Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.439/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
2C_439/2017  
 
 
Urteil vom 16. Mai 2018  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Gerichtsschreiber Quinto. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. B.________, 
2. Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte des 
    Kantons Graubünden, 
    c/o Präsident Dr. iur. Norbert Brunner, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Entbindung von Anwaltsgeheimnis, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 1.
Kammer, vom 9. März 2017 (U 17 5). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Vollmacht vom September 2011 mandatierte A.________ Rechtsanwalt B.________
mit der Wahrung seiner Interessen. Letzterer stellte im Dezember 2014 Rechnung
für eine Akonto-Zahlung über Fr. 12'312.--, welche noch im selben Jahr bezahlt
wurde. Am 10. Februar 2016 erfolgte eine detaillierte Rechnung über Fr.
17'152.25, wobei nach Abzug der genannten Akontozahlung ein noch zu bezahlender
Saldo von Fr. 4'840.25 resultierte. Dieser wurde von A.________ nicht
beglichen. In der Folge ersuchte Rechtsanwalt B.________ - nachdem eine
Entbindung vom Anwaltsgeheimnis durch A.________ nicht zustande kam - die
Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte des Kantons Graubünden mit Eingabe
vom 22. September 2016 um entsprechende Entbindung, um das Honorarinkasso
vorzunehmen. 
Die Aufsichtskommission beschloss am 18. November 2016 die Entbindung von
Rechtsanwalt B.________ vom Anwaltsgeheimnis. Die von A.________ gegen diesen
Beschluss erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden mit Urteil vom 9. März 2017 abgewiesen. 
 
B.   
A.________ (Beschwerdeführer) gelangt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten vom 9. Mai 2017 gegen das Urteil des kantonalen
Verwaltungsgerichts an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des
vorinstanzlichen Urteils unter Kostenfolgen zulasten des Staates sowohl für das
vorinstanzliche wie auch das bundesgerichtliche Verfahren. Um Letzteres wird
auch für den Fall ersucht, dass die Beschwerde abgewiesen werden sollte. 
Rechtsanwalt B.________ (Beschwerdegegner) beantragt mit Beschwerdeantwort vom
15. Juni die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne,
unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden beantragt in seiner Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde,
soweit darauf einzutreten sei, während die Aufsichtskommission über die
Rechtsanwälte des Kantons Graubünden (nachfolgend "Aufsichtskommission") auf
eine Vernehmlassung verzichtet hat. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Gegen letztinstanzliche kantonale Endentscheide bezüglich Entbindung vom
Anwaltsgeheimnis steht die Beschwerde an das Bundesgericht offen (Art. 82 lit.
a, Art. 83 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 90 BGG; Urteil
2C_586/2015 vom 9. Mai 2016 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 142 II 307). Der im
vorinstanzlichen Verfahren unterlegene Beschwerdeführer ist zur Beschwerde
legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG), weshalb auf die frist- und formgerecht
eingereichte Beschwerde einzutreten ist (Art. 100 Abs. 1, Art. 42 Abs. 1 BGG). 
 
2.   
 
2.1. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG
), prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nur die geltend gemachten
Rechtsverletzungen, sofern rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind
(BGE 142 I 135 E. 1.5 S. 144). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten
gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG;
BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 136 II 304 E. 2.5 S. 314). Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Berichtigung oder Ergänzung der vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellungen ist von Amtes wegen (Art. 105 Abs. 2 BGG) oder auf
Rüge hin (Art. 97 Abs. 1 BGG) möglich. Von den tatsächlichen Grundlagen des
vorinstanzlichen Urteils weicht das Bundesgericht jedoch nur ab, wenn diese
offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruhen und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 142 I 135 E. 1.6 S. 144 f.).
Offensichtlich unrichtig bedeutet in diesem Zusammenhang willkürlich (BGE 137 I
58 E. 4.1.2 S. 62). Eine Sachverhaltsrüge ist substanziiert vorzubringen; auf
rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsfeststellung geht das Gericht
nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 139 II 404 E. 10.1 S. 444 f.; 140 III
16 E. 1.3.1 S. 17; 137 V 57 E. 1.3 S. 60 f.; 137 I 58 E. 4.1.2 S. 62).  
 
3.   
 
