Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.557/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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2C_557/2017            

 
 
 
Urteil vom 7. August 2018  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, Stadelmann, Haag, 
nebenamtlicher Bundesrichter Berger, 
Gerichtsschreiber Matter. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Steuerverwaltung des Kantons Bern, Geschäftsbereich Recht und Koordination,
Brünnenstrasse 66, 3018 Bern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________ (Schweiz) AG, 
vertreten durch 
Fürsprecherin Prof. Dr. Madeleine Simonek, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Direkte Bundessteuer sowie Kantons- und 
Gemeindesteuern 2009, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, 
vom 12. Mai 2017 (100.2015.216/217/U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 29. Mai 2008 verkaufte die A.________ (Schweiz) AG ihre Beteiligung von 28%
an der B.________ NV für EUR 20.4 Mio. an ihre Tochtergesellschaft A.________
(Belgium) NV. Der Kaufpreis entsprach dem handelsrechtlichen Buchwert,
gleichzeitig dem Gewinnsteuerwert und den Gestehungskosten der Beteiligung. 
Am 7. Mai 2009 teilte die A.________ (Schweiz) AG der Steuerverwaltung des
Kantons Bern mit, dass die Beteiligung B.________ NV zum Buchwert in A.________
(Belgium) NV eingebracht worden sei. In Belgien sei in solchen Fällen die
Differenz zwischen dem Buchwert und dem allenfalls höheren Verkehrswert zum
Satz von 34% steuerbar. Ein Beteiligungsabzug sei nicht möglich. Deshalb
bestehe die Absicht, eine Ergänzung zum Kaufvertrag zu machen und den Kaufpreis
nachträglich zu erhöhen, so dass der Verkauf letztendlich zum Verkehrswert
erfolgt sei. Am 19. Juni 2009 schlossen A.________ (Schweiz) AG und A.________
(Belgium) NV eine ergänzende Vereinbarung ab. Gemäss dieser wurde der Kaufpreis
für die Beteiligung rückwirkend um EUR 87.6 Mio. auf EUR 108 Mio. erhöht. Die
Kaufpreisanpassung wurde in der Jahresrechnung 2008 der A.________ (Belgium) NV
nachträglich noch berücksichtigt, nicht jedoch in der Jahresrechnung 2008 der
A.________ (Schweiz) AG. 
In ihrer am 8. September 2009 eingereichten Steuererklärung für die
Steuerperiode vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2008 deklarierte die
A.________ (Schweiz) AG keinen Gewinn aus dem Beteiligungsverkauf und machte
keinen Beteiligungsabzug geltend. In der Jahresrechnung 2008 der A.________
(Schweiz) AG wurde die Beteiligung an der B.________ NV im Anhang mit EUR 0.--
ausgewiesen. 
In der (rektifizierten) Steuererklärung für die Steuerperiode vom 1. Januar bis
zum 31. Dezember 2009 deklarierte die A.________ (Schweiz) AG die Zahlung von
EUR 87.6 Mio. aus der Vereinbarung vom 19. Juni 2009 als Kapitalgewinn aus der
Veräusserung ihrer Beteiligung an der B.________ NV und beanspruchte dafür
einen Beteiligungsabzug. Diesen errechnete sie, indem sie der quotalen Umlage
der Finanzierungskosten den Beteiligungsbuchwert im Zeitpunkt des Verkaufs im
Jahr 2008 von Fr. 32'793'432.-- zugrunde legte. Damit ergab sich ein Abzug für
Finanzierungskosten von Fr. 675'527.--, wodurch bei der direkten Bundessteuer
ein Beteiligungsabzug von 10.2751% und bei den Kantons- und Gemeindesteuern ein
solcher von 23.9238% resultierte. 
 
