Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.431/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
2C_431/2017  
 
 
Urteil vom 5. März 2018  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, Bundesrichterin Aubry Girardin, Bundesrichter Stadelmann,
Bundesrichter Haag. 
Gerichtsschreiber Klopfenstein. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Ebnöther, 
 
gegen  
 
Amt für Migration und Integration 
des Kantons Aargau, Sektion Asyl. 
 
Gegenstand 
Eingrenzung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2.
Kammer, vom 6. April 2017 (WPR.2017.23). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, äthiopischer Staatsangehöriger, geboren am 12. Mai 1993, reiste im
Juli 2014 in die Schweiz ein und stellte am 4. August 2014 ein Asylgesuch. Mit
Entscheid vom 8. September 2016 trat das Staatssekretariat für Migration (SEM)
auf das Asylgesuch nicht ein, wies A.________ aus der Schweiz weg (mit einer
Ausreisefrist bis zum 3. November 2016) und beauftragte den Kanton Aargau mit
dem Vollzug der Wegweisung. Anlässlich eines Ausreisegesprächs vom 25. Oktober
2016 erklärte sich A.________ nicht bereit, die Schweiz selbständig Richtung
Äthiopien zu verlassen, und er verweigerte seine Mithilfe bei der
Papierbeschaffung. Auf Gesuch des Kantons Aargau um Vollzugsunterstützung
teilte das SEM mit, dass aufgrund der negativen Haltung Äthiopiens betreffend
Durchführung von Identifizierungsinterviews zurzeit nur die freiwillige
Rückkehr nach Äthiopien möglich sei. 
 
B.  
Mit Verfügung vom 23. Januar 2017 ordnete das Amt für Migration und Integration
des Kantons Aaragu die Eingrenzung von A.________ für unbestimmte Zeit auf das
Gebiet des Kantons Aargau an. Dagegen erhob A.________ am 17. Februar 2017
Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau und beantragte, die
angefochtene Verfügung sei vollständig aufzuheben. Eventualiter sei die
Eingrenzung auf ein Jahr zu beschränken. Mit Urteil vom 6. April 2017 wies das
Verwaltungsgericht die Beschwerde ab, unter Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege. 
 
C.  
A.________ erhebt mit Eingabe vom 8. Mai 2017 an das Bundesgericht Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, in Aufhebung des
angefochtenen Entscheids sei die Sache zur rechtsgenüglichen Begründung und
Entscheidfindung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei das
Migrationsamt anzuweisen, die Eingrenzung aufzuheben, subeventualiter den Rayon
auf das Gebiet des Kantons Aargau und auf die Gemeinde U.________ im Kanton
Zürich sowie die direkten Fahrten zwischen diesen Gebieten zu erweitern und die
Eingrenzung auf ein Jahr zu beschränken. Zudem beantragt er unentgeltliche
Rechtspflege für das Verfahren vor Bundesgericht und die Erteilung der
aufschiebenden Wirkung. 
 
Das Verwaltungsgericht und das SEM beantragen Abweisung der Beschwerde; das Amt
für Migration und Integration verzichtet auf Vernehmlassung. Der
Beschwerdeführer repliziert. 
Mit Verfügung des Präsidenten der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des
Bundesgerichts vom 29. Mai 2017 wurde das Gesuch um aufschiebende Wirkung
abgewiesen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den
kantonal letztinstanzlichen Endentscheid betreffend eine Eingrenzung ist
grundsätzlich zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG)
und der Beschwerdeführer ist dazu legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Der Beschwerdeführer stellt im Hauptantrag ein Rückweisungsbegehren.
Solche Begehren sind unzulässig, wenn das Bundesgericht auch reformatorisch
entscheiden könnte (Art. 107 Abs. 2 BGG; BGE 137 II 313 E. 1.3 S. 317; 134 III
379 E. 1.3 S. 383; 133 III 489 E. 3.1 S. 489 f.). Zulässig sind reine
Rückweisungsbegehren, wenn das Bundesgericht nicht reformatorisch entscheiden
kann (BGE 136 V 131 E. 1.2 S. 135 f.), beispielsweise wegen einer schweren, vor
Bundesgericht nicht heilbaren Gehörsverletzung durch die Vorinstanz (Urteil
9C_304/2016 vom 23. Mai 2017 E. 1.1, nicht publ. in BGE 143 V 208; Urteil
2C_971+972/2014 vom 18. Juni 2015 E. 2.2). Dies ist vorliegend in Bezug auf die
Dauer der Eingrenzung der Fall (hinten E. 3). In Bezug auf die grundsätzliche
Zulässigkeit der Eingrenzung und den Eingrenzungsrayon macht der
Beschwerdeführer keine Gehörsverletzung geltend, so dass insoweit ein
Sachentscheid des Bundesgerichts möglich ist; auf den Rückweisungs-Hauptantrag
ist in diesem Umfang nicht einzutreten. Einzutreten ist auf den Eventualantrag,
die Eingrenzung aufzuheben; zulässig ist auch der weniger weit gehende
Subeventualantrag auf Ausdehnung des Eingrenzungsrayons auf die Gemeinde
U.________ und die direkten Fahrten dorthin.  
 
2.  
 
2.1. Gemäss Art. 74 Abs. 1 AuG (SR 142.20) kann die zuständige Behörde einer
Person die Auflage machen, ein ihr zugewiesenes Gebiet nicht zu verlassen
(Eingrenzung) oder ein bestimmtes Gebiet nicht zu betreten (Ausgrenzung), wenn
 
a. sie keine Kurzaufenthalts-, Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung
besitzt und sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung stört oder gefährdet;
diese Massnahme dient insbesondere der Bekämpfung des widerrechtlichen
Betäubungsmittelhandels; oder 
 
b. ein rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt und konkrete
Anzeichen befürchten lassen, dass die betroffene Person nicht innerhalb der
Ausreisefrist ausreisen wird, oder sie die ihr angesetzte Ausreisefrist nicht
eingehalten hat; 
 
c. die Ausschaffung aufgeschoben wurde (Art. 69 Abs. 3). 
 
Der Ausgrenzung kommt eine mehrfache Funktion zu: Sie dient einerseits (in der
Variante von Art. 74 Abs. 1 lit. a AuG) dazu, gegen Ausländer vorgehen zu
können, welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, bei denen aber
eine sofortige Wegweisung nicht möglich ist. Sie kommt auch in Betracht, wenn
der Ausländer wegen eines länger dauernden Wegweisungshindernisses gar nicht
ausgeschafft werden kann, aber die Notwendigkeit besteht, ihn von bestimmten
Orten fernzuhalten, namentlich um Verstösse gegen die Sicherheit und Ordnung zu
verhindern (BGE 142 II 1 E. 2.2 S. 3 f.). Andererseits (in der Variante von 
Art. 74 Abs. 1 lit. b AuG) ist die Ein- und Ausgrenzung - was sich auch aus
ihrer systematischen Stellung im Gesetz ergibt - eine Zwangsmassnahme zur
Sicherstellung und Durchsetzung von Fernhaltemassnahmen; sie ist eine mildere
Massnahme als die Vorbereitungs-, Ausschaffungs- oder Durchsetzungshaft (Art.
75 ff. AuG), d.h. sie geht weniger weit als der ausländerrechtlich begründete
Freiheitsentzug; sie darf aber wie dieser eine gewisse Druckwirkung zur
Durchsetzung der Ausreisepflicht entfalten; die Massnahme erlaubt, die weitere
Anwesenheit des Ausländers im Land zu kontrollieren und ihm gleichzeitig
bewusst zu machen, dass er sich hier illegal aufhält und nicht vorbehaltslos
von den mit einem Anwesenheitsrecht verbundenen Freiheiten profitieren kann (
BGE 142 II 1 E. 2.2 S. 3 f. und E. 4.5 S. 8; GRÉGOR CHATTON/LAURENT MERZ, in:
Nguyen/Amarelle [eds.], Code annoté de droit des migrations, Vol. II, LEtr,
2017, Art. 74 n. 22). 
 