3.1. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Bundesrecht in Bezug auf die
Entbindung vom Anwaltsgeheimnis. Die Vorinstanz habe die in BGE 142 II 307
festgelegten Grundsätze, wonach nur ein deutlich überwiegendes öffentliches
oder privates Interesse eine Entbindung als angemessen erscheinen lasse und in
jedem Falle darzulegen sei, weshalb dem Anwalt eine Kostendeckung über die
Erhebung eines Kostenvorschusses nicht möglich gewesen sei, verletzt. In diesem
Zusammenhang habe die Vorinstanz auch den Sachverhalt unrichtig festgestellt,
da sie nicht berücksichtigt habe, dass er (der Beschwerdeführer) den
Beschwerdegegner mehrfach schriftlich und mündlich um Abrechnung und Stellung
einer Vorschussrechnung ersucht habe. Der Beschwerdeführer verweist in diesem
Zusammenhang als Beispiel auf Beilage 3 zu seiner Stellungnahme an die
Aufsichtskommission vom 5. Oktober 2016. Bei dieser Beilage handelt es sich um
eine E-Mail des Beschwerdeführers an den Beschwerdegegner vom 9. November 2015,
welche eine Aufforderung an den Beschwerdegegner enthält, eine vollständige
Abrechnung der Anwaltskosten zu erstellen.  
 
3.2. Anwältinnen und Anwälte unterstehen zeitlich unbegrenzt und gegenüber
jedermann dem Berufsgeheimnis über alles, was ihnen infolge ihres Berufs von
ihrer Klientschaft anvertraut worden ist (Art. 13 Abs. 1 Bundesgesetz vom 23.
Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte [BGFA; SR 935.61];
vgl. auch Art. 321 Ziff. 1 StGB). Zu den Tatsachen, die unter den Schutz des
Anwaltsgeheimnisses fallen, gehört schon der Umstand des Bestehens eines
Mandats zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Klienten. Die klageweise
Geltendmachung einer Honorarforderung setzt daher eine vorgängige Befreiung des
Anwalts von seiner Schweigepflicht voraus. Verweigert der Mandant die
Entbindung vom Anwaltsgeheimnis, so hat sich der Anwalt, der sein Honorar auf
dem Rechtsweg einzutreiben sucht, mit einem entsprechenden Begehren an die
Aufsichtsbehörde zu wenden (Vgl. Art. 13 Abs. 1 Satz 2 BGFA und Art. 321 Ziff.
2 StGB; Urteile 2C_704/2016 vom 6. Januar 2016 E. 3.1; 2C_1127/2013 vom 7.
April 2014 E. 3.1 mit Hinweisen).  
 
3.3. Die Entbindung vom Anwaltsgeheimnis hat keinerlei materielle
Rechtswirkungen, sondern ermöglicht es dem gesuchstellenden Anwalt bloss, ohne
Verletzung des disziplinar- und strafrechtlich geschützten Berufsgeheimnisses
die behauptete Honorarforderung auf dem Klageweg geltend zu machen. Sie
präjudiziert einen späteren Zivilprozess über die Honorarforderung in keiner
Weise. Die einzige unmittelbare Rechtswirkung, welche der Entbindungsentscheid
für den betroffenen (möglichen) Mandanten hat, liegt darin, dass dieser im
Umfang, in dem es für die Geltendmachung der Honorarforderung notwendig ist,
des ihm ansonsten zustehenden Schutzes durch das Anwaltsgeheimnis verlustig
geht (Urteile 2C_1127/2013 vom 7. April 2014 E. 3.3.1; 2C_42/2010 vom 28. April
2010 E. 3.3).  
Ob und wann der Beschwerdeführer vom Beschwerdegegner erfolglos die Stellung
einer Vorschuss-Rechnung verlangt hat, betrifft die Art und Weise der
Mandatserledigung (Qualität der Auftragserfüllung) und damit eine
materiell-rechtliche Frage, welche im vorliegenden Verfahren bezüglich
Entbindung vom Anwaltsgeheimnis nicht zu prüfen ist. Dem Beschwerdeführer
bleibt es unbenommen, entsprechende Einwendungen in der zivilrechtlichen
Auseinandersetzung um das Honorar geltend zu machen. Auf die Rüge der
unrichtigen bzw. willkürlichen Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz
ist deshalb mangels Relevanz für das vorliegende Verfahren (vgl. dazu auch E.
3.5 nachfolgend) nicht weiter einzugehen. 
 
