Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.81/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
2C_81/2017         

Urteil vom 31. Juli 2017

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd, Stadelmann,
Gerichtsschreiberin Fuchs.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Migration und Integration
des Kantons Aargau, Rechtsdienst.

Gegenstand
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA und Wegweisung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungs-
gerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer,
vom 16. Dezember 2016.

Sachverhalt:

A.

A.a. Der deutsche Staatsangehörige A.________ (geb. 1968) reiste nach Abschluss
eines Arbeitsvertrags mit einer Schweizer Firma am 19. Juli 2004 in die Schweiz
ein. Am 13. August 2004 wurde ihm eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA
ausgestellt, die ihn zur Erwerbstätigkeit berechtigte. Das Arbeitsverhältnis
wurde bereits kurze Zeit später wieder aufgelöst. Vom 8. August 2005 bis zum
30. Juni 2007 war A.________ bei einer anderen Firma in Zürich angestellt.

A.b. Mit Schreiben vom 20. November 2009 teilte das Amt für Migration und
Integration des Kantons Aargau (MIKA) A.________ mit, dass er den eigentlichen
Aufenthaltszweck (Erwerbstätigkeit) nicht mehr erfülle, da er ein (Fern-)
Studium absolviere und keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehe. Aus dem gleichen
Grund stehe auch die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nicht zur
Diskussion, seine Aufenthaltsbewilligung könne jedoch zwecks Studiums um fünf
Jahre verlängert werden.

A.c. Am 23. Januar 2010 schloss A.________ das Fernstudium an der X.________
Hochschule in U.________/Deutschland, das er bereits am 28. Mai 2002
aufgenommen hatte, ab.

A.d. Mit Urteil des Bezirksgerichts V.________ vom 7. August 2012, bestätigt
durch das Obergericht des Kantons Aargau am 17. September 2013, wurde
A.________ wegen unrechtmässigen Erwirkens von Sozialleistungen schuldig
gesprochen und zu einer Busse von Fr. 2'000.-- verurteilt, da er gegenüber den
Sozialbehörden einen Geldeingang nicht deklariert hatte.

A.e. Nachdem A.________ im August 2014 nach wie vor nicht erwerbstätig war,
lehnte das MIKA mit Schreiben vom 7. August 2014 die Umwandlung der
Aufenthalts- in eine Niederlassungsbewilligung erneut ab, verlängerte dessen
Aufenthaltsbewilligung jedoch gestützt auf Art. 6 Abs. 1 Anhang I FZA (SR
0.142.112.681) zur Stellensuche um ein Jahr bis zum 31. Juli 2015.

B.
Am 2. März 2016 verfügte das MIKA, dass die am 31. Juli 2015 abgelaufene
Aufenthaltsbewilligung von A.________ nicht mehr verlängert und dieser aus der
Schweiz weggewiesen werde. Die dagegen erhobene Einsprache wies das MIKA mit
Einspracheentscheid vom 24. August 2016 ab, soweit es darauf eintrat. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau hat die hiergegen erhobene Beschwerde mit
Urteil vom 16. Dezember 2016 ebenfalls abgewiesen, soweit es darauf eingetreten
ist.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 24. Januar 2017 an
das Bundesgericht beantragt A.________: "Das Verfahren ist zu sistieren und dem
Beschwerdeführer die Aufenthaltsbewilligung mindestens so lange zu verlängern,
bis sämtliche zivil- und strafrechtlichen Verfahren des Beschwerdeführers
verfassungskonform überarbeitet wurden. Hilfsweise sind für den Entscheid des
Migrationsamtes Rechtsverweigerung, Rechtsverzögerung, Willkür, Schikane sowie
Diskriminierung festzustellen."
Das Verwaltungsgericht und das MIKA beantragen die Abweisung der Beschwerde,
soweit darauf einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 lit. d und
Abs. 2 sowie Art. 90 BGG) ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten zulässig, da der Beschwerdeführer als deutscher
Staatsangehöriger gestützt auf das FZA potenziell einen Anspruch auf Erteilung
einer Bewilligung geltend machen kann (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario).
Die Frage, ob dessen Aufenthaltsbewilligung zu Recht nicht verlängert wurde,
betrifft nicht das Eintreten, sondern bildet Gegenstand der materiellen
Beurteilung (vgl. BGE 136 II 177 E. 1.1 S. 179 f.). Auf die form- und
fristgerecht eingereichte Beschwerde (Art. 42 und 100 Abs. 1 BGG) des hierzu
legitimierten Beschwerdeführers (Art. 89 Abs. 1 BGG) ist einzutreten.

