Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.649/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
1C_649/2017  
 
 
Urteil vom 22. März 2018  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Fonjallaz, Eusebio, Kneubühler. 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Daniel Kettiger, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Einwohnergemeinde Bern, 
Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland. 
 
Gegenstand 
Stadtratsbeschluss vom 16. Februar 2017; Überbauungsordnung Sanierung
Gleisanlagen Breitenrain, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 25. Oktober 2017 (100.2017.173U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 14. Juni 2015 nahmen die Stimmberechtigten der Einwohnergemeinde Bern eine
Kreditvorlage des Stadtrats von Bern (Parlament) für die Umgestaltung des
Breitenrain- und Viktoriaplatzes und verschiedener Strassenzüge im
Breitenrainquartier an. Zur Umsetzung eines Teils des Projekts beschloss der
Stadtrat am 16. Februar 2017 die Überbauungsordnung "Sanierung Gleisanlagen
Breitenrain". 
Hiegegen gelangte Daniel Kettiger mit Beschwerde vom 24. März 2017 an das
Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland und machte geltend, das Vorhaben hätte
zwingend dem Stimmvolk zur Abstimmung vorgelegt werden müssen. Das
Regierungsstatthalteramt wies die Beschwerde am 22. Mai 2017 ab. 
Diesen Entscheid focht Daniel Kettiger mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom
20. Juni 2017 beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern an, welches die
Beschwerde mit Urteil vom 25. Oktober 2017 abwies, soweit es darauf eintrat. 
 
B.  
Mit Eingabe vom 27. November 2017 führt Daniel Kettiger Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht mit den
Rechtsbegehren, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Verwaltungsgericht stellt Antrag auf Beschwerdeabweisung. Das
Regierungsstatthalteramt verzichtet auf eine Vernehmlassung zur Beschwerde. Die
Einwohnergemeinde Bern beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei. Mit Eingabe vom 28. Februar 2018 hält der Beschwerdeführer an
seinem Standpunkt fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Art. 82 lit. c BGG regelt die sog. Stimmrechtsbeschwerde als besondere
Form der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Damit kann beim
Bundesgericht die Verletzung von politischen Rechten geltend gemacht werden.
Von der Stimmrechtsbeschwerde an das Bundesgericht werden sowohl eidgenössische
als auch kantonale und kommunale Stimmrechtssachen erfasst (vgl. Art. 88 Abs. 1
BGG). Der Beschwerdeführer macht geltend, die Überbauungsordnung "Sanierung
Gleisanlagen Breitenrain" hätte zwingend den Stimmberechtigten zur Abstimmung
vorgelegt werden müssen. Er rügt insoweit eine Verletzung seines Stimmrechts
bzw. seiner verfassungsmässig garantierten politischen Rechte (Art. 34 BV). Es
liegt somit eine kommunale Abstimmungssache vor. Angefochten ist ein kantonal
letztinstanzlicher Endentscheid (vgl. Art. 88 Abs. 1 lit. a und Art. 90 BGG).
Der Beschwerdeführer ist als Stimmberechtigter der Einwohnergemeinde Bern zur
Beschwerde berechtigt (vgl. Art. 89 Abs. 3 BGG).  
 
1.2. Nach Art. 95 lit. a, c und d BGG kann in Stimmrechtssachen in rechtlicher
Hinsicht die Verletzung von Bundesrecht, der kantonalen verfassungsmässigen
Rechte sowie der kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung
der Bürger und Bürgerinnen und derjenigen über Volkswahlen und -abstimmungen
gerügt werden. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen einen Verstoss gegen 
Art. 34 Abs. 2 BV sowie die Verletzung von kantonalem Gesetzesrecht im
Zusammenhang mit Stimmrechtssachen geltend (Art. 66 Abs. 2 und 4 des
Baugesetzes des Kantons Bern vom 9. Juni 1985 [Baugesetz, BauG/BE; BSG 721.0]),
was das Bundesgericht frei prüft (vgl. BGE 129 I 185 E. 2 S. 190).  
 
1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei
offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von 
Art. 95 BGG (vgl. Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine offensichtlich
unrichtige bzw. willkürliche Sachverhaltsfeststellung liegt vor, wenn diese
widersprüchlich oder aktenwidrig ist oder auf einem offensichtlichen Versehen
beruht bzw. klarerweise den tatsächlichen Verhältnissen widerspricht (vgl. etwa
Urteil 1C_492/2017 vom 12. Februar 2018 E. 2.1). Insoweit gilt eine
qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG).  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches
Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV. Die Vorinstanz sei auf seine Willkürrüge und
auf sein Argument nicht eingegangen, in der Einwohnergemeinde Bern bestehe eine
langjährige Übung, Parkflächen wie den neuen Breitenrainplatz einer Zone für
öffentliche Nutzungen (Freiflächen) gemäss Art. 77 BauG/BE zuzuordnen. Er
verweist unter anderem auf den Platz gegenüber dem Stadttheater und den Bereich
der Tramhaltestelle am Helvetiaplatz.  
 
