Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.74/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
2C_74/2017         

Urteil vom 1. Juni 2017

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiberin Straub.

Verfahrensbeteiligte
1. A.A.________,
2. B.A.________,
Beschwerdeführende,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Peter Dünner,

gegen

Migrationsamt des Kantons Thurgau,

Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau.

Gegenstand
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligungen,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 2. November 2016.

Sachverhalt:

A.
Die Eheleute A.A.________ (geboren 1966) und B.A.________ (geboren 1971)
reisten im Dezember 1989 mit ihrem Sohn C.A.________ (geboren 1989) aus dem
Kosovo in die Schweiz und ersuchten um Asyl. Im Dezember 1993 wies das
Bundesamt für Flüchtlinge (heute Staatssekretariat für Migration SEM) das
Asylgesuch ab und verfügte wegen Unzumutbarkeit der Rückschaffung ihre
vorläufige Aufnahme in der Schweiz. Die beiden Töchter D.A.________ (geboren
1990) und E.A.________ (geboren 1994) kamen in der Schweiz zur Welt. Im April
2002 wurde der Familie aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung
erteilt: dies zwecks Erwerbstätigkeit für A.A.________ und zwecks Verbleib beim
Ehemann für B.A.________.
Mit Strafverfügung vom 21. März 2000 wurde A.A.________ wegen grober Verletzung
der Verkehrsregeln eine Busse von Fr. 1'000.- auferlegt. Im Jahr 2003 wurde er
wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln und Führens eines nicht
betriebssicheren Fahrzeuges zu einer bedingt vollziehbaren Busse von Fr.
2'000.- verurteilt.
Mit Urteil des Bezirksgerichts V.________ vom 27. Februar 2014 wurde
A.A.________ wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind, mehrfacher
sexueller Nötigung, mehrfacher Drohung sowie Verletzung der
Erziehungspflichten, alle Taten begangen zum Nachteil seiner Tochter
D.A.________, zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten (Probezeit:
zwei Jahre) und einer Busse von Fr. 2'000.-- verurteilt.

B.
Das Migrationsamt des Kantons Thurgau ordnete am 5. Oktober 2015 die
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligungen von A.A.________ und
B.A.________ an und forderte sie auf, bis spätestens 30. November 2015
auszureisen. Die hiergegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel blieben ohne
Erfolg (Entscheid des Departements für Justiz und Sicherheit des Kantons
Thurgau vom 7. April 2016 und Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons
Thurgau vom 2. November 2016).

C.
Mit Eingabe an das Bundesgericht vom 23. Januar 2017 erheben A.A.________ und
B.A.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
subsidiäre Verfassungsbeschwerde. Sie beantragen, der Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 2. November 2016 sei aufzuheben, ihre
Aufenthaltsbewilligungen seien zu verlängern und es sei von einer Wegweisung
abzusehen. Eventualiter sei die Sache zur weiteren Abklärung und Neubeurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Auf das Gesuch um aufschiebende Wirkung ist der Präsident der II.
öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts mit Verfügung vom 26.
Januar 2017 nicht eingetreten, da die Aufforderung im angefochtenen Urteil, die
Schweiz "innert eines Monats ab Rechtskraft dieses Entscheids" zu verlassen,
mangels Rechtskraft desselben noch keine Wirkung entfaltet und das Gesuch damit
ins Leere stösst.
Das Departement für Justiz und Sicherheit und das Migrationsamt beantragen, die
Beschwerde sei vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das
Verwaltungsgericht beantragt unter Verweis auf den angefochtenen Entscheid die
vollumfängliche Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Migration
lässt sich nicht vernehmen.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist gemäss Art.
83 lit. c Ziff. 2 BGG unzulässig gegen Entscheide auf dem Gebiet des
Ausländerrechts betreffend Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch
das Völkerrecht einen Anspruch einräumt. Die Beschwerdeführenden berufen sich
auf den Schutz ihres Privat- und Familienlebens und machen diesbezüglich in
vertretbarer Weise einen Bewilligungsanspruch gestützt auf Art. 8 EMRK bzw.
Art. 13 BV geltend. Ob die hierfür erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind,
bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung und nicht des Eintretens (BGE 137
I 305 E. 2.5 S. 315; 136 II 177 E. 1.1 S. 179 f.). Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, mit welcher der Widerruf der
Aufenthaltsbewilligungen angefochten wird, einzutreten.

