Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.941/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
2C_941/2017  
 
 
Urteil vom 7. Februar 2018  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, 
Bundesrichterin Aubry Girardin, 
Gerichtsschreiber Klopfenstein. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch MLaw Angela Stettler, 
 
gegen  
 
Staatssekretariat für Migration, 
Quellenweg 6, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Familiennachzug, Verfügung des SEM vom 18. Dezember 2015 / N 550 038, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung VI, 
vom 2. Oktober 2017 (F-404/2016). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ (geb. 1977) ist tibetischer Herkunft. Er reiste am 18. November 2010
in die Schweiz und reichte gleichentags ein Asylgesuch ein. Mit Verfügung vom
22. Dezember 2010 stellte das (damalige) Bundesamt für Migration (BFM; heute:
Staatssekretariat für Migration, SEM) fest, er erfülle die
Flüchtlingseigenschaft, wies sein Asylgesuch ab und ordnete die Wegweisung aus
der Schweiz an, schob indessen den Wegweisungsvollzug wegen Vorliegens
subjektiver Nachfluchtgründe zu Gunsten einer vorläufigen Aufnahme auf. 
 
B.  
Mit Eingabe vom 9. Oktober 2014 ersuchte A.________ das BFM um
Einreisebewilligung für seine Frau und seine zwei Kinder, die sich seit dem 1.
Januar 2014 in Indien aufhalten würden. Nach Anhörung des Wohnsitzkantons Uri
wies das SEM mit Verfügung vom 18. Dezember 2016 das Gesuch ab; es erwog, die
Voraussetzungen von Art. 85 Abs. 7 AuG (SR 142.20) seien nicht erfüllt. 
 
C.  
Mit Beschwerde vom 20. Januar 2016 an das Bundesverwaltungsgericht beantragte
A.________, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und dem Gesuch um
Einbezug seiner Ehefrau und seiner Kinder in die vorläufige Aufnahme sei
stattzugeben. Mit Urteil vom 2. Oktober 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht
die Beschwerde ab. Es erwog, die finanziellen Mittel des Beschwerdeführers
würden für den Unterhalt der Familie nicht ausreichen, so dass die
Voraussetzungen von Art. 85 Abs. 7 AuG nicht erfüllt seien. Im Falle des
Beschwerdeführers könne aufgrund seiner Anerkennung als vorläufig aufgenommener
Flüchtling und angesichts der Tatsache, dass eine Aufhebung seines rechtlichen
Status in absehbarer Zeit nicht anzunehmen sei, ein faktisches Aufenthaltsrecht
angenommen werden, so dass der Schutzbereich von Art. 8 EMRK berührt sei. Die
in Art. 85 Abs. 7 AuG genannten Voraussetzungen seien aber nicht per se als
völkerrechtswidrig zu bewerten. Das Familienleben könnte auch in Indien geführt
werden. Die Verweigerung des Familiennachzugs erweise sich daher als
rechtmässig. 
 
D.  
A.________ erhebt mit Eingabe vom 3. November 2017 Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht mit dem Antrag, in
Aufhebung des angefochtenen Urteils sei dem Gesuch um Einreise der Ehefrau und
der Kinder stattzugeben und ihnen die Einreise zum Verbleib beim Ehemann/Vater
zu bewilligen; eventualiter sei die Sache zur rechtsgenüglichen
Sachverhaltsabklärung sowie zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Zudem beantragt er Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Das Bundesverwaltungsgericht und das SEM verzichten auf Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft mit freier Kognition und von Amtes wegen, ob auf eine
Beschwerde einzutreten sei (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 140 IV 57 E. 2 S. 60; 139
III 133 E. 1 S. 133). 
 
1.1. Nach Art. 83 lit. c BGG ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten u.a. unzulässig gegen Entscheide auf dem Gebiet des
Ausländerrechts betreffend Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch
das Völkerrecht einen Anspruch einräumt (Ziff. 2), und betreffend die
vorläufige Aufnahme (Ziff. 3). Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, er habe
gestützt auf Art. 8 EMRK und Art. 13 BV einen Anspruch auf Familiennachzug,
weshalb die Beschwerde zulässig sei.  
 
1.2. Das Ausländerrecht unterscheidet zwischen Bewilligungen (Art. 10-52 sowie 
Art. 61-63 AuG) und der vorläufigen Aufnahme (Art. 83-88a AuG). Die
Bewilligungen werden von den zuständigen kantonalen Behörden erteilt (Art. 10
und 11 AuG; Art. 66 ff. sowie Art. 88 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober
2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit [VZAE, SR 142.201]),
vorbehältlich der Zustimmung des SEM in bestimmten Fällen (Art. 99 AuG; Art. 85
und 86 VZAE). Die vorläufige Aufnahme ist keine Bewilligung; sie setzt im
Gegenteil das Vorliegen eines (nicht vollziehbaren) Aus- oder
Wegweisungsentscheids voraus (Art. 83 Abs. 1 AuG; Art. 44 und Art. 46 Abs. 2
AsylG [SR 142.31]; BGE 141 I 49 E. 3.5 S. 53; 137 II 305 E. 3.1 S. 308 f.), der
seinerseits das Fehlen einer Bewilligung voraussetzt (Art. 64 Abs. 1 AuG). Sie
wird durch das SEM ausgesprochen (Art. 83 Abs. 1 AuG); die Kantone haben nur
ein Antragsrecht (Art. 83 Abs. 6 AuG; Art. 46 Abs. 2 AsylG). Unter gewissen
Voraussetzungen können Ehegatten und ledige Kinder unter 18 Jahren in die
vorläufige Aufnahme eingeschlossen werden (Art. 85 Abs. 7 AuG). Auch dieser
Einschluss erfolgt durch das SEM; die Kantone haben dazu bloss eine
Stellungnahme abzugeben (Art. 74 Abs. 2 VZAE; BGE 141 I 49 E. 3.5.2 S. 54 f.).
 