2.2. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) verlangt, dass
die Behörde die Vorbringen des Betroffenen tatsächlich hört, sorgfältig und
ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Die Behörde darf
sich in ihrem Entscheid auf die wesentlichen Gesichtspunkte und Leitlinien
beschränken und braucht sich nicht mit jedem sachverhaltlichen oder rechtlichen
Einwand auseinanderzusetzen (vgl. BGE 136 I 229 E. 5.2 S. 236).  
 
2.3. Die Vorinstanz hat sich im angefochtenen Urteil (insbesondere E. 4.4)
hinreichend mit den Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Sie
hat begründet, weshalb die Umgestaltung des Breitenrainplatzes ihres Erachtens
keine Abkehr von der heutigen Nutzung darstellt. Unabhängig von einer
allfälligen langjährigen Übung im Zusammenhang mit öffentlichen Plätzen sei
deshalb nicht ersichtlich, weshalb die Einwohnergemeinde Bern den
Breitenrainplatz zwingend einer Zone nach Art. 77 BauG/BE hätte zuordnen
müssen.  
Die Begründung der Vorinstanz enthält damit alle für den Entscheid wesentlichen
Gesichtspunkte und trägt dem Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches
Gehör genügend Rechnung. Dem Beschwerdeführer war es ohne Weiteres möglich, den
vorinstanzlichen Entscheid sachgerecht anzufechten. 
 
3.  
 
3.1. In materieller Hinsicht ist umstritten, ob der Stadtrat die
Überbauungsordnung (Strassenplan), soweit die Umgestaltung des
Breitenrainplatzes betroffen ist, in eigener Verantwortung beschliessen durfte
oder ob hierüber zwingend die Stimmberechtigten der Einwohnergemeinde Bern
hätten abstimmen müssen.  
 
3.2. Der Neubau und die Änderung von Gemeindestrassen werden mit einer
Überbauungsordnung bewilligt (Art. 43 Abs. 1 des Strassengesetzes des Kantons
Bern vom 4. Juni 2008 [SG/BE; BSG 732.11]). Für den Erlass kommunaler
Überbauungsordnungen sind grundsätzlich die Stimmberechtigten zuständig (Art.
66 Abs. 2 BauG/BE). Gemeinden mit einem Gemeindeparlament können dessen
abschliessende Zuständigkeit vorsehen für den Erlass, die Änderung und die
Aufhebung von Überbauungsordnungen, sofern diese in Art und Mass der zulässigen
Nutzung nicht von der Grundordnung abweichen (Art. 66 Abs. 4 lit. a BauG/BE).
Die Einwohnergemeinde Bern hat von dieser Delegationsmöglichkeit Gebrauch
gemacht und eine entsprechende Kompetenz des Stadtrats für den Erlass von
Überbauungsordnungen begründet (Art. 87 der Bauordnung der Stadt Bern vom 24.
September 2006 ([BO/Bern; SSSB 721.1]).  
 
3.3. Diese rechtliche Ausgangslage (vgl. auch angefochtenes Urteil E. 4.1) wird
vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt. Er ist indes der Auffassung, mit
der Überbauungsordnung werde von der Grundordnung abgewichen. Der
Breitenrainplatz sei bisher als Verkehrsfläche der Strassennutzung zugewiesen
gewesen und werde durch die Umgestaltung einer Mischnutzung als Platz, Park und
Verkehrsfläche zugeführt, zumal ein Teil des Platzes aufgrund eines Fahrverbots
nicht mehr als Verkehrsfläche diene. Diese Fläche sei zwingend als Zone für
öffentliche Nutzungen (Freiflächen) gemäss Art. 77 Abs. 1 BauG/BE
auszuscheiden. Dies entspreche auch der ständigen Praxis der Einwohnergemeinde
Bern.  
 
3.4. Mit der Überbauungsordnung "Sanierung Gleisanlagen Breitenrain" vom 16.
Februar 2017 ist unter anderem beschlossen worden, den westlichen Bereich des
Platzes für den motorisierten Individualverkehr zu sperren und diesen, soweit
aus der Breitenrainstrasse kommend, in die Elisabethenstrasse anstatt auf den
Platz zu leiten. Gemäss Beschreibung der neuen Teilplatz-Gestaltung im
technischen Bericht zur Überbauungsordnung sollen zusätzliche Bäume gepflanzt
und neue Sitzbänke sowie ein Brunnen aufgestellt und der Breitenrainplatz so
als Quartiertreffpunkt und Marktplatz aufgewertet werden.  
 
3.5. Die Vorinstanz hat erwogen, der Breitenrainplatz diene als öffentliche
Strasse primär der Erschliessung bzw. dem Verkehr, wobei er bereits heute zum
Teil den Fussgängerinnen und Fussgängern vorbehalten sei. Die Neuerungen gemäss
beschlossener Überbauungsordnung führten entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers zu keiner wesentlichen Änderung des Charakters und der
Nutzung des Platzes. Dieser stelle weiterhin Verkehrsfläche dar. Ausser aus der
Breitenrainstrasse könne der motorisierte Individualverkehr nach wie vor aus
allen einmündenden Strassen auf den Platz gelangen, wobei der Veloverkehr
weiterhin von der Breitenrainstrasse auf den Breitenrainplatz fliessen könne.
Im Übrigen stelle neben dem motorisierten und nicht motorisierten
Individualverkehr sowie dem Tram (Linie 9) und Bus (Linien 26, 36 und 41) auch
der Fussgängerverkehr eine bestimmungsgemässe Nutzung der Verkehrsfläche dar.
Aufgrund der zentralen Lage im Quartier, der guten Erschliessung mit dem
öffentlichen Verkehr und der zahlreichen umliegenden Einkaufs- und
Verpflegungsmöglichkeiten sei von einer hohen Fussgängerfrequenz auszugehen.
Eine Aufwertung der Gestaltung im Hinblick auf die Bedürfnisse der
Fussgängerinnen und Fussgänger stelle keine Abkehr von der heutigen Nutzung als
Gemeindestrasse dar, zumal keine Park- und Gartenanlage zu Erholungszwecken
geschaffen werde.  
 
3.6. Die Einwohnergemeinde Bern hat im bundesgerichtlichen Verfahren mit
Eingabe vom 8. Februar 2018 - wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren -
darauf hingewiesen, es bestehe entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers in
der Stadt Bern keine konstante Praxis, wonach mit dem Breitenrainplatz
vergleichbare Flächen üblicherweise als Zone für öffentliche Nutzungen
ausgeschieden würden. So seien etwa der Hirschengraben und der Waisenhausplatz,
die - vergleichbar mit dem künftigen Breitenrainplatz - Gestaltungselemente wie
Bänke, Brunnen und Bäume aufwiesen, unter Einschluss der nicht für den
Fahrverkehr bestimmten Teile im Zonenplan als Verkehrsflächen aufgeführt.  
Diese Ausführungen der Einwohnergemeinde Bern werden vom Beschwerdeführer in
seiner Eingabe an das Bundesgericht vom 28. Februar 2018 nicht bestritten. 
 
3.7. Nach den willkürfrei getroffenen Feststellungen der Vorinstanz ist auf dem
Breitenrainplatz von einer hohen Fussgängerfrequenz auszugehen, wobei die
geplante Aufwertung der Gestaltung in erster Linie der Optimierung des
Fussgängerverkehrs dienen soll; eine Park- und Gartenanlage zu Erholungszwecken
wird nicht geschaffen. Auf diesen Sachverhalt ist abzustellen (vgl. Art. 105
BGG und E. 1.3 hiervor).  
Der streitige Bereich des Platzes ist mithin auch künftig als
Zirkulationsfläche dem Velo- und Fussverkehr gewidmet und behält folglich seine
Erschliessungsfunktion bei. Der Fussgängerverkehr stellt - wie von der
Vorinstanz ausgeführt -eine bestimmungsgemässe Nutzung der Verkehrsfläche dar
(vgl. hierzu ANDRÉ WERNER MOSER, Der öffentliche Grund und seine Benützung,
2011, S. 59 f.). Vor diesem Hintergrund hat die Vorinstanz zutreffend
geschlossen, die streitige Überbauungsordnung führe zu keiner Abweichung von
der bisherigen Nutzung des Breitenrainplatzes als Verkehrsfläche bzw.
Gemeindestrasse. Dementsprechend wird auch die baurechtliche Grundordnung der
Einwohnergemeinde Bern nicht berührt. Die geplanten Umgestaltungen wurden zu
Recht durch den Stadtrat im Strassenplanverfahren mittels Überbauungsordnung
bewilligt (Art. 43 Abs. 1 SG/BE i.V.m. Art. 66 Abs. 4 lit. a BauG/BE i.V.m.
Art. 87 BO/Bern) und mussten nicht den Stimmberechtigten zur Abstimmung
unterbreitet werden. Sind die Stimmberechtigten nicht zuständig, so wurde auch
das Stimmrecht des Beschwerdeführers nicht verletzt. 
 
4.  
Die Beschwerde erweist sich nach dem Gesagten als unbegründet und ist
abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang
wird der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Einwohnergemeinde Bern, dem
Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland und dem Verwaltungsgericht des Kantons
Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. März 2018 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Stohner 

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