Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.541/2017
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2017
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2017


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

[displayimage]       
2C_541/2017            

 
 
 
Urteil vom 19. Januar 2018  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, Stadelmann, 
Gerichtsschreiber Klopfenstein. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Hannes Munz, 
 
gegen  
 
Amt für Migration des Kantons Luzern, 
Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern. 
 
Gegenstand 
Eingrenzung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, 
vom 8. Mai 2017 (7H 17 100/7U 17 10). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ (geb. 1992) reiste am 16. Dezember 2013 illegal in die Schweiz ein
und stellte ein Asylgesuch. Mit Entscheid vom 12. Januar 2015 lehnte das
Bundesamt für Migration (heute: Staatssekretariat für Migration) das Asylgesuch
ab und wies sie aus der Schweiz weg, wobei der Vollzug der Wegweisung in die
Volksrepublik China ausgeschlossen wurde. Der Kanton Luzern wurde mit dem
Vollzug der Wegweisung beauftragt. Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Urteil
vom 9. Oktober 2015 die dagegen erhobene Beschwerde ab. Die in der Folge
angesetzte Ausreisefrist (13. November 2015) liess A.________ auch nach einem
Ausreisegespräch mit dem Amt für Migration des Kantons Luzern unbenutzt
verstreichen. 
 
B.  
Am 24. Februar 2017 verfügte das Amt für Migration die Eingrenzung von
A.________ auf das Gebiet der Stadt Luzern für die Dauer bis am 23. Februar
2019. Das Kantonsgericht des Kantons Luzern wies eine dagegen erhobene
Beschwerde mit Urteil vom 8. Mai 2017 ab, unter Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
C.  
A.________ erhebt mit Eingabe vom 12. Juni 2017 beim Bundesgericht Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, die Verfügung des
Migrationsamtes vom 24. Februar 2017 sei aufzuheben. Eventualiter sei die
Angelegenheit zur erneuten Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem
beantragt sie unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren vor Bundesgericht. 
Das Kantonsgericht und das Amt für Migration beantragen Abweisung der
Beschwerde. Das SEM verzichtet auf eine Stellungnahme. A.________ repliziert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen einen
Endentscheid betreffend eine Eingrenzung ist zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 86
Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG) und die Beschwerdeführerin ist dazu legitimiert
(Art. 89 Abs. 1 BGG). Anfechtungsobjekt kann allerdings nur der kantonal
letztinstanzliche Entscheid (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG), welcher aufgrund des
Devolutiveffekts die ursprüngliche Verfügung vom 24. Februar 2017 ersetzt hat (
BGE 39 II 404 E. 2.5 S. 415; 134 II 142 E. 1.4 S. 144). Das Rechtsbegehren auf
Aufhebung dieser Verfügung ist als Antrag auf Aufhebung des
kantonsgerichtlichen Urteils zu interpretieren. 
 
2.  
Das Bundesgericht prüft frei und von Amtes wegen die richtige Anwendung von
Bundesrecht (Art. 95 lit. a und Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG
). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen oder auf
Rüge hin berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h.
willkürlich, ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Es prüft die Verletzung von
Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als
eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art.
106 Abs. 2 BGG). Dazu gehört auch die Rüge, der rechtserhebliche Sachverhalt
sei willkürlich festgestellt worden: Die Sachverhaltsfeststellung bzw.
Beweiswürdigung erweist sich als willkürlich (Art. 9 BV), wenn das Gericht Sinn
und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne
sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel
unberücksichtigt gelassen oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten
Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 140 III 264 E. 2.3 S.
265 f.; Urteil 2C_310/2014 vom 25. November 2014 E. 1.2). Eine entsprechende
Rüge ist substantiiert vorzubringen; auf rein appellatorische Kritik an der
Sachverhaltsfeststellung bzw. Beweiswürdigung geht das Bundesgericht nicht ein
(BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 444 f.). 
 
3.  
 
3.1. Gemäss Art. 74 Abs. 1 AuG kann die zuständige Behörde einer Person die
Auflage machen, ein ihr zugewiesenes Gebiet nicht zu verlassen (Eingrenzung)
oder ein bestimmtes Gebiet nicht zu betreten (Ausgrenzung), wenn  
a. sie keine Kurzaufenthalts-, Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung
besitzt und sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung stört oder gefährdet;
diese Massnahme dient insbesondere der Bekämpfung des widerrechtlichen
Betäubungsmittelhandels; oder 
 
b. ein rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt und konkrete
Anzeichen befürchten lassen, dass die betroffene Person nicht innerhalb der
Ausreisefrist ausreisen wird, oder sie die ihr angesetzte Ausreisefrist nicht
eingehalten hat; 
 
c. die Ausschaffung aufgeschoben wurde (Art. 69 Abs. 3). 
 
Der Ausgrenzung kommt eine mehrfache Funktion zu: Sie dient einerseits (in der
Variante von Art. 74 Abs. 1 lit. a AuG) dazu, gegen Ausländer vorgehen zu
können, welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, bei denen aber
eine sofortige Wegweisung nicht möglich ist. Sie kommt auch in Betracht, wenn
der Ausländer wegen eines länger dauernden Wegweisungshindernisses gar nicht
ausgeschafft werden kann, aber die Notwendigkeit besteht, ihn von bestimmten
Orten fernzuhalten, namentlich um Verstösse gegen die Sicherheit und Ordnung zu
verhindern (BGE 142 II 1 E. 2.2 S. 3 f.). Andererseits (in der Variante von 
Art. 74 Abs. 1 lit. b AuG) ist die Ein- und Ausgrenzung - was sich auch aus
ihrer systematischen Stellung im Gesetz ergibt - eine Zwangsmassnahme zur
Sicherstellung und Durchsetzung von Fernhaltemassnahmen; sie ist eine mildere
Massnahme als die Vorbereitungs-, Ausschaffungs- oder Durchsetzungshaft (Art.
75 ff. AuG), d.h. sie geht weniger weit als der ausländerrechtlich begründete
Freiheitsentzug; sie darf aber wie dieser eine gewisse Druckwirkung zur
Durchsetzung der Ausreisepflicht entfalten; die Massnahme erlaubt, die weitere
Anwesenheit des Ausländers im Land zu kontrollieren und ihm gleichzeitig
bewusst zu machen, dass er sich hier illegal aufhält und nicht vorbehaltslos
von den mit einem Anwesenheitsrecht verbundenen Freiheiten profitieren kann (
BGE 142 II 1 E. 2.2 S. 3 f. und 4.5 S. 8; GRÉGOR CHATTON/LAURENT MERZ, in:
Nguyen/Amarelle [eds.], Code annoté de droit des migrations, Vol. II, LEtr,
2017, Art. 74 n. 22). 
 
3.2. Die Massnahme hat dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu entsprechen:
Sie muss geeignet sein, um das damit verfolgte Ziel erreichen zu können, und
darf nicht über das hierzu Erforderliche hinausgehen. Auf begründetes Gesuch
hin muss die zuständige Behörde für gewisse Gänge zu Behörden, Anwalt, Arzt
oder Angehörigen Ausnahmen bewilligen, soweit die entsprechenden
Grundbedürfnisse nicht sachgerecht und grundrechtskonform im bezeichneten
Aufenthaltsgebiet selber abgedeckt werden können. Schliesslich muss die
Massnahme auch die Zweck-Mittel-Relation wahren (BGE 142 II 1 E. 2.3. S. 4 f.).
 
 
3.3. Da die Ein- oder Ausgrenzung verschiedene Zwecke verfolgt (E. 3.1) ist zur
Prüfung der Verhältnismässigkeit zunächst das angestrebte Ziel zu bestimmen und
alsdann - in einem zweiten Schritt - die ins Auge gefasste Massnahme daran zu
messen, ob damit das gesteckte Ziel erreicht werden kann (BGE 142 II 1 E. 2.4
S. 5). Geht es nicht um die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung (Art. 74 Abs. 1 lit. a AuG), sondern um die Durchsetzung von
Fernhaltemassnahmen (Art. 74 Abs. 1 lit. b AuG), kann die Massnahme ihr Ziel
nur erreichen, wenn die Ausreise tatsächlich möglich ist. Andernfalls kann die
Massnahme ihr Ziel von vornherein nicht erreichen und erweist sich damit als
unverhältnismässig (Urteil 2C_287/2017 vom 13. November 2017 E. 2.3, zur
Publikation vorgesehen; TARKAN GÖKSU in Caroni/Gächter/Thurnherr [Hrsg.], SHK
AuG, Art. 74 Rz. 17; vgl. analog für die Durchsetzungshaft, Art. 78 Abs. 6 lit.
a AuG und BGE 140 II 409 E. 2.3.2 S. 412 f.).  
 
3.4. Die rechtskräftig weggewiesene Person ist primär verpflichtet, selbständig
auszureisen. Die Ausschaffung (Art. 69 AuG) ist subsidiär zur freiwilligen
Ausreise. Mit dem zit. Urteil 2C_287/2017 vom 13. November 2017 hat das
Bundesgericht klargestellt, dass die Eingrenzung nach Art. 74 Abs. 1 lit. b AuG
als mildere Massnahme gegenüber der Durchsetzungshaft (Art. 78 AuG) auch und
gerade dann zulässig ist, wenn eine zwangsweise Ausschaffung nicht möglich ist,
aber der Betroffene die freiwillige Ausreise verweigert. Die Eingrenzung ist
eine Massnahme, die indirekt darauf abzielt, den Betroffenen zur Einhaltung
seiner Rechtspflicht zu bewegen (a.a.O. E. 4). Erst wenn auch eine freiwillige
Ausreise objektiv nicht möglich ist, wäre die Eingrenzung nicht zwecktauglich
und daher unzulässig (a.a.O., E. 2.3 und 4.8).  
 
4.  
 
4.1. Es ist nicht bestritten, dass die Beschwerdeführerin rechtskräftig
weggewiesen wurde und trotz Ablauf der Ausreisefrist nach wie vor in der
Schweiz weilt. Die Voraussetzungen einer Eingrenzung nach Art 74 Abs. 1 lit. b
AuG sind damit grundsätzlich erfüllt. Umstritten ist aber, ob ihr die Ausreise
möglich wäre.  
 
4.2. Eine solche Unmöglichkeit kann namentlich dann bestehen, wenn die
betroffene Person in ihr Heimatland nicht zumutbarerweise zurückkehren kann,
weil ihr dort Folter oder unmenschliche Behandlung droht (Art. 25 BV; Art. 3
EMRK), und wenn sie auch in kein anderes Land ausreisen kann. Zu denken ist
weiter etwa an eine länger dauernde Transportunfähigkeit aus gesundheitlichen
Gründen oder an eine ausdrückliche oder zumindest klar erkennbare und
konsequent gehandhabte Weigerung des Heimatstaates, gewisse Staatsangehörige
zurückzunehmen (vgl. Urteile 2C_252/2008 vom 10. Juni 2008 E. 2.2; 6B_85/2007
vom 3. Juli 2007 E. 2.2). Allerdings wäre eine solche Weigerung
völkerrechtswidrig, da ein Staat seinen eigenen Staatsangehörigen das Recht, in
sein Hoheitsgebiet einzureisen, nicht verwehren darf (Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt
II; BGE 130 II 56 E. 4.1.2 S. 60 f.; Urteil 6B_85/2007 vom 3. Juli 2007 E.
2.2). Sodann sind gemäss Art. 8 Abs. 4 AsylG die betroffenen Personen nach
Vorliegen eines vollziehbaren Wegweisungsentscheids verpflichtet, bei der
Beschaffung gültiger Reisepapiere mitzuwirken. Jeder Ausländer hat nach
Völkerrecht das Recht, sich in der Schweiz zur konsularischen Vertretung seines
Heimatstaates zu begeben (Art. 36 Ziff. 1 lit. a des Wiener Übereinkommens vom
24. April 1963 über konsularische Beziehungen [WÜK; SR 0.191.02]), welches die
Aufgabe hat, den eigenen Staatsangehörigen Pässe und Reiseausweise auszustellen
(Art. 5 lit. d WÜK). Nach Treu und Glauben ist im zwischenstaatlichen Verkehr
zu vermuten, dass sich die Staaten völkerrechtskonform verhalten, solange nicht
konkrete Anzeichen dafür bestehen, dass dies nicht der Fall ist (BGE 142 II 218
E. 3.3 S. 228 f.; 142 II 161 E. 2.1.3 S. 167 f. und 2.4 S. 172 f.). Beruft sich
ein Ausländer darauf, eine Ausreise sei nicht möglich, weil er keine
Reisepapiere habe und sein Heimatstaat ihm die Rückkehr oder die Ausstellung
von Papieren verweigere, so ist er aufgrund seiner Mitwirkungspflicht
verpflichtet, dies zu belegen und zumindest darzulegen, dass er sich bei der
zuständigen Vertretung darum bemüht hat (Urteile 2C_13/2012 vom 8. Januar 2013
E. 4.4.2; 2C_17/2017 vom 22. Mai 2017 E. 4.3.4). Bei ungenügender Mitwirkung
kann eine Eingrenzung verhängt werden (Urteil 2C_54/2015 vom 22. Juni 2015 E.
4.1).  
 
4.3. Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, das Ziel der Eingrenzung dürfe
sich nicht in der Druckwirkung erschöpfen und die Eingrenzung sei nicht
möglich, weil eine Ausschaffung nicht möglich ist, ist ihr nicht zu folgen: Wie
dargelegt (E. 3.4) ist es gerade das Ziel der Eingrenzung im Sinne von Art. 74
Abs. 1 lit. b AuG, den Betroffenen zur Befolgung seiner Ausreiseverpflichtung
zu veranlassen, auch und gerade dann, wenn eine Ausschaffung nicht möglich ist,
aber eine freiwillige Ausreise unter Mitwirkung des Betroffenen möglich wäre.  
 
4.4. Gemäss Wegweisungsentscheid ist der Vollzug der Wegweisung in die
Volksrepublik China ausgeschlossen. Streitig und im Folgenden zu prüfen ist
aber, ob es der Beschwerdeführerin objektiv möglich ist, in ein anderes Land
auszureisen.  
 
4.4.1. Die Vorinstanz hat gestützt auf die Asylakten und das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts festgestellt, die Beschwerdeführerin habe angegeben,
chinesische Staatsangehörige tibetischer Ethnie zu sein, doch sei eine
Sozialisation in der von ihr angegebenen Region nicht glaubhaft. Vielmehr sei
mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie in der
exiltibetischen Diaspora gelebt habe. Es sei ihr nicht gelungen, die behauptete
chinesische Staatsangehörigkeit nachzuweisen, und ihre tatsächliche
Staatsangehörigkeit sei unbekannt. Die Beschwerdeführerin sei offenbar nach wie
vor nicht gewillt, ihre wahre Identität und Herkunft offen zu legen. Die beim
SEM deponierten Dokumente über ihre Herkunft seien ge- bzw. verfälscht und
sollten die Behörden über die wahre Identität der Beschwerdeführerin täuschen.
Auch die Kontaktaufnahmen der Beschwerdeführerin mit den indischen,
nepalesischen und bhutanischen Behörden für die Beschaffung von
Ersatzreisepapieren genügten nicht, da sie dabei wesentliche und nachprüfbare
Angaben über ihre Identität nicht offen gelegt habe und insbesondere keine
Angaben geliefert habe, welche zu einer Abklärung vor Ort im entsprechenden
Land hätten dienen können. Die indische Botschaft wäre grundsätzlich bereit,
Reisepapiere auszustellen, sofern die betroffene Person nachweisen könne, dass
sie sich in Indien aufgehalten habe und zur Mitwirkung bereit sei. Solange sich
die Beschwerdeführerin nicht bemühe, wahrheitsgetreue Angaben zu ihrer Herkunft
zu machen, könnten weder die angefragten Botschaften noch die
Migrationsbehörden bei der Beschaffung von Reisepapieren behilflich sein.
Insgesamt sei aufgrund des Verhaltens der Beschwerdeführerin bis heute unklar,
welche Staatsangehörigkeit sie besitze und in welchem Land sie gelebt habe,
bevor sie illegal in die Schweiz eingereist sei. Da es ein legitimes Ziel der
Eingrenzung sei, eine gewisse Druckwirkung zur Durchsetzung der
Ausreiseverpflichtung zu erzeugen, sei die Eingrenzung geeignet und
erforderlich, um die Beschwerdeführerin zur weiteren Mitwirkung zu bewegen.  
 
4.4.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, es sei ihr objektiv unmöglich
auszureisen. Sie besitze keine Papiere und könne auch keine solchen beschaffen.
Sie habe alles versucht, um zu beweisen, dass sie Tibeterin sei und in keinem
anderen Land sozialisiert worden sei. Sie bemühe sich, ihre Identität weiterhin
glaubhaft zu machen, habe aber ohne Papiere keine Möglichkeit, diese zu
beweisen. Sie habe sich nie in Indien oder Bhutan aufgehalten und auch in
Nepal, wo sie sich auf ihrer Flucht vorübergehend aufgehalten habe, nie eine
Aufenthaltsbewilligung besessen. Selbst wenn sie eine Aufenthaltsbewilligung in
Indien oder Nepal hätte, würden die Behörden dieser Länder keine
Ersatzreisepapiere für Angehörige tibetischer Minderheiten ausstellen. Das SEM
habe abgelehnt, mit der chinesischen Botschaft Kontakt aufzunehmen, um die
Personalien der Beschwerdeführerin festzustellen. Ohne Mitwirkung der
schweizerischen Behörden sei es ihr unmöglich, weitere Dokumente zu erhalten
oder ihre Personalien abklären zu lassen. Es könne ihr nicht eine Verletzung
ihrer Mitwirkungspflicht vorgeworfen werden, wenn die Behörden ihrerseits ihre
Mitwirkungspflicht verletzten. Die Ausreise aus der Schweiz sei somit als
unmöglich zu bezeichnen.  
 
4.4.3. Soweit es sich bei den Ausführungen der Vorinstanz um
Sachverhaltsfeststellungen handelt, werden diese von der Beschwerdeführerin
nicht substantiiert in Frage gestellt, so dass sie für das Bundesgericht
verbindlich sind (E. 2). Auszugehen ist somit davon, dass die
Beschwerdeführerin im Rahmen des Asylverfahrens täuschende Angaben zu ihrer
Herkunft machte und gefälschte Papiere verwendet hatte und dass sie auch bei
ihren Kontakten mit den nepalesischen, indischen und bhutanischen Behörden
nicht hinreichende Angaben gemacht hat, die zu einer Identifikation führen
könnten. Zuzustimmen ist der Vorinstanz auch darin, dass die Eingrenzung bei
ungenügender Mitwirkung verhängt werden kann (vorne E. 4.2).  
 
4.4.4. Allerdings hat die Vorinstanz nicht festgestellt, welches die
Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin ist und sie hat auch nicht
festgestellt, dass es ihr objektiv möglich wäre, in ein bestimmtes Land
auszureisen. Unbestritten ist die Beschwerdeführerin tibetischer Ethnie. Gemäss
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht ausgeschlossen, dass sie
tatsächlich die chinesische Staatsangehörigkeit besitzt, wie sie selber
vorbringt. In diesem Fall könnte ihr auch nicht vorgeworfen werden, dass sie
nicht eine andere Staatsangehörigkeit nachgewiesen hat. Umgekehrt würde auch
der Nachweis der chinesischen Staatsangehörigkeit für sich allein noch nicht
dazu führen, dass die Ausreise effektiv möglich wäre, da sie gemäss
Wegweisungsentscheid nicht nach China weggewiesen werden kann. Die Ausreise
wäre in diesem Fall nur möglich, wenn sie in einem anderen Land aufgenommen
würde.  
 
4.4.5. Aus den Akten, die teilweise ergänzend zu den vorinstanzlichen
Feststellungen herangezogen werden können (Art. 105 Abs. 2 BGG), ergibt sich,
dass das kantonale Migrationsamt im Anschluss an das Ausreisegespräch vom 20.
Oktober 2015 beim SEM ein Gesuch um Vollzugsunterstützung nach Art. 71 AuG
gestellt hat, worauf das SEM mitteilte, die Papierbeschaffung bei
unfreiwilligen Heimkehrern tibetischer Herkunft gestalte sich schwierig;
überdies seien die Vertretungen Indiens und Nepals in der Schweiz nicht
gewillt, Ersatzreisepapiere auszustellen. Weiter wies das kantonale
Migrationsamt das SEM am 17. Februar 2016 darauf hin, dass die
Beschwerdeführerin sich an die chinesische Vertretung in der Schweiz gewandt
habe, doch würde diese nur Papiere ausstellen, wenn das SEM einen Antrag
stelle, worauf das SEM gemäss einer Aktennotiz vom 25. Februar 2016 mitgeteilt
habe, es habe die chinesische Vertretung nicht kontaktiert, da die
Beschwerdeführerin ein Ablenkungsmanöver mache; sie dürfte in einem anderen
Staat, d.h. in Nepal oder Indien, sozialisiert worden sein und dort eine
Aufenthaltsbewilligung besitzen. Am 7. März 2017 wies das kantonale
Migrationsamt das SEM darauf hin, es habe Hinweise auf eine Sozialisierung und
einen Schulbesuch der Beschwerdeführerin in Nordindien festgestellt, und bat
das SEM um Abklärung, ob die Beschwerdeführerin bei dieser Schule bekannt sei.
Resultate einer solchen Abklärung sind nicht aktenkundig.  
 
4.4.6. Insgesamt ist einerseits davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin
nicht vollständig und wahrheitsgemäss über ihre Herkunft informiert hat (vorne
E. 4.4.3). Umgekehrt ist auch nicht auszuschliessen, dass es der
Beschwerdeführerin tatsächlich unmöglich ist, nach Indien oder Nepal
auszureisen, was naturgemäss als negativer Nachweis nicht leicht zu erbringen
ist. Es ist auch nicht recht ersichtlich, weshalb das SEM den Kanton nicht
wirksamer beim Vollzug unterstützt hat (Art. 71 AuG). Die Beschwerdeführerin
bringt vor, mit Hilfe der Bundesbehörden wäre es möglich, ihre Identität z.B.
mit Fingerabdrücken festzustellen und diese bei den Botschaften der in Frage
kommenden Länder abzugleichen. Sie erklärt sich dazu bereit, was aber nur mit
Mitwirkung der Bundesbehörden möglich sei. Das SEM hat sich vor Bundesgericht
nicht zur Beschwerde geäussert. Für das Bundesgericht ist deshalb nicht
erkennbar, ob das von der Beschwerdeführerin skizzierte Vorgehen zielführend
sein könnte bzw. warum es bisher nicht durchgeführt wurde.  
 
4.5. Es steht somit nicht hinreichend fest, dass der Beschwerdeführerin die
(freiwillige oder zwangsweise) Ausreise aus der Schweiz objektiv möglich wäre
und mithin die Voraussetzungen für eine Eingrenzung erfüllt sind. Zwar ist es
primär Sache des Ausreiseverpflichteten selber, die Ausreise zu organisieren,
nötigenfalls aber mit Unterstützung der Behörden. Die Sache ist deshalb an die
Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie näher abkläre, ob in Zusammenarbeit mit
dem SEM eine wirksame Papierbeschaffung möglich wäre. Die Beschwerdeführerin
ist darauf zu behaften, dass sie sich für eine Personalienabklärung samt
Fingerabdruckerhebung bei den Botschaften der in Frage kommenden Länder bereit
erklärt hat. Sie hat zu diesem Zweck diesen Botschaften sowie den
schweizerischen Behörden alle zweckdienlichen Informationen wahrheitsgemäss
zukommen zu lassen.  
 
5.  
Die Beschwerde erweist sich in diesem Sinne als begründet. Dem Kanton Luzern
sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Er hat jedoch der
Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine
Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Kantonsgerichts des Kantons
Luzern vom 8. Mai 2017 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuem Entscheid im
Sinne der Erwägungen an das Kantonsgericht zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Luzern hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Luzern, 4.
Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 19. Januar 2018 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein 

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben