Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.105/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_105/2017        

Urteil vom 6. Juni 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 30. November 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1965, arbeitete seit dem 1. September 2007 in einem
Vollzeitpensum beim Spital B.________ als Etagenservice-Angestellte. Nach einer
Früherfassung meldete sie sich am 23. Februar 2011 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an, nachdem sie seit dem 22. September
2010 (teilweise) krank geschrieben war, zuletzt zu 70 Prozent. Sie litt nach
dem Tod ihrer jüngeren Tochter unter einer Depression. Dr. med. C.________,
Psychiatrie und Psychotherapie FMH, diagnostizierte in seinem Gutachten vom 25.
Mai 2011 zuhanden der BVK Personalvorsorge des Kantons Zürich eine schwere
depressive Episode. Am 1. Februar 2012 kündigte die Arbeitgeberin A.________
auf den 31. Mai 2012. A.________ trat am 1. September 2013 eine neue Stellung
an bei der D.________ AG mit einem Arbeitspensum von 30 Prozent. Die IV-Stelle
des Kantons Zürich holte ein Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle MEDAS
Ostschweiz vom 7. Januar 2015 ein. Mit Verfügung vom 15. Oktober 2015 sprach
sie A.________ bei einem Invaliditätsgrad von 100 Prozent für die Zeit vom 1.
September 2011 bis zum 31. August 2012 eine ganze Invalidenrente zu.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 30. November 2016 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihr auch über
den 1. September 2012 hinaus eine ganze Invalidenrente zuzusprechen,
eventualiter sei ein neues bidisziplinäres Gutachten einzuholen. Zudem ersucht
sie um unentgeltliche Rechtspflege.

Mit Eingabe vom 20. April 2017 liess die Beschwerdeführerin mitteilen, dass sie
für den vorliegenden Fall Rechtsschutzdeckung erhalten habe.

Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt. Ein
Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art.
105 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art.
106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend
gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann
eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es
kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der
allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG),
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel
nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

2. 
Streitig ist die Befristung der zugesprochenen Invalidenrente. Die Vorinstanz
hat den Anspruch beziehungsweise die dafür vorausgesetzte Arbeitsunfähigkeit
gestützt auf das MEDAS-Gutachten vom 7. Januar 2015 beurteilt.

Das kantonale Gericht hat die dafür massgeblichen Bestimmungen und Grundsätze
zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen.

3. 
Die Vorinstanz hat die vorliegenden Arztberichte eingehend dargestellt. Sie hat
erkannt, dass die Beschwerdeführerin an einer mittelschweren bis schweren
depressiven Episode gelitten habe. Unbestrittenerweise habe nach Ablauf des
Wartejahres ab dem 1. September 2011 bei einem Invaliditätsgrad von 100 Prozent
Anspruch auf eine ganz Rente bestanden. Nach dem voll beweiskräftigen
MEDAS-Gutachten sei die Beschwerdeführerin in einer leidensangepassten
Tätigkeit seit Mai 2012 zu 100 Prozent arbeitsfähig und die Rente sei im August
2012 zu revidieren. Aus rein orthopädischer Sicht bestehe keine Einschränkung
der Arbeitsfähigkeit. Die Versicherte leide aus internistischer Sicht unter
keinen Handicaps, die die Arbeitsfähigkeit beeinflussten. Aus psychiatrischer
Sicht sei nur noch eine leichte depressive Episode ohne Auswirkung auf die
Arbeitsfähigkeit festzustellen.

4.

4.1. Die Beschwerdeführerin macht insbesondere geltend, dass ihr behandelnder
Arzt Dr. med. E.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Klinik
F.________, seit Behandlungsbeginn (gemäss Bericht vom 1. März 2011: am 27.
September 2010) eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine depressive
Episode mittelschweren Ausmasses diagnostiziert habe. Angesichts der
langjährigen Betreuung vermöge er ihren Gesundheitszustand besser einzuschätzen
als die MEDAS-Gutachter. Eine Verbesserung habe er nicht feststellen können.
Eine Rentenrevision lasse sich nicht dadurch begründen, dass die
MEDAS-Gutachter nunmehr andere Diagnosen gestellt hätten.

