Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.694/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
1C_694/2017  
 
 
Urteil vom 8. März 2018  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Eusebio, 
Bundesrichter Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Fürsprecher Thomas Wenger, 
 
gegen  
 
Staatssekretariat für Migration, 
Quellenweg 6, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung VI, vom 4.
November 2017 (F-4390/2016). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der türkische Staatsangehörige A.________ (Jg. 1980) reiste am 12. Mai 2006
erstmals in die Schweiz ein, wo er am 22. Juni 2006 die Schweizerin B.________
heiratete. Die Ehe blieb kinderlos und wurde am 6. Februar 2009 geschieden. Am
20. März 2009 heiratete A.________ die Schweizerin C.________ (Jg. 1973), die
er 2006 kennengelernt hatte; sie brachte einen Sohn in die Ehe. 
Am 24. April 2012 ersuchte A.________ um erleichterte Einbürgerung. Am 27.
August 2013 unterzeichneten die Eheleute die gemeinsame Erklärung, in einer
intakten Ehe zu leben und keine Trennungs- oder Scheidungsabsichten zu hegen.
Am 6. September 2013 wurde A.________ eingebürgert. 
Am 16. Juli 2014 wurde die kinderlos gebliebene Ehe gestützt auf das gemeinsame
Scheidungsbegehren vom 23. Mai 2014 geschieden. 
Im Oktober 2014 heiratete A.________ in der Türkei eine türkische
Staatsangehörige (Jg. 1989) und stellte am 11. Dezember 2014 ein Gesuch um
Familiennachzug. 
In der Folge eröffnete das Staatssekretariat für Migration (SEM) ein Verfahren
zur Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung, welches am 27. November
2015 zur Nichtigerklärung der Einbürgerung von A.________ führte. 
A.________ focht die Nichtigerklärung beim Bundesverwaltungsgericht an, welches
die Beschwerde am 4. November 2017 abwies. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________,
dieses Urteil aufzuheben. 
 
C.  
Das Bundesverwaltungsgericht und das SEM verzichten auf Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit.
a BGG). Die Ausnahme der ordentlichen Einbürgerungen nach Art. 83 lit. b BGG
erstreckt sich nicht auf die Nichtigerklärung der Einbürgerung. Es liegt auch
keine der übrigen Ausnahmen von Art. 83 BGG vor. Der Beschwerdeführer hat sich
am Verfahren vor der Vorinstanz beteiligt und ist beschwerdelegitimiert (Art.
89 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen
Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist. 
 
2.  
 
2.1. Gemäss Art. 27 Abs. 1 BüG kann ein Ausländer nach der Eheschliessung mit
einer Schweizerin ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn er
insgesamt fünf Jahre in der Schweiz gewohnt hat, seit einem Jahr hier wohnt und
seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit der Schweizerin lebt. Art. 26
Abs. 1 BüG setzt ferner in allgemeiner Weise voraus, dass der Bewerber in der
Schweiz integriert ist (lit. a), die schweizerische Rechtsordnung beachtet
(lit. b) und die innere und äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet
(lit. c). Alle Einbürgerungsvoraussetzungen müssen sowohl im Zeitpunkt der
Gesuchseinreichung als auch in demjenigen der Einbürgerungsverfügung erfüllt
sein (BGE 140 II 65 E. 2.1).  
 
2.2. Nach Art. 41 Abs. 1 BüG kann die Einbürgerung vom Bundesamt mit Zustimmung
der Behörde des Heimatkantons nichtig erklärt werden, wenn sie durch falsche
Angaben oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen worden ist. Das
blosse Fehlen der Einbürgerungsvoraussetzungen genügt nicht.  
Die Nichtigerklärung der Einbürgerung setzt vielmehr voraus, dass diese
"erschlichen", das heisst mit einem unlauteren und täuschenden Verhalten
erwirkt worden ist (BGE 132 II 113 E. 3.1 S. 115). Arglist im Sinne des
strafrechtlichen Betrugstatbestands ist nicht erforderlich. Immerhin ist
notwendig, dass der Betroffene bewusst falsche Angaben macht bzw. die Behörde
bewusst in einem falschen Glauben lässt und so den Vorwurf auf sich zieht, es
unterlassen zu haben, die Behörde über eine erhebliche Tatsache zu informieren
(BGE 135 II 161 E. 2 S. 165; 132 II 113 E. 3.1 S. 115). 
Bei der Nichtigerklärung einer erleichterten Einbürgerung ist deshalb von der
Behörde zu untersuchen, ob die Ehe im massgeblichen Zeitpunkt der
Gesuchseinreichung und der Einbürgerung tatsächlich gelebt wurde. Im
Wesentlichen geht es dabei um innere Vorgänge, die der Behörde oft nicht
bekannt und schwierig zu beweisen sind. Sie kann sich daher veranlasst sehen,
von bekannten Tatsachen (Vermutungsbasis) auf unbekannte (Vermutungsfolge) zu
schliessen. Es handelt sich dabei um Wahrscheinlichkeitsfolgerungen, die
aufgrund der Lebenserfahrung gezogen werden (BGE 130 II 482 E. 3.2 S. 485 f.).
Der Betroffene ist bei der Sachverhaltsabklärung mitwirkungspflichtig (BGE 135
II 161 E. 2 S. 166; 130 II 482 E. 3.2 S. 486). 
 
