Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.912/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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2C_912/2017            

 
 
 
Urteil vom 18. Dezember 2017  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichterin Aubry Girardin, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichter Haag, 
Gerichtsschreiberin Petry. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Alain Joset, 
 
gegen  
 
Amt für Migration Basel-Landschaft. 
 
Gegenstand 
Ausschaffungshaft; Ausstand, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Einzelrichter
für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, vom 19. September 2017 (860 17 235). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ (geb. 1977) ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste am 19.
Oktober 1990 im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz ein. Am 31. Mai 2000
erhielt er die Niederlassungsbewilligung. Aufgrund von strafrechtlichen
Verfehlungen verfügte das Amt für Migration des Kantons Basel-Landschaft
(hiernach: Migrationsamt) am 27. März 2012 den Widerruf der
Niederlassungsbewilligung von A.________, nachdem dieser bereits zuvor wegen
Straftaten bzw. seiner Schuldenwirtschaft ausländerrechtlich ermahnt und
verwarnt worden war. Die gegen den Widerruf erhobenen Rechtsmittel wurden in
allen Instanzen abgewiesen (vgl. zuletzt das Urteil des Bundesgerichts 2C_904/
2013 vom 20. Juni 2014). Auf ein Wiedererwägungsgesuch betreffend die Verfügung
vom 27. März 2012 trat das Migrationsamt nicht ein. Auch die diesbezüglichen
kantonalen Rechtsmittel blieben erfolglos (zuletzt Urteil des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft vom 29. April 2015). Nach der Ausreise von A.________ am 18.
August 2014 wurde gegen ihn mit Verfügung vom 3. Dezember 2014 ein fünfjähriges
Einreiseverbot angeordnet. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das
Bundesverwaltungsgericht insofern gut, als das Einreiseverbot bis zum 4.
Dezember 2018 befristet wurde.  
 
A.b. Am 22. Juni 2017 wurde A.________ in U.________ polizeilich angehalten.
Das Migrationsamt wies ihn wegen Einreise ohne gültige Einreisedokumente,
Missachtung des Einreiseverbots sowie Gefährdung der öffentlichen Sicherheit
und Ordnung unter Androhung von Zwangsmassnahmen umgehend aus der Schweiz weg
und erliess gleichentags einen Ausschaffungshaftbefehl. Mit Urteil vom 23. Juni
2017 bestätigte das Kantonsgericht die Anordnung der Ausschaffungshaft zur
Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs bis zum 21. September 2017.  
 
A.c. Am 16. Juli 2017 reichte A.________ ein Asylgesuch beim Justiz- und
Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt mit der Begründung ein, er sei
als Militärflüchtling und Kurde in der Türkei an Leib und Leben bedroht. Zudem
sei er in der Schweiz aufgewachsen.  
 
B.   
Auf Antrag des Migrationsamtes verlängerte das Kantonsgericht mit Urteil vom
19. September 2017 die Ausschaffungshaft für die Dauer von drei Monaten, d.h.
bis zum 21. Dezember 2017. Auf das gegen den Vorsitzenden gestellte
Ausstandsbegehren wurde nicht eingetreten. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 23. Oktober 2017
beantragt A.________ die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und die
Rückweisung der Sache an das Kantonsgericht zur Neubeurteilung durch einen
verfassungsmässigen und unabhängigen Richter. Eventualiter sei das
vorinstanzliche Urteil aufzuheben und A.________ unverzüglich aus der
Ausschaffungshaft zu entlassen. Zudem beantragt er die unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung. 
Sowohl das Migrationsamt als auch das Kantonsgericht beantragen die Abweisung
der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Migration SEM erklärt, es habe keine
Bemerkungen anzubringen. 
Mit Eingabe vom 8. November 2017 brachte der Beschwerdeführer vor, er sei
innert Frist gegen den ablehnenden Asylentscheid ans Bundesverwaltungsgericht
gelangt. 
Die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat am 4. Dezember
2017 eine öffentliche Beratung über die Beschwerde durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen letztinstanzliche kantonale Gerichtsentscheide betreffend die
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht steht die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1
lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG; vgl. BGE 142 I 135 E. 1 S. 137 ff.). Auf
die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde des gestützt auf Art. 89
Abs. 1 BGG legitimierten Beschwerdeführers ist einzutreten.  
 