1.2. Gegen den kantonalen Wegweisungsentscheid ist die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unzulässig (Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG).
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 BGG) steht nur offen, soweit
sich die betroffene Person auf besondere verfassungsmässige Rechte berufen
kann, welche ihr unmittelbar ein rechtlich geschütztes Interesse im Sinn von
Art. 115 lit. b BGG verschaffen, wobei die entsprechenden Rügen jeweils
rechtsgenügend begründet werden müssen (BGE 137 II 305 E. 3.3 S. 310).
Vorliegend berufen sich die Beschwerdeführenden nicht in rechtsgenügender Weise
(vgl. Art. 117 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG) auf ein solches Recht, so dass auf
die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht einzutreten ist.

1.3. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG), prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nur die geltend gemachten
Vorbringen, sofern rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE
142 I 135 E. 1.5 S. 144). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den
die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Die beschwerdeführende
Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den gleichen
Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Dabei gelten, wie bei
den in Art. 106 Abs. 2 BGG genannten Rügen, strenge Anforderungen an die
Begründung (BGE 139 I 72 E. 9.2.3.6 S. 96 mit Hinweis). Hinsichtlich der
Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht gilt
eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142 I 135 E. 1.5 S.
144 mit Hinweisen).

2.
Vorab ist zu prüfen, ob die Beschwerdeführenden gestützt auf Art. 8 EMRK bzw.
Art. 13 BV einen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligungen
haben. Besteht ein solcher Anspruch, sind anschliessend das Vorliegen eines
Widerrufsgrundes und die Verhältnismässigkeit des Widerrufs zu prüfen.

2.1. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bedarf es für einen Anspruch
auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung gestützt auf die Garantie der
Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV) besonders intensiver,
über eine normale Integration hinausgehender Bindungen gesellschaftlicher oder
beruflicher Natur bzw. vertiefter sozialer Beziehungen zum ausserfamiliären
bzw. ausserhäuslichen Bereich. In der Regel genügen hierfür eine lange
Anwesenheit und die damit verbundene normale Integration noch nicht (BGE 130 II
281 E. 3.2.1 S. 286 f.; Urteil 2C_1183/2016 vom 6. April 2017 E. 6).

2.2. Gemäss der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung und den Akten, auf
denen diese beruht, leben die Beschwerdeführenden seit Ende 1989 in der
Schweiz. Der Beschwerdeführer war damals 23-jährig und die Beschwerdeführerin
18-jährig. Ihr Sohn war bei der Einreise wenige Monate alt und die beiden
Töchter kamen in der Schweiz zur Welt. Alle drei Kinder wurden in der Schweiz
sozialisiert, haben hier die Schule besucht und sich - bis auf die jüngere
Tochter - in den Arbeitsmarkt integriert. Der Beschwerdeführer arbeitet seit
1990 bei seiner Wohngemeinde, wo er gemäss Zwischenzeugnis vom 12. August 2015
als pflichtbewusster, sorgfältiger und zuverlässiger Mitarbeiter geschätzt
wird. Die Beschwerdeführerin, welche im Jahr 2002 zunächst eine
Aufenthaltsbewilligung zwecks Verbleib beim Ehemann erhalten hatte, ist gemäss
den aktenkundigen Bewilligungskopien seit dem Jahr 2006 ebenfalls erwerbstätig.
Aufgrund ihrer langjährigen Anwesenheit in der Schweiz besteht eine
fortgeschrittene Integration der Beschwerdeführenden in die hiesigen
Verhältnisse. Der Beschwerdeführer hat (im Zeitpunkt des vorinstanzlichen
Urteils) über 26 Jahre und damit faktisch sein gesamtes Berufsleben lang für
seine Wohngemeinde gearbeitet. Gemäss Schreiben der Einwohnerkontrolle
U.________ vom 26. Februar 2002 war die Familie seit Beginn ihres Aufenthalts
in der Gemeinde im Mai 1990 nie auf Fürsorgegelder angewiesen. Die
Arbeitstätigkeit des Beschwerdeführers praktisch seit Beginn seines
Aufenthaltes in der Schweiz, welche er kontinuierlich fortsetzte, sowie die
Tatsache, dass er offenbar seit Jahrzehnten als Mitarbeiter geschätzt wird und
das Arbeitsverhältnis mit der Gemeinde   nach wie vor besteht, zeugen von einer
überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Integration. Es besteht eine über die
normale, fortgeschrittene Integration in der Schweiz hinausgehende, besonders
intensive und langandauernde berufliche Einbindung des Beschwerdeführers in
seine Wohngemeinde. Angesichts der vorliegenden besonderen Umstände ist
gestützt auf die Garantie der Achtung des Privatlebens gemäss Art. 8 EMRK bzw.
Art. 13 BV ein grundsätzlicher Bewilligungsanspruch zu bejahen.

3.

3.1. Gemäss Art. 62 Abs. 1 lit. c AuG (SR 142.20) kann die zuständige Behörde
die Aufenthaltsbewilligung widerrufen bzw. nicht verlängern, wenn die
Ausländerin oder der Ausländer erheblich oder wiederholt gegen die öffentliche
Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese
gefährdet oder die innere oder äussere Sicherheit gefährdet. Im Unterschied zum
Widerrufsgrund nach Art. 62 Abs. 1 lit. b AuG ist nicht erforderlich, dass eine
Verurteilung zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe (d.h. einer
Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr, vgl. BGE 135 II 377 E. 4.2 S. 379 ff.)
erfolgte. Eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist
namentlich gegeben bei erheblichen oder wiederholten Verstössen gegen
gesetzliche Vorschriften oder behördliche Verfügungen sowie bei Nichterfüllung
der öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Verpflichtungen (Botschaft
AuG, BBl 2002 3809; Art. 80 Abs. 1 lit. a und b der Verordnung über Zulassung,
Aufenthalt und Erwerbstätigkeit [VZAE; SR 142.201]). Der Widerrufsgrund kann
auch erfüllt sein, wenn einzelne strafbare Handlungen für sich allein
betrachtet noch keinen Widerruf rechtfertigen, deren wiederholte Begehung aber
darauf hinweist, dass die betreffende Person nicht bereit ist, sich an die
geltende Ordnung zu halten (BGE 137 II 297 E. 3.3 S. 303 f.; Urteil 2C_833/2015
vom 24. März 2016 E. 3.3; je mit Hinweisen).

3.2. Liegt ein Widerrufsgrund vor, so ist zu prüfen, ob die Nichtverlängerung
der Bewilligung verhältnismässig ist (Art. 96 Abs. 1 AuG; vgl. auch BGE 139 I
145 E. 2.2 S. 147 f.). Gemäss Art. 96 Abs. 1 AuG berücksichtigen die
zuständigen Behörden bei der Ermessensausübung die öffentlichen Interessen und
die persönlichen Verhältnisse sowie den Grad der Integration der Ausländerinnen
und Ausländer. Bei der Prüfung sind namentlich die Schwere des Delikts und des
Verschuldens, der seit der Tat vergangene Zeitraum und das Verhalten während
diesem, die Dauer der Anwesenheit in der Schweiz und der Grad der Integration
sowie die der betroffenen Person und ihrer Familie drohenden Nachteile zu
beachten (BGE 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19). Das Interesse an der Verhütung weiterer
Straftaten ist dabei ebenfalls zu berücksichtigen (Art. 80 Abs. 2 VZAE; vgl.
Urteil 2C_833/2015 vom 24. März 2016 E. 3.3 in fine mit Hinweisen). Die
Anwesenheitsberechtigung eines Ausländers, der sich schon seit langer Zeit hier
aufhält, soll aus Gründen der Verhältnismässigkeit nur mit Zurückhaltung
widerrufen oder nicht mehr verlängert werden. Bei wiederholter bzw. schwerer
Straffälligkeit ist dies jedoch selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn er hier
geboren ist und sein ganzes bisheriges Leben im Land verbracht hat (vgl. Urteil
2C_1086/2015 vom 22. Juli 2016 E. 3.2.1 mit Hinweisen). Bei schweren Straftaten
und bei Rückfall bzw. wiederholter Delinquenz besteht regelmässig ein
wesentliches öffentliches Interesse daran, die Anwesenheit eines Ausländers zu
beenden, der die Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt (vgl. Urteil 2C_898/2014
vom 6. März 2015 E. 3.2 mit Hinweisen).
Das Bundesgericht trägt bei der Interessenabwägung im Rahmen des den einzelnen
Signatarstaaten der EMRK zustehenden Beurteilungsspielraums den
verfassungsrechtlichen Vorgaben von Art. 121 Abs. 3lit. a BV insoweit Rechnung,
als dies zu keinem Widerspruch zu übergeordnetem Recht - insbesondere der EMRK
- führt (vgl. BGE 139 I 16 E. 5.3 S. 31). Nach der entsprechenden
Verfassungsnorm sollen schwere Sexualdelikte zum Verlust des Aufenthaltsrechts
führen (vgl. BGE 139 I 31 E. 2.3.2 S. 34; Urteil 2C_451/2015 vom 28. April 2016
E. 4.2).