B.  
Am 20. August 2013 veranlagte die Steuerverwaltung des Kantons Bern die
A.________ (Schweiz) AG für 2009 mit einem steuerbaren Gewinn von Fr.
470'900'700.-- (Kantons- und Gemeindesteuern) bzw. von Fr. 1'293'185'500.--.
(direkte Bundessteuer). Den Veranlagungsverfügungen lag die Taxationsberechnung
vom 8. Februar 2013 zugrunde, in welcher die Steuerverwaltung den geltend
gemachten Beteiligungsabzug bei den Kantons- und Gemeindesteuern und bei der
direkten Bundessteuer auf Fr. 0.-- korrigierte. 
Hintergrund dieser Korrektur war die Rechtsauffassung der Steuerverwaltung,
wonach im Umfang von EUR 87.6 Mio. kein Beteiligungsertrag aus
Beteiligungsverkauf vorliege, sondern eine Gewinnausschüttung der A.________
(Belgium) NV. Diese Rechtsauffassung führte zu einem anderen Nettoertrag aus
Beteiligungen: Für die Ermittlung des Finanzierungsaufwands gemäss der Methode
der proportionalen Verlegung nach Massgabe der Gewinnsteuerwerte wurde nicht
der Gewinnsteuerwert der B.________ NV (Gewinn aus Beteiligungsveräusserung),
sondern jener der A.________ (Belgium) NV (Gewinn aus Gewinnausschüttung)
zugrunde gelegt. Da letzterer viel höher war als ersterer, ergab sich ein so
hoher Finanzierungsaufwand, dass kein Nettoertrag aus Beteiligung und damit
auch kein Beteiligungsabzug mehr resultierte. 
 
C.  
Die Steuerrekurskommission des Kantons Bern wies einen Sprungrekurs bzw. eine
Sprungbeschwerde der A.________ (Schweiz) AG gegen diese Veranlagungen mit zwei
getrennten Entscheiden vom 16. Juni 2015 ab. 
 
D.  
Gegen diese Entscheide erhob die A.________ (Schweiz) AG in einer einzigen
Rechtsschrift Beschwerden an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, das die
Rechtsmittel am 12. Mai 2017 guthiess und die Sache zur Neuveranlagung unter
Gewährung des Beteiligungsabzugs an die Steuerverwaltung zurückwies. 
 
E.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 16. Juni 2017
beantragt die Steuerverwaltung des Kantons Bern, das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 12. Mai 2017 aufzuheben. 
Die Beschwerdegegnerin und die Vorinstanz schliessen auf Abweisung der
Beschwerde. Die ebenfalls zur Vernehmlassung eingeladene Eidgenössische
Steuerverwaltung beantragt, die Beschwerde gutzuheissen. 
 
 
Erwägungen:  
 
I. Prozessuales  
 
1.  
 
1.1. Die Vorinstanz hat ein einziges Urteil für die Kantons- und
Gemeindesteuern sowie für die direkte Bundessteuer erlassen, was zulässig ist,
soweit - wie im vorliegenden Fall - die zu entscheidenden Rechtsfragen im
Bundesrecht und im harmonisierten kantonalen Recht gleich geregelt sind (BGE
135 II 260 E. 1.3.1 S. 262 f.). Unter diesen Umständen ist der
Beschwerdeführerin nicht vorzuwerfen, nicht zwei getrennte Beschwerden
eingereicht zu haben; aus ihrer Eingabe geht deutlich hervor, dass sie beide
Steuerarten betrifft (BGE 135 II 260 E. 1.3.2 S. 263 f.; Urteil 2C_800/2016,
801/2016 vom 14. Februar 2017 E. 1.2).  
 
1.2. Die Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid einer letzten kantonalen
Instanz in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a, Art. 83
e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG). Mit dem angefochtenen
Urteil hat die Vorinstanz als letzte kantonale Instanz die Sache an die
Steuerverwaltung des Kantons Bern zur Neuveranlagung der Beschwerdegegnerin
unter Gewährung des Beteiligungsabzugs zurückgewiesen. Rückweisungsentscheide
gelten grundsätzlich als Zwischenentscheide, weil sie das Verfahren nicht
abschliessen (BGE 134 II 124 E. 1.3 S. 127; 133 V 477 E. 4 S. 480 - 482).  
Anders verhält es sich bloss, wenn der unteren Instanz, an welche die Sache
zurückgewiesen wird, kein Entscheidungsspielraum mehr bleibt und die
Rückweisung bloss der (rechnerischen) Umsetzung des oberinstanzlich
Angeordneten dient; diesfalls liegt ein Endentscheid vor, gegen den die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegeben ist (Art. 90 Abs.
1 BGG in Verbindung mit Art. 73 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990
über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG;
SR 642.14] und Art. 146 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die
direkte Bundessteuer [DBG; SR 642.11]; BGE 134 II 124 E. 1.3 S. 127; Urteil
2C_356/2017 vom 10. November 2017 E. 1.1 und 1.2). Ein solcher Fall liegt hier
vor, zumal keine Uneinigkeit hinsichtlich der im Falle der Gewährung des
Beteiligungsabzugs massgebenden Daten (gesamter Finanzierungsaufwand,
Gewinnsteuerwert der Beteiligung, Gewinnsteuerwert der gesamten Aktiven)
zwischen den Parteien besteht. 
Die Kantonale Steuerverwaltung ist gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG in
Verbindung mit Art. 146 DBG und Art. 73 Abs. 2 StHG zur Beschwerde legitimiert
(vgl. BGE 134 I 303 E. 1.2 S. 305 f.; 134 II 124 E. 2.6.3 S. 130 f.; Urteil
2C_991/2011, 992/2011 vom 18. Juli 2012 E. 2.1, Urteil 2C_365/2009 vom 24. März
2010 E. 2.1). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist
einzutreten (Art. 42 und 100 BGG). 
 
1.3. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann
namentlich die Verletzung von Bundesrecht und Völkerrecht gerügt werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich
unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG (Art.
105 Abs. 2 BGG).  
 
II. Direkte Bundessteuer  
 
2.  
 
2.1. Der Streit dreht sich im Wesentlichen darum, worin der Rechtsgrund der
Vereinbarung vom 19. Juni 2009 und der sich daran anschliessenden Entrichtung
des Betrages von EUR 87.6 Mio. an die Beschwerdegegnerin durch die A.________
(Belgium) NV besteht.  
 
2.1.1. Die Vorinstanz ist zum Ergebnis gelangt, diese Vereinbarung stelle eine
blosse Ergänzung zum ursprünglichen Kaufvertrag vom 29. Mai 2008 dar, mit dem
die Beschwerdegegnerin ihre Beteiligung B.________ NV für EUR 20.4 Mio. an die
A.________ (Belgium) NV veräussert hatte. Die Vereinbarung über eine
zusätzliche Zahlung von EUR 87.6 Mio. beruhe letztlich auch auf dem
ursprünglich abgeschlossenen Kaufvertrag und sei nur eine Änderung dieses
Vertrags. Es liege ein einheitliches Veräusserungsgeschäft vor, das einem
Drittvergleich standhalte. Daher sei für den Kapitalgewinn aus der Veräusserung
der Beteiligung gemäss Art. 70 Abs. 1 und 4 DBG (in der bis am 31. Dezember
2010 gültigen Fassung; AS 1998 670 f.; BBl 1997 II 1164) der Beteiligungsabzug
zu gewähren.  
 
2.1.2. Die Beschwerdeführerin anerkennt als Rechtsgrund für die Übertragung der
Beteiligung an der B.________ NV auf die A.________ (Belgium) NV den
Kaufvertrag vom 29. Mai 2008, den sie in steuerlicher Hinsicht als verdeckte
Kapitaleinlage qualifiziert. Im Gegensatz zur Vorinstanz ist sie indessen der
Auffassung, der Rechtsgrund für die spätere Vereinbarung vom 19. Juni 2009
liege nicht etwa im ursprünglich abgeschlossenen Kaufvertrag, sondern bestehe
in einer Gewinnausschüttung der A.________ (Belgium) NV an die
Beschwerdegegnerin. Auch diese Ausschüttung stelle zwar einen Ertrag aus
Beteiligung dar. Bei der Berechnung des für die Bestimmung des Nettoertrags aus
Beteiligung zugrunde zu legenden Finanzierungsaufwands sei jedoch auf den
Gewinnsteuerwert der A.________ (Belgium) NV abzustellen, so dass sich -
infolge des den Betrag der Ausschüttung übersteigenden Finanzierungsaufwands -
kein Nettobeteiligungsertrag und damit auch kein Beteiligungsabzug ergebe.  
 
2.2. Die Vorinstanz hat festgestellt, dass die Parteien des Kaufvertrags vom
29. Mai 2008 von einer steuerneutralen Übertragung der Beteiligung B.________
NV auf die A.________ (Belgium) NV ausgegangen seien (angefochtenes Urteil, E.
4.2).  
 
2.2.1. Diese für das Bundesgericht verbindliche Sachverhaltsfeststellung (vgl.
oben E. 1.3) bedeutet, dass die Beschwerdegegnerin und die A.________ (Belgium)
NV aus obligationenrechtlicher Sicht einen Kaufvertrag abschlossen. Dieser
Vertrag enthielt indessen über seinen Inhalt als Kaufvertrag hinaus
gesellschaftsrechtliche Elemente. Es wurde nicht ein Kaufvertrag zu unter
Dritten üblichen Konditionen geschlossen, sondern eine Vereinbarung, deren Ziel
in einer verdeckten Kapitaleinlage der Beschwerdegegnerin in ihre
Tochtergesellschaft A.________ (Belgium) NV bestand, soweit der Verkehrswert
der Beteiligung deren Buchwert überschritt.  
 
2.2.2. Die vereinbarte Kapitaleinlage zeichnete sich dadurch aus, dass sie
causa societatis erfolgte (vgl. Peter Brülisauer, in: Kommentar zum
Schweizerischen Steuerrecht, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer
[Kommentar DBG], 3. Aufl., 2017, N 8 zu Art. 60; siehe auch Pierre-Marie
Glauser, Apport et impôt sur le bénéfice, 2005, S. 204 FN 1500, der sogar
ausdrücklich von zwei unterschiedlichen Verträgen spricht: "la vente effectuée
au prix effectivement payé, d'un part, et un apport 'gratuit' des réserves
latentes liées à l'actif vendu, d'autre part"). Die Kapitaleinlage stellt nicht
etwa ein unentgeltliches, sondern ein entgeltliches Geschäft dar (vgl. Richard
W. Allemann/Ivo P. Baumgartner, Steuerneutrale Übertragung von Vermögenswerten
zwischen Konzerngesellschaften mit Minderheitsaktionären, Festschrift Peter
Böckli, 2006, S. 170 [mit Hinweisen in FN 152]).  
 
2.2.3. Auf Seiten der Beschwerdegegnerin führte die Kapitaleinlage zu keiner
Entreicherung. Obwohl die verdeckte Kapitaleinlage in eine Tochtergesellschaft
ein Geschäft darstellt, bei dem die Muttergesellschaft mit Rücksicht auf das
Beteiligungsverhältnis ihrer Tochtergesellschaft einen Vorteil zuwendet,
erfolgt die Leistung der Muttergesellschaft immer gegen ein angemessenes
Entgelt. Im Umfang, in welchem die tatsächlich empfangene Leistung wertmässig
unter der erbrachten Leistung liegt, nimmt die Beteiligung an Wert zu, da bei
der Tochtergesellschaft im Umfang des Überpreises eine - gewollte -
Bereicherung eintritt (vgl. zum Ganzen das Urteil 2C_942/2011 vom 29. Mai 2011
E. 2.3 = StE 2012 B 72.22 Nr. 17 = StR 2012 S. 597; Pascal Taddei, Die
gewinnsteuerneutrale Buchwertübertragung von Vermögenswerten auf
Tochtergesellschaften, 2012, S. 120; Ernst Giger, Die Behandlung verdeckter
Nutzungseinlagen in eine Aktiengesellschaft bei den direkten Steuern - ein
Diskussionsbeitrag, ASA 76, S. 268; Marco Greter, Der Beteiligungsabzug im
harmonisierten Gewinnsteuerrecht, 2000, S. 251; Markus Reich, Verdeckte
Vorteilszuwendungen zwischen verbundenen Unternehmen, ASA 54, S. 625).  
 
2.2.4. Hinsichtlich des den Buchwert übersteigenden, überwiegenden Teils der
Leistung der Beschwerdegegnerin an die A.________ (Belgium) NV ist somit nicht
von einem reinen Kaufvertrag, sondern von einem gesellschaftsrechtlichen
Geschäft auszugehen, mit dem die Beschwerdegegnerin als Muttergesellschaft der
A.________ (Belgium) NV eine Vermögensumschichtung vornahm (vgl. Jürg Altorfer/
Fabian Duss, in: Kommentar DBG, N 41 zu Art. 70 DBG).  
 
2.3. Die Vertragsparteien nahmen an, dass der Abschluss des ursprünglichen
Geschäfts, nämlich der Buchwertübertragung der Beteiligung B.________ NV auf
die A.________ (Belgium) NV mittels Kaufvertrag vom 29. Mai 2008, sich
steuerneutral gestalten lasse. Nun hätte sich aber für die A.________ (Belgium)
NV als Folge der so vereinbarten Kapitaleinlage gemäss dem Vertrag vom 29. Mai
2008 eine erhebliche Steuerlast unter den für sie anwendbaren Regeln des
belgischen Steuerrechts ergeben.  
 
2.3.1. Offenbar wurde die Beschwerdegegnerin von der Nachricht, dass der
Vorgang in Belgien erhebliche Steuerfolgen auslösen werde, überrascht und
schloss in der Folge die Zusatzvereinbarung vom 19. Juni 2009 ab. Das
Bekanntwerden dieser Steuerfolgen im Mai 2009 war somit eine notwendige
Bedingung der in der Folge am 19. Juni 2009 abgeschlossenen Vereinbarung mit
der Beschwerdegegnerin. Zu dieser - im Interesse der Beschwerdegegnerin bzw.
des Konzerns, nicht aber in demjenigen der A.________ (Belgium) NV liegenden -
Vereinbarung kam es jedoch erst deshalb, weil dadurch die negativen
Steuerfolgen in Belgien vermieden werden sollten.  
Die Zusatzvereinbarung und die gestützt auf diese an die Beschwerdegegnerin
geleistete Zahlung wurden damit 2009 und nicht etwa 2008 verursacht. Sie sind
nicht notwendige Folge von Ereignissen des Jahres 2008, sondern wurden durch
die Beschwerdegegnerin und ihre Tochtergesellschaft im Jahr 2009 veranlasst. 
 
2.3.2. Mit der Beschwerdeführerin ist davon auszugehen, dass der (hinreichende)
Rechtsgrund für die Zusatzvereinbarung und die zusätzliche Zahlung von EUR 87,6
Mio. nicht etwa im Kaufvertrag, sondern in der gesellschaftsrechtlichen
Beziehung zwischen der Beschwerdegegnerin und der A.________ (Belgium) NV
bestand, indem die Beschwerdegegnerin zur Verringerung der aus dem
ursprünglichen Geschäft resultierenden, unerwarteten Steuerfolgen im Sinne
einer Schadensbegrenzung für den Gesamtkonzern mit ihrer Tochtergesellschaft
die Zusatzvereinbarung vom 19. Juni 2009 abschloss und diese ihr eine Leistung
von EUR 87.6 Mio. erbrachte.  
Entgegen der rechtlichen Qualifikation der Änderungsvereinbarung vom 19. Juni
2009 durch die Vorinstanz als blosse Ergänzung des ursprünglich abgeschlossenen
Kaufvertrags bedeutete diese Vereinbarung eine grundlegende Revision des
ursprünglich abgeschlossenen Rechtsgeschäfts, welches neben kaufvertraglichen
überwiegend gesellschaftsrechtliche Elemente enthielt. Anstelle eines
wirtschaftlich gesehen überwiegend als Kapitaleinlage zu qualifizierenden
Geschäfts wurde damit die Kapitaleinlage faktisch rückabgewickelt und
anschliessend durch einen echten Kaufvertrag ersetzt. 
 
2.4. Es stellt sich die Frage, ob eine solche Rückabwicklung des ursprünglichen
Geschäfts und sein Ersatz durch ein neues Geschäft auch steuerlich zu
akzeptieren sind. Die Zusatzvereinbarung vom 19. Juni 2009 könnte in diesem
Sinne nur dann Beachtung finden, wenn sie auch mit Blick auf die hier
anwendbaren Bestimmungen als Rückabwicklung mit anschliessendem Neuabschluss
des von den Parteien gewollten Geschäfts zu betrachten wäre.  
 
2.4.1. Dafür genügt es zunächst nach einhelliger Auffassung nicht, dass die an
einem Rechtsgeschäft Beteiligten nachträglich einverständlich einen einmal
geschlossenen Vertrag aufheben (Thomas Koller, Wechselwirkungen zwischen
privatrechtlichen Rechtsgeschäften und ihren Steuerfolgen - Ein Beispiel für
die enge Verzahnung zweier rechtlicher Subsysteme, ZBJV 134/1998, S. 334; vgl.
auch Marianne Klöti, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 4. Aufl., 2015, N
54 zu § 96).  
Nach der bundesgerichtlichen Praxis sind irrtümliche Vorstellungen über die
steuerlichen Folgen eines Rechtsgeschäfts grundsätzlich unerheblich und stellen
keinen Grund für dessen Nichtigkeit dar (Urteil 2A.530/2004 vom 9. November
2004 E. 3.2; vgl. dazu auch Felix Richner/Walter Frei/Stefan Kaufmann/Hans
Ulrich Meuter, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, 3. Aufl., 2013 N 17 f. zu §
216). Eine Rückabwicklung wird nur dann (auch) steuerlich akzeptiert, wenn der
ursprüngliche Kaufvertrag an einem Willensmangel litt, insbesondere wenn ein
Grundlagenirrtum im Sinn von Art. 24 Abs. 1 OR vorlag (Urteil 2A.86/2005 vom
12. Oktober 2005 E. 2.2.1; ASA 56, S. 659 E. 4b mit Hinweis; ZBGR 80/1999 S.
100, 2P.419/1993, E. 2c). Hier ist ein solcher Irrtum nicht geltend gemacht
(worden). Deshalb erübrigt sich, der Frage weiter nachzugehen. 
 
2.4.2. Es ist weiter zu prüfen, ob der Vertrag vom 19. Juni 2009 nicht
gesamthaft jenen vom 29. Mai 2008 ersetzen sollte (vgl. zu einer solchen
Konstellation den im Entscheid 2C_941/2012, 942/2012 vom 9. November 2013
beurteilten Sachverhalt). Im Unterschied zum angeführten Urteil, in dem davon
auszugehen war, dass allein der zweite von zwei nacheinander geschlossenen
Verträgen zur Ausführung gelangte, liegt hier jedoch mit dem Vertrag vom 29.
Mai 2008 eine Vereinbarung vor, welche nach dem Willen der Parteien vollständig
vollzogen und zumindest von der Beschwerdegegnerin in ihrer Buchführung und
damit in der Jahresrechnung 2008 entsprechend abgebildet wurde.  
 
2.5. Die Beschwerdeführerin vertritt stattdessen die Auffassung, es handle sich
bei der hier zu beurteilenden Rückabwicklung der Kapitaleinlage und dem
nachmaligen Abschluss eines echten Kaufvertrags um eine verdeckte
Gewinnausschüttung bzw. eine geldwerte Leistung der A.________ (Belgium) NV an
die Beschwerdegegnerin, indem diese die im Zusammenhang mit dem Geschäft vom
29. Mai 2008 empfangene Kapitaleinlage wiederum an die Beschwerdegegnerin
(zurück) erstattet habe. Die Beschwerdegegnerin hält dagegen auch in der
Beschwerdeantwort ans Bundesgericht fest, dass der Vertrag vom 29. Mai 2008
durch die Vereinbarung vom 19. Juni 2009 lediglich ergänzt worden sei, somit
von einem einheitlichen Kaufvertrag auszugehen sei.  
 
2.5.1. Der Grundtatbestand der geldwerten Leistung besteht darin, dass:  
 
- die leistende Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft für ihre Leistung keine
oder keine gleichwertige Gegenleistung erhält, 
- der Beteiligungsinhaber der Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft direkt
oder indirekt (z. B. über eine ihm nahestehende Person oder Unternehmung) einen
Vorteil erlangt, die Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft diesen Vorteil
einer nicht nahestehenden, also fernstehenden Person unter gleichen Bedingungen
nicht zugestanden hätte, weshalb die Leistung insofern ungewöhnlich ist
(Kriterium des Drittvergleichs), und 
- der Charakter dieser Leistung für die Organe der Kapitalgesellschaft oder
Genossenschaft erkennbar war 
 
(vgl. u.a. BGE 140 II 88 E. 4.1 S. 91 f.; 138 II 57 E. 2.2 S. 59 f.; je mit
weiteren Hinweisen; Urteil 2C_741/2015, 2C_742/2015 vom 3. Mai 2016 E. 2.1). 
 
2.5.2. Hier unterliegt keinem Zweifel, dass die Beschwerdegegnerin von der
A.________ (Belgium) NV einen gegenleistungslosen Vorteil erhalten hat, indem
diese, nachdem der Kaufvertrag mit gesellschaftsrechtlichen Elementen vom 29.
Mai 2008 vollständig vollzogen worden war, d.h. die Beteiligung B.________ NV
auf die A.________ (Belgium) NV übertragen und der dafür geschuldete Kaufpreis
bezahlt worden war, weitere Leistungen an die Beschwerdegegnerin ausrichtete.  
 
2.5.3. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin hat sich die A.________
(Belgium) NV durch die erwähnte Zahlung entreichert. Die Beschwerdegegnerin
schloss, wie bereits dargelegt (vgl. oben E. 2.3.1), im Interesse einer
Schadensbegrenzung (Reduzierung der Gesamtsteuerlast für den Konzern aus der
Übertragung der Beteiligung B.________ NV auf ihre Tochtergesellschaft: An die
Stelle der Steuerbelastung von 34% in Belgien sollte die niedrigere Steuerlast
in der Schweiz aus einem - für den Beteiligungsabzug qualifizierenden -
Veräusserungsgeschäft treten) mit der A.________ (Belgium) NV die Vereinbarung
vom 19. Juni 2009 ab.  
Dabei war den Parteien klar, dass nur eine Leistung der A.________ (Belgium) NV
erfolgen sollte, d.h. ein offenbares Missverhältnis zwischen den Leistungen
gemäss der Vereinbarung bestand. Die Parteien gingen indessen davon aus, es
werde ihnen gelingen, die Steuerbehörden davon zu überzeugen, dass es sich bei
der Zusatzvereinbarung bzw. der auf dieser gründenden Leistung der A.________
(Belgium) NV um eine Leistung im Zusammenhang mit dem ursprünglich
abgeschlossenen Kaufvertrag und nicht um eine verdeckte Gewinnausschüttung
handle. 
 
2.5.4. Aus steuerrechtlicher Perspektive stellt die Vereinbarung vom 19. Juni
2009 und die auf sie gestützte Leistung an die Beschwerdegegnerin indessen,
eine verdeckte Gewinnausschüttung der A.________ (Belgium) NV an ihre
Muttergesellschaft dar.  
Hätten die Beschwerdegegnerin und die A.________ (Belgium) NV um die
Qualifikation der Zusatzvereinbarung und der darauf gestützten Leistung durch
die schweizerischen Steuerbehörden gewusst, ist durchaus denkbar, wenn nicht
sogar wahrscheinlich, dass sie anders vorgegangen wären. Sie bauten aber gerade
darauf, dass die Zusatzvereinbarung und die darauf gegründete
Gewinnausschüttung steuerlich nicht als solche qualifiziert werden würde. Auch
diesbezüglich wird ein Grundlagenirrtum nicht geltend gemacht (vgl. dazu schon
oben E. 2.4.1). 
 
2.6. Zusammenfassend stellt die Vereinbarung vom 19. Juni 2009 einen
eigenständigen, causa societatis abgeschlossenen Vertrag dar, mit dem sich die
A.________ (Belgium) NV zur Vornahme einer verdeckten Gewinnausschüttung von
EUR 87.6 Mio. an die Beschwerdegegnerin verpflichtete, die sie in der Folge
auch vornahm. Das führt zur Gutheissung der Beschwerde. Der angefochtene
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, verwaltungsrechtliche
Abteilung, ist mit Bezug auf die direkte Bundessteuer aufzuheben und die
Veranlagungsverfügung vom 20. August 2013 ist zu bestätigen.  
 
III. Kantons- und Gemeindesteuern  
 
3.  
Art. 28Abs. 1, 1bis und 1ter StHG (in der bis am 31. Dezember 2010 gültigen
Fassung; AS 1998 669 677 BBl 1997 II 1164 [Art. 28 Abs. 1 StHG], AS 2008 2893
2902; BBl 2005 4733 [Art.28 Abs. 1bis und 1ter StHG]) sowie Art. 70 Abs. 1 und
4 DBG (in der bis am 31. Dezember 2010 gültigen Fassung; AS 1998 670 f.; BBl
1997 II 1164) sind, soweit hier erheblich, inhaltsgleich. Inhaltlich gleich ist
(notwendigerweise) auch die Regelung von Art. 96 Abs. 1 und 4 des bernischen
Steuergesetzes vom 21. Mai 2000 (in der bis am 31. Dezember 2010 gültigen
Fassung; StG/BE, BAG 00-124). Damit kann für die kantonalen Steuern
vollumfänglich auf das zur direkten Bundessteuer Gesagte verwiesen werden.
Demnach erweist sich die Beschwerde betreffend die Staats- und Gemeindesteuern
gleichermassen als begründet. 
 
IV. Kosten- und Entschädigung  
 
4.  
Ausgangsgemäss sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens der
Beschwerdegegnerin zu überbinden (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 5 BGG). Eine
Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 1 und Abs. 3 BGG). Über
die Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens hat die
Vorinstanz neu zu befinden (Art. 68 Abs. 5 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Betreffend die direkte Bundessteuer wird die Beschwerde gutgeheissen, das
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 12. Mai 2017 aufgehoben und
die Veranlagung der Steuerverwaltung des Kantons Bern vom 20. August 2013
bestätigt. 
 
2.  
Betreffend die Kantons- und Gemeindesteuern wird die Beschwerde gutgeheissen,
das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 12. Mai 2017 aufgehoben
und die Veranlagung der Steuerverwaltung des Kantons Bern vom 20. August 2013
bestätigt. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 60'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
4.  
Die Sache wird zur Neufestsetzung der Kosten und Entschädigungsfolgen des
kantonalen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
verwaltungsrechtliche Abteilung, zurückgewiesen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, und der Eidgenössischen
Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. August 2018 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Matter 

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