Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.103/2017
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2017
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2017


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_103/2017

Urteil vom 5. April 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zug, Baarerstrasse 11, 6300 Zug,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 24.
November 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1966, ist gelernte Coiffeuse und arbeitete als
Serviceangestellte. Am 2. März 1999 meldete sie sich bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an unter Hinweis auf eine am 28. Juli
1996 erlittene Halswirbelsäulenverletzung sowie eine milde traumatische
Hirnverletzung. Sie hatte sich als Gast in einem Restaurant befunden, als sich
eine Sonnenstore aus der Verankerung löste und ihr auf den Hinterkopf fiel. Das
Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle MEDAS Zentralschweiz vom 8. Juni
2001 bescheinigte in der nunmehr ausgeübten Tätigkeit als Buchhalterin im
Geschäft ihres Ehemannes eine (rheumatologisch bedingte) Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit um 50 Prozent. Mit Verfügungen vom 11. Juli 2002 sprach ihr
die IV-Stelle des Kantons Zug vom 1. März 1998 bis zum 30. April 2001 eine
ganze und ab dem 1. Mai 2001 eine halbe Invalidenrente zu. Sie bestätigte den
Anspruch am 27. Oktober 2004 und am 26. März 2007.

Gestützt auf die am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Schlussbestimmungen der
Änderung des IVG vom 18. März 2011 überprüfte die IV-Stelle die Rente und
stellte ihre Leistungen mit Verfügung vom 28. März 2013 ein. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Zug hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit
Entscheid vom 8. Mai 2014 in dem Sinne gut, als es die Verfügung vom 28. März
2013 aufhob und die Sache zur ergänzenden Sachverhaltsabklärung an die
IV-Stelle zurückwies. Gestützt auf das Gutachten der Medizinischen
Abklärungsstelle MEDAS Bern, ZVMB GmbH, vom 30. Juli 2015 (mit ergänzender
Stellungnahme vom 7. Januar 2016) stellte sie die Invalidenrente per 30. April
2016 ein (Verfügung vom 1. März 2016).

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zug mit
Entscheid vom 24. November 2016 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihr auch
weiterhin eine halbe Rente auszurichten.

Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt und auf einen
Schriftenwechsel verzichtet.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

1.2. Nach Art. 105 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Abs. 1). Es kann diese
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Abs. 2). Die Voraussetzungen für eine Sachverhaltsrüge nach Art.
97 Abs. 1 BGG und für eine Berichtigung des Sachverhalts von Amtes wegen nach
Art. 105 Abs. 2 BGG stimmen im Wesentlichen überein. Soweit es um die Frage
geht, ob der Sachverhalt willkürlich oder unter verfassungswidriger Verletzung
einer kantonalen Verfahrensregel ermittelt worden ist, sind strenge
Anforderungen an die Begründungspflicht der Beschwerde gerechtfertigt.
Entsprechende Beanstandungen sind vergleichbar mit den in Art. 106 Abs. 2 BGG
genannten Rügen. Demzufolge genügt es nicht, einen von den tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten. Vielmehr
ist in der Beschwerdeschrift nach den erwähnten gesetzlichen Erfordernissen
darzulegen, inwiefern diese Feststellungen willkürlich bzw. unter Verletzung
einer verfahrensrechtlichen Verfassungsvorschrift zustande gekommen sind.
Andernfalls können Vorbringen mit Bezug auf einen Sachverhalt, der von den
Feststellungen im angefochtenen Entscheid abweicht, nicht berücksichtigt
werden. Vorbehalten bleiben offensichtliche Sachverhaltsmängel im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 BGG, die dem Richter geradezu in die Augen springen (BGE 133 IV
286 E. 6.2 S. 288; 133 II 249 E. 1.4.3 S. 255).

2. 
Streitig ist die Aufhebung der Invalidenrente. Die Beschwerdeführerin macht
geltend, sie sei unzulässig, denn es habe sich weder eine Verbesserung des
Gesundheitszustandes ergeben, die Anlass für eine Rentenrevision nach Art. 17
ATSG gäbe, noch seien die Voraussetzungen für eine Überprüfung der Rente nach
den Schlussbestimmungen erfüllt.

3.

3.1. Nach lit. a Abs. 1 der Schlussbestimmungen der Änderung des IVG vom 18.
März 2011 (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket, AS 2011 5659) werden Renten,
die bei pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne
nachweisbare organische Grundlage gesprochen wurden, innerhalb von drei Jahren
nach Inkrafttreten der Änderung überprüft. Sind die Voraussetzungen nach Art. 7
ATSG nicht erfüllt, so wird die Rente herabgesetzt oder aufgehoben, auch wenn
die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 ATSG nicht erfüllt sind. Nach der
Rechtsprechung genügt die Diagnose eines pathogenetisch-ätiologisch unklaren
Beschwerdebildes ohne organische Grundlage und die allein darauf gestützte
medizinische Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit nicht zum Nachweis einer
rentenbegründenden Invalidität (BGE 139 V 547 E. 6 S. 559). Die
Arbeitsfähigkeit ist nach der sogenannten Schmerzrechtsprechung zu beurteilen (
BGE 141 V 281; 131 V 49 E. 1.2 S. 50; unten E. 3.4).

3.2. Das kantonale Gericht hat unter Hinweis auf seinen Entscheid vom 8. Mai
2014 erwogen, dass die ursprüngliche Rentenzusprechung gestützt auf ein
pathogenetisch-ätiologisch unklares syndromales Beschwerdebild ohne
nachweisbare organische Grundlage gesprochen worden sei. Dies ist
letztinstanzlich unbestritten geblieben. Die IV-Stelle hat deshalb zu Recht
eine Überprüfung der Rente nach der genannten Schlussbestimmung eingeleitet (
BGE 139 V 547 E. 10.1.1 S. 568 f.).

