannt, dass die blosse, unbelegte Behauptung einer telefonischen Auskunft
oder Zusage nicht genügt, um einen Anspruch aus dem Grundsatz des
Vertrauensschutzes zu begründen. Praxisgemäss ist eine nicht schriftlich
belegte telefonische Auskunft zum Beweis von vornherein kaum geeignet (Urteil
8F_6/2013 vom 25. Juni 2013 E. 2 mit Hinweisen). Ob die drei behaupteten
Telefongespräche des Beschwerdeführers mit der Suva im Februar 2015
stattgefunden haben und worüber allenfalls gesprochen wurde, kann allerdings
für dieses Verfahren offen bleiben, wie sich im Folgenden herausstellt (vgl. E.
5.3.2 hiernach). Es ist jedenfalls unbestritten, dass der Beschwerdeführer
damals noch fälschlicherweise den 28. Januar 2015 als letzten Bezugstag von
Arbeitslosentaggeldern angenommen hatte und ausgehend davon die Prämienzahlung
vom 24. Februar 2015 für die Abredeversicherung als fristwahrend wertete. Bei
der Durchsicht der Versicherungsdeckungsbestätigungen der Suva fällt jedoch
auf, dass darin mehrheitlich der 28. Februar 2015 und nur vereinzelt der 28.
Januar 2015 als letzter Arbeitslosenbezugstag genannt wird. Auch der
Beschwerdeführer wies in seiner Korrespondenz mit der Suva zur Unfalldeckung
darauf hin, dass er anfänglich das Datum des 28. Februar 2015 (Ende der
Nachdeckungsfrist) als massgebend erachtet habe. Da diese Differenz allerdings
in der vorliegenden Konstellation nichts am Ergebnis zu ändern vermag,
erübrigen sich Weiterungen dazu. Der Beschwerdeführer moniert zutreffend, dass
der letzten Taggeldabrechnung der Arbeitslosenkasse vom 28. Januar 2015 nicht
entnommen werden kann, auf welches Datum der letzte Taggeldbezug fiel. Hingegen
ergibt sich daraus, dass per 28. Januar 2015 260 Taggelder bezogen worden
seien. Für vor der Aussteuerung stehende arbeitslose Personen wäre diese
Zusatzinformation im Hinblick auf die Berechnung der Frist zum Abschluss einer
Abredeversicherung zweifellos hilfreich. An dieser Stelle muss nicht
beantwortet werden, ob die Arbeitslosenkasse ihre Informationspflicht als Organ
der Unfallversicherungsdurchführung (vgl. E. 3.2.2.2 hiervor) mit einem
allgemeinen Hinweis im Sinne von Art. 27 Abs. 1 ATSG auf die Möglichkeit einer
Abredeversicherung überhaupt zu erfüllen vermag, oder ob sie nicht vielmehr
ohne Aufforderung durch die arbeitslose Person, von sich aus, jeweils in
geeigneter Form das konkrete Datum des letzten Tages mit Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung mitzuteilen hat (vgl. BGE 131 V 472 E. 4.1 S. 476).
Denn, wie sich nachfolgend zeigt, hat jedenfalls die Suva selber durch ihr
eigenes Verhalten nach der Anmeldung des Beschwerdeführers für eine
Abredeversicherung vom 24. Februar 2015 eine Vertrauensgrundlage geschaffen.

5.3.2. In der Beschwerde wird nämlich zu Recht geltend gemacht, dass nach
Einzahlung der ersten Versicherungsprämie ein elementares Bedürfnis an
Information bestanden habe, über das rechtsgültige Zustandekommen des
Abredeversicherungsvertrags aufgeklärt zu werden. Es wird ein Verstoss gegen
die Abklärungs- und Untersuchungspflichten gemäss Art. 43 ATSG und die
Aufklärungs- und Beratungspflichten nach Art. 27 ATSG behauptet, da der
Unfallversicherer mit der Prüfung der relevanten Abredevertragskriterien erst
nach Eintritt des Schadenfalles im Juli 2015, also rund fünf Monate nach der
erstmaligen Zahlung der monatlichen Versicherungsprämie, begonnen habe.

5.3.2.1. Die Berufung auf Art. 43 ATSG ist allerdings nicht stichhaltig. Art.
43 ATSG bezieht sich namentlich auf Leistungsbegehren und ein solches wurde
vorliegend erst nach Eintritt des Schadenfalls vom 22. Juli 2015 gestellt. Der
Beschwerdeführer vertritt aber den Standpunkt, dass er vor dem Unfallereignis
über das Nichtzustandekommen der Abredeversicherung hätte aufgeklärt werden
müssen, damit ihm die Möglichkeit offen gestanden hätte, sich anderweitig
abzusichern. Somit stützt er sich hauptsächlich auf Art. 27 ATSG (vgl. E. 5.2.1
hiervor und E. 5.3.2.2 hiernach). Ob die Arbeitslosenversicherung ihrer
Aufklärungs- und Beratungspflicht im Sinne von Art. 27 Abs. 1 oder Abs. 2 ATSG
nachgekommen ist, kann - wie erwähnt - dahingestellt bleiben.

