Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.946/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
2C_946/2017  
 
 
Urteil vom 17. Januar 2018  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, Donzallaz, 
Gerichtsschreiber Klopfenstein. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Nideröst, 
 
gegen  
 
1. Migrationsamt des Kantons Zürich, Berninastrasse 45, 8090 Zürich, 
2. Bezirksgericht Zürich, Zwangsmassnahmengericht, 
Postfach, 8036 Zürich. 
 
Gegenstand 
Eingrenzung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 1.
Abteilung, Einzelrichterin, vom 2. Oktober 2017 (VB.2017.00312). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
A.________, afghanischer Staatsangehöriger, hält sich illegal in der Schweiz
auf, nachdem das (damalige) Bundesamt (heute: Staatssekretariat) für Migration
am 31. März 2010 auf sein Asylgesuch nicht eingetreten ist, ihn aus der Schweiz
weggewiesen hat (bestätigt mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.
Juli 2012) und auf sein zweites Asylgesuch am 8. April 2013 nicht eingetreten
ist. Mit Verfügung vom 12. Januar 2017 ordnete das Migrationsamt des Kantons
Zürich die Eingrenzung von A.________ auf das Gebiet des Bezirks Bülach bis zum
16. Juni 2018 an. Die Eingrenzung wurde mit Urteil des Zwangsmassnahmengerichts
des Bezirksgerichts Zürich vom 31. März 2017 bestätigt. Das Verwaltungsgericht
des Kantons Zürich hiess mit Urteil vom 2. Oktober 2017 die dagegen erhobene
Beschwerde in einem vor Bundesgericht nicht mehr streitgegenständlichen Punkt
gut, wies sie aber in Bezug auf die Eingrenzung ab; es auferlegte A.________
die Hälfte der Gerichtsgebühr von Fr. 1'100.--, nahm diesen Anteil jedoch
zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege unter Vorbehalt der
Nachzahlungspflicht auf die Gerichtskasse; zudem sprach es dem Vertreter von
A.________ eine reduzierte Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- zuzügl. MWST
zu. 
 
2.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
vom 6. November 2017, die Eingrenzung aufzuheben. Zudem sei das angefochtene
Urteil insoweit aufzuheben, als ihm die Hälfte der vorinstanzlichen
Gerichtskosten auferlegt und ihm lediglich eine reduzierte Parteientschädigung
zugesprochen wurde. Sodann beantragt er Erteilung der unentgeltlichen
Rechtspflege. Verwaltungsgericht und Zwangsmassnahmengericht verzichten auf
Vernehmlassung. 
 
3.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig (Art. 82
lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 89 Abs. 1 und Art. 90 BGG), aber
offensichtlich unbegründet und kann mit summarischer Begründung und im Übrigen
durch Verweisung auf den angefochtenen Entscheid abgewiesen werden (Art. 109
Abs. 2 und 3 BGG). 
 
4.  
Gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. b AuG kann die zuständige Behörde einer Person die
Auflage machen, ein ihr zugewiesenes Gebiet nicht zu verlassen (Eingrenzung),
wenn ein rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt und konkrete
Anzeichen befürchten lassen, dass die betroffene Person nicht innerhalb der
Ausreisefrist ausreisen wird oder sie die ihr angesetzte Ausreisefrist nicht
eingehalten hat. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass gegen ihn ein
rechtskräftiger Wegweisungsentscheid vorliegt und er die ihm angesetzte
Ausreisefrist nicht eingehalten hat. Die Voraussetzungen für eine Eingrenzung
nach Art. 74 Abs. 1 lit. b AuG sind insoweit erfüllt. 
 
5.  
Der Beschwerdeführer bringt vor, eine Eingrenzung nach Art. 74 Abs. 1 lit. b
AuG setze eine Untertauchensgefahr voraus; eine solche liege bei ihm nicht vor,
weshalb die Eingrenzung unzulässig sei. Er beruft sich dafür auf Art. 7 Abs. 3
der EU-Rückführungsrichtlinie sowie die Botschaft vom 18. November 2009 (BBl
2009 8881, 8899) zur Revision von Art. 74 AuG vom 18. Juni 2010, womit diese
Bestimmung umgesetzt wurde (AS 2010 5925, 5930). Die Rüge ist offensichtlich
unbegründet: Art. 74 Abs. 1 lit. b AuG enthält nebst dem Vorliegen eines
rechtskräftigen Weg- oder Ausweisungsentscheids zwei  alternative
 Voraussetzungen, nämlich (1) konkrete Anzeichen, dass die betroffene Person
nicht innerhalb der Ausreisefrist ausreisen wird,  oder (2) die Nichteinhaltung
der Ausreisefrist. Art. 7 Abs. 3 der EU-Rückführungsrichtlinie mitsamt dem
darin enthaltenen Verweis auf die Vermeidung einer Fluchtgefahr bezieht sich
einzig auf Massnahmen  während der Dauer der Ausreisefrist, also auf die erste
Variante. Ist hingegen die Ausreisefrist verstrichen (zweite Variante), wird
weder nach der EU-Rückführungsrichtlinie noch nach dem klaren Wortlaut des AuG
eine Flucht- oder Untertauchensgefahr vorausgesetzt (vgl. Urteil 2C_287/2017
vom 13. November 2017 E. 4.5.2, zur Publikation vorgesehen).  
 
6.  
Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, die Eingrenzung sei unverhältnismässig;
sie sei nicht geeignet, da der Vollzug der Wegweisung nicht konkret absehbar
sei, weil die afghanischen Behörden nicht willens oder in der Lage seien, die
erforderlichen Reisepapiere auszustellen. 
 
 
6.1. Die Eingrenzung ist ungeeignet zur Erreichung ihres Zwecks und damit
unzulässig, wenn sowohl die zwangsweise Ausschaffung als auch die freiwillige
Rückreise in das Heimatland objektiv unmöglich sind (zit. Urteil 2C_287/2017 E.
2.3 und 4.8). Die Rückkehr kann objektiv unmöglich sein, wenn sich der
Heimatstaat konsequent weigert, gewisse Staatsangehörige zurückzunehmen (vgl.
Urteile 2C_252/2008 vom 10. Juni 2008 E. 2.2; 6B_85/2007 vom 3. Juli 2007 E.
2.2). Allerdings wäre eine solche Weigerung völkerrechtswidrig, da ein Staat
seinen eigenen Staatsangehörigen das Recht, in sein Hoheitsgebiet einzureisen,
nicht verwehren darf (Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt II; BGE 130 II 56 E. 4.1.2 S. 60
f.; zit. Urteil 6B_85/2007 E. 2.2). Nach Treu und Glauben ist im
zwischenstaatlichen Verkehr zu vermuten, dass sich die Staaten
völkerrechtskonform verhalten, solange nicht konkrete Anzeichen dafür bestehen,
dass dies nicht der Fall ist (BGE 142 II 218 E. 3.3 S. 228 f.; 142 II 161 E.
2.1.3 S. 167 f. und E. 2.4 S. 172 f.). Beruft sich ein Ausländer darauf, eine
Ausreise sei nicht möglich, weil er keine Reisepapiere habe und sein
Heimatstaat ihm die Rückkehr oder die Ausstellung von Papieren verweigere, so
ist er aufgrund seiner Mitwirkungspflicht verpflichtet, dies zu belegen und
zumindest darzulegen, dass er sich bei der zuständigen Vertretung darum bemüht
hat (Urteile 2C_13/2012 vom 8. Januar 2013 E. 4.4.2; 2C_17/2017 vom 22. Mai
2017 E. 4.3.4). Bei ungenügender Mitwirkung kann eine Eingrenzung verhängt
werden (Urteil 2C_54/2015 vom 22. Juni 2015 E. 4.1).  
 