1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann
namentlich die Verletzung von Bundes- und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95
lit. a und lit. b BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (
Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge-
und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nur was ausdrücklich geltend
gemacht wird, sofern rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE
142 I 135 E. 1.5 S. 144). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den
die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von 
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
2.   
Der Beschwerdeführer beanstandet, dass der Einzelrichter im vorinstanzlichen
Verfahren selbst über das gegen ihn erhobene Ausstandsgesuch befunden habe: §
38 des Gesetzes über die Organisation der Gerichte des Kantons Basel-Landschaft
vom 22. Februar 2001 (Gerichtsorganisationsgesetz, GOG/BL; GS 34.0161) sehe
vor, dass über den Ausstand in Abwesenheit des Betreffenden entschieden werde.
Die Entscheidung als Richter in eigener Sache verletze Art. 30 Abs. 1 BV und 
Art. 6 Ziff. 1 EMRK. 
 
2.1. Da Art. 6 Ziff. 1 EMRK in ausländerrechtlichen Angelegenheiten nicht zur
Anwendung kommt (vgl. BGE 137 I 128 E. 4.4.2 S. 133), ist die Frage einzig mit
Blick auf Art. 30 Abs. 1 BV zu prüfen, welcher jedoch inhaltlich der Garantie
von Art. 6 Ziff. 1 EMRK entspricht.  
Aufgrund des in Art. 30 Abs. 1 BV verankerten Anspruchs auf ein unabhängiges
und unparteiisches Gericht kann eine Partei, ungeachtet des kantonalen
Prozessrechts, ein Ausstandsbegehren gegen einen Richter stellen, wenn Umstände
vorliegen, die geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu
wecken. Solche Umstände können entweder in einem bestimmten Verhalten der
betreffenden Gerichtsperson oder in gewissen äusseren Gegebenheiten
funktioneller und organisatorischer Natur begründet sein (vgl. Urteil 2C_384/
2017 vom 3. August 2017 E. 3.2 mit Verweis auf BGE 142 III 521 E. 3.1.1 S. 536;
140 III 221 E. 4.1 S. 221 f.). In der Regel soll niemand, gegen den ein
Ausstandsgesuch gerichtet ist, darüber selber entscheiden (BGE 122 II 471 E. 3a
S. 476; 114 Ia 278; 105 Ib 301 E. 1b S. 303; Urteile 6B_933/2015 vom 22. Juni
2016 E. 4.1; 2C_464/2014 vom 30. Mai 2014 E. 10.1; 1B_135/2009 vom 12. August
2009 E. 6.1; 1P.396/2001 vom 13. Juli 2001 E. 2a). Dieser Grundsatz schlägt
sich in § 38 Abs. 1 lit. a GOG/BL nieder, welcher vorsieht, dass der
betreffende Spruchkörper des Gerichts über den Ausstand von Richterinnen und
Richtern sowie von Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreibern, unter
Ausschluss der betroffenen Gerichtsperson, entscheidet, wenn streitig ist, ob
ein Ausschlussgrund besteht, oder ein Ablehnungsgrund geltend gemacht wird. 
 
2.2. Dieser Grundsatz gilt indessen nicht ausnahmslos. Nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann ein abgelehntes Gericht selbst über ein
missbräuchliches oder untaugliches Ausstandsgesuch befinden, auch wenn gemäss
dem anwendbaren Verfahrensrecht eine andere Instanz darüber zu entscheiden
hätte (cf. BGE 129 III 445 E. 4.2.2 S. 464; Urteile 1C_443/2015 vom 23. Februar
2016 E.1; 6B_720/2015 vom 5. April 2016 E. 5.5; 2C_334/2015 vom 19. Mai 2015 E.
3.1; 1B_135/2009 vom 12. August 2009 E. 6.1). Die Missbräuchlichkeit bzw.
Untauglichkeit eines Ausstandsgesuchs darf jedoch nicht leichthin angenommen
werden, denn es handelt sich dabei um eine Ausnahme vom Grundsatz, dass das
zuständige Gericht über den Ausstand eines Richters in dessen Abwesenheit zu
befinden hat (cf. Urteile 2C_384/2017 vom 3. August 2017 E. 3.2; 1B_146/2010
vom 23. Juni 2010 E. 2.1; 1B_135/2009 vom 12. August 2009 E. 6.1; 6B_337/2008
vom 7. Januar 2009 E. 2.1).  
 
