Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.110/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_110/2017

Urteil vom 15. Februar 2017

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiber Kocher.

Verfahrensbeteiligte
A.________AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Ivo Würsch,
Beschwerdeführerin,

gegen

Einwohnergemeinde Ruswil,
vertreten durch den Gemeinderat Ruswil.

Gegenstand
Reglement über Parkplatzgebühren; Erlassprüfung,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 13. Dezember 2016.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Stimmberechtigten der Einwohnergemeinde Ruswil/LU verabschiedeten in
der Volksabstimmung vom 15. November 2015 das Gesamtprojekt "Parkhaus
Märtplatz". Die Vorlage umfasste unter anderem die Einräumung eines
selbständigen und dauernden Baurechts für den Bau und Betrieb eines
unterirdischen Parkhauses. In einer weiteren Volksabstimmung vom 5. Juni 2016
passierte alsdann das kommunale Reglement vom 13. April 2016 über die
Parkplatzgebühren, dies mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 58,43 Prozent. Der
Regierungsrat des Kantons Luzern genehmigte das Reglement mit Entscheid vom 5.
Juli 2016 (RRE Nr. 747), worauf dieses im amtlichen Publikationsorgan des
Kantons Luzern veröffentlicht wurde (Kantonsblatt Nr. 28 vom 16. Juli 2016, S.
2135).

1.2.
Die A.________AG mit Sitz in Ruswil/LU bezweckt statutengemäss den Betrieb
einer Metzgerei mit Fleischversand. Bei Publikation des streitbetroffenen
Reglements vom 13. April 2016 setzte sich der Verwaltungsrat aus B.________,
Präsident mit Einzelunterschrift, C.________ und D.________ zusammen, die beide
über Kollektivunterschrift zu zweien verfügten. Mit gemeinsamer Eingabe vom 1.
Juli 2016 ersuchten B.________ und die A.________AG das Kantonsgericht des
Kantons Luzern um verwaltungsgerichtliche Prüfung des Reglements vom 13. April
2016 und der kommunalen Verordnung der Gemeinde Ruswil vom 13. April 2016 über
die Parkplatzgebühren, wie sie in § 188 ff. des Gesetzes des (Kantons Luzern)
vom 3. Juli 1972 über die Verwaltungsrechtspflege (VRG/LU; SRL 40) vorgesehen
ist. Sie ersuchten um vollständige Aufhebung der beiden Erlasse, eventualiter
um Aufhebung der verfassungs- bzw. gesetzwidrigen Bestimmungen.

1.3. Am 22. Juli 2016 beschloss der Verwaltungsrat der A.________AG mit den
Stimmen von C.________ und D.________, die Eingabe vom 1. Juli 2016
unwiderruflich zurückzuziehen und den bisherigen Rechtsvertreter mit sofortiger
Wirkung seiner Aufgabe zu entheben. Tags darauf wandten C.________ und
D.________ sich an das Kantonsgericht. In ihrer Eingabe distanzierten sie sich
vom Gesuch vom 1. Juli 2016 und erklärten sie, der Prüfungsantrag werde einzig
von B.________ getragen.

1.4. Auf Anfrage des Kantonsgerichts führte der Rechtsvertreter von B.________
aus, C.________ und D.________ seien an einer ausserordentlichen
Generalversammlung der A.________AG vom 25. Juli 2016 abgewählt worden.
B.________ als Verwaltungspräsident mit Einzelunterschrift halte am
Prüfungsantrag fest. Am 14. Oktober 2016 ergänzte der Rechtsvertreter die
bisherigen Ausführungen dahingehend, C.________ und D.________ seien dafür
besorgt gewesen, den Rückzug in der Verwaltungsratssitzung vom 22. Juli 2016 zu
traktandieren und der sich abzeichnenden Abwahl zuvorzukommen. Ihr Vorgehen sei
rechtsmissbräuchlich, treuwidrig und verdiene keinen Schutz.

1.5. Mit Entscheid 7R 16 1 vom 13. Dezember 2016 erklärte das Kantonsgericht
des Kantons Luzern den Prüfungsantrag der A.________AG "zufolge Rückzugs" als
erledigt und wies es den Prüfungsantrag von B.________ ab.

1.6. Mit separaten Eingaben vom 30. Januar 2017 erheben B.________ (Verfahren
2C_109/2017) und die A.________AG (Verfahren 2C_110/2017) beim Bundesgericht
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragen, das
angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Abteilungspräsident als Instruktionsrichter (Art. 32 Abs. 1 BGG [SR
173.110]) hat von Instruktionsmassnahmen abgesehen.

2.

2.1. Aufgrund des gesonderten Streitgegenstandes sind die Verfahren 2C_109/2017
und 2C_110/2017 getrennt zu beurteilen und daher nicht zu vereinigen.

2.2. Die Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten sind gegeben (Art. 82 lit. b, Art. 87 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 90, Art. 100 Abs. 1,
Art. 42 BGG).

2.3. Das Bundesrecht prüft das Bundesrecht von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1
BGG; BGE 142 I 155 E. 4.4.5 S. 157) und mit uneingeschränkter (voller)
Kognition (Art. 95 lit. a BGG; BGE 141 V 234 E. 2 S. 236).

2.4. Von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen, kann das Bundesgericht die
Auslegung und Anwendung kantonalen (und kommunalen) Verfassungs-, Gesetzes-
oder Verordnungsrechts nicht als solche prüfen, sondern lediglich daraufhin, ob
dadurch Bundes-, Völker- oder interkantonales Recht verletzt wird (Art. 95 lit.
a, b und e BGG; BGE 142 II 369 E. 2.1 S. 372). Dazu gehört insbesondere die
willkürliche Anwendung kantonalen Rechts (Art. 9 BV; BGE 141 IV 317 E. 5.4 S.
324).

2.5. Die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten (einschliesslich der
Grundrechte) und von kantonalem oder kommunalem und interkantonalem Recht prüft
das Bundesgericht in jedem Fall nur, falls eine solche Rüge in der Beschwerde
überhaupt vorgebracht und ausreichend begründet worden ist (qualifizierte Rüge-
und Begründungsobliegenheit gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142 I 99 E. 1.7.2
S. 106).

2.6. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 142 I 155 E. 4.4.3 S.
156). Es kann die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nur berichtigen
oder ergänzen, soweit sie offensichtlich unrichtig - das heisst willkürlich -
sind oder auf einer anderen Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen
(Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 142 V 2 E. 2 S. 5).

3.

3.1. Mit dem Rückzug eines Rechtsmittels oder eines Rechtsbehelfs entfällt das
Rechtsschutzinteresse, weshalb das Verfahren gegenstandslos wird und das
Gericht einen Abschreibungsbeschluss zu fällen hat (zum Ganzen REGINA KIENER/
BERNHARD RÜTSCHE/MATHIAS KUHN, Öffentliches Verfahrensrecht, 2. Aufl., 2015, N.
790 ff.). Abschreibungsbeschlüsse können mit den ordentlichen Rechtsmitteln
angefochten werden (MARKUS MÜLLER, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar
zum VwVG, 2008, N. 60 zu Art. 5 VwVG; KIENER/RÜTSCHE/ KUHN, a. a. O., N. 793).

3.2. Bei der behördlichen Pflicht, das Verfahren bei entfallenem
Rechtsschutzinteresse abzuschreiben, handelt es sich um ein allgemeines
verfahrensrechtliches Prinzip. Im hier massgebenden Verwaltungsverfahrensgesetz
des Kantons Luzern findet dieses seine Grundlage in § 109 VRG/LU. Danach gilt:
"Wenn im Verlaufe des Verfahrens das rechtserhebliche Interesse an einem
Sachentscheid wegfällt, namentlich infolge Rückzuges der Parteibegehren,
erklärt die Behörde das Verfahren als erledigt."

3.3. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, das VRG/LU sehe einen anderen
Lösungsansatz vor, den die Vorinstanz willkürlich ausser Acht gelassen habe.
Streitig und zu prüfen ist daher lediglich, ob die Vorinstanz haltbar
angenommen hat, die Beschwerdeführerin habe das am 1. Juli 2016 gestellte
Gesuch um verwaltungsgerichtliche Prüfung der beiden Erlasse rechtsgültig
zurückgezogen. Ausgangspunkt bilden dabei die bundesrechtlichen Bestimmungen
zur Aktiengesellschaft (Art. 620 ff. OR [SR 220]).

3.4. Die Vorinstanz hat die gesellschaftsrechtliche Rechtslage treffend
dargestellt. Der Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft, der aus einem oder
mehreren Mitgliedern besteht (Art. 707 Abs. 1 OR), fasst seine Beschlüsse mit
der Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Art. 713 Abs. 1 Satz 1 OR). Er kann in
allen Angelegenheiten beschliessen, die nicht nach Gesetz oder Statuten der
Generalversammlung zugeteilt sind (Art. 716 Abs. 1 OR). Der Verwaltungsrat
führt die Geschäfte der Gesellschaft, soweit er die Geschäftsführung nicht
übertragen hat (Art. 716 Abs. 2 OR). Vor diesem Hintergrund erwägt die
Vorinstanz, dass der Rückzug des Prüfungsersuchens mit der Mehrheit des
dreiköpfigen Verwaltungsrats gefasst worden sei (dies gemäss Protokoll der
Sitzung des Verwaltungsrats vom 22. Juli 2016), dass dies dem Kantonsgericht
mit Schreiben vom 23. Juli 2016 mitgeteilt worden sei und dass die Abwahl der
beiden Mitglieder (erst) am 25. Juli 2016 erfolgt sei (so das Protokoll der
ausserordentlichen Generalversammlung). Damit sei der Entscheid rechtsgültig
zustande gekommen. Die nahe zeitliche Abfolge begründe keinen Rechtsmissbrauch
(Art. 2 Abs. 2 ZGB), einen solchen hätten der Verwaltungsrat und die
Gesellschaft auch gar nicht vorgebracht.

3.5. Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, mit der Traktandierung im
Hinblick auf die ausserordentliche Generalversammlung vom 25. Juli 2016 sei die
Kompetenz zur Behandlung des Geschäfts vom Verwaltungsrat auf die
Generalversammlung übergegangen. Die beiden Mitglieder hätten dem
Verwaltungsrat ohnehin nur einen "Denkzettel" verpassen wollen, sie hätten aus
egoistischen, rein persönlichen, keineswegs "geschäftlichen und
wirtschaftlichen Interessen" der Beschwerdeführerin gehandelt, dabei auf
Freundschaften Rücksicht genommen und die Aktien bald nach der Abwahl dem
Präsidenten zum Kauf angeboten. Dadurch hätten sie gegen die gesetzliche
Sorgfalts- und Treuepflicht (Art. 717 OR) verstossen.

3.6. Die Entscheidfindung darüber, ob ein Rechtsmittel oder ein Rechtsbehelf zu
ergreifen sei, gehört regelmässig dem operativen Bereich an und fällt damit in
die Zuständigkeit des Verwaltungsrates (Art. 716 Abs. 2 OR). Einen
Einzelbeschluss, mit welchem die Generalversammlung sich in den
Kompetenzbereich des Verwaltungsrates einmischt, könnte dieser mit Klage gegen
die Gesellschaft anfechten (Art. 706 Abs. 1 OR; PETER BÖCKLI, Schweizer
Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 13 N. 301). Anders könnte es sich etwa verhalten,
falls die Statuten eine Kompetenzattraktion (ROLF WATTER/KATJA ROTH PELLANDA,
Basler Kommentar, OR II, 5. Aufl. 2016, N. 4 zu Art. 716 OR) oder einen
Genehmigungsvorbehalt zugunsten der Generalversammlung vorsähen (ERIC
HOMBURGER, Zürcher Kommentar, Band V/5b, Der Verwaltungsrat, 1997, N. 517 ff.
zu Art. 716a OR). Mit Blick auf die vorinstanzlichen Feststellungen scheint
keines von beidem zuzutreffen. Wenn es sich bei der Beschlussfassung über
Erhebung und Rückzug eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs auch nicht geradezu
um eine unübertragbare und unentziehbaren Aufgaben des Verwaltungsrats (Art.
716a Abs. 1 Ziff. 1 OR) handelt, so bleibt es hier doch bei der Zuständigkeit
des Verwaltungsrates. Die blosse Traktandierung im Hinblick auf eine
ausserordentliche Generalversammlung vermag daran nichts zu ändern, liegt das
Geschäft kompetenzgemäss doch in den Händen des Verwaltungsrates und kann es
ihm durch blossen Beschluss - geschweige denn durch die Einladung - der
Generalversammlung nicht entzogen werden.

3.7. Für eine Pflicht, die getroffenen Beschlüsse des Verwaltungsrates auf
offiziellem Briefpapier festzuhalten, fehlt jede gesetzliche oder statutarische
Grundlage. Gesetzlich vorgesehen ist einzig, dass ein verwaltungsrätlicher
Beschluss zu protokollieren und ordnungsgemäss zu unterzeichnen ist (Art. 713
Abs. 3 OR). Dies ist nach den für das Bundesgericht verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz der Fall. Darüber, in welcher Weise Beschlüsse
des Verwaltungsrates kundzutun sind, schweigt sich das Gesetz aus. Dies ist ein
Aspekt der Geschäftsführung und damit Sache des Verwaltungsrates. Wenn dessen
Mehrheit findet, blankes Briefpapier sei den Umständen angemessen, ist dies
aktienrechtlich nicht zu beanstanden. Entsprechend ist es nicht willkürlich,
daraus den Schluss zu ziehen, die Gesellschaft habe den Prüfungsantrag vom 1.
Juli 2016 ordnungsgemäss zurückgezogen.

3.8. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet, weshalb sie abzuweisen ist.
Für alles weitere kann auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Art.
109 Abs. 2 lit. a BGG).

4.
Nach dem Unterliegerprinzip sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens
der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 65 i. V. m. Art. 66 Abs. 1 Satz 1
BGG). Der Einwohnergemeinde Ruswil/LU, die in ihrem amtlichen Wirkungskreis
obsiegt, ist keine Entschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 2'000.-- werden der
Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Kantonsgericht Luzern
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. Februar 2017

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Kocher

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