3.4. Ob eine Entbindung vom Anwaltsgeheimnis vorzunehmen ist, beurteilt sich
auf Grund einer Abwägung sämtlicher auf dem Spiel stehender Interessen, wobei
angesichts der institutionellen und individualrechtlichen Bedeutung des
anwaltlichen Berufsgeheimnis nur ein deutlich überwiegendes öffentliches oder
privates Interesse eine Entbindung als angemessen erscheinen lassen kann (BGE
142 II 307 E. 4.3.3 S. 311; Urteil 2C_704/2016 vom 6. Januar 2017 E. 3.2).
Während die Anwältin oder der Anwalt regelmässig über ein schutzwürdiges
Interesse an der Entbindung zwecks Honorarinkasso verfügt, steht dem ein
institutionell begründetes und grundsätzlich auch ein individuell-rechtliches
Interesse des Klienten auf Geheimhaltung der Mandatsbeziehung gegenüber. An die
Substanziierung des Geheimhaltungsinteresses dürfen im Verfahren auf Entbindung
keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, weil der in Art. 321 Ziff. 1 StGB
verankerte Schutz des Berufsgeheimnisses andernfalls unterlaufen würde (BGE 142
II 307 E. 4.3.3 S. 311 f.; Urteil 2C_704/2016 vom 6. Januar 2017 E. 3.2 mit
Hinweisen).  
 
3.5. Der Beschwerdeführer macht mit Verweis auf BGE 142 II 307 geltend, gemäss
jüngster Rechtsprechung des Bundesgerichts müsse der Anwalt in jedem Fall
darlegen, weshalb ihm die Kostendeckung über die Erhebung eines
Kostenvorschusses nicht möglich gewesen sei, andernfalls eine Entbindung vom
Anwaltsgeheimnis nicht in Frage komme. Gerade der Umstand, dass er (der
Beschwerdeführer) den Beschwerdegegner mehrfach aufgefordert habe, eine
Vorschuss-Rechnung zu stellen, zeige, dass der Beschwerdegegner keine triftigen
Gründe für das Nichteinholen eines Kostenvorschusses darlegen könne. Der
Beschwerdegegner bringt demgegenüber unter anderem vor, mehr als dreiviertel
(effektiv sind es aufgerundet 72 %) des Honorarbetrages seien durch eine
Akontozahlung gedeckt - es sei also keineswegs so, dass nie irgendwelche
Akonto-Zahlungen verlangt worden seien. Ausserdem müsse der Beschwerdeführer
sein Interesse an der Geheimhaltung des Mandats nachweisen, was nicht erfolgt
sei, weshalb das Interesse des Anwalts bzw. Beschwerdegegners am Honorarinkasso
überwiege.  
Vorliegend ist unbestritten, dass ein namhafter Teil des gesamten Honorars
bereits durch eine Akonto-Zahlung abgegolten wurde. Eine Akonto-Zahlung ist in
Bezug auf die Entbindung vom Anwaltsgeheimnis nicht anders zu behandeln als ein
Vorschuss, geht es im Rahmen der Interessenabwägung doch darum, ob die Anwältin
oder der Anwalt während der Mandatserledigung Bemühungen unternommen hat, um
das Honorar einzutreiben oder gänzlich untätig geblieben ist. Im Urteil BGE 142
II 307 hatte das Bundesgericht denn auch zugunsten der Entbindung vom
Anwaltsgeheimnis entschieden, weil ein Kostenvorschuss verlangt worden war,
welcher die Honorarforderung teilweise abdeckte (Urteil 2C_586/2015 vom 9. Mai
2016 E. 4.4, nicht publ. in: BGE 142 II 307). Im Weiteren hat der
Beschwerdeführer vorliegend nicht einmal ansatzweise ein individuelles
Geheimhaltungsinteresse geltend gemacht, welches dem Interesse des Anwalts am
Honorarinkasso bzw. der Entbindung von Anwaltsgeheimnis entgegenstehen würde.
Bei dieser Ausgangslage führt nicht schon das institutionelle Interesse an der
Wahrung des Anwaltsgeheimnisses zu einer Verweigerung der Entbindung, sondern
das private Interesse der Anwältin oder des Anwalts an der Entbindung vom
Anwaltsgeheimnis überwiegt deutlich (Urteil 2C_586/2015 vom 9. Mai 2016 E. 4.4,
nicht publ. in: BGE 142 II 307; vgl. Urteil 2C_704/2016 vom 6. Januar 2017 E.
3.4). Die Interessenabwägung der Vorinstanz, welche zugunsten der Entbindung
vom Anwaltsgeheimnis ausgefallen ist, ist deshalb im Ergebnis nicht zu
beanstanden und verletzt nicht Bundesrecht. 
 
4.   
Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und ist abzuweisen. Bei
diesem Verfahrensausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Abweichung von dieser
Regel rechtfertigt sich vorliegend nicht. Eine Parteientschädigung ist mangels
Komplexität der Streitsache an den als Anwalt in eigener Sache auftretenden
Beschwerdegegner nicht auszurichten (Art. 68 Abs. 1 BGG; BGE 129 II 297 E. 5 S.
304; Urteil 2C_704/2016 vom 6. Januar 2017 E. 3.6 mit Hinweisen). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Mai 2018 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Quinto 

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