2.3. Die tatsächliche Vermutung betrifft die Beweiswürdigung und bewirkt keine
Umkehrung der Beweislast (BGE 130 II 482 E. 3.2 S. 486). Begründet die kurze
Zeitspanne zwischen der erleichterten Einbürgerung einerseits und der Trennung
oder Einleitung einer Scheidung andererseits die tatsächliche Vermutung, es
habe schon bei der Einbürgerung keine stabile eheliche Gemeinschaft mehr
bestanden, so muss der Betroffene deshalb nicht das Gegenteil beweisen. Es
genügt, wenn er einen Grund anführt, der es als plausibel erscheinen lässt,
dass er bei der Erklärung, wonach er mit seiner Schweizer Ehepartnerin in einer
stabilen ehelichen Gemeinschaft lebt, nicht gelogen hat. Bei diesem Grund kann
es sich um ein ausserordentliches, nach der Einbürgerung eingetretenes Ereignis
handeln, welches zum raschen Scheitern der Ehe führte, oder um das fehlende
Bewusstsein des Gesuchstellers bezüglich bestehender Eheprobleme im Zeitpunkt
der Einbürgerung (BGE 135 II 161 E. 2 S. 166 mit Hinweisen).  
 
3.  
 
3.1. Für das Bundesverwaltungsgericht begründet der enge zeitliche Ablauf der
Ereignisse die Vermutung, dass der Beschwerdeführer bereits im Zeitpunkt der
Einbürgerung nicht mehr vorbehaltlos die Absicht hatte, die Ehe weiterzuführen.
So habe er nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz bereits im
Spätherbst 2013, rund drei Monate nach der Einbürgerung, Scheidungsabsichten
gehabt. Am 23. Mai 2014 wurde das förmliche Scheidungsbegehren eingereicht,
worauf die Ehe am 16. Juli 2014 geschieden wurde. Im gleichen Zeitraum (Juli
2014) habe er in der Türkei eine Landsmännin kennengelernt und sie am 12.
Oktober 2014 geheiratet.  
Der Beschwerdeführer hielt dem entgegen, der Entscheid zur Scheidung sei für
ihn im November 2013 gefallen, als bei seiner Frau erneut Krebs diagnostiziert
worden sei und dessen operative Behandlung eine weitere Schwangerschaft
verunmöglicht hätte. Nachdem damit festgestanden habe, dass er mit ihr keine
Kinder würde haben können, habe er sich von ihr getrennt. Die damalige Ehefrau
bestätigte, dass sie beide sich immer eigene Kinder gewünscht hätten, obwohl
ihre Fähigkeit, Kinder zu bekommen, bereits aufgrund einer früheren
Krebsoperation stark beeinträchtigt gewesen sei. Es sei für sie eine grosse
Belastung gewesen, jeden Monat aufs Neue zu hoffen, schwanger zu werden, nur um
immer wieder enttäuscht zu werden. Für das Bundesverwaltungsgericht ist die
Erklärung des Beschwerdeführers vor diesem Hintergrund nicht plausibel, dass er
sich erst nach der Krebsdiagnose vom November 2013 Gedanken darüber zu machen
begann, sich von seiner Frau zu trennen. Eine so wichtige Entscheidung fälle
man nicht in so kurzer Zeit, und die Diagnose, welche die Hoffnung auf
gemeinsame Kinder endgültig zerstört habe, sei nicht unerwartet gekommen,
sondern die beiden Ehegatten hätten bereits viel früher gewusst, dass die
Chancen auf gemeinsame Kinder aus medizinischen Gründen stark beeinträchtigt
waren. 
 
3.2. Die engen Zeitabläufe - insbesondere erfolgte der Entschluss des
Beschwerdeführers, sich scheiden zu lassen, bloss rund drei Monate nach der
Einbürgerung - lassen klarerweise die Vermutung zu, dass sich der
Beschwerdeführer bereits vor der Einbürgerung Gedanken über die Fortführung der
Ehe machte und für den Fall fortbestehender Unfruchtbarkeit der Gattin eine
Scheidung in Betracht zog.  
Weiter ergibt sich insbesondere aus den Aussagen des Beschwerdeführers, dass
für ihn die Erfüllung des Kinderwunsches zentraler Bestandteil des Ehezwecks
war und damit eine zwingende Voraussetzung für deren Fortführung darstellte.
Dementsprechend leitete er auch umgehend deren Auflösung ein, als im November
2013 definitiv feststand, dass seine Ehefrau keine Kinder mehr bekommen kann.
Das bedeutet aber auch, dass sein erklärter Wille, die Ehe fortführen zu
wollen, bereits in den Jahren zuvor und jedenfalls lange vor der Einbürgerung
unter dem mentalen Vorbehalt stand, dass ihm seine Ehefrau ein gemeinsames Kind
gebären würde. Indem der Beschwerdeführer diesen Vorbehalt für sich behielt und
in der gemeinsamen Erklärung vom 27. August 2013 nicht erwähnte, dass er seinen
Willen auf Fortführung der Ehe von der Geburt eines gemeinsamen Kindes abhängig
machte, verheimlichte er den Behörden (und wohl auch seiner Frau) eine für die
erleichterte Einbürgerung erhebliche Tatsache, was deren Nichtigerklärung
rechtfertigt. Die Beschwerde ist unbegründet. 
 
4.  
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt
der Beschwerdeführer dessen Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Staatssekretariat für Migration
und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung VI, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. März 2018 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Störi 

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