4.2. Die Beschwerdeführerin reicht letztinstanzlich als neues Beweismittel den
Bericht des Dr. med. E.________ vom 31. Januar 2017 ein. Dieser bleibt als
echtes Novum im Verfahren vor dem Bundesgericht unbeachtlich (Art. 99 Abs. 1
BGG; BGE 133 IV 342 E. 2.1 S. 343 f.; Urteil 5A_115/2012 vom 20. April 2012 E.
4.2.2). Auf die von Dr. med. E.________ angeführte Forschungsdiagnose einer
komplizierten Trauer ist daher nicht weiter einzugehen.

4.3. Das kantonale Gericht hat praxisgemäss auf das MEDAS-Gutachten abgestellt,
weil nach seiner Beurteilung keine konkreten Indizien gegen dessen
Zuverlässigkeit sprechen (BGE 137 V 210 E. 1.3.4 S. 227; 125 V 351 E. 3b/bb S.
353).

Die Ausführungen der Gutachter werden im angefochtenen Entscheid eingehend
wiedergegeben und gewürdigt. Die von Dr. med. E.________ gestellte Diagnose
einer posttraumatischen Belastungsstörung (Bericht vom 22. November 2012)
konnte nicht bestätigt werden. Aufgrund der aktuellen Untersuchungsergebnisse
liege eine leichtgradige depressive Episode vor. Das kantonale Gericht hat
massgeblich berücksichtigt, dass Dr. med. C.________ in seinem
Verlaufsgutachten vom 28. August 2012 nach der Untersuchung der
Beschwerdeführerin im Mai 2012 und die MEDAS-Gutachter übereinstimmend
lediglich noch eine leichte depressive Episode diagnostizierten. Dabei wurden
in beiden Gutachten die Ergebnisse neuropsychologischer Abklärungen mit
Symptomvalidierung berücksichtigt, welche auffällige Inkonsistenzen zeigten.
Die Vorinstanz hat sich zur Einschätzung der MEDAS-Gutachter eingehend
geäussert und ist deren sorgfältiger Begründung, wonach die Arbeitsfähigkeit
aus psychiatrischer Sicht seit Mai 2012 nicht mehr eingeschränkt sei, gefolgt.
Die durch Dr. med. E.________ veranlasste Abklärung sei dagegen ohne
Symptomvalidierung erfolgt. Nach dem MEDAS-Gutachten habe bei eingehender
Auseinandersetzung mit der persönlichen Situation der Beschwerdeführerin zudem
keine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert werden können.
Einerseits weil die dafür erforderlichen Symptome fehlten, anderseits aber
auch, weil die psychische Beeinträchtigung erst rund drei Jahre nach dem Tod
der Tochter ausgebrochen sei (vgl. dazu auch BGE 142 V 342 E. 5 S. 345 ff.).
Insgesamt habe keine psychische Störung mit Krankheitswert und Auswirkung auf
die Arbeitsfähigkeit mehr festgestellt werden können.

4.4. Die Beschwerdeführerin rügt, das kantonale Gericht habe sich zu ihrer
Forderung nach der Anwendung der Qualitätsleitlinien der Schweizerischen
Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie SGPP für
versicherungspsychiatrische Gutachten nicht geäussert und diese seien zu
Unrecht nicht angewendet worden. Die Leitlinien datieren vom 16. Juni 2016
(abrufbar unter: http://www.psychiatrie.ch/sgpp/fachleute-und-kommissionen/
leitlinien/; besucht am 17. Mai 2017). Weder Gesetz noch Rechtsprechung
schreiben den Psychiatern eine Begutachtung nach den entsprechenden Richtlinien
vor (Urteil 9C_715/2016 vom 24. Januar 2017 E. 3.2; 8C_266/2012 vom 2. Juli
2012 E. 4.1). Es wird beschwerdeweise nicht näher begründet, inwiefern die
Beurteilung unter Berücksichtigung von bestimmten Qualitätserfordernissen nach
den Leitlinien anders hätte ausfallen müssen beziehungsweise das zuvor
erstattete Gutachten hinsichtlich der klinischen Untersuchung mit
Anamneseerhebung, Symptomerfassung und Verhaltensbeobachtung ungenügend sein
soll (Urteile 9C_207/2015 vom 5. Juni 2015 E. 4.2; 8C_266/2012 vom 2. Juli 2012
E. 4.1). Das kantonale Gericht durfte sich bei der Begründung seines
Entscheides auf die dafür wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 141 V
557 E. 3.2.1 S. 564 f.; 134 I 83 E. 4.1 S. 88).

