Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.1036/2017
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

2C_1036/2017

Urteil vom 10. März 2019

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Zünd, präsidierendes Mitglied,

Bundesrichterin Aubry Girardin,

Bundesrichter Stadelmann,

Gerichtsschreiberin Genner.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

Beschwerdeführer,

vertreten durch Rechtsanwalt Angelo Fedi,

gegen

Steuerverwaltung des Kantons Thurgau.

Gegenstand

Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Thurgau 2015 - Steuerdomizil,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 25.
Oktober 2017 (VG.2017.74/E).

Sachverhalt:

A.

A.________ (geb. 1958) wohnte bei seinen Eltern in U.________/TG. Die
Geschäftstätigkeit in seiner Aktiengesellschaft gab er anscheinend im Jahr 2014
auf; die Firma wurde im Handelsregister gelöscht. Im Januar 2015 gewann
A.________ eine Million Franken im Lotto. Im September 2015 meldete er sich in
U.________ ab und verlegte seinen Wohnsitz nach V.________/SZ, wo er als
Untermieter ein möbliertes Zimmer mietete.

B.

Die Steuerverwaltung des Kantons Thurgau ordnete am 15. Januar 2016 an, dass
A.________ für das Jahr 2015 in der Gemeinde U.________ steuerpflichtig sei.
Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 17. März 2016 fest. Die dagegen
erhobenen kantonalen Rechtsmittel blieben erfolglos (Entscheid der
Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau vom 21. April 2017; Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 25. Oktober 2017).

C.

A.________ erhebt am 6. Dezember 2017 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten beim Bundesgericht mit den Anträgen, das angefochtene Urteil
aufzuheben und festzustellen, dass er in der Steuerperiode 2015 keinen
steuerrechtlichen Wohnsitz in U.________ bzw. im Kanton Thurgau habe und dort
nicht steuerpflichtig sei. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das
Verwaltungsgericht zurückzuweisen.

Das Verwaltungsgericht und die Steuerverwaltung schliessen auf Abweisung der
Beschwerde. Die Steuerverwaltung des Kantons Schwyz hat sich nicht vernehmen
lassen.

Erwägungen:

1.

1.1. Das angefochtene Urteil hat einen kantonalen Feststellungsentscheid
betreffend Steuerdomizil zum Gegenstand (vgl. dazu BGE 137 I 273 E. 3.3.2).
Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen
(Art. 82 lit. a BGG, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 86 Abs. 2 BGG, Art. 90 BGG,
Art. 73 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung
der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642.14]). Der
Beschwerdeführer ist als Steuerpflichtiger zur Erhebung des Rechtsmittels
legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG, Art. 73 Abs. 2 StHG). Auf die frist- (Art. 100
Abs. 1 BGG) und formgerecht (Art. 42 BGG) eingereichte Beschwerde ist
einzutreten.

1.2.

1.2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann
insbesondere die Verletzung von Bundes- und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95
lit. a und b BGG). Das Bundesgericht wendet das (Bundes-) Recht von Amtes wegen
an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den von der Vorinstanz
festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich
unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2). Die
beschwerdeführende Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den
gleichen Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den
Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).

1.2.2. Die Sachverhaltsfeststellung oder Beweiswürdigung einer Verwaltungs-
oder Gerichtsbehörde ist (nur) als willkürlich zu qualifizieren, wenn die
Behörde den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt
hat, wenn sie ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches
Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn sie auf Grundlage der
festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 144 V
50 E. 4.2 S. 53; 142 II 433 E. 4.4 S. 444; 137 III 226 E. 4.2 S. 234; 136 III
552 E. 4.2 S. 560).

1.3. Das Bundesgericht prüft die Anwendung des harmonisierten kantonalen
Steuerrechts durch die kantonalen Instanzen gleich wie Bundesrecht mit freier
Kognition. In den Bereichen, in denen das Steuerharmonisierungsgesetz den
Kantonen einen gewissen Gestaltungsspielraum belässt oder keine Anwendung
findet, beschränkt sich die Kognition des Bundesgerichts auf Willkür (BGE 134
II 207 E. 2 S. 210; Urteil 2C_837/2014 vom 23. Februar 2015 E. 2.2).

Die hier massgeblichen, in Art. 3 Abs. 1 und 2 StHG niedergelegten Vorschriften
zur Steuerpflicht aufgrund persönlicher Zugehörigkeit lassen den Kantonen
keinen Gestaltungsspielraum. Das Bundesgericht hat somit die Anwendung der
entsprechenden kantonalen Vorschriften mit voller Kognition zu überprüfen.

2.

2.1. In § 7 Abs. 1 und 2 des Steuergesetzes des Kantons Thurgau vom 14.
September 1992 (StG/TG; RB 640.1) ist die Steuerpflicht natürlicher Personen
aufgrund persönlicher Zugehörigkeit wie folgt umschrieben:

1 Natürliche Personen sind unbeschränkt steuerpflichtig, wenn sie im Kanton
ihren steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt haben.

2 Steuerrechtlichen Wohnsitz hat, wer sich mit der Absicht dauernden
Verbleibens hier aufhält oder nach Bundesrecht einen besonderen gesetzlichen
Wohnsitz hat.

Diese Regeln entsprechen Art. 3 Abs. 1 (erste Variante) und Abs. 2 StHG sowie
Art. 3 Abs. 1 und 2 DBG (SR 642.11).

Die Steuerpflicht beginnt mit dem Tag, an dem der Steuerpflichtige im Kanton
steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt nimmt oder im Kanton steuerbare
Werte erwirbt (§ 11 Abs. 1 StG/TG). Die Steuerpflicht endet mit dem Tod, dem
Wegzug des Steuerpflichtigen oder mit dem Wegfall der im Kanton steuerbaren
Werte (§ 10 Abs. 2 StG/TG). Diese Bestimmungen entsprechen Art. 8 Abs. 1 und 2
DBG.

Aufgrund dieser Übereinstimmungen kann für die Auslegung der kantonalen Normen
auf die entsprechenden Bestimmungen des DBG und die dazu entwickelte
Rechtsprechung und Lehre abgestellt werden (Urteil 2C_374/2014 vom 30. Juli
2015 E. 1.2).

2.2. Da niemand an mehreren Orten zugleich Wohnsitz haben kann, bleibt der
einmal begründete Wohnsitz grundsätzlich bis zum Erwerb eines neuen bestehen
("rémanence du domicile"). Nicht entscheidend ist deshalb, wann sich der
Steuerpflichtige am bisherigen Wohnort abgemeldet oder diesen verlassen hat
(Urteil 2C_1107/2014 vom 14. September 2015 E. 4.2; BGE 138 II 300 E. 3.3 S.
306).

2.3. Die Veranlagungsbehörde trägt grundsätzlich die Beweislast für die
steuerbegründenden und -erhöhenden, die steuerpflichtige Person jene für die
steueraufhebenden und -mindernden Tatsachen (BGE 140 II 248 E. 3.5 S. 252).
Demgemäss ist der steuerrechtliche (Wohn-) Sitz als steuerbegründende Tatsache
grundsätzlich von der Steuerbehörde nachzuweisen. Erscheint aber der von der
Steuerbehörde angenommene Sitz bzw. Ort der tatsächlichen Geschäftsführung im
Kanton als sehr wahrscheinlich, genügt dies in der Regel als Hauptbeweis und
der steuerpflichtigen Person obliegt es, den Gegenbeweis für den von ihr
behaupteten Sitz ausserhalb des Kantons zu erbringen (Urteile 2C_848/2017 vom
7. September 2018 E. 3.3, 2C_431/2014 vom 4. Dezember 2014 E. 2.1). Dass eine
Wohnsitzverlegung stattgefunden hat, ist somit von der steuerpflichtigen Person
darzulegen. Dazu gehört nicht nur die endgültige Lösung der Verbindungen zum
bisherigen Wohnsitz, sondern auch die Darstellung der Umstände, welche zur
Begründung des neuen Wohnsitzes geführt haben (BGE 138 II 300 E. 3.4 S. 307).
Wird der Nachweis der Wohnsitzverlegung nicht erbracht, besteht das bisherige
Domizil fort (Urteile 2C_873/2014 vom 8. November 2015 E. 3.3; 2C_793/2013 vom
7. Mai 2014 E. 4.4, in: StE 2014 A 24.21 29; 2C_1267/2012 vom 1. Juli 2013 E.
3.4, in: ASA 82 S. 72 mit Hinweisen).

3.

3.1. Der Beschwerdeführer gibt an, er habe aufgrund prekärer finanzieller
Verhältnisse (über seine Unternehmen habe zweimal der Konkurs eröffnet werden
müssen) bis 2010 bei seinen Eltern in U.________ und ab 2011 zur Untermiete
"bei einer engen Freundin" (B.________) in U.________ gewohnt. Dabei habe es
sich um eine "schlichte Wohngemeinschaft" gehandelt. Im Januar 2015 habe er im
Lotto eine Million Franken gewonnen. Am 16. August 2015 sei er nach V.________
gezogen und habe sich im September 2015 in U.________ abgemeldet.

3.2. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hatte der Beschwerdeführer in einem
an die Steuerverwaltung gerichteten Schreiben vom 18. Dezember 2015 B.________
als seine feste Partnerin bezeichnet. Es ist nicht willkürlich, wenn die
Vorinstanz diese Angabe als wahr erachtete und späteren Behauptungen des
Beschwerdeführers, B.________ sei nur eine enge Freundin, keinen Glauben
schenkte. Die Vorinstanz stützt ihre Annahme zudem auf die Tatsache, dass in
der Todesanzeige der im Januar 2016 verstorbenen Mutter des Beschwerdeführers
der Name von B.________ ausdrücklich zusammen mit jenem des Beschwerdeführers
genannt wurde. Dies wäre - so die Vorinstanz - bei einer reinen WG-Partnerin
eher unüblich. Der Beschwerdeführer vermag diese Erwägungen nicht zu
entkräften. Dass die Vorinstanz seinem Beweisantrag, B.________ zu befragen,
nicht stattgegeben hat, stellt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, da
bei dieser Sachlage von einer derartigen Befragung keine verwertbaren
Erkenntnisse zu erwarten waren (zur antizipierten Beweiswürdigung vgl. BGE 144
V 361 E. 6.5; 141 I 60 E. 3.3 S. 64; 136 I 229 E. 5.3 S. 236; 134 I 140 E. 5.3
S. 148).

3.3. Das Gleiche gilt für die Befragung von D.C.________ und dessen Bruder
E.C.________, welche der Beschwerdeführer als langjährige Freunde bezeichnet
und deretwegen er nach V.________ umgezogen sein will. Nachdem der
Beschwerdeführer die Beweggründe des Wohnungswechsels nicht darlegte, durfte
die Vorinstanz auch hier in antizipierter Beweiswürdigung auf eine Befragung
verzichten (vgl. E. 3.2).

3.4. Auch die Absicht, ein Einfamilienhaus zu erwerben, vermochte der
Beschwerdeführer nicht zu belegen; zudem fehlt es an einer Erklärung, warum es
dazu eines Wohnsitzwechsels bedurfte. Die Vorinstanz hat in diesem Zusammenhang
zu Recht erwogen, es mute aussergewöhnlich an, dass ein Lottomillionär mit
Jahrgang 1958 sich mit einem Zimmer in WG-ähnlichen Verhältnissen begnüge.

3.5. Schliesslich dürfte auch das angespannte Verhältnis des Beschwerdeführers
zu seiner in U.________ wohnhaften Ex-Ehefrau und den Kindern kaum den Anlass
gegeben haben, Wohnsitz in V.________ zu nehmen, zumal die Spannungen schon
seit Jahren andauerten, wie der Beschwerdeführer selbst angibt.

3.6. Berechtigt ist indessen die Rüge, wonach in der Tatsache, dass der
Beschwerdeführer seine schwerkranke Mutter zwischen September 2015 und 26.
Januar 2016 (Tag des Ablebens) häufig in U.________ besucht hat, kein Indiz für
die Beibehaltung des Wohnsitzes erblickt werden kann. Der Beschwerdeführer
macht zu Recht geltend, dass diese Besuche in äusseren, unfreiwilligen
Umständen begründet und nicht Ausdruck eines Lebensmittelpunkts sind.

3.7. Indessen ist nicht in erster Linie massgeblich, dass ihn in U.________
"nichts mehr gehalten" hat, wie der Beschwerdeführer vorbringt. Vielmehr hat er
darzulegen, dass und warum er seinen Lebensmittelpunkt verlegt hat (vgl. E.
2.3). Dies ist ihm nicht gelungen. Was die nach Angabe des Beschwerdeführers
"spurlos verschwundenen" Belege betrifft, welche er am 18. Dezember 2015
"nachweislich" eingereicht haben will, wird auf die Vernehmlassung der
Steuerverwaltung verwiesen, wonach alle Unterlagen und Belege an die
Steuerrekurskommission weitergeleitet worden seien. Anstatt Kopien dieser
Belege im Verfahren vor der Vorinstanz einzureichen, legte der Beschwerdeführer
66 Quittungen aus dem Jahr 2016 vor, um seinen Aufenthalt in V.________ zu
untermauern. Da es vorliegend um das Steuerjahr 2015 geht, sind diese
Quittungen nicht massgeblich. Die Vorinstanz hat zudem darauf hingewiesen, dass
sich zahlreichen Kassenbelegen nicht entnehmen lasse, von wem die Einkäufe
tatsächlich getätigt worden seien. Die Vorinstanz stellt auch nicht in Abrede,
dass sich der Beschwerdeführer zwischendurch in V.________ aufgehalten hat. Die
spärlichen, künstlich anmutenden Anknüpfungspunkte in dieser Gemeinde (wie die
Bekanntschaft mit den Brüdern C.________ oder der Beitritt zu einem Verein,
welcher zeitgleich mit der Anmeldung in V.________ erfolgte) reichen nicht aus,
um eine Verlegung des Wohnsitzes anzunehmen.

3.8. Die Vorinstanz hat die Beweiswürdigung ohne Willkür vorgenommen. Sie hat
kein Bundesrecht verletzt, wenn sie aufgrund der genannten Umstände zum Schluss
gekommen ist, dass sich der Lebensmittelpunkt und damit der steuerrechtliche
Wohnsitz des Beschwerdeführers im Jahr 2015 in U.________ befand.

4.

Die Beschwerde ist abzuweisen. Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die
Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es ist keine Parteientschädigung
geschuldet (Art. 68 Abs. 1-3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 10. März 2019

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Zünd

Die Gerichtsschreiberin: Genner