2.3. Gemäss Rechtsprechung ist ein Ausstandsbegehren, das einzig damit
begründet wird, die abgelehnten Richter hätten in früheren Verfahren gegen eine
beteiligte Partei entschieden, unzulässig, so dass ein Nichteintretensentscheid
unter Mitwirkung der abgelehnten Richter ergehen kann (vgl. BGE 114 Ia 278 E.
1; Urteil 4F_11/2013 vom 16. Oktober 2014 E. 1). Dieses Prinzip gilt jedoch
nicht absolut. Die Rechtsprechung anerkennt, dass eine gewisse Besorgnis der
Voreingenommenheit bei den Parteien immer dann entstehen kann, wenn eine
Gerichtsperson in einem früheren Verfahren mit der konkreten Streitsache schon
einmal befasst war (vgl. BGE 138 I 425 E. 4.2.1 S. 429; 131 I 113 E. 3.4 S.
116;). In einem solchen Fall sogenannter Vorbefassung stellt sich die Frage, ob
sich ein Richter durch seine Mitwirkung an früheren Entscheidungen in einzelnen
Punkten bereits in einem Mass festgelegt hat, die ihn nicht mehr als
unvoreingenommen und dementsprechend das Verfahren als nicht mehr offen
erscheinen lassen (BGE 131 I 113 E. 3.4 S. 116 mit Hinweisen). Ob eine
unzulässige, den Verfahrensausgang vorwegnehmende Vorbefassung eines Richters
vorliegt, kann nicht generell gesagt werden; es ist vielmehr in jedem
Einzelfall - anhand aller tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Umstände
(vgl. BGE 114 Ia 50 E. 3d S. 59) - zu untersuchen, ob die konkret zu
entscheidende Rechtsfrage trotz Vorbefassung als noch offen erscheint (BGE 131
I 113 E. 3.4 S. 117; 126 I 68 E. 3c S. 73; BGE 114 Ia 50 E. 3d S. 57). Das
Bundesgericht hat zur Beurteilung, ob eine vorbefasste Person im konkreten Fall
in den Ausstand treten muss, Kriterien entwickelt. So fällt etwa in Betracht,
welche Fragen in den beiden Verfahrensabschnitten zu entscheiden sind und
inwiefern sie sich ähnlich sind oder miteinander zusammenhängen. Zu beachten
ist ferner der Umfang des Entscheidungsspielraums bei der Beurteilung der sich
in den beiden Abschnitten stellenden Rechtsfragen. Massgebend ist schliesslich,
mit welcher Bestimmtheit sich der Richter bei seiner ersten Befassung zu den
betreffenden Fragen ausgesprochen hat (BGE 140 I 326 E. 5.1 S. 329 mit
Hinweisen).  
 