4.5. Die Beschwerdeführerin beanstandet die Rechtsprechung des Bundesgerichts
zu den leichten bis mittelgradigen depressiven Störungen. Der Ansatz, für die
IV-Berentung ein Dauerleiden abzuverlangen, das keiner Heilbehandlung mehr
zugeführt werden könne, sei von der gesetzlichen Konzeption nicht gedeckt. Die
blosse Therapierbarkeit könne kein Kriterium für das Nichtgewähren einer
Invalidenrente darstellen.
Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts fallen depressive Störungen leicht-
bis mittelgradiger Natur, seien sie im Auftreten rezidivierend oder episodisch,
einzig dann als invalidisierende Krankheiten in Betracht, wenn sie
erwiesenermassen therapieresistent sind (BGE 140 V 193 E. 3.3 S. 197 mit
Hinweis; Urteile 9C_841/2016 vom 8. Februar 2017 E. 3.1; 9C_13/2016 vom 14.
April 2016 E. 4.2; 9C_539/2015 vom 21. März 2016 E. 4.1.3.1; 8C_104/2014 vom
26. Juni 2014 E. 3.3.4). Nur in einer solchen - seltenen, da nach gesicherter
psychiatrischer Erfahrung Depressionen im Allgemeinen therapeutisch gut
angehbar sind - gesetzlich verlangten Konstellation ist den normativen
Anforderungen des Art. 7 Abs. 2 zweiter Satz ATSG für eine objektivierende
Betrachtungs- und Prüfungsweise Genüge getan (BGE 141 V 281 E. 3.7.1 bis 3.7.3
S. 295 f.; Urteile 8C_753/2016 vom 15. Mai 2017 E. 4.3; 8C_344/2016 vom 23.
Februar 2017 E. 5.2.2). Einer solchen psychischen Beeinträchtigung fehlt es -
solange therapeutisch angehbar - bereits diagnosebedingt an einem hinreichenden
Schweregrad, um als invalidisierender Gesundheitsschaden zu gelten.
Grundsätzlich können einzig schwere psychische Störungen invalidisierend sein
(Urteil 8C_753/2016 vom 15. Mai 2017 E. 4.4).

Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführerin wegen ihres depressiven
Leidens für die Zeit von September 2011 bis August 2012 eine Rente
zugesprochen. Die Vorinstanz hat aufgrund einer eingehenden Würdigung der
medizinischen Berichte in sachverhaltlicher Hinsicht festgestellt, dass sich
der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin seit Mai 2012 verbessert habe und
diese wieder voll arbeitsfähig sei. Aus diesem Grund sei die Rentenbefristung
bis August 2012 nicht zu beanstanden.

Die Beschwerdeführerin legt über weite Strecken ihre eigene Sicht der Dinge
dar, ohne sich mit der Beweiswürdigung der Vorinstanz auseinanderzusetzen und
darzulegen, inwiefern die vorinstanzlichen Feststellungen willkürlich sind,
sodass auf diese abzustellen ist. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür und
wird auch nicht geltend gemacht, dass das Leiden therapieresistent wäre. Nach
den verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen hat sich durch die Gabe von
Lithium eine Verbesserung der Befindlichkeit eingestellt. Darüber hinaus fehlt
es der nach dem MEDAS-Gutachten vorliegenden leichten depressiven Störung an
der für eine Invalidisierung vorausgesetzten Schwere des Leidens (BGE 139 V 547
E. 9.4 S. 568). Es wird in der Beschwerde nichts vorgebracht, was den
vorinstanzlichen Entscheid als in tatsächlicher Hinsicht offensichtlich
unrichtig oder sonstwie bundesrechtswidrig erscheinen liesse.

5. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der
unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. Juni 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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