6.2. Die Vorinstanz hat erwogen, der Vollzug von Ausschaffungen nach
Afghanistan sei nicht unmöglich, sondern namentlich auf Vollzugsstufe 1 gemäss 
Art. 28 Abs. 1 lit. a der Verordnung vom 12. November 2008 über die Anwendung
polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des
Bundes (Zwangsanwendungsverordnung, ZAV, SR 364.3) möglich, d.h. als
selbständige Rückreise. Zwar dauerten die Bemühungen betreffend Identifikation
und Papierbeschaffung schon seit einiger Zeit an, sie seien aber immer noch im
Gange und nicht aussichtslos. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, es sei
den schweizerischen Behörden nicht gelungen, die Wegweisungsentscheidung zu
vollziehen. Das Wegweisungsvollzugsverfahren scheitere bisher an der Weigerung
der afghanischen Behörden, gestützt auf seine im Asylverfahren eingereichte
Tazkara Reisepapiere auszustellen. Bei der Befragung auf der afghanischen
Botschaft vom 25. Januar 2017 habe er vorgetragen, lieber in der Schweiz
bleiben zu wollen. Im Anschluss daran habe der afghanische Konsul angegeben,
dass die Dossiers derjenigen Personen, die nicht freiwillig nach Afghanistan
zurückkehren möchten, den zuständigen Behörden in Kabul weitergeleitet würden;
die Identitätsabklärungen würden mehr Zeit in Anspruch nehmen als erwartet.
Insgesamt versuchten die schweizerischen Migrationsbehörden seit über vier
Jahren vergeblich, von den afghanischen Behörden Reisepapiere für ihn zu
beschaffen.  
 
6.3. Mit seinen Vorbringen scheint der Beschwerdeführer davon auszugehen, dass
es primär Sache der schweizerischen Behörden sei, den Wegweisungsvollzug zu
organisieren und für ihn Reisepapiere zu beschaffen. Er verkennt damit, dass er
gestützt auf die rechtskräftige Wegweisung in erster Linie selber verpflichtet
ist, seine Ausreise zu organisieren und bei der Beschaffung der erforderlichen
Reisepapiere mitzuwirken (Art. 8 Abs. 4 AsylG; zit. Urteil 2C_287/2017 E. 4.7).
Er hat jedoch seit dem rechtskräftigen Wegweisungsentscheid mehr als vier Jahre
verstreichen lassen, ohne sich um die Beschaffung von Reisepapieren zu bemühen.
Im Gegenteil hat er nach eigenen Angaben gegenüber den afghanischen Behörden
angegeben, nicht freiwillig ausreisen zu wollen. Er hat damit nicht dargelegt,
dass ihm die freiwillige Ausreise auch dann objektiv unmöglich wäre, wenn er
sich selber in zumutbarem Ausmass um die Rückkehr und die Papierbeschaffung
bemühen würde. Der Zweck der Eingrenzung besteht gerade darin, ihn zu
rechtskonformem Verhalten zu veranlassen (vorne E. 6.1; zit. Urteil 2C_287/2017
E. 4.7.2).  
 
7.  
Schliesslich bringt der Beschwerdeführer vor, die Eingrenzung sei nicht
erforderlich und nicht zumutbar, da er ohnehin einer faktischen Meldepflicht
unterstehe und sich seit Jahren den Behörden stets zur Verfügung halte. Dazu
ist zu bemerken, dass die Eingrenzung nach Art. 74 Abs. 1 lit. b AuG entgegen
der offenbaren Auffassung des Beschwerdeführers nicht bloss bezweckt, dass sich
der Betroffene den Behörden zur Verfügung hält; vielmehr dient sie - als
milderes Mittel gegenüber der Durchsetzungshaft - dazu, den Weggewiesenen zur
Befolgung seiner Ausreiseverpflichtung zu veranlassen (zit. Urteil 2C_287/2017
E. 4), und muss zu diesem Zweck so einschneidend wirken, dass das angestrebte
Ziel erreicht wird (a.a.O. E. 5.3). Wie der Beschwerdeführer selber vorbringt,
lebt er seit Jahren in der Schweiz, obwohl er einer faktischen Meldepflicht
unterliegt. Diese war offensichtlich nicht wirksam genug, um ihn zur
Respektierung seiner Ausreiseverpflichtung zu bewegen, so dass eine
einschneidendere Massnahme angezeigt ist. 
 
8.  
In Bezug auf die Kostenregelung des angefochtenen Entscheids macht der
Beschwerdeführer keine Rechtsverletzung unabhängig von der Hauptsache geltend. 
 
9.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. Der Beschwerdeführer wird damit grundsätzlich
kostenpflichtig. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist infolge
Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Umständehalber wird auf die
Erhebung von Gerichtskosten verzichtet (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich, 1. Abteilung, Einzelrichterin, und dem Staatssekretariat für
Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 17. Januar 2018 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein 

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