4.
Die Vorinstanz hat im angefochtenen Urteil das Vorliegen des Widerrufsgrunds
von Art. 62 Abs. 1 lit. c AuG bejaht und den Widerruf als verhältnismässig
erachtet.

4.1. Der Beschwerdeführer hat gemäss rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts
V.________ vom 27. Februar 2014 seine Tochter D.A.________ in insgesamt 15-18
Fällen sexuell genötigt (Art. 189 Abs. 1 StGB), indem er ihr an die Brüste
fasste und versuchte, sie im Intimbereich zu berühren und ihre Hand an sein
Geschlechtsteil zu führen. In 7-9 der Fälle war sie unter 16 Jahre alt, sodass
die Handlungen zudem den Tatbestand der sexuellen Handlung mit einem Kind
erfüllten (Art. 187 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Weiter hat er seine Tochter mehrfach
mit dem Tod bedroht (Art. 180 Abs. 1 StGB) und seine Erziehungspflicht verletzt
(Art. 219 Abs. 1 StGB). Damit hat er erheblich gegen das Gesetz verstossen und
namentlich die Entwicklung einer Minderjährigen gefährdet und ihre sexuelle
Integrität angegriffen. Praxisgemäss wird bei der Verletzung oder Gefährdung
besonders hochwertiger Rechtsgüter wie der körperlichen, psychischen und
sexuellen Integrität eines Menschen ein schwerwiegender Verstoss gegen die
öffentliche Sicherheit und Ordnung angenommen, welcher auch die qualifizierten
Voraussetzungen für den Widerruf der Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 63
Abs. 1 lit. b AuG zumeist erfüllt (BGE 137 II 297 E. 3.3 S. 303). Die
vorliegend zu beurteilende, über Jahre andauernde Verletzung von hochwertigen
Rechtsgütern stellt zweifellos einen erheblichen Verstoss gegen die öffentliche
Sicherheit und Ordnung dar, welcher die Voraussetzungen für den Widerruf bzw.
die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung gemäss Art. 62 Abs. 1 lit. c
AuG erfüllt. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist diesfalls nicht
erforderlich, dass er auch zukünftig weder gewillt noch fähig sein wird, sich
an die Rechtsordnung zu halten.
In der Beschwerde wird die Frage aufgeworfen, ob die Vorinstanz die am 20. März
2015 verabschiedete Änderung des StGB zur Umsetzung von Art. 121 Abs. 3-6 BV
(Verfassungsbestimmungen über die Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und
Ausländer) bei der Auslegung von Art. 62 Abs. 1 lit. c AuG berücksichtigen
durfte, oder ob diese - so die Meinung in der Beschwerde - nur im Rahmen der
Interessenabwägung beachtet werden darf. Die Frage stellt sich im vorliegenden
Fall jedoch nicht, zumal der Widerrufsgrund von Art. 62 Abs. 1 lit. c AuG
ohnehin erfüllt ist.

4.2. Nachdem ein Widerrufsgrund vorliegt, prüft das Bundesgericht die
vorinstanzliche Interessenabwägung.

4.2.1. In Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht ist festzustellen, dass
aufgrund der über einen langen Zeitraum erfolgten erheblichen Verstösse gegen
die Schweizer Rechtsordnung ein berechtigtes öffentliches Interesse an der
Wegweisung des Beschwerdeführers besteht. Die von ihm begangenen Sexualdelikte
(mehrfache sexuelle Handlungen mit einem Kind, mehrfache sexuelle Nötigung)
gehören zu den in Art. 121 Abs. 3 lit. a BV genannten Anlasstaten. Das
Bezirksgericht V.________ stellte im Strafurteil vom 27. Februar 2014 ein
insgesamt schwerwiegendes Verschulden fest. Zudem ist davon auszugehen, dass
die Tochter des Beschwerdeführers bis heute unter den Folgen der Übergriffe
leidet und offenbar Angst vor ihm hat.

4.2.2. Demgegenüber wird in der Beschwerde berechtigterweise darauf
hingewiesen, dass im Rahmen des Strafverfahrens keine Abklärungen zu einer
allfälligen Pädosexualität des Beschwerdeführers vorgenommen wurden. Eine
solche wurde offenbar auch nicht vermutet, zumal weder ein diesbezüglicher
Verdacht erwähnt noch eine psychiatrische Begutachtung in Auftrag gegeben
wurde. Für eine von der Vorinstanz mehrmals erwähnte mögliche Pädosexualität
bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Diese Annahme entbehrt somit einer Grundlage
und ist deshalb als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen. Den Ausführungen
in der Beschwerde, wonach die Übergriffe aufgrund der Volljährigkeit seiner
Töchter nicht wiederholbar seien, kann zwar nicht gefolgt werden, zumal auch
Übergriffe auf andere minderjährige Mädchen in seiner Verwandtschaft oder im
Bekanntenkreis nicht ausgeschlossen wären. Es ist aber davon auszugehen, dass
die familiäre Konstellation einen bedeutenden Einfluss auf die Delikte hatte.
In diesem Sinne ist auch die Strafzumessung zu verstehen. Das Bezirksgericht
ging offensichtlich nicht von einer Rückfallgefahr aus. Obwohl es den
Beschwerdeführer als uneinsichtig einstufte und sich das Verhalten nach der Tat
straferhöhend auswirkte, auferlegte ihm das Gericht eine angesichts des
Strafrahmens von bis zu 15 Jahren verhältnismässig geringe Freiheitsstrafe von
12 Monaten. Zudem gewährte es ihm den bedingten Strafvollzug mit der minimalen
Probezeit von zwei Jahren. Das Strafbedürfnis war trotz der Verwerflichkeit
seiner Taten offenbar nicht sehr hoch. Es liegt deshalb nahe, dass das
Bezirksgericht annahm, vom Beschwerdeführer gehe keine Gefahr für die
Öffentlichkeit aus. Der Schluss des Verwaltungsgerichts, aufgrund einer
möglichen Pädosexualität sei eine Rückfallgefahr vorhanden, ist nicht zulässig.
Für eine solche Annahme bestehen keine Anhaltspunkte. Ausserdem ist zu
beachten, dass die Übergriffe auf die Tochter bis im September 2010 dauerten
und seither keine Verfehlungen des Beschwerdeführers bekannt wurden. In
Anbetracht dieser Umstände ist das öffentliche Interesse an seiner Wegweisung
zu relativieren.
Während es Zweck des Strafrechts ist, verschuldensabhängig bestimmte
Verhaltensweisen zu sanktionieren und den Täter zu resozialisieren, steht
ausländerrechtlich der Sicherheitsaspekt im Vordergrund. Aufgrund der
persönlichen Situation des Beschwerdeführers und seines bisherigen Verhaltens,
welches unter Ausklammerung der Übergriffe auf seine Tochter seit langer Zeit -
so auch nach der Verurteilung - zu keinen Beanstandungen Anlass gab, ist die
konkrete Gefahr eines Rückfalls als sehr gering einzustufen. Ein möglicher
Rückfall kann zwar nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden, dies
ist aber unter dem Blickwinkel des Ausländerrechts als hinnehmbar zu
qualifizieren.

4.2.3. Der Beschwerdeführer kam im Jahr 1989 im Alter von 23 Jahren in die
Schweiz. Er hat mehr als die Hälfte seines Lebens hier verbracht. Seit (im
Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils) 26 Jahren ist er bei seiner
Wohngemeinde angestellt und beruflich hervorragend integriert. Aufgrund seines
Alters und seines langjährigen Aufenthalts in der Schweiz dürfte sich eine
wirtschaftliche Wiedereingliederung in Kosovo schwierig gestalten. Die
Beziehung zu seinen erwachsenen Kindern fällt zwar nicht unter das in Art. 8
EMRK geschützte Familienleben. Es ist aber davon auszugehen, dass die
familiären Verbindungen sowie das freundschaftliche Beziehungsnetz
grösstenteils in der Schweiz angesiedelt sind, auch wenn die ältere Tochter den
Kontakt zu den Eltern abgebrochen hat. Der Beschwerdeführer hat somit
insbesondere aufgrund des langjährigen Aufenthaltes ein gewichtiges privates
Interesse an einem Verbleib in der Schweiz. Das abstrakte Interesse des
Schutzes der Gesellschaft vor weiteren Straftaten, welches vorliegend als
gering einzustufen ist (vgl. E. 4.2.2 hiervor), hat gegenüber diesem Anliegen
zurückzustehen.

4.2.4. Die obenstehenden Erwägungen lassen den Widerruf respektive   die
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers als
unverhältnismässig erscheinen. Die Aufenthaltsbewilligung ist daher zu
verlängern. Er ist aber mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass eine weitere
Bewilligungsverlängerung nicht mehr infrage kommt, sollte er erneut
delinquieren oder durch sein Verhalten einen anderen Widerrufsgrund setzen. Er
wird in diesem Sinne ausdrücklich verwarnt (Art. 96 Abs. 2 AuG; BGE 139 I 145
E. 3.9 S. 154; Urteile 2C_896/2014 vom 25. April 2015 E. 2.5; 2C_1000/2013 vom
20. Juli 2014 E. 3.3.3).

5.
Nach dem Gesagten ist auch die Aufenthaltsbewilligung der Beschwerdeführerin zu
verlängern. Ob und inwiefern ihre Anwesenheitsberechtigung heute überhaupt noch
von derjenigen ihres Ehemannes abhängt, kann deshalb offen bleiben. Es
rechtfertigt sich aber immerhin der Hinweis darauf, dass ihre langjährige
Anwesenheit und ihre Berufstätigkeit in der Schweiz einen selbständigen
Anspruch zu begründen vermag, sodass bei einem Widerruf oder einer
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung des Ehemannes separat geprüft
werden müsste, ob bei ihr ebenfalls ein Widerrufsgrund gegeben und der Widerruf
verhältnismässig wäre.

6.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist demnach
gutzuheissen, und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 2.
November 2016 ist aufzuheben.

7.
Bei diesem Ergebnis sind für das bundesgerichtliche Verfahren keine
Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG). Der Kanton Thurgau
hat den Beschwerdeführenden jedoch eine Parteientschädigung auszurichten (Art.
68 Abs. 1 BGG). Für die Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des
kantonalen Verfahrens wird die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückgewiesen
(Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird gutgeheissen. Das
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 2. November 2016 wird
aufgehoben und das Migrationsamt des Kantons Thurgau angewiesen, die
Aufenthaltsbewilligungen der Beschwerdeführenden zu verlängern.

2. 
Der Beschwerdeführer wird im Sinne der Erwägungen verwarnt.

3. 
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.

4.

4.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.2. Der Kanton Thurgau hat die Beschwerdeführenden für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.3. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen der
kantonalen Rechtsmittelverfahren an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. Juni 2017

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Straub

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