2.2. Die Massnahme hat dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu entsprechen:
Sie muss geeignet sein, um das damit verfolgte Ziel erreichen zu können, und
darf nicht über das hierzu Erforderliche hinausgehen. Auf begründetes Gesuch
hin muss die zuständige Behörde für gewisse Gänge zu Behörden, Anwalt, Arzt
oder Angehörigen Ausnahmen bewilligen, soweit die entsprechenden
Grundbedürfnisse nicht sachgerecht und grundrechtskonform im bezeichneten
Aufenthaltsgebiet selber abgedeckt werden können. Schliesslich muss die
Massnahme auch die Zweck-Mittel-Relation wahren (Urteil 2C_287/2017 vom 1.
November 2017 E. 2.2 [zur Publikation vorgesehen]; BGE 142 II 1 E. 2.3 S. 4 f.,
mit weiteren Hinweisen).  
 
2.3. Da die Ein- oder Ausgrenzung verschiedene Zwecke verfolgt (E. 2.1) ist zur
Prüfung der Verhältnismässigkeit zunächst das angestrebte Ziel zu bestimmen und
alsdann - in einem zweiten Schritt - die ins Auge gefasste Massnahme daran zu
messen, ob damit das gesteckte Ziel erreicht werden kann (BGE 142 II 1 E. 2.4
S. 5). Geht es nicht um die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung (Art. 74 Abs. 1 lit. a AuG), sondern um die Durchsetzung von
Fernhaltemassnahmen (Art. 74 Abs. 1 lit. b AuG), kann die Massnahme ihr Ziel
nur erreichen, wenn die Ausreise tatsächlich möglich ist. Andernfalls kann die
Massnahme ihr Ziel von vornherein nicht erreichen, ist damit ungeeignet und
erweist sich so als unverhältnismässig (TARKAN GÖKSU in Caroni/Gächter/
Thurnherr [Hrsg.], SHK AuG, Art. 74 Rz. 17; vgl. analog für die
Durchsetzungshaft, Art. 78 Abs. 6 lit. a AuG und BGE 140 II 409 E. 2.3.2 S. 412
f.).  
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer hatte vor Verwaltungsgericht den Hauptantrag
gestellt, die Eingrenzungsverfügung vollständig aufzuheben. Eventualiter sei
die Eingrenzung auf ein Jahr zu beschränken. Die Vorinstanz äusserte sich
ausführlich zur grundsätzlichen Rechtmässigkeit und Verhältnismässigkeit der
Eingrenzung sowie zum Eingrenzungsrayon. Zum Eventualantrag, die Eingrenzung
sei auf ein Jahr zu begrenzen, äusserte sie sich hingegen weder im Dispositiv
noch in den Erwägungen, auch nicht im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung.
Der Beschwerdeführer rügt dies als Verletzung des rechtlichen Gehörs: Es sei
nicht ersichtlich, ob die Vorinstanz überhaupt die Dauer der Eingrenzung
berücksichtigt habe. Bei Zwangsmassnahmen sei aber die Dauer wesentlich. Die
Vorinstanz sei weder bei der Verhältnismässigkeitsprüfung auf die Dauer
eingegangen, noch habe sie den Eventualantrag geprüft. Damit sei auch das
Ergebnis willkürlich, bleibe doch die Eingrenzung auf unbestimmte Zeit
bestehen, ohne dass es ein formelles Rechtsmittel zur Aufhebung der einmal
rechtskräftig gewordenen Eingrenzung gebe.  
Die Vorinstanz macht in ihrer Vernehmlassung geltend, es habe keine
Veranlassung bestanden, zum Eventualantrag Stellung zu nehmen, da bereits die
unbefristete Eingrenzung als verhältnismässig qualifiziert worden sei. Der
Druck auf den Beschwerdeführer müsse so lange aufrecht erhalten bleiben, bis
dieser bereit sei, mit den Behörden zu kooperieren und die Schweiz zu
verlassen. 
 
3.2. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) in Verbindung
mit dem Verbot der formellen Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV) folgt die
Pflicht der Behörden, formgerecht gestellte Anträge zu beurteilen (BGE 135 I 6
E. 2.1 S. 9) und diese Beurteilung auch zu begründen. Dabei ist es nicht
erforderlich, dass sich die Behörde mit allen Parteistandpunkten einlässlich
auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr
kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die
Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite
des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die
höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die
Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und
auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 142 II 324 E. 3.6 S. 337 f.).  
 
3.3. Auch Eventualbegehren müssen beurteilt werden. Die Abweisung eines
Eventualbegehrens kann auch implizit erfolgen, wenn bereits aus der Beurteilung
eines Hauptbegehrens hervorgeht, das damit auch ein weniger weit gehendes
Eventualbegehren abgewiesen ist (Urteil 2C_1065/2014 vom 26. Mai 2016 E. 3.3,
nicht publ. in BGE 142 II 268). Vorliegend hat sich zwar die Vorinstanz
ausführlich zum Hauptantrag geäussert. Indessen ist dem Beschwerdeführer
beizupflichten, dass für die Beurteilung der Verhältnismässigkeit einer
Eingrenzung deren Dauer zu berücksichtigen ist (BGE 142 II 1 E. 2.3 S. 4 f.;
Urteile 2C_830/2015 vom 1. April 2016 E. 5.2; 2C_1044/2012 vom 5. November 2012
E. 3.3). Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob eine Eingrenzung für eine
bestimmte oder eine unbestimmte Dauer angeordnet wird. Wenn die Vorinstanz die
Eingrenzung grundsätzlich als rechtmässig qualifiziert, so folgt daraus nicht,
dass sie auch eine unbestimmte Dauer als rechtmässig betrachtet. Die Abweisung
des Hauptantrags impliziert in dieser Situation nicht die Abweisung des
Eventualantrags. Das angefochtene Urteil erweckt eher den Eindruck, dass der
Eventualantrag übersehen und gar nicht beurteilt wurde. Da das Bundesgericht
nur Entscheide der letzten kantonalen Instanz überprüfen kann (Art. 86 Abs. 1
lit. d BGG), kann dieser Mangel vor Bundesgericht nicht geheilt werden, auch
nicht durch die von der Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung vor dem
Bundesgericht gegebene Begründung.  
 
3.4. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen, soweit sie rügt, die Vorinstanz
habe den Eventualantrag nicht beurteilt. Die Sache ist zu dessen Beurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.  
 
4.  
Zu prüfen bleibt, ob die Eingrenzung grundsätzlich zulässig ist. 
 
4.1. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er äthiopischer
Staatsangehöriger ist, gegen ihn ein rechtskräftiger Wegweisungsentscheid
vorliegt, die Ausreisefrist abgelaufen ist und er dieser Entscheidung nicht
nachgekommen ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Eingrenzung gemäss 
Art. 74 Abs. 1 lit. b AuG sind damit klarerweise erfüllt. Der Beschwerdeführer
bestreitet (abgesehen von der Gehörsverletzung, vorne E. 3) einzig die
Verhältnismässigkeit der Massnahme.  
 
4.2. Die Vorinstanz hat erwogen, die Eingrenzung bezwecke gleich wie die
Durchsetzungshaft, den Betroffenen dazu anzuhalten, mit den Behörden zu
kooperieren bzw. freiwillig auszureisen. Die Rückkehr nach Äthiopien sei
aufgrund der Haltung der äthiopischen Behörden zurzeit nur freiwillig möglich;
der Beschwerdeführer verweigere aber die notwendige Mitwirkung bei der
Papierbeschaffung. Die Eingrenzung sei daher ein geeignetes Mittel, um den
Betroffenen zur selbständigen Ausreise zu motivieren. Das öffentliche Interesse
an der Durchsetzung der Wegweisung rechtfertige die Eingrenzung im Grundsatz
und auch den Eingrenzungsrayon des Kantons Aargau; die damit verbundene
Erhöhung des Drucks auf den Betroffenen sei gewollt und zwangsläufig mit der
Massnahme verbunden. Die Pflege sozialer Beziehungen könne auch im Kanton
Aargau stattfinden. Dem Interesse des Beschwerdeführers am Besuch des
äthiopisch-orthodoxen Gottesdienstes in U.________ (Kanton Zürich) könne
mittels Ausnahmegesuchen Rechnung getragen werden, sofern dies die einzige
Gelegenheit für den Beschwerdeführer sei, seine Religion in Gemeinschaft mit
anderen Gläubigen auszuüben.  
 
4.3. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, die Eingrenzung sei von ihrem
Zweck nicht mehr gedeckt, wenn die betroffene Person für die Behörden
erreichbar ist und bleibt. Der Zweck der Norm sei einzig, das Untertauchen der
betroffenen Person zu verhindern bzw. deren Verfügbarkeit für die Vorbereitung
und Durchführung der Ausschaffung sicherzustellen. Die Ausübung von Druck zur
selbständigen Ausreise könne kein eigenständiger Zweck der Eingrenzung sein. Da
auf absehbare Zeit eine zwangsweise Ausschaffung nach Äthiopien nicht möglich
sei und der Beschwerdeführer nicht die Absicht habe, freiwillig auszureisen,
aber sich doch den Behörden zur Verfügung halte und nicht untertauchen wolle,
könne der mit der Eingrenzung verfolgte Zweck nicht erreicht werden. Die
Eingrenzung sei somit nicht geeignet und auch nicht erforderlich, zumal die
Behörden keine weiteren Anstrengungen betreffend den Vollzug der Wegweisung
unternommen hätten. Schliesslich werde auch die Verhältnismässigkeit im engeren
Sinne nicht gewahrt: Das öffentliche Interesse wiege nicht schwer, da er weder
renitent noch straffällig sei. Umgekehrt wirke die Einschränkung auf ihn
erheblich, zumal die Massnahme auf unbestimmte Zeit angeordnet worden sei und
ihn in der Ausübung seiner Religionsfreiheit hindere; eine wöchentliche
Ausnahmebewilligung für den Besuch der Gottesdienste in U.________ sei nicht
praktikabel.  
 
4.3.1. Der Auffassung des Beschwerdeführers, die Eingrenzung könne nur der
Vorbereitung und Durchführung der Ausschaffung dienen, kann nicht gefolgt
werden. Der rechtskräftig Weggewiesene ist primär verpflichtet, selbständig
auszureisen. Die Ausschaffung ist subsidiär zur freiwilligen Ausreise. Das
Bundesgericht hat mit dem vorne erwähnten Urteil 2C_287/2017 vom 13. November
2017 klargestellt, dass die Eingrenzung nach Art. 74 Abs. 1 lit. b AuG als
mildere Massnahme gegenüber der Durchsetzungshaft (Art. 78 AuG) auch und gerade
dann zulässig ist, wenn eine zwangsweise Ausschaffung nicht möglich ist, aber
der Betroffene die freiwillige Ausreise verweigert; die Eingrenzung ist eine
Massnahme, die indirekt darauf abzielt, den Betroffenen zur Einhaltung seiner
Rechtspflicht zu bewegen (a.a.O. E. 4). Dass eine zwangsweise Ausschaffung nach
Äthiopien zurzeit unmöglich ist, macht somit die Eingrenzung nicht
unverhältnismässig. Erst wenn auch eine freiwillige Ausreise objektiv nicht
möglich ist, wäre die Eingrenzung nicht zwecktauglich und daher unzulässig
(a.a.O., E. 2.3 und E. 4.8). Das wird aber vom Beschwerdeführer selber nicht
behauptet.  
 
4.3.2. Unzutreffend ist auch die Auffassung des Beschwerdeführers, gemäss der
Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG über gemeinsame Normen und
Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger
Drittstaatsangehöriger, für die Schweiz verbindlich aufgrund von Art. 2 Ziff. 1
des Bundesbeschlusses vom 18. Juni 2010 über die Genehmigung und die Umsetzung
des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EG betreffend die Übernahme
der EG-Rückführungsrichtlinie, in Kraft seit 1. Januar 2011, AS 2010 5925)
könnten Drittstaatsangehörige nur zur Vermeidung von Fluchtgefahr eingegrenzt
werden: Art. 7 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie mitsamt dem darin enthaltenen
Verweis auf die Vermeidung einer Fluchtgefahr bezieht sich einzig auf
Massnahmen  während der Dauer der Ausreisefrist, also auf einen Zeitraum, in
welchem die betroffene Person sich noch rechtmässig im Lande aufhält. Ist
hingegen - wie im Falle des Beschwerdeführers - die Ausreisefrist  verstrichen,
wird der Aufenthalt unrechtmässig und die Mitgliedstaaten sind verpflichtet,
alle erforderlichen Massnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung zu
ergreifen, wenn die betreffende Person nicht freiwillig ausgereist ist (Art. 8
Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie). Dafür ist Fluchtgefahr nicht vorausgesetzt
(zit. Urteil 2C_287/2017 E. 4.5.2).  
 
4.3.3. Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit ist je nach dem angestrebten
Ziel der Massnahme zu unterscheiden (vorne E. 2.3). Die Eingrenzung nach Art.
74 Abs. 1 lit. a AuG (entsprechend Art. 13e des früheren ANAG) betrifft
Personen, die sich rechtmässig in der Schweiz aufhalten, z. B. als Asylbewerber
während der Dauer des Asylverfahrens (Art. 42 AsylG) oder vorläufig
Aufgenommene (Art. 85 Abs. 5 AuG). Die Eingrenzung stellt für diese Personen
eine Einschränkung der grundsätzlich bestehenden Aufenthaltsberechtigung dar;
sie darf daher nicht weiter gehen als zur Verhinderung von Störung oder
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich ist. Die
Eingrenzung nach Art. 74 Abs. 1 lit. b AuG betrifft demgegenüber Personen,
deren Aufenthalt nach Ablauf der Ausreisefrist in der ganzen Schweiz ohnehin
schon rechtswidrig ist. Für diese Personen verbietet die Eingrenzung nichts,
was ihnen nicht ohnehin schon verboten ist (Art. 10 ff. und Art. 115 Abs. 1
lit. b AuG), sondern versieht lediglich dieses Verbot für den übrigen Teil des
Landes mit einer zusätzlichen und höheren Strafandrohung (Art. 119 Abs. 1 AuG;
BGE 142 II 1 E. 4.5; zit. Urteil 2C_287/2017 E. 5.3). Die
Verhältnismässigkeitsprüfung stellt sich in dieser Situation anders dar als
wenn ein grundsätzlich rechtmässiger Aufenthalt eingeschränkt wird. Es geht
darum, in Form eines indirekten Druckmittels den Betroffenen zu veranlassen,
seiner Rechtspflicht zur Ausreise nachzukommen, zumal ein grundsätzliches und
erhebliches rechtsstaatliches Interesse daran besteht, dass rechtskräftige
Entscheide befolgt und durchgesetzt werden. Das Erfordernis der
Verhältnismässigkeit einer (direkten oder indirekten) Vollstreckungsmassnahme
enthält nicht nur ein Übermass-, sondern auch ein Untermassverbot: Die
angeordnete Massnahme soll nicht weiter gehen als zur Erreichung des Ziels
erforderlich ist, aber auch nicht weniger weit: Es soll diejenige Massnahme
angeordnet werden, die das angestrebte Ziel (gerade noch) sicherstellt (JAAG/
HÄGGI FURRER, Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2016, Art.
42 Rz. 13; zit. Urteil 2C_287/2017 E. 5.3).  
 
4.3.4. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er freiwillig ausreisen
könnte und dass die äthiopischen Behörden ihm allenfalls notwendige
Reisepapiere ausstellen würden, wenn er mit ihnen kooperiere. Er bringt einzig
vor, er wolle nicht freiwillig die Schweiz verlassen. Gerade für solche Fälle,
in denen die zwangsweise Ausschaffung nicht möglich ist, ist die Eingrenzung
vorgesehen, um die Betroffenen zu veranlassen, ihrer Rechtspflicht zur Ausreise
nachzukommen. Die bisher gegenüber dem Beschwerdeführer getroffenen Massnahmen
(Ausreisegespräch) haben diesen offensichtlich nicht zur Ausreise bewogen. Das
mit der Eingrenzung verfolgte Ziel ist somit noch nicht erreicht, so dass die
Massnahme nicht über das Erforderlich hinausgeht. Sollte der Beschwerdeführer
der Wegweisungsverfügung trotz der Eingrenzung nicht nachkommen, so wäre diese
nicht aufzuheben, sondern im Gegenteil zu verschärfen, bis das angestrebte Ziel
erreicht wird.  
 
4.4. In Bezug auf die gerügte Beeinträchtigung seiner Religionsfreiheit
verkennt der Beschwerdeführer, dass ihm bereits durch die Wegweisung der
weitere Aufenthalt in der ganzen Schweiz rechtskräftig verboten wurde, mit
Einschluss der Orte, an denen sich äthiopisch-orthodoxe Kirchen befinden. Der
Wegweisungsentscheid ist rechtskräftig und kann im vorliegenden Verfahren nicht
in Frage gestellt werden, es sei denn, er wäre geradezu nichtig (BGE 130 II 56;
Urteil 2C_846/2017 vom 30. Oktober 2017 E. 4.2), was von jeder Behörde in jedem
Stadium zu beachten wäre (BGE 137 I 273 E. 3.1 S. 275; 132 II 342 E. 2.1 S.
346). Nichtigkeitsgründe werden vom Beschwerdeführer jedoch nicht geltend
gemacht und sind auch nicht ersichtlich. In Bezug auf den Besuch des
Gottesdienstes hat die Vorinstanz erwogen, den diesbezüglichen Interessen des
Beschwerdeführers könne mit entsprechenden Ausnahmen Rechnung getragen werden
(vorne E. 4.2). Damit genügt der angefochtene Entscheid in dieser Hinsicht der
in mehreren Urteilen entwickelten bundesgerichtlichen Praxis (vgl. vorne E.
2.2) und der Subeventualantrag auf Erweiterung des Eingrenzungsrayons auf
U.________ zwecks Besuchs des Gottesdienstes erweist sich als unbegründet.
Soweit der Subeventualantrag die Beschränkung der Massname auf ein Jahr
beantragt, ist er gegenstandslos: Die Vorinstanz wird darüber erst noch zu
befinden haben (vorne E. 3).  
 
5.  
Soweit die Beschwerde gutzuheissen ist (vorne E. 3), obsiegt der
Beschwerdeführer. Insoweit hat ihm der Kanton Aargau für das Verfahren vor
Bundesgericht eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG),
trägt aber keine Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 4 BGG). Soweit der
Beschwerdeführer unterliegt, wird er grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66
Abs. 1 BGG). Nachdem verschiedene kantonale Höchstgerichte die Auffassung
vertreten haben, die Eingrenzung sei bei Unmöglichkeit der Ausschaffung
unzulässig, kann die Beschwerde nicht als aussichtslos bezeichnet werden, so
dass das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gutzuheissen
ist (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Die Sache wird an das
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen zur Beurteilung des
Eventualbegehrens. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist. 
 
2.  
Der Kanton Aargau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- zu bezahlen. 
 
3.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen, soweit es nicht
gegenstandslos geworden ist, und es wird dem Beschwerdeführer Rechtsanwalt Urs
Ebnöther als Rechtsbeistand beigegeben. 
 
4.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
5.  
Rechtsanwalt Urs Ebnöther wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung
von Fr. 1'000.-- ausgerichtet. 
 
6.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau, 2. Kammer, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich
mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. März 2018 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein 

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