2.4. Im Strafprozessrecht wurde in der Rechtsprechung eine unzulässige
Vorbefassung namentlich bei folgenden Konstellationen grundsätzlich bejaht:
Personalunion von Untersuchungsrichter und erkennendem Strafrichter (BGE 115 Ia
217 E. 6 S. 221 ff.; 114 Ia 275 E. 2b S. 277 f.; 113 Ia 72 E. 2 S. 73; 112 Ia
290 E. 5b-c S. 300 ff.; Urteil des EGMR  De Cubber gegen Belgien vom 26.
Oktober 1984, Serie A Bd. 86 §§ 26 ff.); Personalunion zwischen dem ehemaligen
Generalprokurator und dem Ersatzrichter, weil dieser während der
Voruntersuchung ein Weisungsrecht gegenüber den Bezirksprokuratoren und damit
eine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Untersuchungsrichter besass (BGE 117
Ia 157 E. 3 S. 162 ff.); Ämterkumulation bei einem Strafrichter, der vorher als
Mitglied der Anklagekammer die Anklage zugelassen und den Angeschuldigten ans
Strafgericht überwiesen hat (BGE 114 Ia 50 E. 5 S. 66 ff.; 113 Ia 72 E. 3 S. 73
ff.; s. aber auch BGE 114 Ia 139 ff.; zur heutigen Rechtslage s. Art. 329 StPO
und Urteil 1B_703/2011 vom 3. Februar 2012 E. 2.5 f.); Identität zwischen
haftanordnender Justizperson und Anklagevertreter (BGE 131 I 36 E. 2.5 S. 42
f.; 117 Ia 199 E. 4 S. 201 f. betreffend Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3
EMRK; s. auch Urteile des EGMR  H.B. gegen Schweiz vom 5. April 2001, VPB 65/
2001 Nr. 120 S. 1292 §§ 58-63;  Huber gegen Schweiz vom 23. Oktober 1990, Serie
A Bd. 188 §§ 40-43); Personalunion von Strafmandatsrichter und Strafrichter in
derselben Sache (BGE 114 Ia 143 E. 7 S. 150-153); Mitwirkung eines
Gerichtsschreibers zuerst in der Strafuntersuchung und nachher beim erkennenden
Gericht (BGE 115 Ia 224 E. 7 S. 227 ff.).  
Dagegen wurde die Vorbefassung unter anderem in folgenden Fällen als zulässig
erachtet: personelle Identität von Haft- und Sachrichter, da der Haftrichter
nicht die gleichen Fragen wie der erkennende Richter zu behandeln hat,
insbesondere nicht die für den Ausgang des Hauptverfahrens entscheidende Frage
der Schuld (BGE 117 Ia 182 E. 3b S. 185; Urteile des EGMR  Hauschildt gegen
Dänemark vom 24. Mai 1989, Serie A Bd. 154 §§ 50-51;  Nortier gegen Niederlande
 vom 24. August 1993, Serie A Bd. 267 §§ 33 ff.; s. heutige Rechtslage gemäss 
Art. 18 Abs. 2 StPO); die Ämterkumulation beim Generalprokurator, der zuerst
eine Strafverfügung erlässt und im anschliessenden Einspracheverfahren die
Anklage vertritt, da die Strafverfügung nur bei unterlassener Einsprache
rechtskräftig wird (BGE 124 I 76 E. 2 S. 78 f.; 114 Ia 143 E. 7 S. 150-153);
die Funktion der Eidgenössischen Untersuchungsrichter als haftanordnende
Justizpersonen (BGE 131 I 66 E. 4.6-4.8 S. 71-74); die Vorbefassung eines
Gerichtes, das sich nach der Hauptverhandlung von der Schuld des Angeklagten
überzeugt zeigt, das Urteil aussetzt und die Anklage zur geringfügigen
Verbesserung zurückweist (BGE 126 I 68 E. 4 S. 73 ff.); die Anordnung von
Beweisvorkehren im Hauptverfahren durch den Gerichtspräsidenten, da in diesem
Verfahrensstadium nicht mehr die Untersuchungsbehörde zuständig ist, sondern
das Gericht (BGE 116 Ia 135 E. 3b S. 139 ff.); die Mitwirkung der Richter, die
ein Abwesenheitsurteil gefällt haben, bei der Neubeurteilung der Strafsache im
ordentlichen Verfahren (BGE 116 Ia 32 E. 3 S. 33 ff.; Urteil des EGMR  Thomann
gegen Schweiz vom 10. Juni 1996, Rec. 1996-III, S. 806 ff. §§ 35-36, VPB
60.114); die Teilnahme des Sach- bzw. Appellationsrichters am
Revisionsverfahren, da die neu zu beurteilenden spezifischen Revisionsgründe
nicht mit dem bisherigen relevanten Sachverhalt identisch sind (BGE 113 Ia 62
E. 3b S. 64; 107 Ia 15 E. 3b S. 18 f.; s.a. Urteil 1B_96/2009 vom 11. August
2009 E. 2.3.3-2.3.4; Übersicht und weitere Hinweise bei REGINA KIENER,
Richterliche Unabhängigkeit, 2001, S. 150 ff.).  
Der Umstand, dass ein Richter eine beschuldigte Person verurteilt oder
freigesprochen hat, genügt nach der Praxis des Bundesgerichtes grundsätzlich
noch nicht, um ihn in einem späteren (getrennten) sachkonnexen
Parallelverfahren gegen andere Beschuldigte wegen unzulässiger Vorbefassung
abzulehnen. Andernfalls wären die Strafbehörden faktisch gezwungen, sämtliche
Beschuldigten ausnahmslos (und insofern entgegen der Regelung von Art. 29-30
StPO) im selben Verfahren zu beurteilen. Ein Ausstandsgrund ist demgegenüber
erfüllt, wenn der Erstrichter sich zur Frage der Strafbarkeit oder
Straflosigkeit eines im Zweitverfahren separat zu beurteilenden Beschuldigten
bereits präjudizierlich geäussert hat (vgl. Urteil 1B_440/2016 vom 6. Juni 2017
E. 4.5 - 4.7 mit zahlreichen Hinweisen). 
Diese Übersicht zeigt, dass sich die Rechtsprechung vorwiegend
einzelfallbezogen und in Würdigung der konkreten Umstände zur
Ausstandsproblematik im Zusammenhang mit der Vorbefassung eines Richters
geäussert hat. 
 
2.5. Vor dem Bundesgericht macht der Beschwerdeführer lediglich geltend, dass
aufgrund der Mitwirkung des Haftrichters am Verfahren betreffend den Widerruf
der Niederlassungsbewilligung (Entscheid vom 10. Juli 2013) bzw. am
Wiedererwägungsverfahren (Entscheid vom 29. April 2015) sein Ausstandsgesuch
nicht als offensichtlich unzulässig betrachtet werden könne und daher der
Einzelrichter nicht selbst darüber hätte befinden dürfen.  
Die hier zur Diskussion stehende besondere ausländerrechtliche Konstellation
(Ausschaffungshaftrichter, der sowohl am Verfahren bezüglich Widerruf der
Niederlassungsbewilligung als auch am entsprechenden Wiedererwägungsverfahren
mitgewirkt hat) ist bis anhin nie unter ausstandsrechtlichen Gesichtspunkten
vom Bundesgericht beurteilt worden. Das bedeutet nicht, dass hier überhaupt ein
Ausstandsgrund gegeben ist und sich der Haftrichter in den Ausstand hätte
begeben müssen. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet nicht die Frage,
ob tatsächlich ein Ausstandsgrund vorliegt oder nicht, sondern ob im konkreten
Fall der Haftrichter über das gegen ihn gerichtete Ausstandsgesuch selbst
befinden durfte. Die Frage, ob ein Richter, welcher am Entscheid über den
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und die Wegweisung der ausländischen
Person mitgewirkt hat, auch die Ausschaffungshaft zwecks Sicherstellung des
Wegweisungsvollzugs anordnen kann, ist diskussionswürdig. Zu dieser Auffassung
gibt auch ein kürzlich ergangener Entscheid des Bundesgerichts betreffend einen
Haftrichter Anlass, welcher vor der Bestätigung der Ausschaffungshaft eine
Hausdurchsuchung bei der ausländischen Person angeordnet hatte. Im genannten
Fall wurde erwogen, dass der Haftrichter zu Unrecht über das gegen ihn
gerichtete Ausstandsbegehren selbst befunden hatte (vgl. Urteil 2C_384/2017 vom
3. August 2017 E. 3). Vor dem Hintergrund des allgemeinen Grundsatzes, dass
niemand unparteiischer Richter in eigener Sache sein kann, sowie mit Blick auf
die differenzierte, einzelfallbezogene Rechtsprechung zum Ausstand bei
Vorbefassung kann das vom Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren gestellte
Ausstandsgesuch nicht als derart abwegig bezeichnet werden, dass der abgelehnte
Einzelrichter selbst darüber hätte befinden dürfen. Zumindest sind die
geschilderten Umstände bei objektiver Betrachtung nicht völlig ungeeignet,
Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Diese Auffassung
drängt sich im konkreten Fall umso mehr auf, als die Anordnung von
Ausschaffungshaft einen schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit im
Sinne von Art. 10 Abs. 2 BV darstellt (BGE 142 I 135 E.4.1 S. 150; Urteil
2C_846/2017 vom 30. Oktober 2017 E. 4). 
Somit hätte im konkreten Fall nicht der Haftrichter selbst über die Frage des
Ausstands befinden dürfen, sondern das dafür zuständige Gericht (§ 38 GOG/BL).
Die Beschwerde ist insoweit gutzuheissen und der angefochtene Entscheid
aufzuheben. Die Sache ist an das Kantonsgericht Basel-Landschaft zur
beförderlichen Behandlung des Ausstandsgesuchs in neuer Besetzung
zurückzuweisen. 
Damit erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den übrigen Ausführungen des
Beschwerdeführers. 
 
2.6. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind keine Gerichtskosten zu
erheben (Art. 66 BGG). Der Kanton Basel-Landschaft hat dem anwaltlich
vertretenen Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine
Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 BGG). Damit wird das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.  
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft, Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, vom 19.
September 2017 wird aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung im Sinne
der Erwägungen an das Kantonsgericht zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Basel-Landschaft hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht
Basel-Landschaft, Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, und dem
Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 18. Dezember 2017 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Petry 

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