 
1.3. Der Beschwerdeführer beantragt in seiner Beschwerde an das Bundesgericht
die Bewilligung zur Einreise von Frau und Kindern zum Verbleib bei ihm. Er
präzisiert nicht näher, worum es sich handelt. Indessen hat bereits das SEM das
ursprüngliche Gesuch des damals noch nicht anwaltlich vertretenen
Beschwerdeführers im Lichte von Art. 85 Abs. 7 AuG beurteilt, mithin als Gesuch
um Einschluss in die vorläufige Aufnahme. In der Beschwerde an das
Bundesverwaltungsgericht hat der inzwischen anwaltlich vertretene
Beschwerdeführer ausdrücklich beantragt, dem Gesuch um Einbezug von Ehefrau und
Kindern in die vorläufige Aufnahme sei stattzugeben. Streitgegenstand vor den
Vorinstanzen war somit nicht die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (wozu
das SEM gar nicht zuständig wäre), sondern der Einbezug von Ehefrau und Kindern
in die vorläufige Aufnahme. Vor Bundesgericht kann der Streitgegenstand nur
noch eingeschränkt, aber nicht ausgeweitet oder geändert werden (Art. 99 Abs. 2
BGG; BGE 136 V 362 E. 3.4.2 S. 365 mit Hinweisen). Streitgegenstand im
vorliegenden Verfahren vor Bundesgericht kann somit nicht die Erteilung einer
Bewilligung sein, sondern einzig der Einbezug von Ehefrau und Kindern in die
vorläufige Aufnahme.  
 
1.4. Die Zulässigkeit der Beschwerde ist damit nicht im Lichte von Art. 83 lit.
c  Ziff. 2BGG zu beurteilen, sondern von  Ziff. 3. Anders als im Rahmen von
Ziff. 2 ist im Rahmen von Ziff. 3 nicht erheblich, ob ein Rechtsanspruch auf
die vorläufige Aufnahme besteht: So oder anders ist die Beschwerde betreffend
vorläufige Aufnahme ausgeschlossen. Das umfasst auch den Entscheid über den
Einschluss von Familienangehörigen in die vorläufige Aufnahme (FLORENCE AUBRY
GIRARDIN, Commentaire LTF, 2. Aufl. 2014, Art. 83 Rz. 55; THOMAS HÄBERLI,
Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, Art. 83 Rz. 97; HANSJÖRG
SEILER, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2015, Art. 83 Rz. 31). Zwar kann die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig sein, wenn ein
vorläufig Aufgenommener in vertretbarer Weise geltend macht, er habe gestützt
auf konventionsrechtliche Vorgaben einen Bewilligungsanspruch (SEILER, a.a.O.,
m.H. auf Urteil 2C_459/2011 vom 26. April 2012 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 138
I 246), doch ist dafür Voraussetzung, dass Streitgegenstand eine Bewilligung im
Sinne von Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ist. Da der Streitgegenstand hier jedoch
die vorläufige Aufnahme bildet, erweist sich die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auch dann als unzulässig, wenn mit der
Vorinstanz und dem Beschwerdeführer davon ausgegangen wird, der Schutzbereich
von Art. 8 EMRK sei eröffnet, weil eine Änderung der vorläufigen Aufnahme des
Beschwerdeführers nicht absehbar sei (vgl. dazu Urteile 2C_639/2012 vom 13.
Februar 2012 E. 1.2.2 und 4.4; 2C_360/2016 vom 31. Januar 2017 E. 5.2). Es
verhält sich gleich wie bei den anderen Ausnahmen gemäss Art. 83 lit. c BGG,
bei denen die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ebenfalls
ausgeschlossen ist, unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch auf die jeweiligen
Akte besteht (in Bezug auf Ziff. 6 Urteile 2C_886/2008 vom 4. Mai 2009 E. 2;
2C_1115/2015 vom 20. Juli 2016 E. 1.3.1, m.H.). Die Entscheide, auf die sich
der Beschwerdeführer beruft, ändern daran nichts: Dabei war Streitgegenstand
jeweils die beantragte Erteilung einer (kantonalen) Bewilligung (so in BGE 137
I 284; Urteile 2C_1252/2012 vom 14. Juni 2013; 2C_16/2013 vom 12. Februar 2013;
ebenso in den Urteilen 2C_639/2012 vom 13. Februar 2013 und 2C_962/2013 vom 13.
Februar 2015), nicht eine vorläufige Aufnahme.  
 
1.5. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erweist sich
damit als unzulässig. Die Eingabe kann auch nicht als subsidiäre
Verfassungsbeschwerde entgegengenommen werden, da eine solche gegen Entscheide
des Bundesverwaltungsgerichts nicht zulässig ist (Art. 113 BGG e contrario).  
 
2.  
Auf die Beschwerde kann somit nicht eingetreten werden. Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, da die Beschwerde aussichtslos war
(Art. 64 Abs. 1 BGG). Der unterliegende Beschwerdeführer wird grundsätzlich
kostenpflichtig; in Anbetracht der Umstände rechtfertigt sich ein Absehen von
Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht,
Abteilung VI, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. Februar 2018 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein 

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