Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.654/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
2C_654/2017  
 
 
Urteil vom 8. August 2018  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, 
Bundesrichterin Aubry Girardin, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichter Haag, 
Gerichtsschreiber Mösching. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
Beschwerdeführerinnen, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michael Mráz, 
 
gegen  
 
Eidgenössische Steuerverwaltung, Dienst für Informationsaustausch in
Steuersachen SEI, Amtshilfe, 
 
Gegenstand 
Amtshilfe (DBA CH-RU), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, 
vom 5. Juli 2017 (A-171/2017, A-172/2017, A-173/2017). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der Federal Tax Service von Russland (FTS) richtete mit Schreiben vom 15. Juni
2015 gestützt auf Art. 25a des Abkommens vom 15. November 1995 zwischen der
Schweiz und der Russischen Föderation zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf
dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (SR 0.672.966.51; DBA
CH-RU) ein Amtshilfegesuch an die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV). Das
Ersuchen betrifft die Erhebung der Gewinnsteuern und der Mehrwertsteuer bei der
russischen Gesellschaft A.________ in den Jahren 2013 und 2014. Der FTS
verlangt mit dem Gesuch die Beantwortung einer Reihe von Fragen sowie die
Übermittlung von Dokumenten zur A.________, zur ebenfalls russischen
Gesellschaft B.________ und zur schweizerischen Gesellschaft C.________ SA. Mit
einem zweiten Gesuch, datierend vom 4. April 2016, verlangte der FTS überdies
zwecks Durchführung einer gewinnsteuerlichen Untersuchung betreffend die
A.________ für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2014 die
Beantwortung bestimmter Fragen sowie die Übermittlung von Unterlagen, die den
Generaldirektor dieser Gesellschaft, D.________, betreffen. Auf eine
entsprechende Aufforderung der ESTV hin lieferte der FTS mit E-Mail vom 22.
Juli 2016 ergänzende Informationen zur Stellung von D.________ bei der
A.________ und zum Hintergrund des zweiten Ersuchens. 
 
B.  
Die C.________ SA gab in der Folge gegenüber der ESTV ihr Einverständnis zur
Übermittlung der sie betreffenden Dokumente und Informationen an den FTS.
Gegenüber der A.________, B.________ und D.________ erliess die ESTV am 6.
Dezember 2016 je eine Schlussverfügung. In den Schlussverfügungen ordnete die
ESTV jeweils in Ziff. 1 des Dispositivs an, dass sie dem FTS betreffend die
A.________ Amtshilfe leistet. Jeweils in Ziff. 2 des Dispositivs ordnete die
ESTV an, welche den jeweiligen Verfügungsadressaten betreffende Informationen
sie dem FTS übermitteln werde. 
Gemäss Anordnung gegenüber der A.________ soll die ESTV Informationen und
Dokumente übermitteln, die von der C.________ SA, der Bank E.________ SA SA,
dem Finanz- und Wirtschaftsdepartement des Kantons Tessin, der Bank F.________
AG und der Kantonalen Steuerverwaltung Wallis ediert wurden. Nach Darstellung
der ESTV handelt es sich dabei um Antworten auf die FTS im Ersuchen vom 15.
Juni 2015 zur C.________ SA und im zweiten Ersuchen zu D.________ gestellten
Fragen. 
In der Schlussverfügung betreffend die B.________ ist lediglich die
Übermittlung von (bei der C.________ SA, der Bank E.________ SA und dem Finanz-
und Wirtschaftsdepartement des Kantons Tessins edierten) Anworten zu denjenigen
mit dem Ersuchen vom 15. Juni 2015 gestellten Fragen vorgesehen, welche
(allfällige) von der A.________ der C.________ SA erteilte Weisungen betreffen.
Diese Antworten bilden einen Teil derjenigen Informationen und Unterlagen,
welche gemäss der gegenüber der A.________ eröffneten Schlussverfügung an den
FTS übermittelt werden sollen. 
Die gemäss der an D.________ gerichteten Schlussverfügung dem FTS zu
übermittelnden, von Bank F.________ AG und der Kantonalen Steuerverwaltung
Wallis erhaltenen Informationen sind identisch mit denjenigen, welche die ESTV
gemäss der an die A.________ gerichteten Schlussverfügung als Antworten auf das
zweite Ersuchen an den FTS weiterleiten will. 
 
