Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.677/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
2C_677/2017        

Urteil vom 21. August 2017

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiber Kocher.

Verfahrensbeteiligte
A.A.________ und B.A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Billag AG,
Bundesamt für Kommunikation, Abt. Medien und Post, Sektion Radio, und
Fernsehen, Empfangsgebühren.

Gegenstand
Radio- und Fernsehempfangsgebühren;
unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I,
vom 12. Juni 2017.

Erwägungen:

1. 

1.1. A.A.________ (nachfolgend: die Gebührenpflichtige) hatte bis zum 31. März
2016 gemeinsamen Wohnsitz mit ihrem Ehemann in U.________/ZH. Bis dahin
unterlag sie unstreitig der Pflicht zur Entrichtung der Empfangsgebühr nach
Art. 68 des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über Radio und Fernsehen (RTVG; AS
2007 737) in der damals gültigen Fassung. Am 31. März 2016 meldeten die
Eheleute sich bei der Gemeinde U.________/ZH schriftenpolizeilich nach
V.________/ZH ab. Mit Schreiben vom 3. Juni 2016 ersuchte die
Gebührenpflichtige die Billag AG um rückwirkende Abmeldung bzw. Befreiung von
der Gebührenpflicht ab dem 1. April 2016, da sie und ihre Familie nun im
Haushalt einer Drittperson lebe, die ihrerseits die Empfangsgebühr entrichte.
Die Billag AG verfügte am 3. November 2016, dem Schreiben vom 3. Juni 2016
komme kein rückwirkender Effekt zu, weshalb die Empfangsgebühr bis dahin
geschuldet bleibe.

1.2. Die Gebührenpflichtige gelangte mit Beschwerde an das Bundesamt für
Kommunikation (BAKOM), womit sie sinngemäss ein Gesuch um Erteilung des Rechts
zur unentgeltlichen Rechtspflege verband. Das BAKOM ersuchte die
Gebührenpflichtige mit Schreiben vom 8. März 2017 um Unterlagen zur angeblichen
Mittellosigkeit und kündigte gleichzeitig an, nach Ablauf der Frist aufgrund
der Akten über das Gesuch zu entscheiden. Die Gebührenpflichtige liess es
innert der Frist beim Hinweis bewenden, sie verfüge über "wenig finanzielle
Mittel", worauf das BAKOM das Gesuch mit Zwischenverfügung vom 12. April 2017
abwies. Die Gebührenpflichtige wandte sich mit Beschwerde an das
Bundesverwaltungsgericht und legte der Eingabe eine Bestätigung der
Einwohnergemeinde U.________/ZH vom 5. April 2017 bei, wonach der Ehemann,
B.A.________, seit dem 1. Januar 2017 Ergänzungsleistungen zur Eidg.
Invalidenversicherung beziehe.

1.3. Das Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, wies die Beschwerde mit
Entscheid A-2549/2017 vom 12. Juni 2017 ab. Es erwog, die Mittellosigkeit wäre
zumindest glaubhaft zu machen gewesen, was aber mit Blick auf die fehlende
Mitwirkung der Gebührenpflichtigen im Verfahren vor dem BAKOM unterblieben sei.
Dem BAKOM seien die finanziellen Verhältnisse nicht aufgezeigt worden, weshalb
es habe annehmen dürfen, die Gebührenpflichtige verfüge über hinreichende
Mittel, um die mutmasslichen Verfahrenskosten zu decken. Der im Verfahren vor
Bundesverwaltungsgericht nachgereichte Nachweis des Bezugs von
Ergänzungsleistungen vermöge für sich allein keine Prozessarmut glaubhaft zu
machen.

1.4. Mit Eingabe beim Bundesgericht vom 5. Juli 2017 (Poststempel) erhebt die
Gebührenpflichtige - scheinbar auch namens ihres Gatten - Beschwerde in
öffentlich rechtlichen Angelegenheiten. Am 25. Juli 2017 (Poststempel) reichten
die Eheleute weitere Erläuterungen ein, nachdem sie ein erstes Mal aufgefordert
worden waren, den angefochtenen Entscheid beizubringen. Die Eheleute kamen der
Aufforderung auf zweite Mahnung hin nach. Der Abteilungspräsident als
Instruktionsrichter (Art. 32 Abs. 1 BGG [SR 173.110]) hat von
Instruktionsmassnahmen abgesehen.

2.

2.1. Die Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten liegen unter Vorbehalt des Nachfolgenden vor (Art. 82 lit. a,
Art. 83 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. a, Art. 89 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1
BGG). Der angefochtene Entscheid erweist sich als Zwischenentscheid, der seinem
Inhalt nach nur unter Vorbehalt eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils
rechtlicher Natur selbständig anfechtbar ist. Praxisgemäss kann die ganze oder
teilweise Verweigerung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege einen
derartigen Nachteil bewirken (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 140 IV 202 E. 2.2
S. 205; 133 IV 335 E. 4 S. 338; 129 I 129 E. 1.1 S. 131). Auf die Beschwerde
ist daher einzutreten.

2.2. Das Bundesgericht prüft das Bundesrecht von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1
BGG; BGE 142 I 155 E. 4.4.5 S. 157) und mit uneingeschränkter (voller)
Kognition (Art. 95 lit. a BGG; BGE 141 V 234 E. 2 S. 236). Die Verletzung von
verfassungsmässigen Individualrechten (einschliesslich der Grundrechte) prüft
das Bundesgericht hingegen nur, soweit eine solche Rüge in der Beschwerde
überhaupt vorgebracht und ausreichend begründet worden ist (qualifizierte Rüge-
und Begründungsobliegenheit gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142 I 99 E. 1.7.2
S. 106).

2.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 142 I 155 E. 4.4.3 S.
156).

3.

3.1. Von Verfassungs und Gesetzes wegen hängt das Recht zur unentgeltlichen
Rechtspflege (Art. 29 Abs. 3 BV; Art. 65 Abs. 1 VwVG) davon ab, dass der
gesuchstellenden Person die erforderlichen Mittel nicht zur Verfügung stehen
und überdies ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (BGE 142 III 131
E. 4.1 S. 136).

3.2. Der angefochtene Zwischenentscheid hat ausschliesslich die Verweigerung
des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege zum Inhalt. Zu materiellen Aspekten
- wie namentlich der Frage, ob die Gebührenpflicht am 31. März 2016 geendet
habe - hat die Vorinstanz noch kein Urteil gefällt. Soweit die
Gebührenpflichtige in ihrer Eingabe sinngemäss rügt, das BAKOM habe für den
Zeitraum ab dem 1. April 2016 bundesrechtswidrig auf den Fortbestand der
Gebührenpflicht geschlossen, ist dies nicht zu hören. Vor Bundesgericht kann
der Streitgegenstand gegenüber dem vorinstanzlichen Verfahren weder geändert
noch erweitert werden (Art. 99 Abs. 2 BGG; BGE 136 V 362 E. 3.4.2 S. 365).

3.3. Die Vorinstanz ist der Auffassung, das BAKOM habe das im dortigen
Verfahren gestellte Gesuch um Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen
Rechtspflege bundesrechtskonform abgewiesen. Dies hauptsächlich aus dem Grund,
dass die Gebührenpflichtige trotz schriftlicher Aufforderung keinerlei Licht in
ihre finanziellen Verhältnisse gebracht habe. Die Gebührenpflichtige hält dem
im bundesgerichtlichen Verfahren hauptsächlich entgegen, es sei
gerichtsnotorisch, dass am 22. Januar 2016 hinsichtlich der Empfangsgebühren
(Zeitraum vom 1. September 2013 bis zum 31. August 2014) ein Verlustschein
ausgestellt worden sei. Tatsächlich war dies dem BAKOM bekannt, wie sich aus
der Vernehmlassung der Billag AG vom 16. Februar 2017 an das BAKOM ergibt
(Ziff. 16 des Sachverhalts). Entscheidend ist aber einzig, ob das
Bundesverwaltungsgericht ein verfassungsmässiges Individualrecht (Art. 29 Abs.
3 BV; BGE 142 III 131 E. 4.1 S. 136) bzw. das nicht weiterreichende
Bundesgesetzesrecht (Art. 65 Abs. 1 VwVG; SR 172.021; Urteil 2A.684/2005 vom
19. Januar 2006 E. 2.2.1) verletzte, indem es davon ausging, die
Gebührenpflichtige habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie an Prozessarmut
leide.

3.4. Den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz
(Art. 105 Abs. 1 BGG; vorne E. 2.3) ist zu entnehmen, dass die
Gebührenpflichtige im Verfahren vor dem BAKOM einzig darlegte, über "wenig
finanzielle Mittel" zu verfügen. Dies genügt der Substanziierungspflicht, die
ihr insofern obliegt, offenkundig nicht. Eine Person, die ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege stellt, hat ihre Einkommens- und
Vermögensverhältnisse darzulegen sowie die finanziellen Verpflichtungen und den
aktuellen Grundbedarf aufzuzeigen (BGE 135 I 221 E. 5.1 S. 223 f.).
Entsprechend ist die gesamte wirtschaftliche Situation der gesuchstellenden
Person zu würdigen (BGE 141 III 369 E. 4.1 S. 371). Kommt die gesuchstellende
Partei ihrer Mitwirkungspflicht nicht vollumfänglich nach, darf das Gesuch um
Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege abgewiesen werden (BGE
120 Ia 179 E. 3a S. 182; Urteil 5A_81/2017 vom 29. Juni 2017 E. 6.3).

3.5. Die vorinstanzlichen Feststellungen zeigen auf, dass die
Gebührenpflichtige es mit einem Minimum ("wenig finanzielle Mittel") bewenden
liess. Mit Blick darauf hat das BAKOM das Gesuch bundesrechtskonform
abgewiesen, zumal es die Gesuchstellerin zuvor auf die Folgen ungenügender
Mitwirkung hingewiesen hatte. Folglich konnte die Vorinstanz die Beschwerde
rechtsfehlerfrei abweisen. Hinzuweisen ist immerhin noch auf folgendes:
"Bedürftig" im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG bzw. Art. 29 Abs. 3 BV ist nur,
wer die Kosten eines Verfahrens nicht aufzubringen vermag, ohne jene Mittel
anzugreifen, deren er oder sie zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts für
sich und die Familie bedarf (BGE 141 III 369 E. 4.1 S. 371). Die blosse
Existenz eines Pfändungsverlustscheins vermag diesen Beweis nicht zu erbringen,
zumal er im konkreten Fall im Januar 2016 ausgestellt worden war, die
Aufforderung des BAKOM aber erst im März 2017 erging. Was die
Ergänzungsleistungen zur Rente der Eidg. Invalidenversicherung betrifft, welche
dem Ehemann der Gesuchstellerin scheinbar ab Anfang 2017 zugesprochen wurden,
ist auf die gefestigte bundesgerichtliche Rechtsprechung hinzuweisen. Danach
kann der Bezug von Ergänzungsleistungen zwar ein Indiz für die prozessuale
Bedürftigkeit darstellen, ohne dass diese sich daraus aber zwangsläufig ergibt.
Der Anspruch auf Ergänzungsleistungen zur AHV oder Eidg. Invalidenversicherung
bindet die Gerichtsbehörde daher nicht. Es ist mithin auch nicht zu
beanstanden, wenn das BAKOM und mit ihm die Vorinstanz auf detaillierten
Unterlagen bestanden haben, welche überhaupt erst eine Bedarfsberechnung
ermöglicht hätten (Urteile 4A_696/2016 vom 21. April 2017 E. 3.2; 8C_375/2009
vom 3. Juni 2009 E. 2.2; 8C_530/2008 vom 25. September 2008 E. 4.2; P.48/06 vom
5. Februar 2007 E. 5.2.1).

3.6. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet, weshalb sie abzuweisen ist.

4. 
Nach dem Unterliegerprinzip (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG) sind die Kosten des
bundesgerichtlichen Verfahrens an sich der Gebührenpflichtigen und dem
gemeinsam mit ihr beschwerdeführenden Ehemann aufzuerlegen. Angesichts der
besonderen Umstände rechtfertigt es sich indes, vom Erheben der Gerichtskosten
abzusehen (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Der Billag AG, die mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraut ist, steht keine Entschädigung zu (Art.
68 Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Für das bundesgerichtliche Verfahren werden keine Kosten erhoben.

3. 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführenden, der Billag AG, dem Bundesamt für
Kommunikation und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 21. August 2017

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Kocher

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