3.3. Nach BGE 139 V 547 setzt die Aufhebung oder Herabsetzung einer Rente nach
Massgabe der Schlussbestimmungen der IV-Revision 6a weiter voraus, dass im
Revisionszeitpunkt ausschliesslich ein unklares Beschwerdebild vorliegt (E.
10.1.2 S. 569). Das kantonale Gericht ist gestützt auf das seiner Ansicht nach
voll beweiskräftige MEDAS-Gutachten vom 30. Juli 2015 davon ausgegangen, dass
keine objektivierbaren Funktionsstörungen nachweisbar seien. Nach den
vorinstanzlichen Erwägungen und den Ausführungen im MEDAS-Gutachten waren die
Beschwerden, über welche die Versicherte seit dem erlittenen Unfall mit
Verletzung der Halswirbelsäule klagt, nicht nur bei der ursprünglichen
Rentenzusprechung, sondern auch weiterhin, das heisst auch anlässlich der
aktuellen MEDAS-Begutachtung, nicht zu objektivieren. Die Gutachter
diagnostizierten (nebst Spreizfuss und geringgradigem Hallux valgus beidseits
sowie Thalassämie minor, ohne Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit) eine
chronische Schmerzstörung, wahrscheinlich leichte somatoforme Schmerzstörung,
bei Status nach Verletzung der Halswirbelsäule im Juli 1996 sowie chronisch
wiederkehrende linksseitige Schulternackenkopfschmerzen. Die geklagten
Schmerzen konnten weder aus orthopädischer noch aus neurologischer Sicht
objektiviert werden. Damit steht fest, dass die subjektiv geklagten Beschwerden
und die geltend gemachte Arbeitsunfähigkeit auf ein unklares Beschwerdebild
ohne organische Grundlage zurückzuführen ist. Spezifische und unfalladäquate
Verletzungen der Halswirbelsäule ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle
gehören zu den unklaren Beschwerdebildern (BGE 139 V 547 E. 2.2 S. 550; 137 V
64 E. 4.2 S. 68).

Auch die zweite Voraussetzung für eine Aufhebung der Rente nach den
Schlussbestimmungen ist damit erfüllt. Insofern erscheint die Erwägung des
kantonalen Gerichts, dass die Gutachter - wegen der ihrer Ansicht nach
fehlenden Auswirkungen der Beschwerden auf die Arbeitsfähigkeit - kein unklares
Beschwerdebild ohne organische Grundlage diagnostiziert hätten, als
missverständlich. Soweit sich die Versicherte darauf beruft, dass die
Rentenaufhebung nach den Schlussbestimmungen mangels eines solchen
Beschwerdebildes zum Zeitpunkt der Rentenüberprüfung unzulässig sei, kann ihr
nicht gefolgt werden.

3.4. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen besteht gestützt auf das
MEDAS-Gutachten keine Arbeitsunfähigkeit. Damit hat sich das kantonale Gericht
auch zu der in BGE 139 V 547 genannten dritten Voraussetzung für eine Aufhebung
der Rente nach den Schlussbestimmungen geäussert. Sie erfolgt nur dann, wenn
keine Validitätseinbusse nachweisbar ist (E. 10.1.3 S. 569). Dies ist zwar
nicht mehr nach der Rechtsprechung nach BGE 131 V 49 (E. 1.2 S. 50;
Überwindbarkeitsvermutung) zu prüfen, sondern die Arbeits (un) fähigkeit soll
nach den Grundsätzen von BGE 141 V 281 beurteilt werden. An der Rechtsprechung
zu Art. 7 Abs. 2 ATSG hat sich indessen nichts geändert (BGE 141 V 281, insb.
E. 3.7 S. 295 f., E. 6 S. 307 f., E. 8 S. 309). Eine Erwerbsunfähigkeit liegt
nur vor, wenn die gesundheitliche Beeinträchtigung aus objektiver Sicht nicht
überwindbar ist (Art. 7 Abs. 2 Satz 2 ATSG).

Dass das MEDAS-Gutachten die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht zuliesse
oder dass die dazu ergangenen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich
unrichtig wären, wird nicht geltend gemacht und ist nicht ersichtlich. Zu
berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass mit der diagnostizierten
"wahrscheinlich leichten somatoformen Schmerzstörung" kein andauernder,
schwerer und quälender Schmerz einhergeht und ein invalidisierendes Leiden von
erheblicher Schwere deshalb auch im Sinne der Rechtsprechung von BGE 141 V 281
von vornherein nicht gegeben ist (E. 2.1.1 S. 286). Auch wenn im angefochtenen
Entscheid eine weitergehende Prüfung nach der Schmerzrechtsprechung fehlt,
lässt sich den vorinstanzlichen Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit doch
entnehmen, dass im MEDAS-Gutachten keine Indikatoren genannt werden, die eine
Beeinträchtigung der Alltagsfunktionen zu begründen vermöchten (BGE 141 V 281
E. 2.1.2 S. 286 f., E. 4 S. 296 ff.). Gleiches ergab sich aus den
Stellungnahmen des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD). Mit dem kantonalen
Gericht ist deshalb davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im
Revisionszeitpunkt voll arbeitsfähig war.

3.5. Verwaltung und Vorinstanz haben die Rente daher zu Recht gestützt auf die
Schlussbestimmungen aufgehoben.

4. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der
unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug,
Sozialversicherungsrechtliche Kammer, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. April 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben