Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.482/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
2C_482/2017  
 
 
Urteil vom 24. Mai 2018  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, 
Bundesrichter Stadelmann. 
Gerichtsschreiber Errass. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Robert P. Gehring, 
 
gegen  
 
Migrationsamt des Kantons Thurgau, 
Departement für Justiz und Sicherheit des 
Kantons Thurgau, Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld, 
 
Gegenstand 
Erteilung einer Niederlassungsbewilligung evt. Aufenthaltsbewilligung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 15.
März 2017 (VG.2016.128/E). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ (1979, Pakistaner) heiratete am 24. September 2001 eine Schweizerin
(1959), nachdem zuvor zwei Versuche, politisches Asyl zu erhalten, gescheitert
waren. Am 21. Januar 2002 erhielt er nach Ausräumung des Verdachts auf eine
"Gefälligkeitsehe" eine provisorische und am 27. März 2002 eine definitive
Aufenthaltsbewilligung. Am 14. August 2006 erklärten die Eheleute, dass ihre
eheliche Gemeinschaft intakt sei, gelebt werde und weder eine Trennung noch
eine Scheidung geplant noch bereits erfolgt sei. In der Folge erhielt
A.________ eine Niederlassungsbewilligung (29. August 2006). Bereits zuvor, am
30. Mai 2006, beantragte er die erleichterte Einbürgerung. Im Rahmen des
Einbürgerungsverfahrens erklärten die Eheleute wiederum, dass sie in einer
stabilen, ungetrennten ehelichen Gemeinschaft lebten und weder Trennungs- noch
Scheidungsabsichten bestünden. Am 19. März 2009 wurde A.________ erleichtert
eingebürgert. 
Im Herbst 2009 verliess A.________ die Schweiz und kehrte am 1. März 2011
zurück. Seine Ehe wurde am 17. Mai 2011 geschieden. Am 15. Oktober 2014
erklärte das - damals noch so bezeichnete - Bundesamt für Migration die
erleichterte Einbürgerung entsprechend Art. 41 des nunmehr aufgehobenen
Bürgerrechtsgesetzes vom 29. September 1952 (AS 1952 1087) als nichtig. Dieser
Entscheid ist unangefochten rechtskräftig geworden. 
 
B.   
Am 1. September 2015 beantragte A.________ beim Migrationsamt des Kantons
Thurgau die Verlängerung der bestehenden Bewilligung. Nach Gewährung des
rechtlichen Gehörs stellte dieses am 11. März 2016 fest, dass die
Niederlassungsbewilligung gestützt auf Art. 61 Abs. 1 lit. a AuG von Gesetzes
wegen erloschen sei. Sein Gesuch um Erneuerung der Niederlassungsbewilligung
wurde abgewiesen. Die Rechtsmittel dagegen waren alle erfolglos (Entscheid des
Departementes für Justiz und Sicherheit vom 12. August 2016; Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 15. März 2017). 
 
C.   
Vor Bundesgericht beantragt A.________, den Entscheid des Verwaltungsgerichts
vom 15. März 2017 aufzuheben, die Angelegenheit zur Wiedererteilung der
Niederlassungsbewilligung, evtl. der Aufenthaltsbewilligung und zur Neuregelung
der bisherigen Verfahrenskosten an die Vorinstanz zurückzuweisen sowie keine
Verfahrenskosten zu erheben. 
 
D.   
Das Migrationsamt, das Departement für Justiz und Sicherheit und das
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Der Beschwerdeführer hat sich dazu vernehmen lassen. 
Mit Verfügung vom 29. Mai 2017 erteilte der Präsident der II.
öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde
aufschiebende Wirkung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten - wie hier - gegen die Feststellung des Erlöschens der
Niederlassungsbewilligung zulässig (Urteil 2C_866/ 2017 vom 7. März 2018 E.
1.1; Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario). Auch die weiteren
Sachurteilsvoraussetzungen (Art. 42 Abs. 1, 2, Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1
lit. d, Art. 89 Abs. 1, Art. 90, Art. 100 Abs. 1 BGG) sind erfüllt, weshalb auf
die Beschwerde einzutreten ist. 
 
2.   
 
2.1. Bevor der Beschwerdeführer das schweizerische Bürgerrecht erhielt, besass
er eine Niederlassungsbewilligung. Mit der Nichtigerklärung des
Schweizerbürgerrechts kommt ihm als Niedergelassenem entsprechend der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung wieder die gleiche Rechtsstellung wie vor
der Einbürgerung zu (BGE 135 II 1 E. 3.7 S. 8). Vorbehalten bleiben die
ausländerrechtlichen Erlöschens- und Widerrufsgründe (BGE 135 II 1 E. 3.7 S. 8;
Urteil 2C_1115/2015 vom 20. Juli 2016 E. 3.2).  
 
2.2. Die Vorinstanz hat die Niederlassungsbewilligung nicht widerrufen, sondern
festgestellt, dass diese nach Art. 61 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 AuG von Gesetzes
wegen erloschen sei. Danach erlischt eine Niederlassungsbewilligung mit der
Abmeldung ins Ausland (Abs. 1 lit. a) oder nach sechs Monaten, wenn der
Ausländer ohne Abmeldung die Schweiz verlässt (Abs. 2 Satz 1). Auf Gesuch hin
kann die Niederlassungsbewilligung während vier Jahren aufrechterhalten werden
(Art. 61 Abs. 2 Satz 2 AuG).  
Die Vorinstanz führt dazu aus, dass der Beschwerdeführer Ende 2009 die Schweiz
endgültig verlassen habe. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass er seine
Arbeitsstelle gekündigt habe, und zum anderen auch aus den Aussagen seiner
Exfrau und seines ehemaligen Arbeitgebers. Zudem habe er kein
Verlängerungsgesuch nach Art. 61 Abs. 2 Satz 2 AuG gestellt. 
 
2.3.  
 
2.3.1. Das Schweizerbürgerrecht des Beschwerdeführers wurde am 15. Oktober 2014
als nichtig erklärt. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Beschwerdeführer somit
Schweizer Bürger: Mit der Erteilung des Schweizerbürgerrechts fällt die
persönliche Eigenschaft als Ausländer dahin, selbst wenn damit eine doppelte
Staatsangehörigkeit verbunden sein sollte. Ausländer ist nur, wer nicht über
das Schweizerbürgerrecht verfügt (BGE 135 II 1 E. 3.4 i.i. S. 6). Insofern
unterstand der Beschwerdeführer bis zum 15. Oktober 2014 nicht dem AuG.  
 
2.3.2. Die Vorinstanz kommt in ihren Ausführungen trotzdem zum Schluss, dass
das AuG anwendbar sei. Sie nimmt dabei Bezug auf BGE 135 II 1 E. 3.7 (S. 8),
wonach dem Ausländer zwar die gleiche Rechtsstellung wie vor der Einbürgerung
zuzuweisen sei. "Vorbehalten [blieben allerdings] inzwischen eingetretene
Erlöschens- oder Widerrufsgründe nach Art. 9 Abs. 3 und 4 ANAG" (BS 1 121; Art.
9 Abs. 3 lit. c ANAG ? Art. 61 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 AuG). Gestützt darauf
führt die Vorinstanz deshalb aus, dass "der Beschwerdeführer ab 19. März 2009
(Zeitpunkt der für nichtig erklärten Einbürgerung) grundsätzlich über eine
Niederlassungsbewilligung verfügt hätte". Die Vorinstanz geht damit davon aus,
dass aus der Nichtigerklärung der Einbürgerung nicht nur die gleiche
Rechtsstellung wie vor der Einbürgerung folgt, sondern gleichzeitig auch der
Zeitpunkt, wann der Schweizer Bürger wieder in den Stand des
niederlassungsberechtigten Ausländers fällt. Insofern ist sie ohne Begründung
von einer ex tunc Wirkung ausgegangen, weshalb das AuG und die Erlöschensgründe
rückwirkend wieder Anwendung finden.  
 
2.3.3. Das Bundesgericht hat indes nur über den Rechtsstatus diskutiert. Es hat
zudem bereits damals darauf hingewiesen, dass gewisse Wirkungen nicht behoben
werden können (z.B. politische Rechte; BGE 135 II 1 E. 3.5 S. 7). Sodann
verlangt Art. 61 Abs. 2 AuG eine ex nunc Wirkung: Nach dieser Bestimmung kann
der Ausländer, wenn er die Schweiz verlässt, auf Gesuch hin seine
Niederlassungsbewilligung verlängern. Wenn ein Schweizer Bürger nun rückwirkend
auf den Zeitpunkt der Einbürgerung wieder Ausländer würde, im damaligen
Zeitpunkt aber als Schweizer Bürger ins Ausland verreist war, konnte er kein
Gesuch um Verlängerung einreichen. Damit würden seine gesetzlichen Rechte
missachtet und ohne gesetzliche Grundlage (Art. 5 Abs. 1 BV) auch seine
ausländerrechtliche Stellung verschlechtert, was zum einen verfassungsrechtlich
unzulässig ist und zum anderen das Bundesgericht in BGE 135 II 1 E. 3.6 und 3.7
S. 8 ausdrücklich ablehnte. Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der
Aufrechterhaltung der Niederlassungsbewilligung trotz Ausreise ins Ausland (
Art. 61 Abs. 2 AuG) kann nicht rückwirkend geschaffen werden. Die Vergangenheit
lässt sich nicht wieder herstellen. Insofern ist in diesem Fall nur eine
Wirkung ex nunc möglich.  
 
2.4. Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Nichtigerklärung des
Schweizerbürgerrechts entfaltet seine Wirkung erst ab dem Zeitpunkt der
Nichtigerklärung (Wirkung ex nunc). Die von der Vorinstanz angeführten
Bestimmungen des AuG sind demnach nicht anwendbar, weshalb die
Niederlassungsbewilligung nicht erloschen ist. Daran ändert auch nichts, dass
der Beschwerdeführer 2009 bösgläubig gewesen sein soll. Insofern ist BGE 135 II
1 zu präzisieren: Der Erlöschensgrund der mehr als sechsmonatigen
Landesabwesenheit (Art. 61 Abs. 2 AuG) ist nicht anwendbar. Das damalige Urteil
bezog sich auf die Rechtslage unter dem ANAG, das die Ausweisung (Art. 10 ANAG)
als Erlöschensgrund vorsah (Art. 9 Abs. 3 lit. b ANAG).  
 
2.5. Die Vorinstanz hat die Niederlassungsbewilligung nicht widerrufen.
Offenbar sprechen keine Gründe dafür. Allerdings ist der Sachverhalt nicht
derart erstellt, dass das Bundesgericht direkt darüber entscheiden kann, ob die
massgeblichen Voraussetzungen eines Widerrufs einer Niederlassungsbewilligung
nicht erfüllt sind. Die Angelegenheit ist daher an das Migrationsamt des
Kantons Thurgau zurückzuweisen zu ergänzender Abklärung der tatsächlichen
Umstände und zu neuem Entscheid in der Sache.  
 
3.   
Demnach erweist sich die Beschwerde als begründet und ist gutzuheissen. Der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 15. März 2017 ist
aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an das Migrationsamt des Kantons
Thurgau zurückzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu
erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat der Kanton Thurgau den
Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu
entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Zur Regelung der Kosten- und
Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens ist die Sache an das
Verwaltungsgericht zurückzuweisen. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Thurgau vom 15. März 2017 wird aufgehoben und die Sache zu neuem
Entscheid an das Migrationsamt des Kantons Thurgau zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Thurgau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- auszurichten. 
 
4.   
Zur Regelung des Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens
wird die Sache an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich
mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. Mai 2018 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Errass 

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