C.  
Die A.________, die B.________ und D.________ erhoben am 6. Januar 2017
Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht gegen die drei genannten
Schlussverfügungen der ESTV. Mit Urteil vom 5. Juli 2017 vereinigte das
Bundesverwaltungsgericht die drei Verfahren (Ziff. 1 des Dispositivs), hiess
die Beschwerde der A.________ im Sinne der Erwägungen teilweise gut und hob die
Dispositiv-Ziff. 2 der an die A.________ gerichteten Schlussverfügung der ESTV
insofern auf, als darin unter dem Abschnitt "Ergänzungsersuchen vom 4. April
2016" die Übermittlung von Antworten an den FTS angeordnet wird. Das
Bundesverwaltungsgericht begründete dies mit der festgestellten fehlenden
abkommensrechtlichen Erheblichkeit der im zweiten Ersuchen verlangten
Informationen. Im Weiteren wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der
A.________ab. 
Die Beschwerde der B.________ wies das Bundesverwaltungsgericht in vollem
Umfang ab (Ziff. 3 des Dispositivs), während es die Beschwerde von D.________
guthiess und die an diesen gerichtete Schlussverfügung der ESTV aufhob (Ziff. 4
des Dispositivs). 
 
D.  
Mit Eingabe vom 17. Juli 2017 erheben die A.________ und die B.________
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragen (1), es
seien die Dispositiv-Ziff. 2 (soweit damit die Beschwerde der A.________
abgewiesen wurde) und die Dispositiv-Ziff. 3 des angefochtenen Urteils sowie,
damit zusammenhängend die Dispositiv-Ziff. 5 und 6 betreffend Verfahrenskosten
und Parteientschädigung aufzuheben. (2a) Es seien die an die A.________ und die
B.________ gerichteten Schlussverfügungen der ESTV vom 6. Dezember 2016
aufzuheben und die Amtshilfe an die ersuchende Behörde (FTS) in Bezug auf deren
Ersuchen vom 15. Juni 2015 einstweilen zu verweigern und die ESTV anzuweisen,
vorab beim FTS um den Beleg für dessen Behauptung der Existenz eines Agency
Agreements zwischen der A.________ und der B.________ nachzufragen. (2b) Die
Sache sei eventualiter an das Bundesverwaltungsgericht zur neuen Entscheidung
im Sinne der Erwägungen zurückzuweisen. 
Die ESTV beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Eventualiter sei
die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet auf eine
Vernehmlassung. Mit Schreiben vom 4. September 2017 nehmen die A.________ und
die B.________ zum Vernehmlassungsergebnis abschliessend Stellung und halten an
ihren Rechtsbegehren in der Beschwerdeschrift fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Dem vorliegenden Verfahren liegt ein Amtshilfegesuch des FTS vom 15. Juni
2015 gestützt auf das DBA CH-RU zugrunde. Das Verfahren richtet sich nach dem
am 1. Februar 2013 in Kraft getretenen Bundesgesetz vom 28. September 2012 über
die internationale Amtshilfe in Steuersachen (Steueramtshilfegesetz, StAhiG; SR
651.1; vgl. Art. 24 StAhiG e contrario).  
 
1.2. Das angefochtene Urteil wurde vom Bundesverwaltungsgericht gefällt und
unterliegt als Endentscheid in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts
grundsätzlich der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82
lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. a, Art. 90 BGG).  
 
1.3. Art. 83 lit. h BGG sieht vor, dass die Beschwerde an das Bundesgericht
unzulässig ist gegen Entscheide auf dem Gebiet der internationalen Amtshilfe,
mit Ausnahme der Amtshilfe in Steuersachen.  
 
1.3.1. Gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Amtshilfe in
Steuersachen ist die Beschwerde zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von
grundsätzlicher Bedeutung stellt oder wenn es sich aus anderen Gründen um einen
besonderen bedeutenden Fall im Sinne von Art. 84 Abs. 2 BGG handelt (Art. 84a
BGG). Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung in gedrängter Form
darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Ist eine Beschwerde
nur unter der Voraussetzung zulässig, dass sich eine Rechtsfrage von
grundsätzlicher Bedeutung stellt oder ein besonders bedeutender Fall nach Art.
84 oder 84a BGG vorliegt, so ist auszuführen, warum die jeweilige Voraussetzung
erfüllt ist, es sei denn, dies treffe ganz offensichtlich zu. Wie Art. 84 BGG
bezweckt auch Art. 84a BGG die wirksame Begrenzung des Zugangs zum
Bundesgericht im Bereich der internationalen Amtshilfe in
Steuerangelegenheiten. Ein besonders bedeutender Fall ist daher mit
Zurückhaltung anzunehmen. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein besonders
bedeutender Fall gegeben ist, steht dem Bundesgericht ein weiterer
Ermessensspielraum zu. Gemäss Art. 84 Abs. 2 BGG liegt ein besonders
bedeutender Fall insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass
elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im
Ausland schwere Mängel aufweist. Das Gesetz enthält nach dem ausdrücklichen
Wortlaut von Art. 84 Abs. 2 BGG eine nicht abschliessende Aufzählung von
möglichen besonders bedeutenden Fällen. Das Vorliegen einer Rechtsfrage von
grundsätzlicher Bedeutung ist regelmässig zu bejahen, wenn der Entscheid für
die Praxis wegleitend sein kann, namentlich wenn von unteren Instanzen viele
gleichartige Fälle zu beurteilen sein werden. Eine Rechtsfrage von
grundsätzlicher Bedeutung ist unter Umständen auch anzunehmen, wenn es sich um
eine erstmals zu beurteilende Frage handelt, die einer Klärung durch das
Bundesgericht bedarf. Es muss sich allerdings um eine Rechtsfrage handeln,
deren Entscheid für die Praxis wegleitend sein kann und von ihrem Gewicht her
nach einer höchstrichterlichen Klärung ruft. Rechtsfragen von grundsätzlicher
Bedeutung können sich ebenfalls nach dem Erlass neuer materiell- oder
verfahrensrechtlicher Normen stellen. Das Gleiche gilt, wenn sich aufgrund der
internationalen Entwicklungen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen (BGE
139 II 404 E. 1.3 S. 410; 139 II 340 E. 4 S. 342 mit weiteren Hinweisen).  
 
1.3.2. Die Beschwerdeführerinnen stellen eine Rechtsfrage, welcher nach ihrer
Auffassung grundsätzliche Bedeutung zukommt. Darf die ESTV bei einer
ausländischen Amtshilfeanfrage gestützt auf das völkerrechtliche
Vertrauensprinzip auch dann von der Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung der
ausländischen Behörde ausgehen, wenn (a) diese Sachverhaltsdarstellung
bestritten wird und (b) die ausländische Behörde diese Zweifel sofort
entkräften kann?  
 
1.3.3. Vorliegend geht es darum, dass das Amtshilfegesuch auf einem behaupteten
Sachverhaltsumstand beruht, welcher von den Beschwerdeführerinnen bestritten
wird. Genauer gesagt stützt sich das Amtshilfegesuch auf einen Kaufvertrag,
welchen die Beschwerdeführerin 2 mit der Schweizer Gesellschaft C.________ SA
als Käuferin zwecks Lieferung von Schmuckstücken als Edelmetall-Legierungen im
Wert von 50 Mio. US-Dollar abgeschlossen haben soll. Dabei habe die
Beschwerdeführerin 2 gestützt auf einen Vertretungsvertrag als "agent" für die
Beschwerdeführerin 1 gehandelt. Die Beschwerdeführerinnen stellen hingegen die
Existenz eines solchen Vertrages in Abrede, weshalb auch keine vertragliche
Beziehung zwischen der Beschwerdeführerin 1 und der C.________ SA bestehe. Der
Beweis einer negativen Tatsache - hier das Nichtbestehen eines Vertrages - ist
nicht direkt möglich. Es stellt sich die Frage, ob die ESTV unter diesen
Umständen verpflichtet ist, vom gesuchstellenden Staat den Nachweis der von ihm
behaupteten und von den Betroffenen bestrittenen Gesuchsgrundlage ungeachtet
des völkerrechtlichen Vertrauensprinzips zu verlangen. Die aufgeworfene Frage
wurde vom Bundesgericht bisher noch nicht beurteilt und kann sich in einer
Vielzahl anderer Fälle ebenfalls stellen. Das Vorliegen einer Rechtsfrage von
grundsätzlicher Bedeutung ist daher zu bejahen und die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist somit zulässig.  
 
1.4. Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde der hierzu
legitimierten Beschwerdeführerinnen (Art. 89 Abs. 1 BGG) ist einzutreten (Art.
42 und 100 Abs. 1 BGG). Die Beschwerde ist im ordentlichen Verfahren und gemäss
Art. 20 Abs. 2 BGG in Besetzung mit fünf Richtern zu beurteilen (BGE 139 II 404
E. 1.3 S. 411).  
 
1.5. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten können
Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG geltend gemacht werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).  
 
1.6. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, soweit sie
offensichtlich unrichtig, das heisst willkürlich, sind oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 2 BGG). Zudem
hat die beschwerdeführende Partei aufzuzeigen, dass die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE
140 III 16 E. 1.3.1 S. 17 f.; 140 IV 97 E. 1.4.1 S. 100). Neue Tatsachen und
Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als der Entscheid der
Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).  
 
2.  
 
2.1. In internationalen Beziehungen ist grundsätzlich vom guten Glauben der
Vertragsstaaten auszugehen. In Zusammenhang mit der Amtshilfe in Steuersachen
bedeutet dies, dass in der Regel kein Anlass besteht, an der Richtigkeit und
Einhaltung der Sachverhaltsdarstellung und an Erklärungen anderer Staaten zu
zweifeln (BGE 143 II 202 E. 8.7.1 S. 221, 224 E. 6.3 S. 230; 142 II 161 E.
2.1.3 S. 167 f.; 128 II 407 E. 3.2, 4.3.1 und 4.3.3). Nur wenn erhebliche
Zweifel an der Darstellung der Sachlage im Amtshilfeverfahren geweckt werden,
sind die Behörden gehalten, vom ersuchenden Staat weitere Informationen
einzuverlangen (Urteil 2C_904/2015 vom 8. Dezember 2016 E. 7.2). Zudem bestehen
die schweizerischen Behörden zumindest im Bereich der Rechtshilfe in
Strafsachen bei heiklen Konstellationen regelmässig auf förmlichen
Garantieerklärungen bezüglich der Einhaltung der Grund- und Menschenrechte (BGE
134 IV 156 E. 6.3 f. mit zahlreichen Beispielen).  
 
2.2. Die Beschwerdeführerinnen werfen der Vorinstanz eine falsche und dadurch
zu weite Anwendung des völkerrechtlichen Vertrauensgrundsatzes vor. Sie gehen
davon aus, dass dieser Grundsatz dort seine Grenze erfährt, wo einerseits eine
von einem ersuchten Staat aufgestellte zentrale Sachverhaltsdarstellung
bestritten wird und gleichzeitig diese Bestreitung durch Beweismittel, die der
ersuchende Staat in den Händen hält, rasch und einfach entkräftet werden könne.
Konkret stellen die Beschwerdeführerinnen die Existenz eines
Vertretungsvertrages ("agency agreement") zwischen ihnen in Abrede. Dieser
befinde sich nicht im Ersuchen des FTS und der ESTV wäre es ohne Weiteres
möglich gewesen, den Vertrag bei der FTS einzufordern. Die Vorinstanz berufe
sich jedoch auf das völkerrechtliche Vertrauensprinzip, welches eine Nachfrage
verbiete. Dadurch werde es den Beschwerdeführerinnen verunmöglicht, die
Nichtexistenz des Vertrages zu beweisen, obschon der FTS verpflichtet sei, den
fraglichen Vertrag beizubringen, um die von ihnen behauptete Tatsache
(Nicht-Existenz des Vertrages) zu widerlegen.  
 
2.3. Die Beschwerdeführerinnen stützen sich bei ihrer Argumentation auf die
Rechtsprechung zur Beweislast bei negativen Tatsachen, also das
Nichtvorhandensein eines strittigen Sachumstandes (hier das "agency
agreement"), für welche naturgemäss kaum je der volle Beweis erbracht werden
kann (vgl. 2C_102/2016 vom 5. Februar 2016 E. 3.1.1). Eine solche Situation
führt zwar nicht zu einer Umkehr der Beweislast, hat jedoch zur Folge, dass die
Gegenpartei nach Treu und Glauben bei der Beweisführung mitwirken muss,
namentlich indem sie den Gegenbeweis erbringt oder dafür zumindest
substantiiert Indizien beibringt (vgl. BGE 139 II 451 E. 2.4 S. 459; 137 II 313
E. 3.5.2 S. 325; 133 V 205 E. 5.5 S. 217). Gleichzeitig ist aber auch eine
Beweiserleichterung zugunsten des ersuchenden Staates vorhanden, wonach die
widerlegbare Vermutung besteht, dass dessen Sachverhaltsdarstellung korrekt
ist. Diese Vermutung gilt für sämtliche Tatsachen, d.h. sowohl für positive als
auch negative. Sie kann durch den Gegenbeweis umgestossen werden (MOSER/BEUSCH/
KNEUBÜHLER, Prozessieren vor Bundesverwaltungsgericht, 2. Aufl. 2013, Rz.
3.152), wobei der Gegenbeweis voraussetzt, dass der Hauptbeweis erschüttert
wird und damit die Sachbehauptungen nicht mehr als überwiegend wahrscheinlich
erscheinen (BGE 130 III 321 E. 3.4 S. 326).  
 
2.4. Da der Beweis negativer Tatsachen grundsätzlich nichts an der Beweislast
ändert, ist es vorliegend an der vom Ersuchen betroffenen Person, zuerst die
Tatsachendarstellung des ersuchenden Staates mittels konkreter Hinweise
erheblich in Zweifel zu ziehen. Erst wenn die völkerrechtliche Vermutung
widerlegt ist, d.h. keine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass die
Sachbehauptungen des ersuchenden Staates zutreffen, ist Raum für eine
Mitwirkungspflicht im Rahmen der allgemeinen Regeln zur Beweislastverteilung
vorhanden. Andernfalls würde die Vermutung des guten Glaubens zugunsten des
ersuchenden Staates unterlaufen, wenn dieser über den Umweg des Beweises einer
negativen Tatsache einen Gegenbeweis erbringen müsste, obschon davon
ausgegangen wird, dass seine Darstellung der Tatsachen zutreffend ist. Folglich
tragen die Beschwerdeführerinnen die Beweislast für die Entkräftung der
bestehenden Vermutung, auch wenn sie sich zur Erhebung ernstlicher Zweifel
negativer Tatsachen bedienen, indem sie die Existenz des Vertrages in Abrede
stellen.  
 
2.5. Die Beschwerdeführerinnen benennen in Zusammenhang mit dem vorliegenden
Ersuchen keine konkreten Hinweise, wonach die Sachverhaltsdarstellung durch den
ersuchenden Staat nicht überwiegend wahrscheinlich den Tatsachen entspricht.
Sie begnügen sich mit einer pauschalen Bestreitung des Vertrages, welche nach
den obengenannten Beweisregeln nicht ausreicht, um die Darstellung des FTS
ernsthaft in Zweifel zu ziehen und dadurch die Vermutung zu Gunsten des
ersuchenden Staates zu widerlegen.  
 
2.6. In Bezug auf die eingangs gestellte Frage von grundsätzlicher Bedeutung
lautet die Antwort somit, dass solange von der Richtigkeit der
Tatsachendarstellung des ersuchenden Staat auszugehen ist, als diese nicht
ernsthaft in Zweifel gezogen wird. Dies gilt auch, wenn der ersuchende Staat
eine von den Betroffenen behauptete negative Tatsache durch die Erbringung des
Gegenbeweises ohne grossen Aufwand widerlegen könnte (hier Beibringung eines
Vertrages).  
 
3.  
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde insgesamt als unbegründet und ist
abzuweisen. 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten den
Beschwerdeführerinnen unter solidarischer Haftung aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1
und 5 BGG). Die ESTV obsiegt in ihrem amtlichen Wirkungskreis, weshalb ihr
keine Parteientschädigung zuzusprechen ist (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführerinnen unter
solidarischer Haftung auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht,
Abteilung I, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. August 2018 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Mösching 

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