Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.397/2017
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

2C_397/2017

Urteil vom 9. Mai 2019

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Seiler, Präsident,

Bundesrichterin Aubry Girardin,

Bundesrichter Stadelmann,

Gerichtsschreiber Seiler.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

Beschwerdeführer,

vertreten durch Rechtsanwalt Beat Rüedi,

gegen

Steuerverwaltung des Kantons Thurgau.

Gegenstand

Verrechnungssteuer 2006,

Beschwerde gegen den Entscheid der Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau
vom 22. März 2017 (STRE.2016.63).

Sachverhalt:

A.

Mit Kaufvertrag vom 13. April 2000 verkaufte A.________ 25 eigene Aktien der
B.________ AG (heute: C.________ AG; nachfolgend: "C.________") an diese
Gesellschaft. Das Aktienkapital der C.________ betrug damals Fr. 1'250'000.--,
eingeteilt in 250 Namenaktien zu je Fr. 5'000.--. Einziges Mitglied des
Verwaltungsrats der C.________ war der Bruder von A.________, D.________.

Anlässlich einer periodischen Kontrolle der Jahresrechnungen stellte die
Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) fest, dass die C.________ die von
A.________ erworbenen 25 eigenen Aktien länger als sechs Jahre in ihrer
Jahresrechnung geführt hatte. Am 16. November 2010 teilte die ESTV der
C.________ deshalb mit, dass mit Ablauf dieser Frist am 13. April 2006 eine
Steuerforderung gemäss Art. 12 Abs. 1bis des Bundesgesetzes vom 13. Oktober
1965 über die Verrechnungssteuer (VStG; SR. 642.21) entstanden sei. Diese sei
30 Tage später, also am 13. Mai 2006 fällig geworden. Die C.________ habe
deshalb Verrechnungssteuer im Betrag von Fr. 404'250.-- (bzw. Fr. 621'923.--
bei fehlender Überwälzung auf den Leistungsempfänger) zu bezahlen. Am 1. Juni
2011 überwies die C.________ den Betrag von Fr. 620'000.-- an die ESTV zur
Unterbrechung der Zinspflicht und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.

Am 7. November 2012 verfügte die ESTV, dass die C.________ Verrechnungssteuer
im vorstehend genannten Umfang zuzüglich Verzugszins von 5 % bis zum Tag der
Entrichtung der Steuer schulde. Diese Verfügung wurde vom Bundesgericht am 9.
Juni 2015 letztinstanzlich geschützt (Urteil 2C_928/2014 vom 9. Juni 2015, in:
StR 71/2016 S. 700).

B.

Am 21. August 2015 beantragte D.________ im Namen von A.________ (nachfolgend:
Beschwerdeführer) bei der Kantonalen Steuerverwaltung Thurgau Rückerstattung
der Verrechnungssteuer im Betrag von Fr. 404'250.--. Diese wies den
Rückerstattungsantrag mit Entscheid vom 8. September 2015 ab. Die dagegen
erhobene Einsprache blieb erfolglos, ebenso wie die Beschwerde gegen den
Einspracheentscheid, welche die Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau mit
Entscheid vom 22. März 2017 abwies.

C.

Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 27. April 2017
beantragt der Beschwerdeführer Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und
Rückerstattung der von der C.________ abgelieferten Verrechnungssteuer in Höhe
von Fr. 404'250.-- zuzüglich Zinsen.

Die Vorinstanz und die ESTV haben sich vernehmen lassen und beantragen
Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wurde unter
Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG)
eingereicht. Angefochten ist ein Urteil der Steuerrekurskommission des Kantons
Thurgau, die als kantonale Rekurskommission im Sinne von Art. 54 VStG
entschieden hat. Dagegen steht nach Art. 56 VStG in Verbindung mit Art. 86 Abs.
2 BGG die Beschwerde beim Bundesgericht offen. Der Beschwerdeführer ist nach
Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist
einzutreten.

1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.

2.1. Nach Ablauf der Referendumsfrist am 17. Januar 2019 ist die Änderung des
VStG vom 28. September 2018 (AS 2019 433) rückwirkend auf den 1. Januar 2019 in
Kraft getreten. Im Rahmen dieser Änderung wurde unter anderem Art. 23 Abs. 2
VStG in das Gesetz eingefügt. Die Bestimmung findet nach Art. 70d VStG
Anwendung auf Ansprüche, die seit dem 1. Januar 2014 entstanden sind und über
die am 1. Januar 2019 noch nicht rechtskräftig entschieden worden war.

2.2. Der Rückerstattungsanspruch entsteht im Zeitpunkt der Entstehung der
Steuerforderung (MAJA BAUER-BALMELLI, in: Kommentar zum Schweizerischen
Steuerrecht, VStG, 2. Aufl. 2012, N. 6 zu Art. 21 VStG). Vorliegend ist die
Verrechnungssteuerforderung am 13. April 2006 entstanden (Urteil 2C_928/2014
vom 9. Juni 2015 E. 7, in: StR 71/2016 S. 700). Es findet somit das alte Recht
Anwendung.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass ihm die Vorinstanz zu Unrecht
Fahrlässigkeit vorgeworfen habe und sein Rückerstattungsanspruch folglich
entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht nach Art. 23 aVStG verwirkt sei.

3.2. Die Vorinstanz hat die bundesgerichtliche Praxis zu Art. 23 aVStG
zutreffend wiedergegeben. Danach verwirkt der Rückerstattungsanspruch, wenn der
rückerstattungsberechtigte Steuerpflichtige mit der Verrechnungssteuer
belastete Einkünfte nicht in der nächsten Steuererklärung nach Fälligkeit der
Leistung deklariert oder die Selbstdeklaration nicht wenigstens so frühzeitig
mit korrekten Angaben ergänzt, dass die Einkünfte noch vor der Rechtskraft der
Veranlagung berücksichtigt werden können (BGE 113 Ib 128 E. 2.b S. 130; Urteile
2C_1083/2014 vom 20. November 2015 E. 2.2; 2C_85/2015 vom 16. September 2015 E.
2.2; 2C_172/2015 vom 27. August 2015 E. 4.1; 2C_949/2014 vom 24. April 2015 E.
3.1; je mit Hinweisen).

3.3. Der Beschwerdeführer hat die steuerbare Leistung nicht vor der Rechtskraft
der Veranlagung deklariert. Er macht jedoch geltend, dass er sämtliche
zumutbaren Vorsichtsmassnahmen getroffen habe, um eine rechtzeitige Deklaration
zu ermöglichen, sodass ihm deren Ausbleiben nicht zum Nachteil gereichen dürfe.
Überhaupt sei ihm die Deklaration wegen der Besonderheit des Steuertatbestands
von Art. 4a VStG gar nicht möglich gewesen.

3.4. Das Bundesgericht konnte bislang offenlassen, ob die Verwirkung des
Rückerstattungsanspruchs nach Art. 23 aVStG überhaupt ein Verschulden seitens
des Rückerstattungsberechtigten voraussetzt. In den beurteilten Fällen war den
Rückerstattungsberechtigten nämlich stets zumindest leichte Fahrlässigkeit
vorzuwerfen (vgl. Urteile 2C_85/2015 vom 16. September 2015 E. 2.5 und 3.4;
2C_172/2015 vom 27. August 2015 E. 4.2, in: RDAF 2015 II S. 495, StR 70/2015 S.
1000; 2C_95/2011 vom 11. Oktober 2011 E. 2.1, in: ASA 81 S. 71, RDAF 2012 II S.
72, StR 66/2011 S. 963; je mit Hinweisen). Fahrlässig handelt, wer die Folge
seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder
darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn
jemand die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach
seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist. Unter persönlichen
Verhältnissen versteht man etwa die Ausbildung, die intellektuellen Fähigkeiten
sowie die berufliche Erfahrung einer Person (BGE 135 II 86 E. 4.3 S. 91;
Urteile 2C_214/2014 vom 7. August 2014 E. 3.7.5, in: StE 2014 B 101.2 Nr. 27;
2C_851/2011 vom 15. August 2012 E. 2.3, in: StR 67/2012 S. 759).

3.5. Der Beschwerdeführer ging mit dem Verkauf der Aktien an die C.________ das
Risiko ein, dass diese die Aktien nicht innert der Frist von sechs Jahren
gemäss Art. 4a Abs. 2 VStG verkaufen werden würde und er deshalb im Zeitpunkt
des Ablaufs dieser Frist auf der Differenz zwischen Veräusserungserlös und
anteiligem Nennwert steuerbaren und deklarationspflichtigen Vermögensertrag
erzielen würde (vgl. Art. 20 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die
direkte Bundessteuer [DBG; SR 642.11], i.d.F. bis zum 31. Dezember 2010). Wie
die Vorinstanz in für das Bundesgericht verbindlicher Weise (Art. 105 Abs. 1
BGG; vgl. BGE 137 II 222 E. 7.4 S. 230) feststellte, war sich der
Beschwerdeführer dieses Risikos bewusst. Anders hätte sich nämlich nicht
erklären lassen, weshalb er sich von seinem Bruder als einzigem Mitglied des
Verwaltungsrats der C.________ in der Vereinbarung vom 25./ 26. März 2002
ausdrücklich hatte zusichern lassen, dass dieser die Aktien fristgerecht
veräussern werden würde.

3.6. Die Vorinstanz hat zwar nicht in Frage gestellt, dass der Beschwerdeführer
Kenntnis des Kaufvertrags zwischen der C.________ und der E.________ AG vom 28.
März 2002 über die Weiterveräusserung der Aktien hatte. Entgegen der Ansicht
des Beschwerdeführers hätten auch einem juristischen Laien aber Zweifel
verbleiben müssen, ob dieses Dokument sein Risiko völlig entschärft hatte. Aus
diesem Dokument ging nämlich unmissverständlich hervor, dass die Übertragung
der Aktien erst noch vollzogen werden musste, wofür der Kaufvertrag Frist bis
Ende 2005 ansetzte. Folglich hätte vom Beschwerdeführer erwartet werden dürfen,
sich vor Ablauf der Frist von sechs Jahren bzw. im Rahmen der Bearbeitung der
Steuererklärung für das Jahr des Fristablaufs zu vergewissern, dass der Vollzug
des Kaufvertrags tatsächlich stattgefunden hatte. Falls er sich mangels
Fachkenntnissen dazu nicht im Stande gesehen haben sollte, wäre es dem
Beschwerdeführer gerade angesichts der gravierenden Steuerfolgen einer
Teilliquidation nach Art. 4a Abs. 2 VStG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 lit.
c DBG und § 22 Abs. 1 Ziff. 4 des Gesetzes über die Staats- und Gemeindesteuern
des Kantons Thurgau (StG/TG; RB 640.1) zumutbar gewesen, einen Steuerberater
beizuziehen. Statt diese Abklärungen selbst zu unternehmen oder von einem
Steuerberater durchführen zu lassen, hätte der Beschwerdeführer den Sachverhalt
auch in seiner Steuererklärung offenlegen und die Würdigung den Steuerbehörden
überlassen können, worauf die Vorinstanz zu Recht hingewiesen hat. Der
Beschwerdeführer tat nun aber weder das Eine noch das Andere, sondern ging
direkt von einem steuerfreien Kapitalgewinn aus. Dieses Verhalten erscheint
zumindest als leicht fahrlässig.

3.7. Nichts zu seinen Gunsten ableiten kann der Beschwerdeführer aus der von
ihm zitierten Literaturstelle (JULIA VON AH, in: Kommentar zum Schweizerischen
Steuerrecht, VStG, 2. Aufl. 2012, N. 58 zu Art. 4a VStG). Die Auffassung dieser
Autorin, wonach der Veräusserer seine Deklarationspflicht im Zeitpunkt des
Fristablaufs "systembedingt" nicht erfüllen könne, trifft jedenfalls in
überschaubaren Verhältnissen nicht zu, wie der vorliegende Fall exemplarisch
zeigt: Es wäre dem Beschwerdeführer durchaus möglich gewesen, sich im Rahmen
der Bearbeitung seiner Steuererklärung für die Steuerperiode 2005 bei seinem
Bruder zu erkundigen, ob die Aktien fristgerecht wiederveräussert worden waren.
Überhaupt scheint aber auch diese Autorin davon auszugehen, dass Art. 23 aVStG
geändert werden musste, um Veräusserer wie den Beschwerdeführer vor der
Verwirkung ihrer Rückerstattungsansprüche zu bewahren. Diese Gesetzesänderung
ist denn mittlerweile auch tatsächlich vorgenommen worden, doch findet sie für
den vorliegenden Fall keine Anwendung (vgl. oben E. 2.2).

3.8. Da dem Beschwerdeführer zumindest leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist,
ist sein Rückerstattungsanspruch nach Art. 23 aVStG verwirkt. Wie auch der
Beschwerdeführer anerkennt, ist Art. 32 Abs. 2 VStG für nach Art. 23 aVStG
verwirkte Rückerstattungsansprüche ohne Bedeutung. Darauf braucht folglich
nicht weiter eingegangen zu werden.

4.

Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem
Verfahrensausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Kanton Thurgau als
obsiegender Partei steht nach Art. 68 Abs. 3 BGG keine Parteientschädigung zu.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Die Gerichtskosten von Fr. 8'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.

Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, der Steuerrekurskommission des
Kantons Thurgau und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 9. Mai 2019

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Seiler