5.3.2.2. Die Suva sah keinen Verstoss gegen ihre Aufklärungs- und
Beratungspflichten, da sie bezüglich des letzten Arbeitslosenbezugstags vom
Beschwerdeführer falsch informiert worden war. Sie habe erst mit E-Mail des
Mitarbeiters der Arbeitslosenkasse am 24. Juli 2015 erfahren, dass das richtige
Datum auf den 22. Januar 2015 laute. Nach der unbestritten gebliebenen
Feststellung der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer in seiner Anmeldung zum
Abschluss einer Abredeversicherung den 28. Januar 2015 genannt (bzw. den 28.
Februar 2015; vgl. dazu E. 5.3.1 hiervor). Die Suva stützte sich auf den in
ihren monatlichen Bestätigungen über die Versicherungsdeckung nach UVG
enthaltenen Passus: "Die Versicherungsdeckung besteht nur unter der
Voraussetzung, dass die von Ihnen gemachten Angaben korrekt sind". Wie sie in
ihrem Bericht über die Besprechung vom 17. August 2015 mit dem Beschwerdeführer
am Schalter der Agentur Zentralschweiz ausserdem festgehalten hatte,
kontrolliert sie jeweils erst bei einem konkreten Unfall, ob die Einzahlung
wirklich innerhalb der 30 Tage erfolgt, bzw. ob die Abredeversicherung gültig
zustande gekommen sei.

5.3.2.3. Diese Praxis der Suva, erst nach Eintritt eines Schadenfalls die
rechtzeitige Bezahlung der ersten Prämie und damit die Frage nach dem
Zustandekommen eines Abredeversicherungsvertrags zu prüfen, kann zu stossenden
Ergebnissen führen, wie die vorliegende Streitsache zeigt. Für den Fall, dass
eine (vermeintlich versicherte) Person unfallfrei bleibt, leistet sie unter
Umständen während sechs Monaten Prämien für eine Abredeversicherung, obwohl sie
gar keinen Versicherungsschutz geniesst. Im Unwissen darum sieht diese keinen
Anlass, sich bei einem anderen Versicherungsträger um den Abschluss einer
Nichtberufsunfallversicherung zu bemühen. Erleidet sie jedoch einen Unfall,
erfährt sie erst nach der Schadenmeldung, dass keine Versicherungsdeckung
besteht. Nachträglich kann sie sich nicht mehr versichern. Geht unter dem
Aspekt von Treu und Glauben eine anfängliche unzutreffende Bestätigung der
Versicherungsdeckung seitens der Suva allein gestützt auf die Angaben der zu
versichernden Person noch an, so kann für die nachfolgenden monatlichen
Versicherungsdeckungszusagen der Suva nicht das Gleiche gelten. Bei der
rechtzeitigen Bezahlung der Prämie handelt es sich um eine elementare, aber
auch einfach nachzuprüfende Voraussetzung für ein gültiges Zustandekommen der
Abredeversicherung. Es ist der Suva im Rahmen ihrer Aufklärungs- und
Beratungspflicht im Sinne von Art. 27 Abs. 2 ATSG zuzumuten, zeitnah nach der
ersten Zahlung der Abredeversicherungsprämie zu prüfen, ob die 30-tägige Frist
gemäss Art. 3 Abs. 2 aUVAL in Verbindung mit Art. 8 UVV eingehalten wurde.
Mit den im vorliegenden Fall insgesamt sechs Versicherungsdeckungsbestätigungen
- die letzte für die Verlängerung bis Ende August 2015 datiert vom 21. Juli
2015 und somit einen Tag vor dem Unfallereignis - hat die Suva eine
Vertrauensgrundlage im Sinne von Art. 9 BV geschaffen, die eine vom materiellen
Recht abweichende Behandlung des Beschwerdeführers gebietet, da sämtliche
Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Nachdem der Beschwerdeführer bereits für
mehrere Monate Abredeversicherungsprämien geleistet hatte, musste er mit der
Auskunft, er habe sich ursprünglich, im Februar 2015, zu spät angemeldet,
weshalb die Abredeversicherung nicht zustande gekommen sei, nicht mehr rechnen
(vgl. E. 5.2.1 hiervor). Mit anderen Worten kann sich die Suva bezüglich des
rechtzeitigen Abschlusses zwar für eine erste Phase nach Einzahlung der
Versicherungsprämie auf die Angaben der versicherten Person stützen. Sie darf
mit der Prüfung der Frist aber nicht bis zu einer allfälligen späteren
Schadenmeldung zuwarten, weil sie so in stossender Weise dazu beiträgt, dass
sich Personen, die eine Unfalldeckung wünschen, die Abredeversicherung aber zu
spät abgeschlossen haben, nicht um einen anderweitigen
Unfallversicherungsschutz bemühen. Auch aus Art. 27 Abs. 2 ATSG trifft die Suva
eine Aufklärungs- und Beratungspflicht hinsichtlich der Fristeinhaltung, da für
die immerhin maximal sechsmonatige Versicherungsdauer ein entsprechender
Beratungsbedarf der ausgesteuerten Personen, welche sich für eine
Abredeversicherung angemeldet haben und Prämien leisten, offensichtlich ist.

6. 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Abredeversicherung
vertrauensschutzrechtlich als zustande gekommen zu betrachten ist. Die
Angelegenheit ist an die Suva zurückzuweisen, damit sie prüfe, ob sich aus
dieser Versicherung die geltend gemachten Leistungsansprüche im Zusammenhang
mit dem Unfall vom 22. Juli 2015 ergeben, und neu verfüge.

7. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die unterliegende Suva hat die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer hat
Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom
22. Dezember 2016 und der Einspracheentscheid der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (Suva) vom 2. März 2016 werden aufgehoben und die
Sache wird an die Suva zurückgewiesen, damit sie über den Leistungsanspruch des
Beschwerdeführers neu verfüge.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Kantonsgericht Luzern zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. August 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz

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