Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.9/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1C_9/2017

Urteil vom 4. April 2017

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Fonjallaz, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Stohner.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Departement des Innern des Kantons Solothurn,
Ambassadorenhof, 4500 Solothurn.

Gegenstand
Opferhilfe,

Beschwerde gegen das Urteil vom 15. Dezember 2016 des Verwaltungsgerichts des
Kantons Solothurn.

Sachverhalt:

A. 
A.________ erstattete am 4. September 2007 Strafanzeige gegen Verantwortliche
der Kantonspolizei Solothurn und weitere Personen unter anderem wegen schwerer
Körperverletzung durch Mobbing und wegen Amtsmissbrauchs. A.________ warf den
Beschuldigten vor, sie hätten ihn während seiner Tätigkeit für die Solothurner
Polizei in den Jahren 1986 bis 2007 wiederholt gemobbt, was bei ihm zu einer
psychischen Erkrankung und schliesslich zur Invalidität geführt habe.
Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren am 3. September 2012 ein, da
sämtliche Handlungen der Beschuldigten vor dem 14. November 1997 infolge
Verjährung unbeachtlich seien und die Handlungen nach diesem Zeitpunkt keine
Straftatbestände erfüllten. Eine dagegen gerichtete Beschwerde wies die
Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn am 22. März 2013 ab,
soweit sie darauf eintrat. Das Bundesgericht trat auf die von A.________ gegen
das Urteil des Obergerichts erhobene Beschwerde am 21. Mai 2013 im Verfahren
nach Art. 108 BGG nicht ein (Urteil 6B_352/2013).

B. 
Mit Schreiben vom 24. April 2016 gelangte A.________ an die Beratungsstelle
Opferhilfe Aargau Solothurn, welche das Schreiben zuständigkeitshalber an die
Fachstelle Opferhilfe Kanton Solothurn weiterleitete. A.________ machte
sinngemäss geltend, er sei in den Jahren 1986 bis 2007 Opfer von Mobbing am
Arbeitsplatz geworden, was bei ihm zu einer erheblichen psychischen Belastung
und zu Arbeitsunfähigkeit geführt habe. Aufgrund seiner psychischen Krankheit
sei es ihm nicht mehr möglich, sich alleine gegen den Staat durchzusetzen. Er
habe Probleme, seine Steuerangelegenheiten alleine zu lösen und brauche deshalb
dringend anwaltliche, durch die Opferhilfe bezahlte Unterstützung.
Mit Verfügung vom 26. Juli 2016 wies das Departement des Innern des Kantons
Solothurn, Amt für soziale Sicherheit, das Gesuch von A.________ ab. Für die
Ausrichtung längerfristiger Hilfe müsse die Opferstellung wahrscheinlich sein.
Aufgrund der in Rechtskraft erwachsenen Einstellungsverfügung vom 3. September
2012 stehe fest, dass A.________ nicht Opfer im Sinne des Opferhilfegesetzes
sei. Im Übrigen fehle es auch an einem Kausalzusammenhang zwischen den
Straftaten und den geltend gemachten Problemen in Steuerangelegenheiten.
Diese Verfügung focht A.________ mit Beschwerde vom 1. August 2016 beim
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn an. Er beantragte, die Verfügung vom
26. Juli 2016 sei aufzuheben, und sein Gesuch um Übernahme von Anwaltskosten im
Steuerverfahren gemäss Opferhilfegesetz sei gutzuheissen. Mit Urteil vom 15.
Dezember 2016 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab. Das
Verwaltungsgericht erwog, die Staatsanwaltschaft habe das durch die
Strafanzeige des Beschwerdeführers eingeleitete Strafverfahren mit Verfügung
vom 3. September 2012 eingestellt, weil einerseits sämtliche allfällige
Handlungen der Beschuldigten vor dem 14. November 1997 verjährt seien, und weil
andererseits die Handlungen nach dem 14. November 1997 keine Straftatbestände
erfüllten. Diese Einstellungsverfügung sei in Rechtskraft erwachsen. Aufgrund
der fehlenden Opferqualität des Beschwerdeführers habe die Vorinstanz somit das
Gesuch um Kostengutsprache gemäss Opferhilfegesetz zu Recht abgewiesen.

C. 
Mit Eingabe vom 7. Januar 2017 führt A.________ Beschwerde an das Bundesgericht
mit den Hauptanträgen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Vorinstanz
anzuweisen, die Angelegenheit im Sinne seiner Beschwerde / Rechtsbegehren vom
1. August 2016 neu zu prüfen. Des Weiteren ersucht A.________ um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche
Verfahren.
Das Departement des Innern stellt Antrag auf Beschwerdeabweisung. Das
Verwaltungsgericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden könne. Das Bundesamt für Justiz beantragt die Abweisung der
Beschwerde.
Der Beschwerdeführer hält in weiteren Eingaben an seinem Standpunkt fest.

Erwägungen:

1. 
Der angefochtene Entscheid betrifft beantragte finanzielle Leistungen nach dem
Opferhilfegesetz und damit eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit (Art. 82
lit. a BGG). Ein Ausschlussgrund nach Art. 83 BGG besteht nicht. Der
angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts schliesst das
Opferhilfeverfahren ab und ist kantonal letztinstanzlich (Art. 86 Abs. 1 lit. d
i.V.m. Abs. 2, Art. 90 BGG). Der Beschwerdeführer ist durch die Abweisung
seiner Forderungen besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an
der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, weshalb er zur Beschwerde befugt
ist (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu
keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2. 
Gemäss Art. 1 Abs. 1 OHG (SR 312.5) hat jede Person, die durch eine Straftat in
ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität unmittelbar
beeinträchtigt worden ist (Opfer), Anspruch auf Unterstützung nach diesem
Gesetz (Opferhilfe).
Das Vorliegen einer Straftat ist unabdingbare Voraussetzung für die Anerkennung
der Opferqualität einer durch ein Ereignis geschädigten Person. Unter einer
Straftat ist ein tatbestandsmässiges, rechtswidriges Verhalten im Sinne des
Strafgesetzbuches zu verstehen. Eine schuldhafte Tatbegehung wird indessen nur
vom Strafrecht verlangt und spielt im Opferhilferecht als täterbezogenes
Kriterium bei der Bestimmung der Opferqualität keine Rolle. Nach dem aktuellen
Stand von Rechtsprechung und Lehre werden Vorsatz und Fahrlässigkeit im
Strafrecht nicht mehr als Schuldformen betrachtet, sondern zum typischerweise
rechtswidrigen Verhalten, d.h. zum subjektiven Tatbestand gezählt. Der Begriff
der Straftat setzt deshalb neben der Verwirklichung eines objektiven
Straftatbestands auch vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln voraus (BGE 134
II 308 E. 5.5 S. 313). Für die Geltendmachung von opferhilferechtlichen
Ansprüchen kann es nicht darauf ankommen, ob der Strafanspruch des Staats
verjährt ist. Das Opfer kann von einem strafrechtlich verjährten Delikt bei
späterem Erfolgseintritt in derselben Weise betroffen sein, wie wenn
beispielsweise kein schuldhaftes Verhalten nachgewiesen werden kann. Es ist
daher gerechtfertigt, das Vorliegen einer Straftat im Sinne des OHG
gegebenenfalls auch dann zu bejahen, wenn der Täter wegen der strafrechtlichen
Verjährungsregeln vom Strafrichter nicht mehr verurteilt werden kann (vgl. BGE
134 II 308 E. 5.8 S. 316 f.).
Der Beschwerdeführer beansprucht längerfristige Hilfe in Form juristischer
Unterstützung (vgl. Art. 13 Abs. 2 und 3 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 OHG). Das
Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung offen gelassen, ob für die Gewährung
längerfristiger Hilfe eine opferhilferechtlich relevante Straftat und damit die
Opferstellung wahrscheinlicher sein muss als ihr Nichtvorliegen (so
ausdrücklich die Empfehlungen der Schweizerischen Verbindungsstellen-Konferenz
Opferhilfegesetz [SVK-OHG] zur Anwendung des OHG vom 21. Januar 2010, Ziffer
2.8.1), oder ob es bereits genügt, dass eine opferhilferechtlich relevante
Straftat lediglich in Betracht fällt (vgl. Urteil 1C_32/2014 vom 6. Oktober
2014 E. 2.2 und 2.3). Diese Frage kann auch hier offen bleiben (siehe sogleich
E. 3).

3. 
Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, die Straftaten vor dem 14.
November 1997 seien nie strafrechtlich untersucht worden, weshalb "im Zweifel
für das Opfer" von begangenen Straftaten auszugehen sei.
Richtig ist, dass die Staatsanwaltschaft in der Einstellungsverfügung vom 3.
September 2012 sämtliche Handlungen vor dem 14. November 1997 als verjährt
einstufte und daher nicht materiell untersuchte. Es wurden die folgenden, vom
Beschwerdeführer als strafbare Handlungen bezeichneten Vorgänge als verjährt
qualifiziert: Kommandierung anlässlich einer Demonstration im AKW Gösgen 1986;
militärische Einteilung des Beschwerdeführers zur Heerespolizei statt zum
militärischen Sicherheitsdienst 1988; angebliche Observation des
Beschwerdeführers ab 1988; Kommandierung des Beschwerdeführers zum
Wirtschaftsdienst statt zur allgemeinen Fahndung 1990; Stage des
Beschwerdeführers bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt 1991;
Unterstellung des Beschwerdeführers an B.________ 1995; Diskussionen zwischen
A.________ und C.________ über Mobbing 1995 (Einstellungsverfügung vom 3.
September 2012 S. 5). Die Staatsanwaltschaft kam insbesondere zum Schluss, es
bestehe keinerlei Verdacht auf Observation des Beschwerdeführers.
Aufgrund der Vorbringen des Beschwerdeführers fehlen hinreichende Anhaltspunkte
für das Vorliegen der Straftatbestände der schweren Körperverletzung begangen
durch Mobbing oder des Amtsmissbrauchs. Ein vorsätzliches oder fahrlässiges
Handeln der Beschuldigten ist insofern nicht ersichtlich. Das Vorliegen einer
opferhilferechtlich relevanten Straftat fällt daher kaum in Betracht (und ist
dementsprechend erst recht nicht wahrscheinlich).
Darüber hinaus erscheint auch höchst fraglich, ob ein adäquater
Kausalzusammenhang zwischen den behaupteten Vorfällen in den Jahren 1986 bis
1997 und der vom Beschwerdeführer geltend gemachten psychischen
Beeinträchtigung besteht (zum Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhangs
vgl. die Empfehlungen der SVK-OHG zur Anwendung des OHG vom 21. Januar 2010,
Ziffer 4.4.3).
Schliesslich müsste auch ein kausaler Zusammenhang zwischen der Straftat und
der beantragten Leistung bestehen (Urteil 1C_612/2015 vom 17. Mai 2016 E. 2.3),
denn gemäss Art. 14 Abs. 1 OHG sind ausschliesslic h angemessene Leistungen,
die als Folge der Straftat notwendig ge worden sind, von der Opferhilfe zu
übernehmen. Es werden mithin grundsätzlich nur Leistungen erbracht für Kosten,
die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gewaltdelikt stehen (vgl. die
Empfehlungen der SVK-OHG zur Anwendung des OHG vom 21. Januar 2010, Ziffer 5).
Vorliegend fehlt es indes an einem solchen unmittelbaren Zusammenhang zwischen
den vor dem 14. November 1997 angeblich begangenen Straftaten und den geltend
gemachten Problemen in Steuerangelegenheiten.
Aus all diesen Gründen hat die Vorinstanz somit im Ergebnis kein Bundesrecht
verletzt, indem sie geschlossen hat, der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch
auf längerfristige Hilfe gemäss OHG.

4. 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Kosten sind keine zu erheben (Art. 30 Abs. 1
OHG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64
BGG ist insoweit gegenstandslos. Im Übrigen ist es abzuweisen, da die
Beschwerde aussichtslos war.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird, soweit es
nicht gegenstandslos geworden ist, abgewiesen.

3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Departement des Innern des Kantons
Solothurn, dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für
Justiz BJ schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. April 2017

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Merkli

Der Gerichtsschreiber: Stohner

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