2.

2.1. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Vorbringen, sofern
allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE
142 I 135 E. 1.5 S. 144). Die Verletzung von Grundrechten untersucht es in
jedem Fall nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde
präzise   vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I
229 E. 2.2 S. 232; 134 II 244 E. 2.2 S. 246). Es legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG)
und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.2. Die vom Beschwerdeführer am 24. April 2017 eingereichte "zusätzliche
Rechnung" des Krankenversicherers, datiert vom 16. Januar 2017, bleibt als
echtes Novum im vorliegenden Verfahren unbeachtlich (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE
139 III 120 E. 3.1.2 S. 123; 133 IV 342 E. 2.1 S. 343 f.). Auch auf seinen in
dieser Eingabe verfassten Antrag, dem Leiter des Sozialamtes "im Interesse der
Wahrheitsfindung die Möglichkeit der Präzisierung seines Vortrages einzuräumen
- vorzugsweise durch Einreichung der kompletten, digitalisierten Akte des
Beschwerdeführers als PDF-Datei auf einem gängigen Datenträger", ist nicht
weiter einzugehen, da nicht ersichtlich ist, inwiefern dieser Streitgegenstand
des vorliegenden Verfahrens bildet.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die bevorstehende Firmengründung sei
dem MIKA bekannt gewesen und hätte entsprechend berücksichtigt werden müssen.
Weiter führt er aus, im genannten Strafverfahren seien dem Angeklagten u.a. ein
Anwalt und Akteneinsicht verweigert, Beweismittel unterschlagen sowie
Rechtsgrundsätze wie in dubio pro reo und in dubio mitius nicht angewandt und
Fristen für die Zustellung des Dispositivs und des begründeten Urteils
überschritten worden. Bei den Zivilverfahren habe es ähnliche
Unregelmässigkeiten gegeben.

3.2. Die Vorinstanz hat - teilweise unter Verweis auf den Einspracheentscheid
des MIKA - die einschlägigen Rechtsgrundlagen im FZA (Art. 1 lit. a und Art. 4
FZA; Art. 4 Abs. 1, Art. 6 ff. und Art. 12 ff. Anhang I FZA) sowie die
bundesgerichtliche Rechtsprechung (vgl. insbesondere BGE 141 II 1 E. 2 u. 3 S.
3 ff.) zutreffend dargelegt; darauf kann verwiesen werden. Sie gelangte zum
Schluss, dass dem Beschwerdeführer für einen erwerbsfreien Aufenthalt die
finanziellen Mittel fehlten, da er seit Jahren von der Sozialhilfe abhängig
sei. Weiter stellte sie fest, dass er seit dem Jahr 2009 arbeitslos sei und es
nicht absehbar sei, dass er in der Schweiz demnächst eine Arbeitsstelle fände.
In Bezug auf die Absicht des Beschwerdeführers, eine Firma zu gründen, verwies
sie auf die Ausführungen des MIKA. Dieses hat die bundesgerichtliche Praxis
richtig ausgeführt: Bürger aus EU-/EFTA-Staaten haben Anspruch auf eine
fünfjährige EU-/EFTA-B-Bewilligung, falls sie den zuständigen Behörden
nachweisen, dass sie sich zum Zweck einer selbständigen Erwerbstätigkeit
niedergelassen haben oder niederlassen wollen. Der betroffene selbständig
Tätige muss seine Erwerbstätigkeit dartun. Als Nachweis genügt die Errichtung
eines Unternehmens oder einer Betriebsstätte mit einer effektiven und möglichst
existenzsichernden Geschäftstätigkeit. Die betroffene Person soll dabei
grundsätzlich ein Einkommen erzielen, welches ihr erlaubt, ihr Leben und
dasjenige der Familie zu fristen und nicht sozialhilfeabhängig zu werden.
Indessen darf kein bestimmtes Mindesteinkommen vorausgesetzt werden (Urteil
2C_243/2015 vom 2. November 2015 E. 3.3.1).
Diesen Anforderungen ist der Beschwerdeführer nicht nachgekommen. In seiner
Beschwerde an das Bundesgericht setzt er sich in keiner Weise mit den
entsprechenden vorinstanzlichen Feststellungen auseinander und legt nicht dar,
inwiefern diese nicht zutreffen sollen. Er lässt damit eine genügende
Begründung vermissen und belässt es im Wesentlichen bei appellatorischer Kritik
am vorinstanzlichen Entscheid. Im Weiteren unterlässt er es zu begründen,
inwiefern sich dieser als diskriminierend oder willkürlich erweisen und ihm
eine Rechtsverweigerung widerfahren sein soll. Auf seine Rügen kann damit nicht
eingegangen werden (vgl. E. 2.1).

3.3. Die Vorinstanz ist demnach zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass   es dem
Beschwerdeführer seit der letzten Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung
zwecks Stellensuche (bis zum 31. Juli 2015; vgl. Sachverhalt Bst. A.e) wiederum
nicht gelungen ist, eine Arbeitsstelle in der Schweiz zu finden. Sie durfte
daher davon ausgehen, dass er seinen Status als unselbständiger Arbeitnehmer im
Sinne von Art. 6 Anhang I FZA und damit den Anspruch auf eine entsprechende
Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA verloren hat und sich auch
auf keinen Anspruch als selbständig Erwerbstätiger im Sinne von Art. 12 Anhang
I FZA berufen kann. Weitere Bestimmungen, aus denen der Beschwerdeführer ein
Anwesenheitsrecht für sich ableiten könnte, werden weder dargetan noch sind sie
ersichtlich.

3.4. Nicht einzugehen ist schliesslich auf die Ausführungen des
Beschwerdeführers betreffend die offenbar hängigen Zivil- und Strafverfahren.
Diese richten sich gegen den vorinstanzlichen Entscheid bzw. die entsprechenden
Ausführungen des MIKA, soweit darin das Vorliegen eines Härtefalls im Sinne von
Art. 20 der Verordnung vom 22. Mai 2002 über die schrittweise Einführung des
freien Personenverkehrs zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der
Europäischen Union und deren Mitgliedstaaten sowie unter den Mitgliedstaaten
der Europäischen Freihandelsassoziation (VEP; SR 142.203) verneint wird. Zwar
können nach dieser Bestimmung Aufenthaltsbewilligungen EU/EFTA erteilt werden,
wenn wichtige Gründe dies gebieten und die Voraussetzungen für eine Zulassung
zu einem Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit nicht gegeben sind. Die entsprechende
Verordnungsbestimmung begründet indessen keinen Bewilligungsanspruch (vgl. Art.
83 lit. c Ziff. 2 BGG). Es handelt sich dabei - analog der allgemeinen
Härtefallregelung in Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG (SR 142.20) - um einen
Ermessensentscheid, gegen den allenfalls die subsidiäre Verfassungsbeschwerde
offensteht (Urteil 2C_243/2015 vom 2. November 2015 E. 1.2). Auf die Beschwerde
kann insoweit nicht eingetreten werden.

4.
Die Beschwerde ist demnach unbegründet und abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist. Mit dem vorliegenden Entscheid in der Sache wird das
Sistierungsgesuch gegenstandslos.

5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend wird der unterliegende Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen
geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
D ie Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau, 2. Kammer, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 31. Juli 2017

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Fuchs

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